Fexer Brief (Piz Fora)
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Fexer Brief (Piz Fora)

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

( Piz Fora,,

vVon Eugen Wenzel

Mit 1 Bild ( 21Zürich ) Fex Crasta, den 4. März 1950 Lieber Curt!

Es ist wohl an der Zeit, Dir nach vierzehntägigem Aufenthalt im Fextal endlich den versprochenen Bericht abzugeben. Du magst aus dem Dir letzte Woche übermittelten Kartengruss entnommen haben, dass wir bis anhin von der so berühmten Engadiner Sonne nicht begünstigt wurden. Um so mehr wird einem in der Fexer « Sonne », die, wie Du Dir vorstellen kannst, ihrem Namen wie immer alle Ehre macht, der etwa fehlende äussere Sonnenschein durch die wohltuende Wärme grösstmöglicher häuslicher Behaglichkeit ersetzt.

Wir haben trotz allem Ungemach mit dem Wetter einige erlebnisreiche Skitouren gemacht, wovon besonders der Aufstieg zum Lej Scrischus und auf Furtschellas mit Abfahrt nach Prasüra zu erwähnen ist. Ganz gerissen war auch eine Tour auf den Chapütsch, von dem ich Dir noch mündlich berichten werde.Vor allem drängt es mich, Dir in kurzen Zügen die Besteigung des Piz Fora zu schildern.

Ich will vorwegnehmen, dass es eines dreimaligen Anlaufs bedurfte, um den Gipfel endgültig aufs Haupt zu schlagen. Am 1. März nahmen wir bei besten Wetteraussichten den langen Weg unter die Bretter und kamen trotz tiefer Neuschneelage gut voran, als sich nach wenigen Stunden der Himmel so rasch und so gründlich zu bedecken begann, dass wir alle Unternehmungslust verloren. Ich weiss, Du wirst über meine Kleinmütigkeit lächeln, und wenn ich Dir erst noch sage, dass wir zwei Stunden später tatsächlich wieder im schönsten Sonnenschein nach Crasta zurückkamen, wirst Du die voreilige Umkehr vollends verurteilen.

Als es am Abend aufklärte und wir mit einem schönen Tag rechnen durften, wollten wir die immerhin bis auf eine Höhe von 2400 m vorgetriebene Spur ausnützen, bevor sie verweht wurde, und rüsteten zum zweiten Angriff. Kurz nach 7 Uhr verliessen wir am 2. März Crasta und hatten das fast ebene Strassenstück bald hinter uns. In der vortägigen Spur lief es sich leicht und, schönsten Wetters gewiss, hatten wir mächtigen Auftrieb. Dieser erhielt allerdings bald den unvermeidlichen Dämpfer aufgesetzt, als wir wieder in unberührtes Gelände kamen und im tiefen Neuschnee Schwerarbeit zu leisten hatten. Unentwegt zogen wir indessen unsere Spur durch die Steilhänge des Güzgletschers und erreichten schliesslich die Fuorcla Fex-Fedoz, wo wir gewonnenes Spiel zu haben glaubten. Die Distanz bis zum Gipfel, der von dort aus nicht sichtbar war, schien uns zwar noch beträchtlich, so dass wir die Rast verkürzten und sofort den Grat in Angriff nahmen. Es ging nur noch ein kurzes Stück auf Ski. Als wir uns mit etwelcher Mühe auf den ersten Grathöcker gewühlt hatten und endlich den noch weit entfernten Gipfel erblickten, sahen wir ein, dass dieses Ziel nicht mehr zu erreichen war. So gut es ging, machten wir gute Miene zum bösen Spiel suchten uns gegenseitig von der im Winter recht oft gepflegten Gewohnheit, sich den obersten Gipfel zu schenken, zu überzeugen, und traten den Rückzug an. Der fortgeschrittenen Zeit wegen war dies ohnehin geboten.

Von der Abfahrt kann ich Dir dafür nur Gutes berichten. Wir fanden einen herrlichen Pulverschnee vor, Schnee von jener Sorte, wie er uns sonst nur in schönsten Träumen erscheint, und wir genossen eine wahrhaft ungewöhnliche Abfahrt. So kam es auch, dass wir unser Missgeschick am Gipfel vergassen und hoch befriedigt nach Hause kamen. Dass wir den Tag mit einem guten Glas Veltliner feierten, wirst Du mir gerne glauben.

Glauben wirst Du mir vielleicht auch, dass selbst dieser Veltliner nicht imstande war, den Ärger über die erlittene Schlappe wegzuwaschen. Die sonst allgemein gerühmte Wirkung des Rebensaftes, nämlich diejenige eines festen gesunden Schlafs, blieb aus, so dass wir den — wenn auch winzigen — Stachel der Piz-Fora-Schlappe die ganze Nacht verspürten. Gesprochen wurde allerdings nicht mehr darüber.

Als der 3. März neuerdings in Glanz angebrochen war, entschlossen wir uns, den Piz Led anzugehen. Zweifelsohne war es vorteilhaft, einen Berg zu wählen, bei dem die bestehende Spur nochmals benutzt werden konnte. Reichlich spät machten wir uns erst um 8.45 Uhr auf die Beine und zogen wieder taleinwärts. Wie tags zuvor war die Spur noch im besten Zustand und erleichterte den Aufstieg beträchtlich. Wir gewannen erfreulich an Höhe. Am Ostfuss des Piz Led, dort wo es allmählich nicht mehr zu umgehen war, nördlich abzuschwenken und eine neue Spur zu treten, stach uns erneut der Teufel, und plötzlich fanden alle, dass es am besten wäre, wenn wir gerade heute noch mit dem Piz Fora abrechneten. So kam es, dass wir leichtfüssig der alten Spur folgten. Auf dem obersten Gletscherplateau schwenkten wir links südlich ab, querten einen bösen Hang und bauten nun Spitzkehre auf Spitzkehre in die Steilwand der Nordostflanke, bis wir nur wenige Meter unterhalb des höchsten Punktes den Nordgrat erreichten. In wenigen Schritten waren wir um 14.15 Uhr auf unserem Piz Fora.

Es hatte sich gelohnt. Die Aussicht war grossartig! Neben dem grandiosen Anblick, den uns die Bergeller Berge boten, beeindruckte uns vor allem der sich in ganzer Grösse erhebende Pizzo Bello oder sagen wir besser Monte della Disgrazia. Gewaltig ist der Tiefblick in das Val Malenco, und mächtig imponieren die Kolosse der Berninagruppe. Du wirst uns diese Gipfelstunde nachfühlen können. Von der Rückfahrt will ich nur sagen, dass wir sie auch zum drittenmal in vollen Zügen genossen und gerne in Kauf nahmen, heute eine Stunde später, erst nach 5 Uhr, heimzukehren.

Damit habe ich Dir das grosse Erlebnis dieser Ferien kurz geschildert und hoffe, Dich damit an Deine eigene, vor vielen Jahren ausgeführte Skitour auf den Piz Fora erinnert zu haben. Es ist unsere Absicht, das Fextal morgen zu verlassen. Wir haben uns aber fest vorgenommen, im nächsten Winter wieder hinaufzufahren. Ich versichere Dir, es sind nicht nur die « Fexer Platte » und der Veltliner, welche uns in die « Sonne » ins Fextal locken, wir denken auch an die prächtigen Skihochtouren wie Chapütschin, Tremoggia und Piz Led, und es sollte uns freuen, wenn Du dann mitmachen würdest.

Mit freundlichem Fexer Gruss,_ Eugen ( FortsetzungVon M. Szadrowky ( Chur )

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