Föhn, Flechten und Farbe Mehr Arbeit am Wanderwegnetz
Mehr und mehr müssen Wanderwege repariert oder verlegt werden. Schuld sei der Klimawandel, meint Beat Zgraggen. Ein Tag unterwegs mit dem technischen Leiter der Urner Wanderwege.
Nebelschwaden ziehen über den Älpergensee, eiskalte Föhnstösse zischen vom Lochbergpass herab und kräuseln das Wasser des Göscheneralpsees weit unten. Wenn ein Sonnenstrahl durch die schwarzen Wolken bricht, glänzen die Eisenleitern am nahen Planggenstock. Sie führen zur wahrscheinlich ergiebigsten Kluft der Welt – dorthin, wo Franz von Arx zusammen mit Paul von Känel die weltgrösste Quarzstufe geborgen hat (siehe «Die Alpen» 5/2007).
Felsblöcke auf Riesenrutschbahnen
Da taucht zwischen Geröll und Schutt Beat Zgraggen auf. Der Umweltfachmann und technische Leiter der Urner Wanderwege wurde gerufen, weil von Arx nicht der Einzige ist, der hier Fels bewegt. Mehr und mehr lösen sich auch ohne menschliches Zutun ganze Felsblöcke von den glatten Wänden, schleifen wie auf Riesenrutschbahnen hinunter und kommen dort zu stehen, wo ganz in Nähe der Bergweg hinauf zur Lochberglücke verläuft. Zgraggen untersucht einen der Blöcke. Die Diagnose ist klar: Frostsprengung. «Das passiert, wenn Wasser in Felsritzen gerät und gefriert», sagt er, «schnelle Wetterwechsel mit extremen Temperaturausschlägen beschleunigen diesen Prozess.» Genau das ist in den letzten Jahren vermehrt zu beobachten. Zum Beispiel an dem Tag, als er die Schadenstelle am Lochpass inspiziert. Es ist September, und drei Tage zuvor ist das Thermometer im Unterland auf 25 Grad gestiegen. «Wenn jetzt der Föhn zusammenbricht, haben wir hier innert zwölf Stunden einen Temperatursturz von gut und gerne 25 Grad», sagt er, während er auf der nahen Moräne den neuen Wegverlauf vermisst.
Massive Folgen für das Wegnetz
Beat Zgraggen ist überzeugt, dass das mit dem Klimawandel zu tun hat, wie auch die vielen, lokal massiven Wetterereignisse, die das Urnerland heimsuchen. «Letztes Jahr mussten wir am Klausenpass, am Sustenpass und auf der Brüsti ob Attinghausen Wege sanieren, die von schweren Gewitterregen unterspült wurden», sagt er.
Der Geschäftsführer der Schwyzer Wanderwege, Emil Gwerder, pflichtet ihm bei. Er ist ebenfalls überzeugt, «dass sich der Klimawandel sehr stark auf die Wanderwege auswirkt.» Die Häufigkeit und Intensität der Niederschläge habe in den letzten Jahren extrem zugenommen. «In der Folge werden vermehrt Wanderwege durch Hangrutsche, Murgänge oder Steinschläge zugeschüttet», sagt er. Allein für das Jahr 2010 zählt er sieben Ereignisse auf, vom Rotstock auf der Rigi über die Bärfalle in Brunnen bis zum Fruttli in Muotathal. Wie viel das kostet, kann niemand genau beziffern. Auf der Geschäftsstelle der Schweizer Wanderwege in Bern wird keine Statistik geführt, wie auch solche ausserordentlichen Ereignisse nicht erhoben werden. Anders beim Schweizer Alpen-Club SAC: Er erhebt seit rund vier Jahren Extremereignisse bei Hüttenzustiegen. Die Kosten der Wegsanierungen kann auch er nicht beziffern. «Ich schätze aber, dass es in die Zehntausende Franken geht», sagt Emil Gwerder – alleine im Kanton Schwyz in einem Jahr.
Genau vorgeschrieben: die Bestätigungsmarkierung
Nicht nur die Wege, auch die Wegmarkierungen leiden unter den Wetterkapriolen – sie müssen alle drei bis fünf Jahre neu gemalt werden. Beat Zgraggen trägt deshalb immer ein offenes Werkzeugkistchen mit den Malutensilien mit. Sieht er eine verwitterte Markierung, nimmt er einen groben Borstenpinsel hervor und betätigt sich als Felsenputzer. Er säubert die Oberfläche von Flechten und Verunreinigungen. Als Nächstes misst er die Markierung aus. «Eigentlich sind die Masse einer Markierung genau reglementiert», sagt Beat Zgraggen – genauso wie alle andern Details in der Planung, im Bau und in der Signalisation der Wanderwege. Im Handbuch steht dazu: «Jede Bestätigungsmarkierung sollte nicht breiter als 15 cm und nicht länger als 20 cm sein.»
Erst jetzt beginnt er mit Malen. «Am geeignetsten für Granitfelsen ist Acrylfarbe», sagt Beat Zgraggen. «Bei Kalk nehme ich eher eine mit Wasser verdünnbare Emailfarbe.» Die Revision einer einzigen Wegmarkierung dauert gut und gerne zehn Minuten.
500 Stunden Malarbeit – jährlich
Nun durchzieht aber allein den Kanton Uri ein Wander- und Bergwegnetz von 1500 Kilometern Länge. Geht man davon aus, dass im Schnitt alle 200 Meter eine Wegmarke zu malen ist, ergibt das jährlich rund 500 Stunden Malarbeit. Deshalb arbeitet Beat Zgraggen mit 20 lokalen Mitarbeitern zusammen, die jeweils für ein Gemeindegebiet zuständig sind. Er selbst leitet grössere Reparatur- und Unterhaltsprojekte, ist für Neubeschilderungen zuständig und realisiert auch mal da und dort eine Wegverschönerung – dann zum Beispiel, wenn am Klausenpass ein Wegstück von der Asphaltstrasse weg verlegt wird. Oder wenn im Meiental alte Holzzäune wiederhergestellt werden.
Eine wichtige Aufgabe ist aber auch die Lawinensicherung. «Gerade im Frühling kann es vorkommen, dass wir sogar Talwege sperren müssen, weil in einer schattigen Runse noch zu viel Schnee liegt», sagt Beat Zgraggen. «Da kann es schon mal vorkommen, dass Wanderer aus dem blühenden Unterland mit Unverständnis reagieren, sich über die Sperrung hinwegsetzen und dann unverrichteter Dinge umkehren müssen.» Trotzdem – Schneereinigungen nehmen Beat Zgraggen und sein Team nur bei stark begangenen Routen vor. «Ansonsten sind vor allem im Frühling und auf Alpinen Routen Bergschuhe, ein Pickel und elementare Kenntnisse in Alpintechnik gute Begleiter. Denn zehn Meter harter Firnschnee können genügen, um aus einer Wanderung eine Bergtour zu machen», sagt er. Und das kann während der ganzen Wandersaison vorkommen.