Fondue als Auftakt einer Achttausenderbesteigung
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Fondue als Auftakt einer Achttausenderbesteigung

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vDas Beispiel Erhard Loretan und 5die heutige Ernährungslehre 01 Aus der heutigen, auf optimale Leistungen ausgerichteten Ernährungslehre wissen wir, dass beispielsweise ein Marathonläufer vor dem Start eine leicht verdauliche, kohlenhydratreiche Mahlzeit zu sich nehmen und dann während des Wettkampfs regelmässig in nicht allzu grossen Abständen Flüssigkeit und Kohlenhydrate in einem optimierten Getränk nachschieben sollte. In modifizierter Form gilt dies auch für den Bergsteiger.1 Nun vernehmen wir aus Erhard Loretans Vorträgen und aus den Berichten über seine alpinistischen Erfolge, dass er seine Handstreiche auf die Achttausender mit einem Fondueessen einleitete und während der Besteigungen, die jeweils rund 40 Stunden dauerten, nur wenige Ovo-Sport-Riegel ass und kaum etwas trank.

Stellt Loretan mit seinem Vorgehen die Ernährungslehre auf den Kopf, oder stimmt diese etwa doch nicht ganz? Im nachfolgenden Beitrag soll versucht werden, auf die entsprechenden Kapitel der Lei-stungsphysiologie einzugehen und aus den sich daraus ergebenden Kenntnissen die notwendigen Folgerungen zu ziehen.

Zur Frage der Erhaltung der Leistungsfähigkeit Wie ist es möglich, trotz einer viel zu geringen Kohlenhydrat- und Kalo-rienzufuhr während einer so langen Zeit leistungsfähig zu bleiben?

Unterschiede bei der Kohlenhydrat-und der Fettverbrennung Zunächst besteht einmal die Tatsache, dass der Körper sowohl Kohlenhydrate als auch Fette verbrennen kann. Bei hohen Leistungen verbrennt der arbeitende Muskel ausschliesslich Kohlenhydrate, weil diese den Sauerstoff am optimalsten verwerten. Allerdings lassen sich Kohlenhydrate nur in beschränktem Umfang speichern ( bei Normalkost ca. 1000 kcal, was einer Gehstrecke von ca. 15 km entspricht ). Anders liegen die Verhältnisse bei den Fetten. Diese benötigen mehr Sauerstoff, um gleich viel mechanische Energie zu erzeugen wie die Kohlenhydratver-brennung. Dafür verfügen wir über weit grössere Fettreserven ( bei Ideal-gewicht ca. 50 000 kcal, was einer Gehstrecke von ca. 700 km entspricht ).

Verbesserung der Fettverbrennung durch Training Bei sehr geringen Belastungsintensitäten verbrennen wir alle in vermehrtem Mass Fett. Eine Verbesserung der Fettverbrennung gehört zu den Anpassungen eines Ausdauertrainings. Gut Ausdauertrainierte verbrennen gleichzeitig Fette und Kohlenhydrate bei einer bereits recht hohen Belastungsintensität. Hochlei-stungsfähige Bergsteiger verbrennen bei ihren Touren fast ausschliesslich Fett. Nur bei Belastungsspitzen tritt noch ein stärkerer Kohlenhydratver-brauch hinzu. Dies erfordert neben einer eher selten vorkommenden entsprechenden Veranlagung auch ein jahr(zehnt)elanges spezifisches Training. Ein Long-Jog pro Woche von 2-3 Std. Dauer reicht dafür kaum.

Stabilisierung des Blutzuckerspiegels Die gegessenen Ovo-Sport-Riegel helfen in erster Linie mit, den Blut-zuckerspiegel zu stabilisieren. Ein Ausdauertraining bewirkt eine bessere Stabilisierung des Blutzuckerspiegels bei längeren Belastungen. Dies zeigt das Beispiel einer Untersuchung mit 14 Sportstudenten, bei der 5 der Teilnehmer durch den vor einem Lauftraining bestrittenen Zweistun-denlauf einen ausgeprägten, lei-stungsmindernden Blutzuckerabfall erlitten, während nach dem entsprechenden Kontrollauf nach dem Trainingsprogramm die Werte bei sämtlichen im Normbereich blieben.

Dennoch sinkt bei allen bei sehr langen Belastungen der Blutzucker- 1 Vgl. dazu die vom unterzeichneten Autor verfassten Beiträge in den ALPEN-MB 7/87, 9/87, 5/93, 9/93 und 8/96 spiegel ab und führt selbst bei noch intakten Kohlenhydratreserven in der belasteten Muskulatur zu Lei-stungseinbussen. Hochtrainierte Bergsteiger kommen dabei mit deutlich weniger Zwischenverpflegung aus als wir Normalberggänger.

Schlussfolgerung Die Fähigkeit, selbst bei sehr grossen Leistungen in überwiegendem Mass Fett zu verbrennen, sowie die Fähigkeit, während der Leistung mit einer relativ geringen Kohlenhydrat-zufuhr auszukommen, befähigt Bergsteiger wie Erhard Loretan, ohne grösseren Kohlenhydrat- und Ener-gienachschub während zwei Tagen Spitzenleistungen zu vollbringen.

Ist ein Fondueessen vor einer extremen Belastung vertretbar?

Zwei Gesetze der Kohlenhydrat- und Fettverbrennung Die Beantwortung dieser Frage erfordert die Darlegung weiterer Aspekte der Einwirkungen auf das Verhältnis von Kohlenhydrat- und Fettverbrennung. Dazu zwei Gesetze:

- Bei konstanter Belastungsintensität nimmt mit fortschreitender Dauer der Anteil der Kohlenhydratver-brennung ab, derjenige von Fett zu.

Nur Spitzenbergsteiger verbrennen bei ihren Hoch-leistungstouren fast ausschliesslich Fett und können deshalb als Auftakt einer Achttausenderbesteigung auch entsprechend fettreiche Nahrung zu sich nehmen; Blick auf den wohl meistumworbenen Achttausendergipfel, den Mount Everest, rechts davon Lhotse und Nuptse.

- Eine Kohlenhydratzufuhr heizt die Verbrennung von Kohlenhydraten an und drängt die Fettverbrennung zurück.

Unterschiedliche Voraussetzungen bei Normal- und bei Spitzenbergsteigern Selbst bei sehr gut ausdauertrai-nierten Normalbergsteigern führt das Schema « kurz vor dem Aufbruch eine kohlenhydratreiche Mahlzeit, auf der Tour ein regelmässiger Nachschub von Kohlenhydraten, Flüssigkeiten und evtl. auch von Fetten » zu den besten Leistungen. Im Fall der Handstreiche auf die Achttausender, bei denen die Kohlenhydrate nur für Spitzenbelastungen beansprucht werden, erweist sich eine Schonung der Kohlenhydratreserven in der Anfangsphase der Besteigung als wertvoll. Eine kohlenhydratarme Mahlzeit vor dem Aufbruch hilft mit, dieses Ziel zu erreichen. Wenn das Tempo zu Beginn etwas langsamer ausfällt, bewirkt dies eine zusätzliche Schonung der Kohlenhydratreserven und trägt dazu bei, die fettreiche Mahlzeit problemlos verdauen zu können.

Erhard Loretan auf dem Gipfel des Kangchenjunga ( 8586 m ) am 5. Oktober 1995 Schlussfolgerung Ein Fondueessen kurz vor einer solchen Extremleistung erweist sich somit nicht nur aus psychologischer Sicht als vertretbar.

Das Problem der Flüssigkeitszufuhr Bewirkt eine nur geringe Flüssigkeitszufuhr keine Leistungsreduktion und gesundheitliche Gefährdung?

Vielfache Verknüpfungen und unsichere Ausgangswerte Zunächst gilt es, einmal darauf hinzuweisen, dass das in den verschiedensten Schriften auftauchende Nur für Hochleistungssportler: Erhard Loretan beim Vorbereiten des Fondue ( am Nanga-Parbat ) Dogma nicht stimmt, wonach ein Flüssigkeitsdefizit von 2 % bereits eine Leistungsminderung bewirkt. Diese Regel beruht auf einer amerikanischen Untersuchung, die vor über 50 Jahren durchgeführt, fälschlicherweise verallgemeinert und wiederholt unkritisch abgeschrieben wurde.

Körperliche Belastungen führen nicht nur zu Flüssigkeitsdefiziten, sondern auch zu einem Anstieg der Körpertemperatur. Dabei sind Flüs-sigkeits- und Temperaturhaushalt eng miteinander verknüpft und werden u.a. von Ausdauertrainingszu-stand, Hitzeakklimatisation, Körpergewicht, Höhe, Umgebungstemperatur, Windstärke, Luftfeuchtigkeit sowie von Dauer und Intensität der Belastung beeinflusst.

Sicherheit, Medizin, Rettungswesen Ähnlich verhält es sich mit den Angaben, wonach in grossen Höhen bis S zu 7 Liter täglich getrunken werden ^ sollten. Bisher bin ich noch nie auf ei-ç ne Untersuchung gestossen, die an-£ hand von gründlichen Messungen „ den tatsächlichen Flüssigkeitsbedarf 5 in grossen Höhen bestimmte.

Schliesslich möchte ich darauf hinweisen, dass jeder Vorstoss weit über 7000 m Höhe hinaus an sich bereits gesundheitliche Risiken in sich birgt. Daher besteht das Ziel der Spitzenbergsteiger, diese Höhenexpositions-zeit möglichst kurz zu halten. Das Mitschleppen von Getränken in Käl-teschutzflaschen bewirkt durch das zusätzliche Gewicht eine Anstiegsver-langsamung. Die Herstellung von Getränken aus Schnee benötigt relativ viel Zeit, Zeit, die vielleicht fehlt, um noch auf den Gipfel zu kommen oder rechtzeitig bei einem Wetterumsturz in sicheres Gelände zu gelangen.

Wie die Erfolge Erhard Loretans belegen, führten die eingegangenen Flüssigkeitsdefizite zu keinen Lei-stungsminderungen oder gesundheitlichen Gefährdungen.

Die Frage der Grenzen Zunächst ist festzuhalten, dass selbst die besttrainierten Bergsteiger solche Parforceleistungen zwei, in Sonderfällen wahrscheinlich allerhöchstens drei Tage lang durchstehen können. Spätestens dann bedarf es einer Regenerationsphase. In die- ser muss zunächst ein ausreichender Kohlenhydratersatz erfolgen. Selbst der Besttrainierte kann am Berg in einer Notsituation bei fehlenden Kohlenhydratreserven in eine tödliche Gefahr geraten. Weiter geht es darum, die Energiedefizite abzubauen. Auch wenn der Körper die Fähigkeit besitzt, unter Kalorienmangel noch Höchstleistungen zu erbringen, bewirken grössere Gewichtsabnahmen irgendwann einmal eine mehr oder weniger drastische Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Der letzte und wahrscheinlich wichtigste Punkt ist die Behebung des Flüssigkeitsdefi-zits: Spätestens beim Aufbruch zu neuen Grosstaten muss wieder eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz vorliegen.

Schwere Touren von mehr als zwei bis drei Tagen Dauer in grossen Höhen erfordern auch bei den Besten eine tägliche sorgfältige Beachtung des Ersatzes von Kohlenhydraten, Energie und Flüssigkeiten. Neben dem Wetter und den technischen Problemen entscheidet dieser Faktor über Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens.

Was sich vom Ausnahmekönner Erhard Loretan lernen lässt Zunächst möchte ich deutlich hervorheben, dass für uns die klassischen Ernährungsgrundsätze nach wie vor gelten. Es wäre zumindest in dieser Hinsicht falsch, Äusserlichkeiten der absoluten Könner nachzuahmen. Ein solches Verhalten führt höchstens zu frühen Konzentrationsstörungen und vorzeitiger Erschöpfung.

Als Loretan zu seiner ersten Achttausenderbesteigung aufbrach, besass er schon ein sehr hohes technisches und konditionelles Niveau. Sein Stoffwechsel war bereit für die Belastungen, die auf dieser Tour auf ihn zukamen. Allzuviele Bergwanderer und Bergsteiger unternehmen im Gegensatz dazu Bergtouren, für die sie physisch und/oder technisch nicht gerüstet sind.

Wenn wir uns vornehmen, Touren nur mit den dazu erforderlichen Voraussetzungen anzutreten, dann haben wir nicht nur aus den Schilderungen von Erhard Loretan etwas gelernt, sondern wir werden in Zukunft unsere Bergfahrten mehr geniessen können, und zudem könnte sich dies auch auf die Unfallstatistik positiv auswirken.

Dr. med. Peter Schürch, Muri/BE « Normalbergsteiger » sollten sich bei Touren auch in unseren Alpen an die allgemeingültige Regel halten, vor der Tour leicht verdauliche, kohlenhydratreiche Nah- rung und während der Lei-stungsphase in nicht allzugrossen Abständen Flüssigkeit und Kohlenhydrate zu sich zu nehmen; die Dent Blanche vom Gipfel der Tête de Valpelline.

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