Gebirgssoldaten in Fels und Eis
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Gebirgssoldaten in Fels und Eis

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 6 Bildern.Von Hans Bracher.

Wie bekannt ist, wurden im Laufe des letzten Winters in der ganzen Armee Kurse für Ski- und Wintergebirgsausbildung durchgeführt. Diese Skiausbildung auf breitester Grundlage findet ihre Ergänzung durch die vom General befohlenen Kurse für Sommergebirgsausbildung. Vom 29. Juli bis 17. August fand ein Zentralkurs statt, in dem Offiziere sämtlicher Heereseinheiten der Armee in der alpinen Technik und Taktik ausgebildet wurden. Sie wurden als Leiter und Klassenlehrer in den anschliessenden Mannschaftskursen verwendet. Dem Zentralkurs ging ein dreitägiger, von bewährten, gebirgstüchtigen Offizieren und erstklassigen Bergführern besuchter Kadervorkurs voraus, wo diese Leute für ihre verantwortungsvolle Instruktionsarbeit im Zentralkurs vorbereitet wurden.

Die Leitung des Kurses lag bei Oberstleutnant Fritz Erb in bewährten Händen. Das vom Kurskommandanten ausgearbeitete Programm war sehr reichhaltig und eine dreiwöchige Kursdauer zu dessen Bewältigung eher zu knapp. Nur einer straffen und zielbewussten Leitung konnte es gelingen, dieses Arbeitspensum restlos und mit Erfolg zu bewältigen.

Dem Arbeitsprogramm entnehme ich ganz kurz folgendes: Das Hauptgewicht wurde auf praktische Arbeit im Gelände gelegt, blosse Theorie am grünen Tisch gab es in diesem Kurse nicht. Die Kursteilnehmer mussten in der nach einheitlichen Prinzipien gelehrten alpinen Technik so weit gebracht werden, dass sie sich in Fels, Schnee und Eis sicher bewegen lernten und befähigt wurden, auch schwerere Aufstiege mit der Truppe selbständig durchzuführen. Vorgesehen war ferner der Stellungsbau im Gebirge, der Bau von Eiskavernen und Schneehöhlen. Dem Sanitätsdienst im Gebirge, einschliesslich Verwundetentransporte, Bergung aus Spalten und Lawinenhilfe wurde besondere Beachtung geschenkt. Die Behandlung taktischer Fragen des Hoch-gebirgskrieges, die Aufstellung, Ausrüstung und Führung von Hochgebirgs-detachementen und Patrouillen und die Durchführung grosser, mehrtägiger Sperrübungen gab Gelegenheit, die erlernte Bergsteigertechnik militärisch zu verwerten.

Es ist klar, dass privates Bergsteigen und militärischer Alpinismus zwei verschiedene Sachen sind. Der Hochgebirgssoldat muss die Technik des Bergsteigens zur Lösung der gestellten militärischen Aufgaben in allen Teilen beherrschen. Er muss sich im Gebirge zurechtfinden auch bei Nacht und Nebel, bei schlechtem Wetter und ungünstigen Verhältnissen. Er muss tagelang in grossen Höhen bei empfindlicher Kälte, bei Sturm und Schneefall leben und den ihm übertragenen Auftrag erfüllen können. Der Mann muss mit schweren Lasten stundenlang steigen und auch schwierige Klettereien und Eispartien sicher bewältigen können. Das Bergsteigen der Gebirgstruppe ist vielleicht nicht immer sport- oder stilgerecht, es gelangen Seile, Mauer- haken, Karabiner und andere künstliche Hilfsmittel zur Verwendung, wo sie der private Bergsteiger nicht benötigt. Das spielt keine Rolle, es kommt bei der Lösung militärischer Aufträge darauf an, dass wir Truppe und Waffen sicher und einsatzbereit in die befohlenen Stellungen bringen. Nach diesem Prinzip der Sicherheit haben wir in Fels, Schnee und Eis gearbeitet, eine grosse Zahl von Gipfelbesteigungen und langen Überschreitungen und eine zweitägige Sperrübung im Mischabelgebiet durchgeführt — ohne nennenswerten Unfall.

Ein reichhaltiges und erstklassiges Material stand zur Verfügung, neben dem gebräuchlichen Handwerkszeug des Bergsteigers war die moderne Kletter- und Eisausrüstung vollständig vorhanden, Schlafsäcke, Kocher, Windschutzanzüge, Lawinenschaufeln fehlten nicht. Zwei Minenwerfer wurden mit Erfolg eingesetzt zum Lawinenabschuss am Mönch und am Eigergletscher.

Dank verschiedener günstiger Umstände gelangen in diesem Kurse eine ganze Reihe bergsteigerischer Leistungen, welche die C. Kameraden in erster Linie interessieren werden und worüber ich im nachfolgenden einiges Selbsterlebtes und Erschautes berichten möchte.

Das Kletterparadies der Engelhörner braucht der schweizerischen Bergsteigerschaft nicht vorgestellt zu werden. Dass für die Felsausbildung gerade dieses Gebiet gewählt wurde, erwies sich bald als überaus günstig. Jeden Morgen zogen wir klassenweise in langer Kolonne vom Standquartier Rosenlaui auf dem steilen Weglein ins Ochsental hinauf. Wir kannten nach acht Tagen sozusagen jeden Schritt und Tritt und machten uns nebenbei ungewollt auch als Wegverbesserer nützlich. In den Engelhörnern haben wir, nachdem die gesamte Klettertechnik bis zum Abseilen, Verwendung von Mauerhaken, Karabinern, Seilzügen und andern künstlichen Hilfsmitteln durchgearbeitet worden war, mit 115 Mann fast alle Hauptgipfel bestiegen: Klein und Gross Simelistock ( auf allen Routen ), Vorderspitze, Gertrudspitze, Gemsenspitze, Kingspitz, Engelburg, Sattelspitze. Am nächsten Tage erfolgte die kriegsmässige Besetzung sämtlicher wichtigen Sättel der Engelhörner. Um 6 Uhr marschierten die Klassen, ausgerüstet mit schweren und leichten Maschinengewehren und Karabinern, im Rosenlaui ab, Weg- und Spitzenpatrouillen waren früher aufgebrochen, um mit Seilen und Mauerhaken die schwierigen Stellen für die schweren Waffentransporte gangbar zu machen. Dass es kein Genussklettern war, mit einer 30 kg schweren Last am Buckel über die Ochsenplatte oder zum Gemsensattel anzusteigen, kann sich, wer die Aufstiege in den Engelhörnern kennt, lebhaft vorstellen. Die Wegpatrouillen hatten jedoch gute Arbeit geleistet. Zum Simelisattel hinauf z.B. wurden an den steilen und exponierten Stellen unterhalb des Sattels Seile befestigt, woran sich die Lastenträger, vom Vorder- und Hintermann kräftig unterstützt, hinaufziehen konnten.

Wohl noch nie haben die Engelhörner solchen Besuch erhalten; in ihren steilen Wänden, auf ihren scharfen Graten und stolzen Gipfeln haben wir unvergessliche Tage verlebt. Wichtig aber war die Erfahrung, dass es einer gebirgstüchtigen Truppe ohne weiteres möglich ist, auch schwer ersteigbare Sättel und Gipfel mit grossem Detachementen und automatischen Waffen zu besetzen und zu halten.

Für die Dislokation nach dem Jungfraujoch marschierten wir anfangs der zweiten Woche über die Grosse Scheidegg nach Grindelwald und benutzten von dort die Bahn. Auf dem Jungfraujoch fanden wir dank dem Entgegenkommen der Hotel- und Bahnleitung gute Unterkunft, das Gebiet eignete sich für die Arbeit in Schnee, Firn und Eis vorzüglich. Das Wetter war auch hier, mit Ausnahme zweier Tage, an denen es stürmte und schneite, prächtig, die Verhältnisse an den Gipfeln infolge von vielem Schnee dagegen zum Teil noch schlecht. Man sah nun an den umliegenden steilen Firnhängen Gruppen überall auf- und absteigen, Bergschründe und Spalten überwinden und überspringen, Wächten durchschlagen und Schneegrate begehen.

Schon bald begann man mit grösseren Touren. Klassenweise wurden sämtliche umliegenden Gipfel, Jungfrau, Mönch ( Südwest- und Südostgrat, Nordostwand, Südwand vom Vorgipfel ), Rottalhorn, Trugberg ( Nordgrat, Süd-ost- und Südwestgrat ) und Kranzberg bestiegen. An einem Abend, kurz vor dem Einnachten, verliessen die Klassen das Jungfraujoch und marschierten ab zur Besetzung der Sättel, Joche und Gipfel des Jungfraugebiets, wo Verteidigungsstellungen und Schneehöhlen zum Biwak gebaut wurden. Am nächsten Morgen erfolgte die nochmalige Besteigung aller umliegenden Gipfel durch neue Gruppen und auf verschiedenen Routen.

An einem Vormittag stand ich mit einem Kameraden auf dem nördlichen Eigerjoch. Wir sahen hinauf zum Mönch und studierten die Aufstiegsmöglichkeiten. Rechts schwingt sich der Nordostgrat als feiner Schneekamm vom Eigerjoch zum Gipfel empor. Links sahen wir den felsigen Nordostsporn, der in etwa 3700 Meter Höhe aus dem Firn heraustritt und sich zum Vorgipfel hinaufzieht. Dazwischen liegt eine steile, mehrere 100 Meter hohe Firnwand. Diese Wand wurde an einem dieser Tage von einer ganzen Gruppe im Abstieg begangen, die Spur zog sich vom Gipfel in schnurgerader Linie gegen das Eigerjoch hinab. Uns interessierte vor allem der Nordostsporn. Von unten gesehen schien der Aufstieg ziemlich einfach und kurz zu sein, tatsächlich aber ist die Kletterei gar nicht einfach. Interessanterweise wurde dieser sehr selten begangene Sporn anlässlich der Erstbesteigung des Mönchs durch Dr. S. Porges mit den Führern Christian Almer und Ulrich und Christian Kaufmann im Jahre 1857 zum Aufstieg benützt.

Wir querten also zum Beginn des Felsspornes hinüber und packten die soliden Granitfelsen an, die uns in prächtiger Kletterei höher brachten. Dann aber zwang uns ein glatter Aufschwung zum Ausweichen nach rechts in die Flanke, und hier trafen wir auf plattigen, mit Schnee und Eis bedeckten Fels, der erhebliche Schwierigkeiten verursachte. Felsen und Schneegrätchen führten uns weiter oben zu einer glatten Wandstufe, die uns nochmals aufhielt. Dann war der Weg frei, wir erreichten den Vorgipfel und von dort leicht die höchste Erhebung des Mönchs.

Am Abend des gleichen Tages nächtigten wir zu viert in der Mittellegihütte. Zum Aufstieg von der Station Eismeer benützten wir nicht die übliche Route, sondern stiegen vom Kallifirn ein Schneecouloir hinauf und gelangten über Platten auf ein ausgeprägtes Band, das sich mehr oder weniger horizontal durch die Wand zieht und dem wir folgten, bis es sich verlor. In Richtung schwach rechts erstiegen wir die Wand gegen die Hütte zu, die man schon vom Band aus sieht. Wir hatten den Auftrag, Zugang und Stellungen am Mittellegigrat zu rekognoszieren, den Eiger über diesen Grat zu ersteigen und über das nördliche und südliche Eigerjoch nach Jungfraujoch zurückzukehren. Die Verhältnisse an der Mittellegi wurden allgemein als schlecht bezeichnet, hatten wir doch schon von Grindelwald aus gesehen, dass noch viel Schnee in den Felsen lag. Der Grat war dieses Jahr noch nie begangen worden, und man schätzte unsere Erfolgsaussichten nicht hoch ein.

Am nächsten Morgen sah das Wetter nicht besonders gut aus, Wolken trieben von Westen heran und erreichten schon den wild sich aufbäumenden Mittellegigrat. Die Schwierigkeiten begannen schon gleich bei der Hütte; ein stark vergwächteter Schneegrat war zu überschreiten, der den Zugang zu den ersten Felsen vermittelte. Was dann folgte, war eine genussvolle Kletterei: wir turnten an den ersten Seilen hinauf und überschritten zur Abwechslung kurze Schneegrätchen. Ich erinnere mich an einen glatten Turm, an dem ein morsches Seil hing, einmal oder zweimal liessen wir uns auch am Seil in Scharten hinunter und dann standen wir vor dem grossen Aufschwung, wo früher alle Ersteigungsversuche scheiterten, bis im Jahre 1921 den Grindelwaldnerführern Fritz Amatter, Fritz Steuri und Samuel Brawand mit dem Japaner Yuko Maki die Überwindung dieser 80 m hohen Plattenwand in 7stündiger schwerer Arbeit unter Verwendung künstlicher Hilfsmittel gelang. Jetzt befinden sich hier feste Seile, sie lagen zum Teil noch unter Schnee und mussten von uns in mühsamer Arbeit freigemacht werden. Stellenweise waren die Platten vereist, so dass der Aufstieg trotz der Seilhilfen nicht einfach war. Als wir dann das letzte Seil passiert hatten, lag ein scharfer Schneefirst mit grossen Gwächten vor uns, der zum Gipfel führte.

Um 11 Uhr betraten wir den Gipfel des Eiger und hatten damit einen Teil unseres Auftrages ausgeführt. Der kalte Westwind vertrieb uns bald, und wir stiegen zum nördlichen Eigerjoch ab, erst auf Felsen, weiter unten auf weichem Schnee, in dem wir oft bis zu den Hüften einsanken. Stellenweise bestand die Unterlage aus Eis. Unten im Eigerjoch schalteten wir eine längere Rast ein, die erste und einzige des Tages.

Der Verbindungsgrat zum südlichen Eigerjoch besteht aus Schneegraten und Felstürmen; wir wussten, dass unser noch ernsthafte Schwierigkeiten warteten. Als wir auf dem grossen Turm standen und glaubten, nun rasch und ohne weitere Hindernisse das südliche Joch zu erreichen, sahen wir uns bald getäuscht, denn schier endlos reihten sich die stark vergwächteten, schmalen Schneegrate aneinander. Vom Eigerjoch hatten wir dann gewonnenes Spiel, waren aber froh, als wir nach der langweiligen Schneestampferei über das obere Mönchsjoch den Sphinxstollen um 17 Uhr erreichten. Die ganze Überschreitung hatte 12 Stunden gedauert, und es ist nicht übertrieben, wenn sie im Führer als eine der lohnendsten Bergfahrten des Berner Oberlandes bezeichnet wird.

Als Übungsgebiet der letzten Kurswoche war die Mischabelgruppe vorgesehen. Der Marsch ins Wallis erfolgte über das Aletschhorn. Auf diesen Berg führen verschiedene Routen, und man hätte von Konkordia und Lötschenlücke aus in getrennten Gruppen über Dreieckhorn, Haslerrippe und Sattelhorn ansteigen können. Der Kurskommandant entschloss sich dann aber, die Überschreitung in einem Zuge vom Jungfraujoch aus zu unternehmen und mit dem ganzen Kurs geschlossen über die Haslerrippe anzusteigen. Das Experiment, mit einer Kolonne von 100 Mann diese gut 700 m hohe Schnee- und Felsrippe zu begehen, gelang glänzend und zeitigte hinsichtlich Marschordnung und Marschdisziplin, Anstiegstempo und Verfassung der Mannschaft wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen.

Der Abmarsch war ursprünglich auf Sonntag früh, kurz nach Mitternacht, angesetzt. Am Samstag herrschte den ganzen Tag Schneesturm, und gegen Abend verschlechterte sich das Wetter eher noch, so dass der Abmarsch auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste. Man erstellte die Marschbereitschaft und legte sich schlafen, jede Gruppe kommandierte einen Befehls-empfänger auf den K. P. Um 2 Uhr 30 wurde alarmiert, und als wir den Kopf zum Fenster hinausstreckten, blickten wir in eine sternenklare Nacht. Noch vor Tagesanbruch, kurz nach 4 Uhr, verliess die Spitzengruppe den Sphinxstollen; unterdessen hatte sich das Gros im Stollen gesammelt, einige Kommandorufe ertönten, und die Gruppen, Klassen und Seilschaften ordneten sich zum Abmarsch. Auf dem hart gefrorenen Schnee des Jungfraufirns kam die Kolonne sehr rasch vorwärts, beim Kranzbergeck wurde ein Zwischenhalt eingeschaltet, und nach 1 yz Stunden stand die Spitze der Kolonne am Fusse der Haslerrippe auf etwa 3000 m Höhe.Von hier zieht sich die Rippe in gerader Linie zu Punkt 3739 auf den Grat westlich des Aletschjoches hinauf. Der Aufstieg ist oft vereist und erfordert dann langwierige Hackarbeit. Wir trafen sehr günstige Verhältnisse an, in den von der Wegpatrouille erstellten guten Stufen vollzog sich der Aufstieg sicher und gleichmässig, meist auf hartem Schnee; in der mittlern Partie betraten wir stellenweise Fels, Eis trafen wir nur selten an. Oben auf dem schmalen, vergwächteten Nordostgrat änderte sich mit einem Schlage das Bild: wir sahen hinüber ins Wallis und freuten uns der warmen Sonne, die nach dem kalten Aufstieg in der Wand doppelt willkommen war.

Über den Vorgipfel und den Nordgrat erreichte kurz nach 11 Uhr die Spitze den Gipfel des Aletschhorns, wo die übrigen Seilschaften in kurzen Abständen eintrafen. Kein Mann war zurückgeblieben, um 12 Uhr 10 meldete die letzte Seilpartie dem Kurskommandanten, dass die Kolonne aufgeschlossen sei.

Der Abstieg nach Oberaletsch erfolgte über den Südsüdostgrat. Auf den Platten lag noch ziemlich viel Schnee; stellenweise trafen wir auf Eis, und die Seilschaften kamen nur langsam vorwärts, da gut gesichert werden musste.Von der Lücke nördlich des markanten Felsturms Punkt 3966 im Südsüdostgrat stiegen wir durch ein steiles Couloir in sehr schlechtem Schnee westlich ab und erreichten den Felssporn, der sich zum Oberaletschgletscher hinab- zieht. Als die ersten Gruppen diesen Sporn längst erreicht hatten, traten die letzten Seilschaften erst den Abstieg vom Gipfel an. Im Laufe des spätem Nachmittags sammelte sich die ganze Kolonne unten auf dem Gletscher und marschierte geschlossen hinunter nach Belalp, wo wir um 20 Uhr eintrafen.

Diese Überschreitung des Aletschhorns durch eine so grosse militärische Abteilung dürfte für die schweizerische Armee ein erstmaliges alpines Ereignis bedeuten.

Als wir in Saas-Fee einrückten, gab 's Leben in diesem wunderbar gelegenen Gletscherdorf. Wie immer klappte auch hier die Organisation glänzend, die Unterkunft war vorbereitet, und das Gepäck traf rechtzeitig ein. Das Essen in Selbstverpflegung mit eigener Bedienungsmannschaft, sehr gut und reichlich, wurde gemeinsam eingenommen, und wir hatten hiezu in Aus-gangsuniform zu erscheinen. Zur Arbeit trugen wir die neue Mannschafts-bluse mit bequemem Umlegkragen. Mittags waren wir meist im Gelände und fassten morgens vor dem Abmarsch eine Zwischenverpflegung. Abends sass man zusammen, soweit es der Dienst erlaubte und man nicht zu müde war. Wir hielten gute Kameradschaft, und zwischen Bergführern und Offizieren herrschte das beste Einvernehmen.

In einer gross angelegten, dreitägigen Sperrübung wurden ein letztesmal an Ausdauer, Leistungsfähigkeit, Führung und technisches Können grosse Anforderungen gestellt. Diese Übung bildete gewissermassen den Prüfstein für unsere Verwendbarkeit im Hochgebirgskrieg. Die Abwehrfront erstreckte sich vom Weisstor über Strahlhorn 4191 m, Adlerpass, Rimpfischhorn 4202 m, Allalin 4030 m, Alphubel 4207 m, Mischabeljoch, Täschhorn 4494 m, Dom 4554 m, Südlenz 4300 m, Nadelhorn 4330 m bis zum Galenpass. Dieser ganze, gewaltige Bergkamm mit einer Ausdehnung von nahezu 20 km musste besetzt und zur Verteidigung eingerichtet werden.

Kurz nach Mitternacht marschierten die Detachemente durch die nächtlich stillen Strassen von Saas-Fee ihren Zielen zu. Anmarschrouten und Verhältnisse waren am Tage vorher unter Überwindung grosser Höhenunterschiede rekognosziert worden. Die befohlenen Stellungen, Beobachtungsposten und Gefechtsstände wurden im Laufe des Nachmittags erreicht und besetzt. Zwischen den Nachbarposten wurden Verbindungen aufgenommen, wobei auch Ski zur Verwendung gelangten und Gipfelüberschreitungen erfolgten. Die Nacht wurde in 17, teilweise etwas kalten Biwaks auf den Gletscherpässen und Jochen und auf den Hochgipfeln verbracht. Am nächsten Tage wurde die Verbindungs- und Patrouillentätigkeit wieder aufgenommen und sämtliche Gipfel des Sperrgebietes besetzt und überschritten. Im Laufe des Nachmittags kehrten die Gruppen nach Saas-Fee zurück, mit Spannung erwartete man die mit den schwierigsten Aufgaben betrauten Patrouillen, und nachdem sich abends die letzte Seilpartie heil und ohne Unfall zurückgemeldet hatte, konnte der Kurskommandant in seinem Schlussreferat mit Befriedigung auf die geleistete Arbeit zurückblicken.

Ich möchte zum Schlüsse noch zwei ganz besondere alpinistische Leistungen erwähnen, die Ersteigung der Nordnordostwand der Südlenzspitze und die in diesem Jahre noch nie ausgeführte Überschreitung von Dom und Täschhorn. Die Firn- und Eiswand der Südlenzspitze war im Jahre 1911 von Bethmann-Hollweg mit Oskar und Othmar Supersaxo in 8stündiger Hackarbeit erstmals durchstiegen worden. 22 Jahre später bewältigte Hans Frei aus Zürich die Wand im Alleingang in 2 Stunden in direkter Linie zum Gipfel. Diese meines Wissens bloss zweimal begangene 500 m hohe Wand wurde von einer Patrouille in 4 Stunden durchstiegen, wobei der Bergschrund besondere Schwierigkeiten verursachte.

Zwei weitere Patrouillen stiegen von Saas-Fee zur Mischabelhütte hinauf und erreichten von dort gleichentags über die Südlenzspitze die Domhütte. Am nächsten Morgen erstiegen sie den Dom über die Festirippe, überschritten den Verbindungsgrat zum Täschhorn und kamen über Mischabeljoch und Langfluh nach Saas-Fee hinunter, wo sie nach 18stündiger Marschzeit anlangten.

Am Sonntagmorgen besammelte sich der Kurs zum letzten Appell. Hoch oben standen die gewaltigen Berge, in denen wir drei Wochen gelebt und gearbeitet hatten und zu deren Verteidigung wir, wenn es einmal sein müsste, mit Zuversicht und Entschlossenheit antreten würden. Als wir mit den Postautos nach Stalden hinabfuhren, da erklangen zum letzten Male die Lieder, die wir so oft gesungen hatten. Ein strenger, aber schöner Dienst, für manchen vielleicht der schönste, war zu Ende gegangen; der Abschied von den Bergen wurde uns schwer, unvergesslich aber bleiben die Erinnerungen an all das Erlebte und Erschaute.

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