Gletscherfahrten in Bern und Wallis im Sommer 1869
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Gletscherfahrten in Bern und Wallis im Sommer 1869

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im Sommer 1869

G^ J. Häberlin.

Von

JT ern von der ewigen Alpenwelt, aber ihre leuchtenden Wunder Tag und Nacht vor Augen, war ein Mitglied der Sektion Basel während der Sommermonate des Jahres 1869 eifrig mit dem Studium der Berge beschäftigt und arbeitete, mit geographischem, photographischem, artistischem und literarischem Material reichlich ausgerüstet, an dem Feldzugsplan für die kommenden Ferien. Das Clubgebiet, an Schönem zwar reichhaltig genug, bot ihm des gänzlich Unerforschten doch zu wenig. Mehr versprach in dieser Beziehung der westliche Theil der Finsteraargruppe. Es bedurfte daher, um die " Wahl auf dieses Gebirge fallen zu lassen, kaum des Nachweises in Herrn Studers ausgezeichnetem Buche „ Ueber Eis und Schnee ", dass dort, von einzelnen Neb en spitz en abgesehen, noch immer zehn Hauptberge von 10,000—12,000'vor-handen seien, die sich des ersten menschlichen Besuches noch nicht zu erfreuen gehabt. Alle diese wurden in den Reiseplan aufgenommen. Zu befürchten stand nur, dass die vorgefasste Aufgabe durch die Rivalen, welche früher auf dem Plane erscheinen würden, nur allzusehr erleichtert werde. Und diese Befürchtung traf ein: Ebnefluh ( 12,203 Par.F. ), Agassizhorn ( 12,160 ' ), Dreieckhorn ( 11,766 ', Morgenhorn ( circa 11,000 ' ), alle bis dahin jungfräulich feierten in den zwischenliegenden Tagen ihre Yermählung mit der Menschheit.

Endlich erlag auch derjenige Berg, der, an Höhe den übrigen nachstehend, an Furchtbarkeit alle übertreffend, schon früher unsre kühnsten Bergfahrer zum Kampfe herausgefordert hatte — das 10,565'hohe Gspaltenhorn. Aber wie? Yerlor auch es zugleich mit der Unerstiegenheit seine magische Anziehungskraft, einzig und allein, weil am 10. Juli Heçr Foster den Fuss auf seinen unnahbaren Gipfel gesetzt, weil 10 Tage später Herrn Bohren aus Grindelwald das Gleiche gelungen? Nein; das Gspaltenhorn ist einer jener Hochgipfel, die, wenn dereinst der Reiz der „ ersten " Ersteigungen demjenigen der „ schwersten " vollständig gewichen, vor allen andern werden aufgesucht werden, weil ihre Ueberwindung zwar keine neue, aber stets eine kühne That sein wird. Nächst dem eigenen Entschlüsse bestimmten mich daher zur Ersteigung jenes merkwürdigen Berges eben so sehr die Ermunterungen einiger Freunde, wie die " Warnungen anderer, ja sogar die bestimmte Yersicherung verschiedener Berner Kollegen, dass im Spätsommer jeder Yersuch absolut vergebliche Mühe sein werde.

Yon den noch übrigen jungfräulichen Gipfeln war nichts mehr verlautetsie blieben also wahrscheinlich noch unberührt.

Meine Reise begann unter den günstigsten Auspizien. Das schlechte Wetter, das während mehrerer " Wochen einen wahren Wlnterschnee über die Berge gestreut haben musste, machte bei meiner Ankunft dem hellsten Sonnenschein Platz. Mein Hauptführer, Andreas von Weissenfluh, der wenige Tage vorher zu einem Wiederholungskurs einberufen worden war, hatte Aussicht, in Anbetracht der bevorstehenden Unternehmungen für die Dauer meiner Reise Urlaub zu erhalten.

Am 20. August traf ich mit seinem Bruder in Interlaken zusammen; am Abend begaben wir uns nach Meiringen.

Ich kann nicht umhin, an diesem Orte die grosse Freundschaft zu rühmen, mit der mich Herr Willi, der Wirth zum Bären, empfing. Er ist das einzige Clubmitglied in Meiringen und sobald er mich als Kollegen kennen lernte, liess er es sich nicht nehmen, eine Flasche seines besten Weines zu kredenzen, die ich mit ihm auf das Wohl des S.A.C. leeren musste.

Den folgenden Morgen, während Johannes nach Mühlestalden gegangen war, um die Entscheidung über das Schicksal seines Bruders zu holen, benutzte ich zu einem Spaziergang nach der nördlich gelegenen Gummenalp. Der Weg zwischen den drei bekannten, hohen Wasserfällen, steil, aber wohlgebahnt emporsteigend, bietet des Schönen gar viel, umfassende Ueberblicke über Seen und Gebirge, namentlich einen sehr instruktiven Anblick der drei Wetterhörner und des Eigers, die ich, unter dem Dache eines einsamen Heuschobers sitzend, zu Papier brachte. Zurückgekehrt, fand ich zu meiner grossen Freude die beiden Führer vor. Andreas war glücklich dem Wiederholungskurse entronnen, vielleicht aber nur, um aus dem Regen in die Traufe zu kommen; denn die Anstrengungen, die uns erwarteten, waren wohl grösser als diejenigen bei den Manövern. Manchmal hatte ich gezweifelt, ob das Wagniss nicht zu gross sei, in die zum Theil als sehr schwierig bekannten, zum Theil ganz unbekannten Gegenden mit nur zwei Führern vorzudringen, zumal diese niemals an Ort und Stelle gewesen waren; jetzt aber, wo meine beiden bewährten Leib gar disten vor mir stehen, habe ich das volle Vertrauen wieder, und sie haben es gerechtfertigt!

Die beiden Brüder Weissenfluh sind Gletschermänner, welche nicht nur mit den ihnen bekannten Strecken, sondern mit dem Hochgebirg als solchem überhaupt aufs Genaueste vertraut sind und deren sichern Leitung man sich daher überall mit vollstem Vertrauen überlassen darf. Ja, im Beisein ortskundiger Führer aus den betreifenden Thälern hätte ich nur weit oberflächlichere Resultate erzielen könne. Indem man wohlpräparirt selber die Leitung übernimmt, lernt man; und von meinem Standpunkt aus gesprochen heisst die Parole an meine Begleiter: „ Ich führe; Ihr brecht die Bahn!«

Und nun auf den Weg! Ein leichter Einspänner trägt uns nach dem Brienzer See zurück; auf dem Dampfboot unsrer gletschermässigen Erscheinung willen weidlich begafft und angestaunt, kamen wir um 5 Uhr nach Interlaken zurück. Hier begann die Fussreise. Die einbrechende Nacht traf uns bereits in Lauterbrunnen.

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