Himmlisches Chaos
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Himmlisches Chaos Die Kunst der Wettervorhersage

Dank Millionen von Beobachtungsdaten, ausgeklügelten Modellen und leistungsstarken Computern hat sich die Genauigkeit der Wettervorhersage stetig verbessert. Dennoch: Eine fundamentale Eigenschaft der Atmosphäre wird auch in Zukunft eine hundertprozentig verlässliche Prognose verunmöglichen.

Am Donnerstag, dem 1. Dezember 1863, klarte der Himmel in Einsiedeln erst am Abend auf, während es in Morges in der Waadt den ganzen Tag bedeckt blieb und im bündnerischen Bever die Temperaturen bis auf -9 °C fielen. Wind gab es in der ganzen Schweiz kaum an diesem Tag, der den Start der systematischen Wetterbeobachtung hierzulande markierte. Nachzulesen ist die Wetterdokumentation in den Annalen der Meteorologischen Zentralanstalt (heute MeteoSchweiz).

88 Menschen blickten an diesem Dezembermorgen auf eine Quecksilbersäule und notierten den auf eine Kommastelle gerundeten Wert. Fortan massen sie dreimal täglich Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck, bestimmten Niederschlagsmengen, Windrichtung und -stärke und beobachteten den Wolkenzug und die Bewölkung.

Gute Prognosen retten Leben

Zunächst dienten diese Anstrengungen einzig der lückenlosen Erfassung von Wetter und Klima, Prognosen wurden keine erstellt. Erst ab 1878 publizierten verschiedene Zeitungen auf Drängen der Landwirte täglich einen Wetterbericht. Heute bilden 260 automatische Mess- und Niederschlagsstationen die Basis für zuverlässige lokale Wetterprognosen in der Schweiz.

Genaue Wettervorhersagen können helfen, Leben zu retten und Sachschäden zu minimieren. Und sie werden in Zukunft noch wichtiger, weil Unwetter aufgrund des Klimawandels laut der Wissenschaft häufiger und heftiger werden. Doch Prognosen sind eine komplexe und anspruchsvolle Angelegenheit. Denn eine mit Beobachtungsdaten gespeiste Wettervorhersage fusst auf der mathematischen Lösung von Tausenden von Gleichungen, die die physikalischen Vorgänge in der Atmosphäre beschreiben.

Der Schmetterlingseffekt

Dank immer leistungsfähigeren Computern gelingt es Meteorologinnen und Meteorologen heutzutage, die Wetterlage immer feinkörniger vorherzusagen. In Europa stützen sich die Wetterdienste auf das globale Modell des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW). Es erlaubt Vorhersagen von bis zu 15 Tagen und arbeitet mit einem aus zwei Millionen Punkten bestehenden Gitternetz, das über die ganze Erde gelegt wird.

Für lokale Prognosen ist das europäische Modell zu ungenau, weshalb die Wettervorhersagen für die Schweiz auf zwei kleinräumigen Modellen - COSMO-1 und COSMO-2 - beruhen. Letzteres stützt sich auf ein Netz von elf Millionen Gitterpunkten, das den Alpenraum mit der Schweiz im Zentrum mit einer Maschenweite von 2,2 Kilometern abdeckt.

Doch so engmaschig und ausgeklügelt die Modelle auch sind, sie werden auch in Zukunft keine hundertprozentig verlässliche Wettervorhersage generieren können. Denn die Atmosphäre ist chaotisch. Die Auswirkung davon beschrieb Edward Lorenz, der Wegbereiter der Chaostheorie, mit dem berühmten Schmetterlingseffekt: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Australien kann wenige Tage später Stürme in Europa auslösen.

Wetterserie

Hier berichten wir in Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz über interessante Themen rund um das Wetter. Lesen Sie in der nächsten Ausgabe: Topografie: Wie das Gebirge das Wetter beeinflusst.

Korrigenda: Der Artikel über die Gewitter («Die Alpen» 07-08/2022) wurde nicht wie vermerkt von Stephanie Schnydrig geschrieben, sondern von Mylène Jacquemart.

Bauernregeln auf dem Prüfstand

Wann ist der beste Zeitpunkt für die Aussaat? Muss das Heu noch heute in den Stall gebracht werden? Das Wetter spielt für Bäuerinnen und Bauern seit je eine zentrale Rolle. Als es noch keine auf der Wissenschaft beruhende Wetterprognosen gab, beobachteten sie das Wetter folglich minutiös - und kreierten manche Bauernregeln, die uns noch heute geläufig sind.

Tatsächlich scheint zumindest an einigen Weisheiten was dran zu sein, etwa am Sprichwort «Regnets am Siebenschläfertag, es sieben Wochen regnen mag». Denn um den Siebenschläfertag, den 27. Juni, stabilisiert sich der Jetstream über der Nordhalbkugel. Damit stabilisiert sich auch die Wetterlage, die die Witterung der folgenden Wochen bestimmt. Anders sieht es hingegen für den Spruch «Fliegen die Schwalben in den Höh’n, kommt ein Wetter, das ist schön» aus: Der Biologe Peter Biedermann von der Universität Bern hat Daten vorgelegt, die diese Regel widerlegen. Demnach ist die Flughöhe der Rauchschwalben nicht wetterabhängig - und die Mehlschwalbe fliegt entgegen der Bauernregel bei Sonnenschein sogar tiefer. Auch wenn auf Bauernregeln nicht immer Verlass ist, zählt das alte Wetter- und Klimawissen der Zentralschweiz zum immateriellen Kulturerbe der Schweiz. Lebendig gehalten wird die Tradition nicht zuletzt von den Muotathaler Wetterfröschen. Mit viel Sinn für Humor überbieten sich die «Wetterschmöcker» regelmässig mit bizarrsten Prognosetechniken.

Auch wenn auf Bauernregeln nicht immer Verlass ist, zählt das alte Wetter- und Klimawissen der Zentralschweiz zum immateriellen Kulturerbe der Schweiz. Lebendig gehalten wird die Tradition nicht zuletzt von den Muotathaler Wetterfröschen. Mit viel Sinn für Humor überbieten sich die «Wetterschmöcker» regelmässig mit bizarrsten Prognosetechniken.

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