Höhenmedizin am Muztagh Ata. Erfolgreiche Schweizer Forschungsexpedition
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Höhenmedizin am Muztagh Ata. Erfolgreiche Schweizer Forschungsexpedition

Erfolgreiche Schweizer Forschungs-

expedition

Höhenmedizin

am Muztagh Ata

Ein Dutzend Schweizer Höhenmedi- ziner haben mit einer grossen For- schungsexpedition in Westchina für Furore gesorgt: Am 7546 m hohen Muztagh Ata unterzogen sich 36 Alpi- nistinnen und Alpinisten aus der ganzen Schweiz verschiedenen Tests. Ziel dieses Nationalfondsprojekts sind neue Erkenntnisse über die Höhenkrankheiten. Eine abenteuerliche Anreise mit dem Bus von Islamabad über den Karakorum- Highway, ein anschliessender imposan- ter Materialtransport mit rund 100 Ka- melen in ein grosses, gut ausgebautes Basislager mit rund 100 Zelten, gute Bedingungen bei der Akklimatisation und als Höhepunkt die Gipfelbesteigung des Muztagh Ata: Das war der Lohn für die knapp zwei Jahre dauernden Expedi tions vorbereitungen. Der im Grenzgebiet von China, Pakistan und Afghanistan liegende « Eisklotz » ist tech- nisch nicht schwieriger als eine mittel- schwere Skitour, bietet aber Höhenberg- steigern mit seinen 7546 m « alles, was das Herz begehrt ». Anfang Juli 2005 standen dann 48 Mitglieder auf dem Gipfel, darunter auch 24 Probanden. Geleitet wurde die Expedition von den beiden erfahrenen Höhenmedizinern Tobias Merz, Inselspital Bern, und Urs Hefti, Kantonsspital Aarau.

Konditionstest auf 5500 m Das Forschungsprogramm war ehrgeizig und auch für die freiwilligen Probanden anstrengend. Neben einem individuellen Trainingsprogramm und einer gemein- samen « Kennenlern-Tour » auf das Dau- benhorn am Gemmipass hatten die Test- personen bereits vor der Expedition im Universitätsspital Zürich aufwändige Tests zu absolvieren, um Referenzdaten zu liefern. Was im Schweizer Mittelland noch einigermassen erträglich war, for- derte von den Probanden am Berg eini- ges an Einsatzbereitschaft und Härte. Manch einer zweifelte daran, dass er sich nach dem « Konditionstest » auf dem Er- gometer ( Velo ) auf 5500 m Höhe noch genügend erholen könnte. Die Angst war aber dank eines gut durchdachten Auf- stiegsprofi ls unbegründet. Bis 12 Stunden täglich forschen Die in der Muztagh-Ata-Expedition in- volvierten Höhenmediziner steckten sich hohe Ziele.. " " .Von den Daten erhoffen sie sich neue Erkenntnisse darüber, wie sich der menschliche Körper auf die un- wirtlichen Bedingungen in grosser Höhe anpasst. Dafür wurde am Berg hart gear- beitet: bis zu zwölf Stunden täglich in den Forschungszelten in den Hochlagern und Lungenfunktionstests selbst auf dem Gipfel des Muztagh Ata. « Eine im- Das Basislager auf 4500 m mit rund 100 Zelten und einer gut ausgebauten Infrastruktur wie Kommunikationszelt mit Internet, Funkstation und Satelliten-verbindung, Duschzelt, Koch- und Esszelten Für die grosse Schweizer Forschungsexpedition an den Muztagh Ata war ein Materialtransport ins Basislager mit rund 100 Kamelen notwendig.

D I E A L P E N 9 / 2 0 0 5 mense Arbeit », stellt Prof. Konrad Bloch, Leiten der Arzt am Zürcher Universitäts- spital, rückblickend auf den Expeditions- alltag fest. « Wir hatten jeweils kaum Zeit, uns Essen und Trinken zu organi- sieren. » Um Atemfrequenz und Atemmuster der Bergsteiger rund um die Uhr aufzu- zeichnen, liess Bloch die Probanden mit speziellen T-Shirts aufsteigen. Die mit Sensoren ausgerüsteten Mess-T-Shirts registrierten die körperlichen Anstren- gungen. Dazu zeichnete eine spezielle Uhr am Handgelenk während 24 Stunden die Bewegungen der Probanden für Rückschlüsse auf das bei der Regenera- tion wichtige Schlafverhalten in grosser Höhe auf. Höhenverträglichkeiteine komplexe Sache Prof. Andreas Huber vom Kantonsspital Aarau und die angehende Ärztin Jacqueline Pichler versuchen, den Höhenkrank- heiten ( Lungenödem/Hirnödem ) über die Niere auf die Spur zu kommen. Die beiden Forscher entnahmen den Proban- den beim Aufstieg bis auf 6800 m Höhe Blutproben, um sie in der Schweiz auf verschiedene Hormone und Gerinnungs- faktoren zu untersuchen. Das Projekt basiert auf der Erkenntnis, dass verschie- dene Krankheiten – auch im Unterlandzu akutem und chronischem Sauerstoff- mangel führen können. Es wird ange- nommen, dass einzelne Personen besser mit einer tiefen Sauerstoffsättigung um- gehen können als andere, dass sich also nicht alle gleich schnell und gut an grosse Höhen anpassen können. « Wir möchten herausfi nden, weshalb das so ist », erklärt Andreas Huber das Ziel seines Projektes. Weitere Forschungsprojekte betreffen die bei Höhenbergsteigern immer wie- der auftretenden Netzhautblutungen in den Augen und die Veränderung der Hirnleistung. Erkenntnisse von all diesen Untersuchungen können erst in einigen Monaten erwartet werden. Logistische Meisterleistung Die « Expedition ins Tiefkühlfach und zurück » sei eine Knacknuss gewesen, re- sümiert der logistische Leiter, Kari Kob- ler, mit Blick auf dieses China-Projekt. Neben dem « normalen » Expeditions- material mussten Tonnen von Forschungs- material mit Lastwagen an den Fuss des Muztagh Ata und wieder zurück trans- portiert werden. Für das leibliche Wohl im Basislager waren drei Küchencrews aus Pakistan, Nepal und China verant- wortlich, und zahlreiche Hochträger ver- vollständigten die « Crew hinter den Ku- Fo tos: T ommy Dätwyler Dokumentarfi lm auf SF DRS Die Expedition auf den Muztagh Ata wurde von einem fünfköpfi gen Team des Schweizer Fernsehens DRS beglei- tet. Otto C. Honegger und Frank Senn produzieren einen zweistündigen Doku- mentarfi lm über das Grossprojekt. Sendetermin: Donnerstag, 2O. Oktober 2005 ( 1. Teil ), und Donnerstag, 27. Oktober 2005 ( 2. Teil ), jeweils um 2O.00 Uhr auf SF DRS.

lissen ». Zu den technischen Herausfor- derungen gehörten schliesslich auch die auf dieser Höhe kniffl ige Versorgung der Expedition mit Solar- und Generatoren- strom, der vor allem für die Forschungs- geräte benötigt wurde, sowie die Sicher- stellung der Kommunikation unter den verschiedenen Gruppen am Berg via Funk und Satellitentelefon.

Gesundbleiben als höchstes Ziel Die 36 Probanden hatten neben den zahl- reichen und zeitaufwändigen Untersu- chungen und Tests genügend mit sich selber zu tun. Gesundbleiben war die ob erste Maxime, denn wer auf über 4000 m krank wird, kann sich kaum mehr erholen. Vor allem zu Beginn der Akklimatisation im Basislager galt es, möglichst ruhig zu bleiben, übermässige Anstrengung zu vermeiden und täglich drei bis vier Liter zu trinken. Trotz den zahlreichen Ratschlägen der Expedi- tionsleitung blieb kaum jemand von Beschwerden verschont.

Schon nach dem Aufstieg ins Basis- lager schrieb Probandin Yvonne Vögelistellvertretend auch für andere – ins Ex- peditionstagebuch: « Anfangs ging es mir sehr gut, doch auf 4000 m fi el ich im Tempo deutlich zurück und kam nur noch mit Mühe ins Basislager. Mein Puls war viel zu hoch, und mir wurde schwindlig, sobald ich stärker atmen musste. » Und tags darauf meldete Yvonne Vögeli: « Den ganzen Tag über hatte ich leichte Kopfschmerzen, die gegen Abend immer stärker wurden. Dazu kamen Fie- ber und allgemeines Unwohlsein. Fast unsere ganze Gruppe ist abwechselnd von Durchfall und Kopfschmerzen ge- plagt, das gehört wohl in dieser Höhe einfach dazu. » « Die längste Nacht meines Lebens » Der Aufstieg in die Hochlager erfolgte in zwei Gruppen mit unterschiedlicher Aufstiegsgeschwindigkeit, grundsätzlich aber so langsam wie möglich. Sechs bis acht Stunden waren die Schweizer Berg- führer mit den Probanden jeweils pro Tag unterwegs, bevor im nächsten Camp wieder medizinische Untersuchungen auf dem Programm standen. Die Aus- wirkungen der « dünnen Luft » auf den menschlichen Körper beschrieb Alpinist und Proband Rolf Züger nach dem Auf- stieg vom Camp 1, 5450 m, ins Camp 2, 6250 m, im Expeditionstagebuch: « Nachdem wir die Gletscherabbrüche überwunden haben, erreichen wir das Hochlager 2 bei Schneetreiben und Ne- bel. Zu zweit verkriechen wir uns mit Kochern bewaffnet sofort ins Zelt... und so beginnt die längste Nacht meines Lebens. Der Sauerstoffmangel und die Atemnot steigern sich bis zur Angst, hier oben zu ersticken... sogar die Platzangst im Schlafsack wird fast unerträglich... » Temperaturen bis –26 °C und Neuschnee verzögern dann den Aufstieg zum Gipfel um ein paar Tage. Aber knapp eine Wo- che, zwei schöne, aber anstrengende Pul- verschneeabfahrten und zwei neuerliche Aufstiege später starten schliesslich die Bergsteiger vom Lager 3, 6800 m, aus zum erfolgreichen Gipfelsturm. a To m m y D ä t w y l e r, Medienverantwortlicher der Expedition, Kölliken D I E A L P E N 9 / 2 0 0 5 Belastungstest auf dem Ergo-meter auf 5500 m ü. M: eine harte Sache Blutentnahme im Forschungs-zelt, um dem Lungenödem auf die Spur zu kommen D I E A L P E N 9/2005 Faszinierender Ausblick von Lager 2 – 6250 m – auf das benachbarte Kongur-Massiv und in die Ebene Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein: Blick aus dem Zelt im Lager 3, 6800 m Fo tos: T ommy

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