II. Der Kilchlistock
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II. Der Kilchlistock

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II. Der Kilchlistock

3113 M.

Von albert Hoffmann-Bwckhardt.

Den 14. Juli früh tyjô verliessen wir die Hütte und schlugen, trotz der abmahnenden Stimme des alten Weissenfluh, der an das Gelingen unseres Vorhabens nicht recht glauben wollte, den Weg nach dem Kilchlistocke quer über den Gletscher ein. Der Schnee war schön hart und wir rückten rasch vor bis in die Nähe des Triftstöckli, wo der Gletscher, in sich selbst zusammengestürzt und ein wüstes Sérac bildend, uns bedeutend aufhielt, indem wir bald über Eisbrücken von einem Borde zum anderen, bald in Schrunde tief hinab und wieder hinauf, mit und ohne Einhacken von Stufen uns weiter halfen, bis wir endlich, nach etwas Mühe, aber ohne ernstliche Gefahr, am Fusse des Triftstöckli wieder auftauchten, um langsam die nun folgenden steilen Firnhänge zu erklimmen. Um 3/4 7 Uhr war der felsige Fuss des Kilchlistockes erreicht und wir gönnten uns eine kurze Ruhe, bevor wir der Steinpyramide näher auf den Leib rückten.

Der Kilchlistock, zwischen dem Steinhaus- und dem Gwächtenhorn liegend, durch scharf und tief eingeschnittene Felsgräte mit Beiden verbunden, nur 3113 M. hoch und also niedriger, als seine beiden Nachbarn mit 3132 M. und 3218 M., erhebt sich aus dem Rothlauithal, einer Östlichen Seitenschlucht des Aarthaies bei Guttannen, in unge- Kikhlistock.

mein steilem Aufstreben und mit spärlicher Vegetation bekleidet, bis zum erwähnten Grate als integrirender Theil desselben, von welchem an erst der eigentliche Stock, in Form eines Zuckerhutes, noch circa 300'fast senkrecht in schreckhafter Nacktheit aufschiesst. Die dem Triftgletscher zugekehrte Ostseite lässt zwar an grausigem Aussehen ebenfalls durchaus nichts zu wünschen übrig, doch ist sie von mehrfachen Rissen, ich möchte sagen, kaminartig, durch- furcht, und da der Kegel aus Granit oder, wie man im Oberlande sagt, „ Gaisberger " besteht, so ist aus der Nähe betrachtet die Erklimmung bei einiger Vorsicht nicht halb so schwierig, als ich es von der Clubhütte aus bei meinem dortigen Aufenthalte im Sommer 1864 gedacht hatte.

Muthig griffen wir daher den finsteren Kameraden an. Mühsam rückten wir vor, die scharfkantigen, spitzen, zum Theile lockeren Steine ritzten die Hände blutig und drückten sich empfindlich in Knie und Schienbein; stets auf allen Vieren ging es dachjäh in die Höhe, doch fehlten auch nirgends Bänder und Vorsprünge und rinnenartige Einschnitte, wo Hand und Fuss und Knie haften konnten, und so erreichten wir denn glücklich, wenn schon etwas zerfetzt und er- mattet, nach einstündigem Klettern um B/iS Uhr den ersehnten Gipfel, d.h. den östlichen Gipfel. Denn wie wir erst oben zu unserer Verwunderung erkannten, ist die Bergeshöhe in zwei kleine, durch einen kurzen Kamm verbundene Spitzen getheilt, wovon die westliche, gegen Guttannen gerichtete, etwa 4-5'höher ist als die östliche, dem Triftgletscher zugekehrte. Wir passirten nun den ganzen Grat von etwa 30'Länge und liessen uns auf dem zweiten Gipfel nieder, auf welchem kaum mehr als 3 bis 4 Menschen Platz finden mögen, auf allen Seiten von bodenlosen Abgründen umstarrt und gleichsam im Luftmeere schwebend.

Schweizer Alpen-Club.q

A. Hoffmann.

Die Aussicht belohnte uns reichlich für die gehabte Mühe.Von Guttannen entführte die Aare den Blick an das Gestade des freundlich blinkenden, von sonnigen Höhen umfangenen Brienzer Sees, in duftiger Ferne der bläuliche Gürtel des heimischen Jura. Ueber die tiefgähnende Kluft fliegt der Blick nach dem schneebelasteten Steinhaushorn; östlich davon erspähen wir das grüne Stanzer Horn und darüber hinweg den felsigen Pilatus; es folgen der Titlis, Thierberge und Winterberge, die weissen Firne des Schneestockes, des Dammastockes und des Rhonestockes. Der Galenstock ist durch das Gwächtenhorn verdeckt, wogegen der Thieralplistock wie ein neugierig uns belau-schender Knabe seine blinkende Firnhaube über den Grat hervorstreckt. Es folgen die felsigen Gerstenhörner und dahinter in der Ferne ein schöner, grosser Gletscher, den ich dem Piz Luzendro, westlich vom St. Gotthard, zutheilte, dann Nägelisgrat, Simelihorn, Weissmies, Piz Balfrin, Allalinhorn, Alphubel, Mischabelhörner, Aletsch-, Escher-, Stu-der- und Finsteraarhorn, Schreckhörner, Berglistock, Wet-ter-, Well-, Faul-, Schwarz-, und Gemshorn, von welchem wir nach vollbrachter Rundschau wieder zum Brienzer See niedersteigen.

Unterdessen hatte Weissenfluh ein Steinmannli gebaut, in welches wir, im Bauche einer leeren Flasche versorgt, einen mit unseren Namen beschriebenen Zeddel steckten.

Der Rückweg war für mich um so mühsamer und kitzlicher, da ich mit meinen kurzen Gehwerkzeugen nicht so leicht guten Stand fassen konnte wie meine langbeinigen Begleiter, so dass ich öfters genöthigt war, rückwärts oder aber halb sitzend und halb auf dem Rücken liegend hinabzusteigen; doch langten wir wohlbehalten nach 3/4 Stunden wieder am Fusse des Felskegels an. Auf dem Gletscher hielten wir uns nunmehr links in der Richtung gegen das Sackgrätli, um so viel als möglich den heute früh bemerkten Schrunden auszuweichen, bis wir wieder in dem Gletscherlabyrinthe am Fusse des Triftstöckli den früheren Weg betraten und um V2I2 Uhr durch das lange Schneewaten bis über die Kniee durchnagst in unserer Clubhütte anlangten.

Den Nachmittag verbrachten wir höchst angenehm mit häuslichen Beschäftigungen, Essen, Trinken, Rauchen und Schlafen.

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