Im Eschental
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Im Eschental

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Monte Giove, 3010 mVon } BDchel.Gadller M iL 2 Bildern ( 41, 42Sektion Uto, Zürich ) Vom San-Giacomo-Pass ( 2318 m ) aus betrachtet, kommt der Monte Giove nicht so recht zur Geltung wie seine Trabanten, die das Griestal einrahmen und die ihn eher in den Hintergrund drängen. Er ist auch von ihnen getrennt durch das kleine Lebendüntal. Kommt man aber von Domo d' Ossola her, zieht er unsern Blick auf sich; fast wie eine Pyramide erhebt er sich steil vom Talboden des Antigoriotales auf und lässt ahnen, dass wir es hier mit einem Aussichtsberge zu tun haben. Mit Recht wird er von den Ossolanern « il belvedere dell' Ossola » genannt. Unmittelbar in der Nähe der Gletscher des Ofenhorns, 3236 m, bietet er ein Panorama, das die Besteigung seiner Spitze wirklich der Mühe lohnt. Er kann von verschiedenen Seiten aus bestiegen werden und gehört zu jenen Bergen, die man am bequemsten von « hinten herum » in Angriff nimmt. Seiner rötlich erscheinenden Spitze wegen wird er von italienischen Touristen auch als « Cima Rossa » genannt. Da er im ehemals ganz deutschsprachigen Pommatt liegt, wird er ursprünglich auch einen deutschen Namen getragen haben, vermutlich « Lebendüner Rothorn » ( Siegfriedkarte Blatt 495, Basodino ).

Zu seiner Besteigung wählen wir die Route vom Tosafall aus, die den Vorzug hat, damit auch noch die Begehung eines interessanten, leichten Passes verbinden zu können. Um für den folgenden Tag Zeit zu gewinnen, machen wir uns am Nachmittag des Vortages auf den Weg. Vom « Albergo Zertanna » ( 1500 m ) führt er uns gleich über die Tosa durch einen Lärchenwald und später durch ungewöhnlich grosse Alpenrosensträucher zur Fergeili-Alp hinauf ( 2080 m ). Bald sind wir über der Waldgrenze und gelangen über Schutthänge zu der steilen Schneehalde zwischen dem Roten Balmhorn, 2816 m, und dem Fergeilihorn, 2723 m. In zwei Stunden haben wir den Hahnenpass ( Bocchetta del Gallo ), 2497 m, erreicht. Es ist ein « Fürggeli », wie so viele andere, und das Wort « Fergeili » ist offensichtlich eine italienische Verstümmelung. Von solchen Verstümmelungen gibt es in diesem Gebiet noch verschiedene andere Beispiele. Der jetzige Name Hahnenpass soll dieses Fürggeli dem riesigen Felsblock verdanken, der in der Mitte der Lücke steht und in einer gewissen Entfernung mehr oder minder einem Hahne gleicht.

Wir sind überrascht, von diesem Punkte aus die zwei bekannten Grossen dieser Bergwelt, nämlich das Ofenhorn auf der einen und den Basodino ( pommatterisch « Basaldinerhora » ) auf der andern Seite in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Ausserdem gewährt der Punkt eine besonders schöne Aussicht auf die St.Jakob-Strasse bis zur Passhöhe hinauf. Jenseits der Lücke führt der Weg über grasige Halden und einige Felsköpfe in einer halben Stunde zum Lebendünsee ( 2177 m ) hinunter. Vor uns gemessen wir die eindrucksvolle Aussicht auf das Ofenhorn, welches von dieser Seite her viel mächtiger erscheint als vom Griespass aus.

IM ESCHENTAL Im Wärterhaus am Lebendünsee sind wir bereits telephonisch von der Zentrale zu Amsteg ( italienisch al Ponte ) angemeldet worden und beziehen beim freundlichen Staudammwärter Bacher unser Nachtquartier. Touristen finden bei allen Wärterhäusern an den verschiedenen Stauseen bereitwillig Unterkunft auf vorherige Verständigung mit den Zentralen im Tale. Am andern Morgen verlassen wir diese « Ersatzklubhütte ». In gemässigtem Tempo geht 's zunächst über den Staudamm auf gutem Wege an die teils begrasten, teils steinigen Hänge des Gloggstafelberges, 2965 m, hinan. Bei diesem angenehmen Aufstieg haben wir den ganzen romantischen Lebendünsee zu unsern Füssen; er ist wirkungsvoll umrahmt von einigen kühnen Berggestalten, besonders schön steht das bereits von der Sonne bestrahlte Ofenhorn vor uns. Der Gloggstafelberg erhielt seinen Namen von der glocken-ähnlichen Form, welche er von einem gewissen Punkte aus darstellen soll. Er ist der Vorberg des Monte Giove, der uns zunächst noch verborgen bleibt. In knapp zwei Stunden stehen wir auf dem Büsinpass, 2495 m, welcher das Lebendüntal mit dem Antigoriotal verbindet. Der Pfad senkt sich nun zum untern Büsinsee, 2388 m, wo wir jetzt unser Ziel links vor uns sehen. Auch der Büsinsee ist industriellen Zwecken dienstbar gemacht worden. Nun aber folgt das mühsamste Stück der Wanderung, denn bald geht es über ein grosses Trümmerfeld, teilweise über Schneehalden, direkt dem Gipfel zu. Glücklicherweise können wir die Steigung von rund 600 m im Morgenschatten ausführen. Nach zweistündiger eintöniger und mühsamer Kletterei über gewaltige Steinmassen erreichen wir das ersehnte Ziel. Die Spitze bietet hinreichend Platz für eine grössere Gesellschaft. Sie ist gekrönt mit einem Steinmann und einem etwas sonderbar geformten trigonometrischen Signal. Das gute Wetter, das uns beschieden ist, beglückt uns mit einer reizvollen Aussicht. Der Ruf des Berges als « Eschentaler Rigi » ist vollkommen berechtigt. Die ganze Bergwelt vom Pommatt ist unsern Blicken freigegeben.

Monte Giove und Gloggstafelberg bilden eine Doppelpyramide in der Richtung längs des Formazza- und Antigoriotales. Der um 45 m höhere Gipfel des Monte Giove beherrscht die ganze Region, und seine Aussicht soll diejenige des Monte Cistella im Deverotale übertreffen. Die unmittelbare Nähe der Hörner und Gletscher des Hohsandgebietes verleiht ihm einen besonderen Vorzug. Er ist, kurz gesagt, ein herrlicher Beobachtungspunkt für die Betrachtung der zahlreichen Kämme, die zwischen dem Ofenhorn und dem Lauf der Tosa vor uns liegen. Ein guter Läufer kann den Gipfel vom Tosafall aus in 5-6 Stunden erreichen. Man tut indessen gut, am Lebendünsee zu übernachten.

Vom Gipfel setzt sich der Kamm gegen Süden in interessanten und seltsam geformten Felszacken bis zum Pizzo Martello, 2607 m, fort. In den Felshängen gegen das untere Pommatt liegt der kleine Kreilsee, 2640 m, eingebettet, und gegen das Lebendüntal hängt der steile Gloggstafelgletscher. Uns gegenüber liegen die steilen Abfälle der Tessiner Berge, hinter denen Gurin ( Bosco ) liegt. Aus dem prächtigen Panorama sind besonders das Ofenhorn, der Basodino, die Berner und Penninischen Alpen, ferner die Gebirgsstöcke zwischen Helsenhorn, Fletschhorn und Monte Rosa hervorzuheben.

Sehr hübsch ist wieder der Blick auf die San-Giacomo-Strasse bis auf deren Höhe, wo wir mit dem Zeiss die beiden Eisenbahnwagen, welche dort oben als Ersatzhotel dienen, erkennen. Vom Pommatt ist nur das kleine Dörfchen Gurfälu ( Gurfelen, italienisch Grovello ) sichtbar, und den Tosafall verdeckt uns der Nackberg. In südlicher Richtung winken Domo d' Ossola und all die vielen Weiler der untern Ossola zu uns herauf.

Da vom Binntale her bereits verdächtige Wölklein an das Ofenhorn heranschleichen, müssen wir unsern 1 ^stündigen Aufenthalt auf dem Monte Giove ungern genug abbrechen. Nachdem wir uns im Gipfelbuche eingetragen und noch eine Aufnahme von der unvergesslichen Punta d' Arbola ( Ofenhorn ) gemacht haben, treten wir den Abstieg an, der uns wieder über die verwünschte Trümmerhalde — die einzige beschwerliche Stelle — zum Büsinsee hinunterführt. Hier haben wir die Wahl, drei Abstiege zu wählen, einen längeren und zwei kürzere, wovon der eine, sehr steile, nach Unterstalden ( Foppiano ) führt, der andere an der Punta Tanzonia vorbei zum Pojalasee und über Agaro nach Baceno hinab. Da wir dem Wetter noch einige gute Stunden trauen, entscheiden wir uns für den längsten, aber dafür interessantesten Abstieg zum Deverotal. Er fängt aber gleich mit einer Gegensteigung von etwa 300 m an. Vom Wärter am Büsinsee wird uns empfohlen, die Richtung nach den beiden kleinen oberen Büsinseen ( ca. 2450 m ) einzuschlagen und dann jenseits des weglosen Büsinpasses, 2647 m, dem Rio della Valle entlang hinab zum Deverosee zu wandern. Bei der ersten jenseitigen Alp ( Alpe della Valle ) erreicht uns aber schon ein kräftiger Regen, der aber glücklicherweise nicht lange anhält, so dass wir unsern Weg wieder fortsetzen können. Über schöne, wellige Alpenweiden hinab und zuletzt durch einen prächtigen Lärchenwald gelangen wir an den Deverosee ( 1840 m ), wohl der schönste See jenseits der Walliser Alpen. Auch dieser See wurde durch künstliche Stauung bedeutend vergrössert, und in der Mitte steht eine bewaldete Insel, die den Reiz des Bildes noch erhöht. Auf der Nordseite des Sees strebt in wuchtigen Wänden das Grampielhorn empor, und im Hintergrund dieses obersten Teiles des Deverotales steht wieder die prachtvolle Gestalt des Ofenhorns vor unsern Augen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das Ofenhorn vom Deverosee aus die schönste Ansicht zeigt.

Auf den Spuren des alten Albrunpasses gelangen wir in einer halben Stunde zu dem hübsch gelegenen, kleinen Sommerdörfchen Grampiolo, wo wir bei einer Pommatterin reichlich mit Milch beschenkt werden. In weitern 30 Minuten kommen wir auf fast ebenen und schönen Alpenmatten nach der grossen Alpe di Devero, auch « ai Ponti » genannt, 1640 m. Hier vereinigen sich zahlreiche Bäche, von denen einige in schönen Fällen von den jähen Wänden herabstürzen. Von hier ab haben die Bäche den gemeinsamen Namen Deverobach, der bei Baceno von der Tosa aufgenommen wird. Diese alpine Ebene von « ai Ponti » ist unzweifelhaft eine der pittoreskesten Gegenden des Eschentales, ein weiter Wiesenplan, übersät von kleinen Ferienheimen und Alpenhütten. Schöne Waldpartien und darüber die hohen Wände und Zinnen des Cervandone ( oder Cherbadung ), 3211 m, und einige andere Berge geben ein reizendes Alpenbild. Diese klimatische Station wird daher von der Lom- IM ESCHENTAL bardei aus stark besucht. Einige Alberghi, worunter der « Albergo Cervandone » der grösste ist, stehen in diesem herrlichen Alpenkurort. Zu ihm hinauf führt zwar nur ein gewöhnlicher Maultierpfad von Goglio, dem letzten Ort des Deverotales. Eine Strasse ist schon lange projektiert, aber noch nicht erstellt worden. Die Deveroalp bietet eine Unzahl von leichten und schwierigen Touren, auch gibt es einige beschwerliche Schmugglerpässe ins Binntal hinüber. Hoffentlich verfallen die lombardischen Industriellen nicht auf die Idee, auch diese schöne Alp unter Wasser zu setzen.

Leider bleibt uns nur kurze Zeit übrig, um diese reizende Gegend zu geniessen. Auf dem etwas groben Saumpfad kommen wir zu der Mulde von Goglio, 1140 m, wo wir im bescheidenen Albergo « Stella alpina » Einkehr halten und unsere Knie ausruhen lassen können. Das grösste Gebäude dieses alpinen Dörfchens ist natürlich eine mächtige Kraftzentrale, gespiesen vom Deverosee.Von da ab gibt es nun eine gemütliche Wanderung talauswärts nach Baceno; die Strecke misst kaum 7 km, ist aber nicht ohne landschaftliche Reize.Von den Felswänden stürzen einige Wasserfälle, und ganz besonders schön ist der Fall von Agaro. Der Deverobach wird einige Male gekreuzt und bei einer kleinen Häusergruppe, ungefähr in der Mitte des Tälchens, werden wir an die Kriegsfahrten der Walliser und der acht alten Orte erinnert. Wir stehen vor einem alten Wachtturm aus dem frühen Mittelalter, der gegen die Einfälle der Schweizer ins Eschental hier errichtet wurde. Als geschichtliches Monument ist er restauriert worden. Unter seinem Bogen mögen einst die 5000 Schweizer im Jahre 1425, welche den Albrunpass überschritten, durchgezogen sein. Das Tälchen weitet sich zusehends, und die Vegetation wird entschieden südlicher. Die Strasse wechselt wieder das Ufer, und wir gelangen nach dem Ort Croveo. In der Mitte desselben spendet eine ausgiebige Quelle unter einer « loggia trecentesca » vorzügliches Trinkwasser. Rechts vom Dorfe rauscht der Deverobach in eingefressenen Felsen, « caldaie di Croveo » genannt, der Tosa zu.

Endlich sind wir — etwas ermüdet — in Baceno ( 690 m ) oder « Bätsch », wie es die alten Schweizer nannten und die Pommatter es heute noch tun. Der Ort liegt in freundlicher, sonniger Lage, beherrscht vom Monte Cistella. Rückwärts schauend erblicken wir nochmals den mächtigen Cherbadung, und talauswärts die Weite von Domo d' Ossola. In einer aussichtsreichen Osteria erquicken wir uns bis zum Eintreffen des Postautos ( « Corriera » ), welches uns die Strecke von 27 km bis zum Tosafall hinauf befördert. Beim üblichen viertelstündigen Halt in « undrem Schtaldä » ( Foppiano ) kredenzt uns Herr Zertanna, der noch lebende der sieben Brüder, welche 1863 das erste Gasthaus am Tosafall errichteten, einen guten Tropfen, aus Freude darüber, wieder einmal einen schweizerischen Touristen in seinem Tale zu sehen. In seinem kleinen Speisesälchen hängen noch die Bilder seiner Eltern, welche ihre schweizerische Herkunft unverkennbar verraten. Um 8 Uhr sind wir im Albergo Zertanna am Tosafall zurück.

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