Im Kampf gegen Lawinengefahr
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Im Kampf gegen Lawinengefahr

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Rudolf Campell.

Die ungeahnte Verbreitung der Bergsteigerei, zuerst im Sommer, dann in immer zunehmendem Masse auch im Winter, hat die Beziehungen zwischen dem Menschen einerseits und Berg und Schnee anderseits in kurzer Zeit völlig umgestellt. Während man früher die Wildnis der Felsen und die Schneemassen der Berge nur von weitem mit einem gewissen Respekt und Angstgefühl betrachtete, sucht man sie heute immer mehr auf und stellt sich voller Freude das Problem, wie man die drohenden Naturgewalten bezwingen könnte.

Man hat erkannt, dass es zur Stärkung und Gesundung des Menschengeschlechts besser ist, durch Anstrengungen, Entbehrungen und Gefahren Körper und Geist zu stählen, als durch zu üppige Lebensweise den Organismus verweichlichen zu lassen oder zu verwöhnen. Daher der Aufschwung der Leibesübungen in der ganzen zivilisierten Welt, daher die grossartige Entwicklung von Bergsteigerei und Skisport. Was gibt es denn Schöneres als in herrlicher Alpenluft durch wunderschöne Landschaften zu wandern oder bei strahlendem Sonnenschein auf einsamem Bergpfade zu klettern! Körper und Geist sprühen von Kraft und Freude!

Nur zu leicht unterschätzt man aber dabei die Gefahren dieses Strebens nach Schönheit, Leistung und Freiheit. Manche kennen die Tücken gar nicht. Vielleicht überschätzt einer auch im jugendlichen Selbstvertrauen die eigenen Fähigkeiten, und rasch rächt sich das oft durch den Verlust wertvoller Menschenleben. Trotz solcher bedauerlicher Zwischenfälle besteht kein Grund, die Bergsteigerei zu verwerfen und die Jugend davon abzuschrecken, denn ihre Vorteile sind gleichwohl viel grösser als die Nachteile.

Es ist die Pflicht jedes Einsichtigen, die Unerfahrenen auf die drohenden Gefahren aufmerksam zu machen. Heute, im Zeitalter der Aufklärung breiter Volksschichten, im Zeitalter der Bücher, Zeitschriften und Vorträge, sollte es nicht mehr nötig sein, dass jeder einzelne erst aus dem eigenen Schaden lerne, klug zu werden. Er sollte imstande sein, auch aus den Erfahrungen anderer zu lernen und die Berge mit einem Minimum von Gefahr zu begehen.

Dann erst wird das Erlebnis des Hochgebirges zum wahren und wirklichen Genuss. Durch Überlegung und bedächtige Sicherheit werden grosse Leistungen erzielt, die als Erfolge zu buchen sind, im Gegenteil zu manchen sensationellen Resultaten unbedächtiger Stürmer, die nur als Zufallsleistungen zu bewerten sind, die mit grösster Lebensgefahr errungen wurden und für den Alpinismus sehr geringen Wert besitzen. Jeder bereite sich auf seine Berggänge so vor, dass er mit einem Mindestmass von Gefahr auch Schwierigkeiten überwinden könne, denn die Berge sind nicht nur reserviert für Gipfelstürmer ohne Verantwortungsgefühl. Sie sollen vielmehr auch zur Erholung und Stärkung dienen für Leute, die in Familie, Gesellschaft und Staat wichtige Funktionen erfüllen.

Die Alpen — 1940 — Les Alpes.34 Um dieses zu ermöglichen, gilt es, jeden angehenden Alpinisten zu schulen, zu erziehen und zu disziplinieren. Es ist Pflicht eines jeden, der Erfahrungen hat und weiss, wie den Gefahren vorzubeugen ist, den anderen mitzuteilen, wie das zu geschehen hat. So ist es auch mir ein Bedürfnis geworden, nachdem ich in meiner Bergpraxis im Oberengadin geholfen habe, neben einigen Lebenden an die 20 junge begeisterte Berggänger tot aus Lawinen zu bergen, dem Ahnungslosen zu sagen, wie er sich vor Lawinenverschüttungen bewahren kann und was geschehen soll, wenn, trotz aller Vorsicht, ein Lawinenunglück passiert ist. In den « Alpen », die die Aufgabe haben, die C. Mitglieder zu sicheren Alpinisten und zu tüchtigen Menschen zu erziehen, lassen wir uns dabei speziell von praktischen Gesichtspunkten leiten und werden nur ganz kurz auf theoretische oder wissenschaftliche Fragen eintreten.

Â. Vorbeugung der Lawinenversdiüttungen.

Für die Allgemeinheit der Berggänger ist es nicht nur wichtig zu wissen, wie man einem Lawinenverschütteten Hilfe bringen soll: sie muss sich auch stets und überall Rechenschaft abgeben, wie man einem Lawinenunglück vorbeugen kann; denn hat einmal die Verschüttung stattgefunden, so steht man vor einer sehr ernsten Situation. Hat man sich dagegen durch Beobachtung, Geduld und Fleiss darüber Klarheit verschafft, wie die Lawinen entstehen, so gelingt es auch in der Regel, der Gefahr aus dem Wege zu gehen. Die Kenntnisse über die Entstehung der Lawine sind viel wichtiger als die Feststellung ihrer Wirkungen. Durch Schauerberichte wird der Mensch wohl abgeschreckt, aber in der Regel nicht wesentlich belehrt. Sich erst dann über die Tücken der Lawinen Rechenschaft abzugeben, wenn diese von allen Seiten drohen und zu Tal stürzen, ist zwecklos. Im Ernstfall würde man sicher gleich den Kopf verlieren und so ziemlich alles falsch anstellen. Hat man sich aber vorher die Mühe genommen, die ganze — plötzlich auftretende — Situation, vom Anfang bis zum Ende, in Gedanken zu erleben, so ist man im Notfall fähig, ruhig seine Entschlüsse zu fassen und sie zweckmässig zu verwirklichen.

Die Lawinengefahr setzt sich zusammen aus einer Anzahl verschiedener Faktoren, die wir kurz besprechen wollen:

1. Die Schneemenge spielt eine grosse Rolle. Je stärker die Hänge mit diesem Element beladen sind, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass es den Zusammenhang verliert und abrutscht. Dabei ist 2. die Adhäsion an der Unterlage von Wichtigkeit: Ist die Unterlage steil und glatt, so ist die Haltekraft gering, und die Schneelast fährt bei geringster Erschütterung zu Tal. Oft rutscht nicht die ganze Schneelage bis auf den Boden ab, sondern nur eine oder mehrere Schichten. Hat es auf eine glatte, harte Schnee- oder Eisunterlage kalt geschneit, so binden sich die beiden Schichten nicht; die gefrorene Unterlage bildet für den ganzen Winter eine gefährliche Gleitfläche für darauf fallende Schneemengen. Gut ist dagegen die Adhäsion auf Geröllhalden mit grossen Blöcken, bei Felsvorsprüngen, im Wald, an vorstehenden Geländebändern etc. Zu beachten ist 3. die Kohäsion der verschiedenen Schneebestandteile untereinander; diese ist gross bei Pappschnee oder wenn es in grossen, schöngefiederten Kristallen schneit; sie ist gering im kalt gefallenen Pulverschnee oder in den vom Wind zusammengetragenen Lockerschneeansammlungen; sie ist gross bei Sonnen- und Windharschkrusten und wiederum gering in den Eiskörnchen des Schwimmschnees und des faulen Schnees im Frühling. Wenn die Schneelast an einer Halde grösser wird als die zusammenhaltende Kraft der einzelnen Teile der Schneedecke, so gibt es einen Abbruch, der, je nach Beschaffenheit des Geländes, einen Riss, einen Schneerutsch oder auch eine grosse Lawine zur Folge haben kann. Der Schnee ist keine tote, konstante Masse.Vom Moment seiner Ablagerung macht er fortwährend Wandlungen durch und verändert so seine Beschaffenheit. Das muss man wissen, um die Lawinengefahr richtig abzuwägen. Eine wichtige Rolle spielt dabei 4. die Aussentemperatur. Diese verändert die Schneekristalle in einem fort, und je nach Kristallform ist die Kohäsion der Schneepartikel, somit auch Abrutschgefahr, verschieden. Der schöngefiederte, hexagonale Kristall kann übergehen in der Wärme in klebrigen Pappschnee, der zur sogenannten Knödel-bildung neigt und durch Abrollen den Beginn einer Naßschneelawine bilden kann. Er kann aber auch durch Kälte sich in die schönen Reifkristalle verwandeln, die als Pulverschnee das Herz des Skifahrers erfreuen und die gute Skiföre bedingen. Die Reifkristalle können durch häufigeres Umkristallisieren die grossen, flachen Kristalle des Salzschnees bilden, die in der Wärme den Sulzschnee ergeben. Daraus entsteht in der Nacht der Sonnenharsch. Bei Zunahme der Temperatur gegen den Frühling hin verwandeln sich die Schneekristalle in die Eiskörnchen des faulen Schnees, die bei hoher Temperatur als Grundlawinen zu Tale fliessen.

So wie die Aussentemperatur wirkt auch 5. die Temperaturschwankung von der Tiefe her. Auch diese erzeugt fortwährend Umkristallisation der dem Boden anliegenden Schneemassen. Dadurch erfolgt eine Lockerung derselben, mit Bildung von Hohlräumen. Aus der Umkristallisation des Schnees resultiert schliesslich, via Reifformen, die Schwimmschneebildung, die nichts anderes darstellt als eine Umformung vom Schnee in Eiskörnchen, wie oben. Auch sie haben wenig Kohäsion zueinander und stellen eine gefährliche Gleitbahn dar. Dieser Prozess ist bei der Bildung von Lawinen, besonders beim Abbruch von Schneebrettern, von ganz grosser Bedeutung. Gefrieren und Auftauen, dabei Änderungen von Kristallform und Kohäsion, sind wichtige Faktoren bei der Bildung von Lawinen. Dazu kommt 6. die Wirkung des Windes, die man nicht genug betonen kann: Nur selten hört es im Hochgebirge auf zu schneien, ohne dass ein Kampf der Winde eingesetzt hätte, der die Wolken spaltet und die Temperaturen verändert. Die gleichmässig gelagerte Neuschneeschicht wird dabei aufgeblasen und oft im rasenden Schneesturm herumgewirbelt. Es kommt so zu gewaltigen Schneetransporten und zu einer ganz ungleichen und unregelmässigen Ablagerung der Schneemassen. Der Wind zerreisst die schön gefiederten Schnee- sterne zu Staub, und dieser wird herumgeblasen, bis er entweder irgendwo angepresst wird als Preßschneeschicht auf der dem Wind ausgesetzten Seite des Hanges, oder auf der Windschattenseite als Lockerschnee passiv auf den Hang fällt. Im ersten Fall entsteht ein zusammenhängendes Schneebrett, das sich auf gleichmässig ansteigende Hänge hinzieht und abbrechen kann, wenn man es erschüttert. Im zweiten Fall formen sich Schneeschilde oder Wind-säcke, die auf der windgeschützten Halde oder in Bodenvertiefungen oft viele Tonnen Lockerschnee umfassen und spontan oder durch Berührung leicht zu Tal fahren, sobald das Gewicht grösser ist als die Kohäsion der Schneeteilchen. Der Wind frisst an vorstehenden Geländepartien den Schnee fast vollständig weg und bereitet so für Touristen an Geländerippen und Gräten, an Geländebuckeln und Felsvorsprüngen die sicherste Route vor, während er durch Bildung von Schneebrettern und Windsäcken für ihn die grössten Gefahren schafft. Als weitere Windformation erwähne ich noch die Bildung von Wächten dort, wo die Wucht des Windes plötzlich den festen Boden verlässt und in die freie Luft hinausrast, auf Bergkämmen, Gräten, Felsvorsprüngen etc. Diese Wächtenbildungen, die aus Preßschnee bestehen, können gewaltige Dimensionen annehmen und werden häufig nach der Windschattenseite des Berges meterhoch überhängend. Wird schliesslich die Last zu gross, so brechen sie ab und reissen die darunter liegenden Lockerschneemengen als Rutsch- oder Staublawine mit zu Tal. Ist ein Tourist in der Bahn, so wird er mitgenommen.

Zum Verständnis gewisser Lawinenabbrüche muss ich noch kurz auf das 7. Setzen des Schnees zu sprechen kommen. Hat es zu schneien und zu winden aufgehört, so beginnt der Neuschnee, besonders bei warmer Temperatur, sich zu setzen und sinkt durch sein eigenes Gewicht in sich selbst zusammen. Nach wenigen Tagen hat die frische Schneeschicht vielleicht nur noch zwei Drittel ihrer ersten Höhe. Dies vermindert die Lawinengefahr dort, wo der Schnee gleichmässig sitzt und keine Krustenbildung aufweist. Im anderen Fall aber wird die Situation gefährlicher; unter der Windharsch-bildung, die unnachgiebig ist, senkt sich der Lockerschnee. Es entstehen so Hohlräume. Wird dann die Windkruste belastet, so schaffen diese Hohlräume eine schwache Stelle, und bricht die Hartschneelage, so sinkt sie unter Ge-räuschbildung ein. Es kommt gleich die ganze Halde ins Rutschen. Ähnliche Hohlräume entstehen auch durch:

8. Verdunsten des Schnees vom Boden her, in Zusammenhang mit der Schwimmschneebildung; wenn die Schneeschicht längere Zeit von einer zusammenhängenden Hartkruste bedeckt war, kann es bedeutende Ausmasse annehmen.

9. Die Steilheit eines Hanges spielt bei der Lawinendisposition nicht die Hauptrolle; sehr steile Stellen entladen sich bei jedem neuen Schneefall spontan, sobald die Schneelast grösser wird; viel gefährlicher sind mittelsteile Hänge und besonders Dellen und Mulden, in denen ungeheure Schneemengen deponiert sind und denen nur der Erfahrene die Gefährlichkeit ansieht. Manche behaupten, sie erkennen die gefährlichen Stellen an einer bläulichen, matten Farbe. Eine besondere Stellung nimmt 10. die Eislawine auf Gletschern ein. Diese entsteht aus ganz anderen Gründen als die Schneelawinen, die den Touristen bedrohen. Sie ist die Folge der Gletscherbewegung: Eismassen werden gegen einen Gletscherabbruch vorgetrieben und stürzen ab wie Felsstürze, sobald sie keinen Halt mehr haben; sie können alles zermalmen, was auf ihrem Wege steht; sie bedrohen uns zu jeder Tages- und Jahreszeit und sind von Witterung, Wind und Temperatur wenig abhängig.

Nun habe ich einige wichtige Faktoren aufgezählt, die beim Zustandekommen der Lawinen für den Berggänger von oft verhängnisvoller Bedeutung sind. Wir sehen daraus, dass die Schneeschicht am Berghang sich längere Zeit in einer Art von labilem Gleichgewichtszustand befindet und allmählich sich dort festigen und fixieren kann. Tritt aber der ahnungslose Tourist auf eine schwache Stelle der Schneedecke, so ist er in Gefahr, mit dieser zu Tal zu fahren und lebensgefährlich verschüttet zu werden.

Dass der Abbruch einer Lawine durch direktes Auftreten des Menschen auf die unsichere Schneeschicht erfolgt, dürfte jedem klar sein; ich habe als erster nachweisen können, dass auch indirekte Abbruche auf grosse Distanzen eintreten können, wenn vom Tal aus, durch hartes Treten, oder durch starke Erschütterung ( Bahn, Pferd, Mensch ) eine Hartschicht einreisst und der Riss sich an den Hang hinaufzieht, bis er an einer geschwächten Stelle den Hang traversiert und so den Abbruch einer Lawine verursacht. Diese Tatsachen bekanntzugeben, erscheint mir eine Pflicht den Bergkameraden gegenüber; sie zu beherzigen, könnte für sie nur von Nutzen sein.

Es ist nicht immer nötig, dass wir selbst die Lawine loslösen, die droht, uns zu begraben. Dies kann auch durch andere Partien oder durch Gemsen und anderes Wild erfolgen. Der gute Berggänger wird sich fortlaufend im Gelände orientieren und alle Faktoren, die ich erwähnt habe, ständig beobachten. Dann kann man von disziplinierter Berggängerei sprechen. Er wird auch altbekannte Regeln unserer Bergsteiger bei seinen Expeditionen mit in Erwägung ziehen und nicht vergessen, dass nach einem bedeutenden Schneefall für die ersten 3-4 Tage grosse Touren zu unterlassen sind; dass bei Lawinengefahr grosse Distanzen zwischen den einzelnen Kameraden zu halten sind, dass dort die Skibindung zu lockern ist, dass die Lawinenschnur richtig angewendet werden soll, dass gewisse Routen, die am Morgen in gefrorenem Zustand vielleicht nicht gefährlich sind, gegen Abend gefährlich sein können, dass auf Wind und Temperatur zu achten ist, dass eine Bergpartie gut ausgerüstet sein muss und dass die einzelnen Glieder derselben, wenn sie zusammen ausziehen, bis zur Rückkehr auf Leben und Tod miteinander verbunden sind.

Damit glaube ich, einige Hauptpunkte berührt zu haben über das wichtige Kapitel der Lawinenvorbeugung. Es wird für jeden Berggänger lohnend sein, sich in diese Fragen zu vertiefen, um dann entsprechend handeln zu können. Damit könnte viel Unglück verhütet werden.

B. Hilfe bei Lawinenverschüttungen.

Jetzt wollen wir uns die Tatsache vorstellen, dass ein Lawinenunglücks-fall passiert sei und dass es gilt, möglichst rasch wirksame Hilfe zu bringen. Diese Situation kann eintreten aus Unkenntnis des Verunglückten, manchmal aus Unachtsamkeit und Unvorsichtigkeit, seltener aber auch ohne Verschulden des Opfers. Wir sind nicht als Richter aufgeboten, sondern als wahre Helfer in der Not und haben uns auch durchwegs so zu verhalten.

Um gute Hilfe bringen zu können, erwägen wir vier Haupttypen der Lawine:

1. Die stürzende Lawine ( Beispiel: Staublawine ).

2. Die fliessende Lawine ( Beispiel: Naßschneelawine — Grundlawine ).

3. Die rutschende Lawine ( Beispiel: Schneebrett — Windsack ).

4. Die Eislawine ( beim Gletscherbruch ).

Es gibt unzählige Zwischenformen, je nach Schneebeschaffenheit, Schneemenge, Geländeformation, Temperatur, Wind etc. Es kann auch eine Grundform bei besonderen Verhältnissen in eine andere übergehen.

Je nach Art der Verschüttung können wir uns sieben verschiedene Todesarten in der Lawine vorstellen:

1. Erschlagenwerden durch Abstürzen oder durch mitgerissene Fremdkörper, die sich in der Lawine befinden.

2. Commotio cerebri oder Ohnmacht: Zugedecktwerden, dann Erstickung, weil der Verschüttete sich nicht befreien kann.

3. Schock — Herzstillstand.

4. Erstickung infolge zunehmenden Luftmangels in der Tiefe der Lawine; allmähliches Schliessen des Lawinenschnees wie eine Zange um Brust, Bauch und Hals.

5. Plötzliches Ersticken durch Kompression in der Naßschneelawine; Brust wird sofort vollständig ausgepresst; infolge grossen Druckes ist eine Einatmung ausgeschlossen. Gewicht des nassen Schnees bis 900 kg pro m2. Liegt das Opfer einige Meter unter der Oberfläche, so kann man sich denken, wie leicht es erdrückt werden kann.

6. Ersticken durch Eindringen feinster, in der Luft suspendierter Schnee-stäubchen, unter starkem Überdruck in die Luftwege eingepresst — Schneestaub schmilzt —, feinste Wassertropfen verlegen Bronchiolen — Schwierigkeit auszuatmen —, ohne künstliche Hilfe — rascher Tod.

7. Abkühlungstod ( Erfrierung postmortal ).

Je nach der Todesart ist das Aussehen der Leichen, besonders auch in bezug auf die Hautfarbe, verschieden.

Es lohnt sich, die verschiedenen Todesarten zu erwägen, um dann in aller Eile, aber doch zielbewusst und gründlich, die Hilfe zu organisieren. Überlegen, dann rasch handeln.

a ) Selbsthilfe des Verschütteten kommt an erster Stelle. Das Prinzip ist: Selbstrettung, um anderen helfen zu könnenWas soll geschehen? Versuche, durch Abfahrt an den Rand der abgehenden Lawine zu gelangen; versuche, durch Schwimmbewegungen an der Oberfläche der Schneemasse zu bleiben; versuche — besonders, wenn die Strömungsgeschwindigkeit nachlässt — Atem-raum um Mund, Nase, Hals, Brust und Bauch zu bekommen, denn bald schliesst sich der Lawinenschnee; dann ist jede Bewegung unmöglich.

b ) Hilfe durch Tourenkameraden: Nach der Selbsthilfe, die möglichst wenig Zeit beanspruchen darf, ist es Pflicht, die Kameraden zu beobachten, die eventuell von der Schneemasse mitgerissen worden sind. Alle gemachten Beobachtungen sind sofort mit Ausrüstungsgegenständen oder Ästen im Gelände zu markieren: Wo stand X., als er mitgerissen wurde, wo sah ich ihn verschwinden, wo sah ich ihn weiter unten nochmalsDiese Punkte sind für die spätere Suchaktion von grösster Bedeutung; von ihnen kann abgeleitet werden, ob ein Verschütteter in die Hauptströmung hineingeraten ist oder ob er am Rande der Lawine zu suchen ist. Jetzt soll man sich den Zeitpunkt des Unfalles merken. Nach der Markierung ist das Lawinenfeld sofort nach herausschauenden Gegenständen abzusuchen ( Skistöcke, Kleidungs-oder Ausrüstungsgegenstände, Lawinenschnur etc. ). Findet man solche, so gehe man ihnen sofort gründlich nach. Findet man nichts, so horche man genau nach: oft ruft ein Verschütteter laut nach Hilfe! An verdächtigen Stellen grabe man nach mit den Händen wie ein Maulwurf oder mit den Ski als Schaufeln. Bleibt auch so das Absuchen vergeblich, so beginne man die Prädilektionsstellen der Lawine mittelst improvisierten Sonden ( Skistöcke ohne Rädchen, umgekehrte Ski etc. ) abzusondieren.

Wo sind die Prädilektionsstellen?

1. An der Zungenspitze der Lawine.

2. Am Zungenrand derselben.

3. Bei eventuellen Hindernissen in der Lawinenbahn.

4. An Gegensteigungen.

Die angebrachten Markierungen können dabei eine sehr gute Hilfe sein. Ist nach einer Viertelstunde kein Anhaltspunkt gewonnen worden, wo die Verschütteten liegen könnten, so geht jetzt von mehreren Begleitern einer möglichst rasch zu Tal, um Hilfe zu holen. Nach einer halben Stunde empfehle ich, Hilfe zu holen, auch wenn nur einer unverschüttet blieb.

c ) Hilfe durch zufällig angetroffene Leute: Jedermann ist moralisch verpflichtet zu helfen. Er muss aber genau orientiert werden. Es handelt sich darum, den Kopf nicht zu verlieren.

d ) Hilfe durch vorbestimmte Mannschaft: Für ein rasches Aufgebot muss immer vorgesorgt sein. Jeder sorge selbst für die eigene Verpflegung und Ausrüstung. Die Mannschaft muss für den Rettungsdienst im voraus ausgebildet sein. Der Obmann vergesse nicht, für die Versicherung der Retter zu sorgen. Dann organisiert er ein erstes Aufgebot. Dieses nehme nur das Allernötigste mit ( zusammenlegbare Sondierstangen [Lindenmann], kurzstielige Schneeschaufeln [Iselin], zusammenlegbare Rettungsschlitten [Hunger], Wolldecken, Zelte, Laternen, persönliche Ausrüstung, Bekleidung, Nahrung, warme Flüssigkeit in Thermosflasche etc. ). Es pressiert, denn das Leben des Verschütteten hängt an einem Faden. Der Arzt wird sofort avisiert und geht womöglich mit dem ersten Pikett mit. Er vergesse nicht, geeignete Medikamente mitzunehmen ( Traubenzucker, Digitalis, Coramin, Cardiazol, Lobe-lin etc., für Injektionen, eventuell für Klysmen ).

Inzwischen stellt sich das zweite Aufgebot von 6—8 Mann bereit. Seine Ausrüstung ist wie die der zuerst abgegangenen Mannschaft; dazu kommen längere Sondierstangen von 3—5 m; langstielige Schaufeln und alles, was das erste Pikett in der Eile vergessen hatte.

In der Rettungsstation bleibt ein verantwortlicher Obmann zurück, der weitere Reserven organisieren und bei Bedarf sofort nachschicken soll. Er sorgt auch sonst für Nachschub und Verbindungen.

Ist die Rettungskolonne auf dem Lawinenfeld angekommen, so erfolgt als erstes eine genaue Orientierung; die Markierung wird erneut. Es wird sofort ein Rettungsleiter bestimmt, dem alle zu folgen haben. Ihm untersteht die ganze Rettungsaktion. Es werden Sondiergruppen und Schauflergruppen ausgeschieden. Jede von ihnen untersteht einem bestimmten Gruppenleiter und arbeitet unter dessen Anordnungen etwa in folgender Weise:

Das Absuchen des Lawinenfeldes hat systematisch zu erfolgen. Es werden diejenigen Streifen der Lawinenoberfläche abgesteckt, die zuerst sorgfältig sondiert werden sollen. Dabei ergibt es sich von selbst, dass in erster Linie die Prädilektionsstellen ( Zungenspitze, Zungenrand, bei Hindernissen und Gegensteigungen ) in Angriff zu nehmen sind. 4—6 Mann mit ihren Sonden stellen sich nebeneinander auf. Jeder hat seinen Streifen von 1,5—2 m Breite vor sich und sondiert senkrecht in den Schnee; die Sondierstellen sind zirka 20 cm voneinander entfernt. Ist eine Linie sondiert, so schreitet der Mann 20 cm vor und setzt hier seine Arbeit fort. Sondierte Stellen sind auf der Lawinenfläche deutlich zu markieren ( mit Ästen, Skistöcken, Fähnchen oder dergleichen ).

Nach dem Sondieren kommen die Schaufler daran. Es werden Quer-gräben von 2—3 m Tiefe gegraben, 2—3 m voneinander entfernt. Der Schnee ist immer abwärts zu werfen, also mit den Gräben unten beginnen. Von der Tiefe der Gräben aus sind dann in senkrechter und schräger Richtung die tieferen Partien der Lawine systematisch zu sondieren. Dies alles ist eine ausserordentlich mühsame Arbeit, und doch ist sie sehr wichtig und manchmal lebenrettend. Ermüdung und Gleichgültigkeit sind mit aller Energie zu bekämpfen; stelle man sich immer vor, man liege selbst in der Lawine begraben und warte darauf, befreit zu werden; dann wird man richtig handeln.

Bei Lawinenunglücksfällen in der Nähe von menschlichen Behausungen strömt sofort ein grosses, wundriges Publikum zur Unglücksstelle, nicht zum Helfen, aber aus reiner Sensationslust. Eine energische Lawinenpolizei ist da nötig, um diese überflüssigen Elemente fernzuhalten.

Wichtig für den Gang der Arbeit ist, dass ein Beobachter aufgestellt wird, der ausschauen soll nach erneuter Lawinengefahr. Nachlawinen kommen oft vor und gefährden die Suchmannschaft sehr ernstlich. Der Beobachter passt gut auf und warnt die Kameraden, wenn Gefahr droht.

Nehmen wir nun an, ein Verschütteter sei nach langer Mühe durch Sondieren festgestellt worden. Die Sonde bleibt auf dem verdächtigen Fremd- körper stecken; mit Schaufeln wird sofort nachgegraben, um sich zu vergewissern, aus was er besteht. Oft erlebt man dabei Enttäuschungen, indem man auf Rasenstücke gestossen war, auf Kleider, Bäume etc. Deswegen darf die Sorgfalt nicht leiden. Zum Differenzieren der Gegenstände in der Tiefe und beim Rufen des Verschütteten kann das Lawinenmikrophon eine Hilfe sein.

Diesmal war 's wirklich der Verschüttete! Die Schaufler machen möglichst rasch Kopf und Brust frei. Ein Retter ( am besten der Arzt ) steigt in das freigelegte Loch hinunter, beseitigt rasch allen Schnee aus Mund und Nase und beginnt auch gleich mit der Wiederbelebungsarbeit ( künstliche Atmung, Medikamente ). Die übrigen Retter fahren fort, den Verschütteten auszuschaufeln, was manchmal schwierig und mühsam ist wegen ganz verdrehter Stellung der Glieder, weil der Patient oft mit dem Kopf abwärts liegt oder im Schnee eingefroren ist.

Ist endlich das Opfer aus seiner Verschüttung befreit, so wird es auf den bereitgestellten Rettungsschlitten gelagert und in Wolldecken eingepackt. Nasse und schnürende Kleidungsstücke werden wenn nötig mit Schere und Messer beseitigt. Der Arzt leitet die Wiederbelebungsversuche, verabreicht die obgenannten Medikamente, intramuskulär, intravenös oder intracardial, und sorgt für künstliche Wärmezufuhr an Rumpf und Gliedern. Zwei Retter können unter den Decken die Glieder herzwärts massieren. Zwei Retter besorgen in korrekter Weise 2-3 Stunden lang die künstliche Atmung. Ich empfehle die Methode Sylvester, modifiziert nach Campell. Ist ein Pulmotor-apparat zur Stelle, dann soll man diesen verwenden. Bei kalter Aussentemperatur soll eine Windschutzwand mittelst Decken und Zelten, gehalten von eingesteckten Ski, erstellt werden.

Gibt der Verschüttete Lebenszeichen, so fahre man mit der künstlichen Atmung fort, bis er ganz erwacht. Nachher muss Herz und Atmung noch während vielen Stunden ärztlich überwacht werden. Ernährung und Medikamente verabreiche man nur durch Einspritzungen und Darmeinläufe; durch den Mund erst, wenn der Patient klar ist und normal schluckt. Wichtig ist eine ganz allmähliche Erwärmung des stark abgekühlt gewesenen Körpers. Eventuelle örtliche Erfrierungen erheischen unsere besondere Aufmerksamkeit und sollen kunstgerecht aufgetaut werden ( kaltes Wasserbad, kalte Kompressen ).

Der Abtransport des Geretteten muss schonend sein und sollte erst erfolgen, wenn sein Zustand gesichert erscheint. Die Nachbehandlung ist Sache des Arztes; es muss speziell auf die Gefahr der Pneumonie und Trombose geachtet werden.

Helfen aus Gefahr und Not ist eine hohe Aufgabe des Menschen. Es genügt dazu aber nicht überall nur der gute Wille. Man muss sich im voraus die nötigen Kenntnisse aneignen, um eine rasche und wirksame Hilfe leisten zu können.

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