«In Polen gibt es auch Schnee, aber nicht wie auf der Grimsel»
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«In Polen gibt es auch Schnee, aber nicht wie auf der Grimsel» Vom flachen Polen in die Schweizer Berge

Der Pole Damian Jagielik arbeitet als Monteur auf hochalpinen Baustellen. Er hat Respekt vor Lawinen, schätzt die Landschaft und liebt Helikopterflüge. Und manchmal vermissen er und seine Familie das Flachland und die polnische Mentalität.

Das Haus liegt in Innertkirchen hinter der riesigen Freiluftschaltanlage der Kraftwerke Oberhasli. Die Hochspannungsleitungen prägen das Dorf ebenso wie die Berge, die sich ringsum erheben. In Innertkirchen trennt sich die Strasse Richtung Susten- und Grimselpass. Weit hinten schimmern die Felsen in der fürs Grimselgebiet typisch grünlichen Farbe. Rasch öffnet eine junge Frau mit einem kleinen Bub auf dem Arm die Türe, und ein Mädchen streckt neugierig seinen Kopf heraus. Es ist die Familie von Damian Jagielik. Während Alicja Jagielik und ihre Kinder den Besuch herzlich empfangen, scheint ihn das Interesse an seiner Person ein bisschen verlegen zu machen.

In Dutzenden SAC-Hütten gearbeitet

Doch als der 32-Jährige am Tisch im Wohnzimmer sitzt und vom Winter und vom Schnee erzählt, ist die Scheu verflogen. Man spürt eine Mischung aus Faszination und Respekt. «Im letzten Winter lagen auf der Grimsel 20 Meter Schnee, er reichte bis in den zweiten Stock», sagt er. Damian Jagielik stammt aus Polen, seine Frau Alicja ebenfalls. Er spricht gut Deutsch, aber manchmal fehlt ihm ein Wort, dann hilft sie danach suchen. «In Polen gibt es auch Schnee, aber nicht wie auf der Grimsel», sagt er. Dort hat er im letzten Winter geholfen, das Hotel Grimsel Passhöhe umzubauen. Es liegt auf 2170 Metern über Meer am Totesee und wurde diesen Frühling neu eröffnet. Walter Brog, Gemeindepräsident von Innertkirchen, Unternehmer und Hansdampf in allen Gassen, hat es gekauft.

Walter Brogs Unternehmen ist auf Wasser- und Energieversorgung im Hochgebirge spezialisiert, Damian Jagielik ist als Monteur bei ihm angestellt. In Dutzenden SAC-Hütten haben sie Projekte realisiert. Jagielik zählt auf: Tierbergli, Konkordia, Monte Leone, Trift, Windegg. Es seien noch viele mehr, aber alle kämen ihm nicht in den Sinn. «Wir fliegen oft mit dem Helikopter», sagt er, und seine Augen leuchten. Seit er für Walter Brog arbeitet, gehört Helikopterfliegen zu seinem Arbeitsalltag. Denn die Bauarbeiter werden jeweils in die Hütten geflogen. Wenn es viel Arbeit gibt, bleiben sie die ganze Woche oben. Meistens kocht dann jemand für sie. Im letzten Winter auf der Grimsel ist der Koch ausgefallen, da hat Jagielik für alle gekocht: Suppen, Fleisch und Gulasch.

Manchmal machen ihm die Schneemassen auch Angst, er weiss um die Lawinengefahr. Einmal arbeitete er mit zehn anderen Leuten in der Tierberglihütte. «Es war Wochenende, und alle wollten runter», sagt er. Wegen des schlechten Wetters konnte der Helikopter nicht fliegen. Ein älterer Schweizer habe dann alle ans Seil genommen und sie durch den tiefen Schnee ins Tal geführt. Damals habe er sich vor dem Schnee gefürchtet, das sei ihm geblieben. Und kann er auch Ski fahren? Nein, aber das würde er gerne. Nur habe ihm bisher die Zeit gefehlt, es zu lernen.

«Es ist hier schön und dort schön»

Jagielik ist in Zielona Góra aufgewachsen. Auf Deutsch heisst die Stadt Grünberg, sie liegt in der Woiwodschaft Lebus an der Grenze zu Deutschland. Der Vater arbeitete auf einem staatlichen Bauernbetrieb, die Mutter hielt Hühner zum Nebenverdienst. Nach der Schule lernte Jagielik Elektriker, später arbeitete er zwei Jahre in Deutschland. «In der Schweiz ist es am besten», habe man ihm gesagt. Er bewarb sich bei einem Temporärbüro und kam auf eine Baustelle in einem grossen Hotel in Davos. Es war Winter. «Da habe ich zum ersten Mal die Berge gesehen», sagt er. «Sehr grosse Berge. Wunderschön.»

Dort, wo er herkommt, ist es «schön flach», wie er sagt. Und wo gefällt es ihm besser? «Es ist hier schön und dort schön.» Dreimal pro Jahr fährt die Familie nach Polen. Und dass sie sich auch hier wohlfühlt, ist nicht selbstverständlich, wie das Beispiel von Jagieliks Mutter zeigt: Als sie ihn in Innertkirchen besuchte, fuhr sie mit einem seiner Brüder über den Brünig. Das hat ihr gereicht. «Ich wollte ihr das neue Hotel auf der Grimsel zeigen», sagt Damian Jagielik. Aber alles Zureden nützte nichts mehr, seine Mutter wollte nur noch nach Hause. Ihm nimmt man es aber ab, dass es ihm in den Bergen gefällt. Jedenfalls weiss er die alpine Umgebung seiner Arbeitsorte zu schätzen. «Die Leute zahlen viel Geld, dass sie dort oben sein können. Wir haben es einfach gratis», sagt er.

Eine andere Mentalität

Seit vier Jahren leben die Jagieliks zusammen in Innertkirchen. An einem Weihnachtsessen hatte Walter Brog Damian Jagielik eine Feststellung angeboten und vorgeschlagen, dass er seine Familie hierherholt. Das Paar lobt die Ruhe in Innertkirchen. «Vor allem im Winter, wenn die Passstrassen zu sind.» Auch im Sommer geniessen sie die schöne Umgebung. «Manchmal fahren wir mit den Kindern an den Engstlensee zum Baden», sagt Jagielik.

Einfach ist es dennoch nicht. Die Familie und die Freunde fehlen, und in Innertkirchen Anschluss zu finden, scheint nicht leicht. «Es ist eine andere Mentalität», sagt er. Sie redet Klartext: «Die Leute sind nicht spontan, man muss immer zuerst anrufen und fragen, ob man zum Kaffee kommen kann.» Für die Sommermonate hat Jagielik Kollegen aus Polen geholt, die auch für Brog arbeiten. Diese Gesellschaft geniesst das Paar. Im Winter wird der Monteur wieder im Hotel Grimsel Passhöhe arbeiten, denn es soll noch mehr gebaut werden. Im Dorf wird es dann ruhig sein, und auf der Grimsel wird sich der Schnee wieder meterhoch türmen.

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