Kampf um die Perlen der Landschaft
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Kampf um die Perlen der Landschaft

In den 1960er-Jahren engagierte sich der SAC an vorderster Front für den Erhalt der schönsten Landschaften der Schweiz. Heute sind diese durch das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) geschützt. Nun wirft eine Revision neue Fragen auf. Braucht es mehr Schutz? Oder macht die Energiewende Kompromisse nötig?

«Es waren hervorragende Kenner von Natur und Landschaft der Schweiz, die den Schutz der Natur sehr ernst genommen haben», sagt Klaus Ewald über die Mitglieder der «Kommission für die Inventarisation schweizerischer Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (KLN)», die in den 1960er- und 1970er-Jahren die ihrer Meinung nach schönsten Naturlandschaften inventarisierten. Dabei lancierten sie den Kampf um den Schutz dieser Naturräume, die die Schweiz charakterisieren, um sie für die Zukunft zu erhalten. Ewald, bis 2006 Professor für Natur- und Landschaftsschutz an der ETH in Zürich, muss es wissen: Von 1974 bis 1988 war er selbst Mitglied der KLN. Gebildet wurde sie von Vertretern des Schweizerischen Bunds für Naturschutz (heute Pro Natura), der Schweizerischen Vereinigung für Heimatschutz – des Schweizer Alpen-Clubs.

«Sagen, was unantastbar ist»

Die Lage schien bedrohlich. Im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg jagten sich die Erschliessungsprojekte, das Land lechzte nach Energie, schnellen Verkehrswegen und touristischer Erschliessung. Den Startschuss hatte eine Niederlage gegeben: 1954 lehnte das Schweizer Volk die Rheinau-Initiative ab. Mit dieser hatten Landschaftsschützer den Aufstau des Rheins und die Verminderung der Fallhöhe des Rheinfalls verhindern wollen – und hatten an der Urne keine Chance. Die Lehre war klar: «Man darf nicht wieder zu spät kommen», erklärte der Baselbieter Geologe und Heimatschützer Hansjörg Schmass­mann noch im selben Jahr: «Es braucht ein Inventar aller Landschaften der Schweiz, die uns ohne jede Einschränkung und Vorbehalt teuer sind. Wir müssen ganz klar sagen, was für den Natur- und Heimatschutz als unantastbar gelten muss.»

Abkehr von Hierarchien und Tabus

Die Kommission, die ehrenamtlich arbeitete und ihr Inventar mit Bleistift, Schere und Karte zusammenstellte, hatte Erfolg. Die Argumentation der Landschaftsschützer, zuvor noch als Käuze und Romantiker verlacht, verfing in höchsten Kreisen. «Die Gefahren haben einen derartigen Umfang angenommen, dass sie in beunruhigendem Mass die landschaftliche Eigenart des Landes berühren», hielt der Bundesrat 1961 fest. Nach nur vier Jahren Wochenendarbeiten übergab die KLN 1963 dem Bundesrat ihr Inventar. 1967 trat das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz in Kraft, 1977 wurde eine erste Serie von Objekten vom Bund in das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) übernommen.

Heute sind 19% der Schweizer Landesfläche im BLN aufgelistet. Ihr Erhalt ist Bundesaufgabe. Nun wird die Verordnung über die BLN modernisiert. Denn der Zeitgeist hat sich gewandelt. Um die «Erhabenheit der Landschaft» sei es den Initianten der KLN damals gegangen, sagt Ewald. Heute könne man mit solchen Begriffen nicht mehr viel anfangen: «Die Gesellschaft hat sich von Hierarchien und Tabus abgewandt.» Anstelle des durchaus auch patriotisch motivierten Landschaftsschutzes der damaligen Zeit sind konkretere Schutzziele getreten. Es geht um den Schutz von Arten und ihren Lebensräumen, um die Artenvielfalt in der Kulturlandschaft, um den Erhalt der Dynamik natürlicher Prozesse. «Diese Dinge kann man einfacher in Zahlen und Gesetzen ausdrücken», sagt Ewald.

Den Gesamteindruck der Landschaft erhalten

Die Revision der Verordnung trägt dem Rechnung. Der ökologische Wert der BLN-Gebiete wird genauer definiert, einzelne Ökosysteme werden aufgelistet, konkrete Schutzziele definiert. Was den Schutz der BLN-Gebiete aufwerten soll, kann aber auch neue Probleme mit sich bringen. Zwar sehe er die neue Verordnung durchaus positiv, sagt Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Aber: «Wenn es um die Landschaft als Ganzes geht, zeigt sich eine grosse Hilflosigkeit.» Für ihn ist eine Landschaft mehr als eine Ansammlung von ökologisch wertvollen Standorten. «Es nützt wenig, wenn alle Lebensräume für sich erhalten bleiben und dazwischen eine Hochspannungsleitung das Landschaftsbild zerstört», sagt er. Werte wie Ruhe und Unberührtheit müssten stärker berücksichtigt und aktiv gefördert werden: Man solle in den BLN nicht nur den Status quo schützen, sondern auch darauf hinarbeiten, die Unberührtheit wiederherzustellen, wo sie gestört werde – etwa durch Motorenlärm.

René Michel, Ressortleiter Umwelt im SAC-Zentralvorstand, sieht dies ähnlich. Auch er begrüsst die Revision grundsätzlich, fordert aber den Fokus auf die Landschaft als Ganzes. Naturgemäss legt der SAC dabei den Schwerpunkt auf die alpinen BLN-Gebiete. Als Vertreter des Bergsports gehe es dem SAC weniger um einzelne Biotope, sondern vielmehr um die Erhaltung der wilden Bergwelt an sich: «Wir wollen den Gesamteindruck erhalten, den wir als Bergsteiger als wichtig empfinden.» Werde dieses Ziel nicht ausdrücklich festgeschrieben, könne der Landschaftsschutz aufgeweicht werden, indem man Grossprojekte mit ökologischen Ausgleichsmassnahmen zu kompensieren versuche. «Am Ende zäunt man ein Moor ein und baut zehn Meter nebendran einen neuen Skilift», sagt er.

Angst vor strikten Verboten

Ob sich der SAC und die Umweltverbände mit ihren Forderungen durchsetzen können, ist indes fraglich. Politiker aller Couleur drängen darauf, im Zuge der Energiewende die Produktion von «grünem Strom» in den BLN ausdrücklich zu erlauben – oder zumindest einer Interessenabwägung zu unterziehen. Und in den Bergkantonen befürchtet man weitere Einschränkungen der lokalen Wirtschaft. So läuft derzeit eine Petition gegen «einseitigen Landschaftsschutz», die von Wirtschaftsorganisationen, Swiss Snowsport und dem Schweizerischen Bergführerverband lanciert wurde. Sie kritisiert die Schutzmassnahmen als veraltet und verlangt, dass die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der ländlichen Regionen und Berggebiete stärker berücksichtigt wird.

Zwar habe man bis heute keine Probleme mit den BLN-Gebieten, sagt Pierre Mathey, Präsident des Schweizer Bergführerverbands. Er befürchtet jedoch, dass das Inventar Umweltorganisationen als Instrument diene, um strikte Verbote durchzusetzen: Als Beispiel nennt er die Bestrebungen, das Heliskiing in BLN-Gebieten zu untersagen. Damit werde das BLN missbraucht: «Das ist nicht akzeptabel und darf den Dialog zwischen den Interessengruppen in Zukunft nicht mehr beeinträchtigen.»

«Der Druck nimmt zu»

Der SAC unterstützt die Petition nicht. Zwar liege die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Berggebiet auch dem SAC am Herzen, sagt René Michel. Zwischen den Interessen der Petitionäre und jenen des SAC gebe es aber grundsätzliche Unterschiede – etwa wenn es um motorisierte Freizeitbeschäftigungen gehe. Entscheidend ist für Michel aber eines: «Die Petition wirft alle Arten von Schutzgebieten in einen Topf.» Die BLN-Gebiete zeichneten sich gerade dadurch aus, dass sie frei zugänglich seien und von der lokalen Bevölkerung ohne grosse Einschränkungen genutzt werden könnten – dies im Gegensatz zu strikter geschützten Gebieten wie den eidgenössischen Jagdbanngebieten.

Schwieriger sei die Linie zu ziehen, wenn es um alternative Energien gehe. «Windräder und Staumauern sind für uns nicht kategorisch ein No-Go», sagt Michel. Aber: «Es ergibt keinen Sinn, auf jedem Hügel ein Windrad aufzustellen.» Wenn Eingriffe nötig seien, müssten diese gut abgeklärt und regional klar begrenzt werden. «Vielleicht ist es manchmal besser, ein Gebiet zu opfern, als flächendeckend alle Wasserfälle in Rohre zu leiten», sagt er. Dies komme aber nur infrage, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien und es keine alternativen Standorte gebe, an denen bereits Infrastrukturen bestehen und das Konfliktpotenzial gering ist.

Dass die Energiewende zur Gefahr für die BLN-Gebiete werden könnte, befürchtet auch Raimund Rodewald. «Der Druck nimmt zu», sagt er. Aber auch der Ausbau der erneuerbaren Energie müsse Grenzen haben. Solange die Gesellschaft als Ganzes ihren Energieverbrauch nicht drossle, werde der positive Effekt von Wind- und Wasserkraftanlagen schnell verpuffen. Für Rodewald ein Worst-Case-Szenario: «Am Ende haben wir die Landschaft mit Windrädern und Staumauern zugebaut und brauchen immer noch Atomkraftwerke.» Dass es wirklich so weit kommt, glaubt er aber nicht: «Das macht die Bevölkerung nicht mit», ist er überzeugt. Dieser seien die Landschaften der Schweiz nach wie vor wichtig: «Daran kommt die Politik nicht vorbei», sagt er – und verweist auf den Erfolg der Zweitwohnungsinitiative.

BLN-Gebiete, Wildruhezonen undJagdbanngebiete: die Unterschiede

Das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) umfasst viele unberührte Gebiete in den Alpen, zum Inventar gehören aber auch besiedelte und von der Landwirtschaft geprägte Gebiete im Mittelland und im Jura. BLN-Gebiete kennen grundsätzlich keine Einschränkungen für den freien Zugang. Sie sind teilweise aber von eidgenössischen Jagdbanngebieten und Wildruhezonen überlagert, wo die Situation anders aussieht: In Jagdbanngebieten ist freies Zelten und Campieren verboten, Ski- und Schneeschuhtouren sind nur auf den ausgewiesenen Routen erlaubt. Rechtsverbindliche Wildruhezonen dürfen während der Schutzzeit (meist im Winter) nur auf erlaubten Wegen und Routen begangen werden. Daneben gibt es empfohlene Wildruhezonen.

Der Bund unterscheidet vier Kategorien von BLN-Gebieten:

E

ihrer kulturellen Bedeutung einzigartig sind. Beispiele sind das Matterhorn oder die Berner Hochalpen.

F

beispielhaftes Gebiet unter Schutz. Dazu gehört etwa der Chasseral.

G

fallen unter anderem die Oberengadiner Seenlandschaft.

N

etwa der Gletschergarten in Luzern oder der Luegibodenblock bei Habkern.

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