Kleine Bergwanderung in Iran
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Kleine Bergwanderung in Iran

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Von Caspar Zieger

Mit 3 Bildern ( 163—165Tehran ) Zwei freie Tage bieten die Möglichkeit, der staubigen Sommerhitze Tehrans zu entfliehen. Da kein Wanderkamerad aufzutreiben ist, gehe ich eben allein, und aus Mangel an Training nur mit dem Allernötigsten, d.h. in leichter Hose, Hemd und Mütze, kaum beschwert durch Lismer und Photoapparat. In eine ausrangierte britische Camionnette, die als öffentliches Verkehrsmittel über Land dient, werden die Hälfte mehr Leute gesetzt, als Plätze KLEINE BERGWANDERUNG IN IRAN sind. Als nach einer langen Wartezeit mit dem besten Willen niemand mehr hineingepfercht werden kann, fahren wir ab, erst eine kleine Strecke auf der asphaltierten Nationalstrasse, dann abzweigend längs einer Eselspiste. In allen Gelenken ächzend überwindet der Wagen die Furchen der riesigen, flachen Schuttkegel, die vom Eibursgebirge heruntergeschwemmt wurden. Hin und wieder überholen wir eine Gruppe Lasteseichen, die mit leeren Holz-gattern hurtig trippelnd einen schlafenden Bauernjungen vom morgendlichen Lieferungsritt in die Stadt zurück nach Hause tragen. Aus der kahlen Wüste ringsherum stechen in der Ferne als einzelne dunkle Flecken die Dörfer hervor.

Nach eiaer halben Stunde haben wir schon unser Fahrtziel Kand erreicht. Bewässerungsrillen kreuzen die Piste und müssen vorsichtig überquert werden. Staubige Gässchen winden sich zwischen Lehmmauern. Gruppenweise entsteigen die Fahrgäste. Ihr Gepäck wird vom Verdeck abgeladen, auf dem der Hilfsbub des Chauffeurs sich während der ganzen Fahrt festgeklammert hatte.

Nun bin ich auf meine Füsse angewiesen, so ich nicht einen Esel beanspruchen wil. Eine halbe Stunde geht es herrlich schattig zwischen Obstgärten, bald durch steinige, staubige Wege zwischen Lehmmauern, über welche sich mitunter der Blick auf ein Meer von blühenden Granatäpfel-bäumen öffnet, bald durch einen Fusspfad, unter Platanenreihen neben einem kühlen Wassergraben. Vor einer alten Mühle ruht sich der Besitzer aus, während die Glockentöne aus dem Innern anzeigen, dass alles in Ordnung ist, dass die Schüttelrinne das Korn zentrisch dem raschlaufenden Mahlstein zuführt, aus dem es als Mehl herausgeschleudert wird.

Eine Bo£;enbrücke aus Ziegeln mit steilen Zugängen aus Bollensteinen vermittelt den Übergang über den Gebirgsbach. Im Spätwinter schäumen seine Fluten rut wilder Gewalt daher, jetzt im Frühsommer hat er noch etwas ÜberschusswE sser, aber in einem Monat wird alles kostbare Nass schon weiter oben, beim Austritt aus der Gebirgsschlucht, für Bewässerungen abgeleitet werden.

Eine dunkle Gruppe riesiger Maulbeerbäume spendet willkommenen Schatten und süsse weisse Früchte, doch weiter sticht die schon hoch stehende Sonne unbarmherzig auf die kahlen Schutthänge, denen der Eselspfad in die Berge hinein sich entlangzieht. Wie ein Riss öffnet sich eine Schlucht in dem gewaltigen Bergmassiv, das als geschlossene Mauer die persische Hochebene im Norden um Tausende von Metern überragt. Bald entschwindet die grüne Bau noase hinter mir. Trockene, kahle, wetterzerborstene Felswände steigen unmittelbar vom wasserreichen Wildbach auf, der bald zwischen abgestürzten Blöcken sich durchdrängt, dann wieder unter hohen Felswänden stille, tiefblaue Becken bildet oder über Kiesgrund dahinrieselt. Unmittelbar am Wasser grünt ein schmales Band von Weiden, an deren Zweigen der Bach zerrt, und andern Sträuchern; aus einer Felsritze zwängt sich ein wilder Feigenbaum, doch schon einen Meter höher vermögen auch die anspruchslosen Wüsten-pflanzen nur zu serbeln. Der Pfad steigt und fällt, wie das Gelände ihn zwingt, steil über vert rannte Schuttriegel, in Plattenstufen längs Felshängen, manch- mal auf Pappelholz und Bruchsteinmäuerchen hoch über dem Wasser. Über eine Stunde weit windet sich die Schlucht, wenig steigend, in das Bergmassiv hinein. Kaum einige überhängende Felsen bieten Schutz vor der Sonnenglut. Dann wird die Gegend etwas wirtlicher. Auf einem kleinen Talboden ist eine bewässerte Pappelpflanzung angelegt. Während der Eselspfad steil über einen hohen Schuttrücken ansteigt, folge ich dem Fusspfad längs des Baches. Bald wandere ich zwischen bewässerten Terrassen im Schatten von Weichsel- und Nussbäumen. Zikaden zirpen ohrenbetäubend; Dutzende sitzen auf einem Strauch als böse Schädlinge des weichen Holzes, das ihre Larven mit Gängen durchziehen, und lassen sich mit den Händen greifen, wie auch die Falter und Libellen unserer bekannten Arten.

Bald wird ein Dorf erreicht. Steile Gässchen und Steintreppen führen zwischen den beinahe fensterlosen Häusern aus sonnengetrockneten Ziegeln mit Strohlehmputz dahin. Pappelrundholz und Reisig trägt die Lehmschicht der Dächer, auf denen allerorten Steinwalzen bereit liegen zur Instandhaltung während der Regenzeit. Über dem Dorf am Berghang steht das « Kaffeehaus », ein Raum mit gedecktem Vorplatz. Höflich räumen der Inhaber und ein Dörfler mir auf dem einzigen kleinen Teppich den Ehrenplatz ein. Der Sitte gemäss ziehe ich, bevor ich mich mit untergeschlagenen Beinen hinsetze, meine Fussbekleidung aus, was schnell gemacht ist, trage ich doch einheimische Bergschuhe: dicke Sohle aus blaugefärbten Stoffresten, vorn und hinten mit Schafleder verstärkt, Oberteil aus schmiegsamem BaumwoJl-zwirn, rings mit Schafleder eingefasst zum Schutz gegen die Steine. Wie auf Kletterschuhen läuft man unbeschwert, sicher und weich über das Gestein, der ungehinderte Luftzutritt verhindert jede Erhitzung des Fusses und die gebrochene Wölbung der Sohle verleiht selbst meinem schwachen Senkfuss die Stütze, die ich bei Fabrikerzeugnissen vermisse.

Heisser Tee in kleinen Gläschen ist hierzulande Weltmeister im Durstlöschen. Vor dem Trinken steckt man kleine Stückchen Stockzucker in den Mund, so süsst er besser, kein Krümchen geht verloren, und ein Löffel ist auch überflüssig. Höflich und gemessen unterhalte ich mich mit dem Dörfler, den ich mit zwei Gläschen Tee luxuriös bewirte. Ausser dem unvermeidlichen Samovar und dem abgeschabten Fell eines Steinbocks enthält der Hinter-raum nichts. Doch werden auf meinen Wunsch aus dem Dorfe bald dunkles Fladenbrot und weisser Schafskäse gebracht. Inzwischen schweift mein Blick über den grünbewachsenen Talboden hin, auf dem Getreide und Obstbäume wachsen. Durch die Mitte zieht sich das wüste Geröllbett des Wildbaches, und die Berghänge streben unvermittelt kahl zu den hohen Kämmen.

Nach einer kurzen Rast folge ich dem Eselspfad weiter und steige stundenlang an kahlen Schutt- und Felshängen durch ein Seitental hinauf. Hin und wieder wechsle ich ein paar Worte mit Berglern, die mit ihren Lasteseln Holz herunterführen. Dabei bemühe ich mich, das Gemurmel meiner Begrüssungs-formeln nicht kürzer ausfallen zu lassen als das meiner höflichen Gesprächspartner. Immer wieder wundert man sich über mein Alleinsein, so spreche ich denn von Freunden, die hinter mir folgen sollen. Wo nur die geringste Möglichkeit dazu besteht, werden Wasseradern vom Wildbach abgeleitet und KLEINE BERGWANDERUNG IN IRAN längs der Berghänge zu einem Fleckchen Erde geführt, wo ein paar Dutzend Pappeln, Weichsein oder ein paar Reihen Gurken wachsen können. Natürlich zerstören dis Frühlingshochwasser alljährlich die Fassungen und oft wohl auch die Rinnsale selbst, die dann mit vieler Mühe wiederhergestellt werden müssen. Und wie karg ist der harten Arbeit Lohn!

Weiter steigt der Pfad hoch über einen Felsriegel, durch den der Bach in einer tiefen Spalte tost, über der ein riesiger Block als Naturbrücke eingezwängt hängt. Eine Gruppe weisser Schafe mit dem riesigen Fettschwanz ihrer Rasse und langhaarige schwarze Ziegen haben vor den brennenden Sonnenstrah en in einer Felshöhle Schutz gesucht. Hart daneben hat eine fleissige Hard Berghirse an der Sonne zum Trocken ausgebreitet.

Bald weitet sich das Tal wieder ein wenig, ich treffe Bäume, sehe Äcker unter mir, en alter Mann bessert eine Wasserrinne aus, zwei kleine Buben berieseln Felder, ein Bursche steht an einem Rain und « jodelt » nach Herzenslust in die v'eite Welt hinaus. ( Man verzeihe mir, wenn ich den Ausdruck « jodeln » gebrauche, aber die Kehl- und Kopftöne der persischen Hirtenweisen, obwohl für rieine Ohren weniger ansprechend als die heimatlichen Klänge, sind denselben doch durchaus wesensverwandt und wie diese in der Einsamkeit der Natur besser am Platze als in den volkreichen Städten. ) Endlich erreiche ich mein heutiges Tagesziel und betrete die steinigen Gassen von Sengân. Die Dorfjugend läuft dem seltenen « Ferengi » ( als Franken bezeichnet man in Iran die Fremden seit den mittelalterlichen Kreuzzügen ) auf Schritt und Tritt nach. Da mir die Zunge am Gaumen klebt, erkundige ich mich nach dem Kaffeehaus. « Niest!»— « Es gibt kein 's », heisst 's im Kreis, unter gleichzeitigem Heben des Kopfes, Schliessen der Augen und hellem Schnalzen. Das Teehaus? Niest! Ein Laden? Niest! Irgendein Ort, wo man etwas trinken kann? Niest! Ich fange an, ungeduldig zu werden! Als ich jedoch zu versichern beginne, dass ich mit Geld zahlen werde und solches auch vor-zeige, führt mich ein besonders aufgeweckter Bub auf ein Lehmdach, wo eine Gruppe alter Weiber mit dem Spinnrocken sitzen. Eine junge Frau bringt ihren einzigen Kelim ( gewobenen Teppich ) aus ihrer Behausung, schüttelt ihn, und schon ist ein Ehrenplatz für mich bereit. Nachdem ich eine Tomannote ( etwa einen Franken ) für Tee, Brot und Schafskäse vorgestreckt habe, hockt sich die Dorfjugend in geziemendem Abstand um mich und bestaunt mich wie einen Affen im Zoo. Bemerkungen über meine Ausrüstung werden flüsternd ausgetauscht, insbesondere über die beiden Brillen, die ich trage, eine weisse und eine Sonnenbrille, den Photoapparat und den « Fernseher ». Die Verständigung ist nicht ohne Schwierigkeiten, wegen meiner mangelhaften und städtischen Aussprache, weil einige von ihnen besser türkisch reden und wegen der Beschränktheit ihres Gesichtskreises. Schule, Kirche oder Mollah gibt es nicht, dafür eine Art Kapelle mit einem Begräbnisplatz ( Friedhof kann man die ungepflegte Stätte kaum bezeichnen ) mit einigen originellen, behauenen Steinmälern. Ein Scheich soll die Kinder etwas unterrichten. Die Verhältnisse sind so, wie sie Jeremias Gotthelf beschreibt, ein primitiver Schulbetrieb mit Kindern verschiedener Altersstufen in einem ungeeigneten Raum gegen Naturalentschädigung. Was der relativ stattliche Raum mit dem Walmdach yv.'î » aus Rundholz und rotgestrichenem Blech sei? Ein Hosseinieh! Doch wie ich weiter frage, wozu er diene, lacht man mich ob solch einfältiger Frage aus. Später erfuhr ich, dass dort an den religiösen Haupttrauertagen für den Tod der Kalifensöhne Hossein und Hassan die Männer sich zur Erinnerungsfeier zusammenfinden und sich in Selbstkasteiungen schlagen und Wunden beibringen. Doch dient der Platz auch für andere öffentliche Angelegenheiten.

Ich weiss wohl, dass man im Orient nie Ungeduld nach dem Tee äussern soll, damit das Wasser im Samowar auch richtig sieden kann, doch wird meine Langmut auf eine harte Probe gestellt, als nach einer Viertelstunde die junge Frau sich nähert, um mich zu fragen, was ich nun eigentlich mit dem Geld zu kaufen befehle. Doch Ende gut, alles gut! Ein Alter aus Tehran, der hier in der Sommerfrische weilt, gesellt sich zu mir, macht die Honneurs, bedient den Samowar und spült fein säuberlich die Tassen erst mit kochendem Wasser, was mir, mit Rücksicht auf die vielen tränenden und rotentzündeten Augen um mich herum, äusserst angezeigt erscheint. Statt Zucker gibt es gelbe Zeltli zum Tee, das Brot ist dunkel und der Schafskäse wird durch die vielen darauf-sitzenden Fliegen nicht appetitlicher. Zwei frische Eier verschafft mir der aufgeweckte Bub, der mir dafür einen Wucherpreis verrechnen darf. Man staunt, als ich sie nicht gekocht haben will, und wundert sich, wie ich damit wohl fertig werden möchte. Als ich sie ausgetrunken weglege, glaubt man sie noch voll und ergibt sich erst einem genauen Augenschein. Nachdem ich meinen Durst und den gröbsten Hunger gestillt habe, lädt mich der Alte ein, die Nacht bei ihm zu verbringen. Es drängt mich, aus dem Kreise der gaffenden Jugend herauszukommen. So steige ich aus dem Dorfe durch Obstgärten auf eine kleine Anhöhe, die mir einen hübschen Überblick auf die in der Talmulde gelegenen Weiler und ihre Pflanzungen bietet. Äpfel, Birnen, Quitten, Weichsein, Walnuss, Pfirsiche, Aprikosen steigen hier bis auf 2000 Meter Meereshöhe. Die Granatäpfel und Feigen sind dagegen unten am Fusse der Berge bei 1400 Meter steckengeblieben. Die Weizenfelder sind schon jetzt, Mitte Juni, am Reifen. An einem einsamen Plätzchen, im Schatten von Walnussbäumen und Platanen, nehme ich ein erfrischendes Bad in den eisigen Wellen des klaren Baches und verträume dann ein paar Stunden im spärlichen Gras.

Gegen Abend melde ich mich bei meinem gastfreundlichen Alten. Er hat sein weisshaariges Mütterchen bei sich ( wie hat die gichtige Greisin den sechsstündigen Eselsritt hier herauf aushalten können ?) und ist scheinbar selbst bei einem Einheimischen zu Gast einquartiert. Eine mannshohe Umfassungsmauer aus runden Steinen umschliesst den Hof, auf den sich ein paar Räume öffnen, die je nach Bedarf Mensch, Tier oder Vorräten dienen können. Durch den Hof fliesst ein Wässerlein, das allen häuslichen Verrichtungen zugute kommt. An Mobiliar sind da: eine Wiege mit Entwässerung in der Mitte, eine hölzerne, bemalte Truhe mit Beschlägen aus Benzinkannen-blech und natürlich als Wichtigstes ein paar grobe Teppiche, die als Sitz, Tisch, Lager und Bett dienen. An Gerät und Geschirr das Allernötigste: ein Samowar aus Messing, eine mehrmals geheftete Porzellanteekanne, mehrere Gläschen, irdene Teller und Schüsseln, ein Plateau aus BP-Blech, eine schön KLEINE BERGWANDERUNG IN IRAN gedrechselte, riesige, federleichte Holzschale zum Reinigen von Reis und Getreide. Mil; einem kleinen Beil zerstückelt die Hausfrau weissen Stockzucker für mich und dunklen Rohzucker für die Ihrigen. Für Brot und Käse braucht man kein Messer, und an Stelle der Gabel tritt die eigene fünfzinkige. Löffel werden gebraucht, sofern jemand zu zimperlich ist, um den Reis oder die Mehlsuppe mit Stücken des kaum zentimeterdicken Brotes auf tunken zu können. Und endlich, worauf ich schon den ganzen Tag lechze, bekomme ich meine kaum angesäuerte, volle Schafsmilch, mit Wasser und etwas Salz angerührt, ein nahrhaftes und gesundes Sommergetränk.

Auf einem der Lehmdächer hat mir mein Freund königlich gebettet: ein Kelim, eine leichte Matratze, zwei schöne Kissen, zwei saubere Stepp-decken. Ich gratuliere mir zu meinem Glück, einen solchen Gastfreund gefunden zu hauen, und habe Mühe, ihm die Hälfte als überflüssig wieder zurückgeben zu können. Dann wickle ich mich gut ein, und meine Schuhe werden unter die Matratze gesteckt, damit nicht etwa stöbernde Hunde sie fortschleppen. Kahler Wind streicht über die Pappelwipfel über mir, während der Vollmond hinter den Bergen aufsteigt und die fliehenden Wolken silbern beleuchtet. Gegen Mitternacht fallen einige Regentropfen, auf die niemand achtet. An allen Enden des Dorfes heulen die weissen Schäferhunde mit den gestutzten 01 ren, aber der Wolf, der letzte Nacht einen Alarm verursacht hatte, meldet sich nicht wieder. Mit der Morgendämmerung fängt eine Nachtigall an zu schlagen, bis ihre virtuosen Variationen von den monotonen Motiven anderer Sänger übertönt werden.

Am Morg en schaue ich zu, wie den Lasteseln auf kurze Zeit der Tragsattel abgenommen wird, der sie sonst nie verlässt. Er ist aus alten Teppichstücken zusammengenäht und mit Stroh ausgestopft. Nach dem Striegeln der Tiere werden die offenen Sal tel- und Gurtendruckstellen und harten Widerriste mit Motorenöl eingerieben. Las sind wenigstens Ansätze zu einer Behandlung, aber bei den entzündeten Augen der Kinder sehe ich keine solchen. Kinder tragen ja auch weniger ein. Zum Frühstück trinken meine Gastfreunde erst ein Gläschen heisses Wasser mit Zucker, dann erst den Tee, diesmal besonders stark gesüsst. Leider eröffnet mir die weisshaarige Alte, ihr sechzigjähriger Sohn könne mich heute nicht führen, wie er es mir gestern versprochen hatte, da er dringende Arbeit habe. Seine Erklärungen über den Weg bleiben schleierhaft, da Distanz und Zeit hier keine messbaren Begriffe sind und logische Erörterungen über Dinge, die hinter der nächsten Wegbiegung liegen, schon ausserhalb de> Fassungsvermögens dieser einfachen Gemüter sind. Meine einzige Karte, auf die ich nicht wenig stolz bin, ist eine heliographische Kopie von einem alten Exemplar einer Karte von 1900, in grossem Maßstabe und rohen Zügen angenähert skizziert von einem Deutschen, der damals Post-direktor in T chran war. Bergzüge, Täler, Wasserläufe, Distanzen, Höhen sind lediglich als Schema aufzufassen und können richtig sein oder nicht. Trotzdem gehe ich auf gut Glück auf meine weitere Wanderung, die mich auf Umwegen in das Haupttal zurückführen soll. Zwei Stunden lang steige ich durch ein aussichtsloses enges Tälchen hinter einem zufällig des Weges gehenden Jungen mit seinem Esel daher, der den Schafhirten auf einer ent- f ernten Bergweide Vorräte bringt. Von einem Kamm rutschen wir mehr als dass wir gehen, eine steile, staubige Schutthalde hinab. Unten weist mich der Junge an, einem starken Bergbach entlang eine Schlucht hinabzugehen, unterhalb welcher, wie ich ihn verstehe, das Dorf liegen soll, wohin ich gelangen will. Pfadspuren sind im Gestrüpp und Gestein fast nicht mehr zu sehen, doch weist mir hin und wieder Eselsmist den Weg. Mehrmals durchwate ich knietief das reissende, eisige Wasser, wenn Felswände das eine Ufer unwegsam machen. Wo vierbeinige Esel durchkommen, werde ich es auch können, tröste ich mich. Doch je länger ich gehe, desto mehr verschwinden die Spuren, und selbst die Esel scheinen hier nicht mehr zu verkehren. Wohl zwanzigmal wechsle ich von einem Ufer zum andern, zwänge mich durch Weidengestrüpp und stolpere längs Geröllhalden hin. Die Felswände ragen beidseits steil in die Höhe und verwehren jede Orientierung, die Szenerie ist wild und romantisch, auf die Dauer für mich sogar zu abenteuerlich! Nach jeder Biegung der Schlucht hoffe ich, mein Dorf in einer Talmulde zu finden. Schon denke ich an Umkehr, ungern zwar, da wird die Schlucht etwas gängiger und ich finde abgeschnittene Kräuterbüschel. Kaum etwas weiter aber rücken die beidseitigen Felswände bis an das tosende Wasser. Vorwärts ist kein Weg mehr. Recht müde und entmutigt ersteige ich in der stechenden Sonne eine riesige Schutthalde gegen die Felsgipfel zu meiner Rechten, in der Hoffnung einen Überblick zu gewinnen. Da sehe ich plötzlich über mir Menschen beim Futterschneiden. Man winkt, auf persische Art mit der Handfläche nach unten, und ich steige zu ihnen hinauf. Ein armer Dörfler ist mit seinen zwei kleinen Buben am Wildheuen. Aus dem Schutte spriesst alle paar Meter ein grossblättriges Pflanzenbüschel. Abgesichelt, wird es getrocknet und zum Heimtragen aufgestapelt. Der Mann heisst mich zu ihm sitzen, wundert sich, woher ich mich hierher verschlagen habe, und ist erstaunt über den von mir zurückgelegten Weg. Und wie ich da in diesem weglosen, verlorenen Felstal neben ihm sitze, mit seiner langen scharfen Sichel, denke ich, dass meine Ausrüstung für diesen Menschen in seinem Elend ein Vermögen bedeutet. Er wohnt in dem Dorf, das mein Ziel ist. Es liegt hinter dem abweisenden Felsgrat auf der andern Seite meiner Talschlucht, die in meiner Karte gar nicht eingezeichnet ist. Ich hätte also dem Lauf des Baches nur ganz kurz folgen und dann steil nach links den hohen Felsrücken in das Haupttal hinüber queren sollen. Der Mann ist einverstanden mich zu führen, gegen Entschädigung für seinen Arbeitsausfall. Natürlich nützt er meine Lage ein wenig aus, und ich habe nichts dagegen und markte nur aus Prestigegründen, kommt es mir doch auf ein paar Franken nicht an. Doch als wir über den Preis einig sind, ist es plötzlich nicht mehr er selber, der mich führen soll, sondern sein älterer Bub. Eigentlich sieht er als Bergführer nicht sehr vertrauenerweckend aus, etwa zehnjährig, in zerrissener Kleidung, mit blossen Füssen, vor Schmutz starrenden Händen und einem von Narben entstellten Gesicht, in dem die eine Augenhöhle eine blutige Wunde ist und um das andere entzündete Auge Eiterkrusten kleben. Doch setzt er seine nackten Füsse rasch und sicher auf die scharfen Steinsplitter die Halde hinunter, quert den Bach ohne zu trinken, führt ein Stück KLEINE BERGWANDERUNG IN IRAN die Schlucht hinauf und steigt dann auf einer nur ihm bekannten Route die Felsen hinan. Seine Füsse haften auf dem glatten Stein, wo meine nassen Tuchsohlen gleiten. Wenn ich seinem Tempo nicht folgen kann, bleibt er stehen und schaut mit seinem einen, entzündeten Auge vorwurfsvoll zu mir herunter. U:n meine Atemnot zu bemänteln, schalte ich daher kleine Gesprächspausen ein und bin erstaunt über seine verständigen Antworten. Sein Alter weiss er nicit In die Schule ging er in das Nachbardorf, da habe sie einmal Feuer gefar gen, er habe auch Feuer gefangen und so sein Auge verloren, jetzt habe e° nur noch eines, und eine Schule hätten sie jetzt auch nicht mehr. Zwei Geisse i hätten sie und ein Schaf, die seien jetzt weit weg auf den Bergweiden. Jeden Tag gehen Vater und die beiden Söhnchen Futter schneiden und dörren und heimtragen, damit ihre Tiere im Winter etwas zu fressen haben.

Drei Viertelstunden klettern wir auf den zackigen Felsgrat, von dem aus unvermittelt der Blick sich auf das Haupttal und das Dorf Rendan öffnet, das wir leicht über steile Schutthalden hinunter erreichen. Würdevoll führt mich cer kleine Kerl auf die Lehmterrasse vor dem Hause seiner Eltern, doch kaum habe ich es mir am Boden bequem gemacht, herzlich froh, endlich meine müden Glieder etwas auszuruhen und meine nasse Fussbekleidung ausziehen zu können, so werde ich höflichst genötigt, mich anderswohin zu begeben. Im schattigen Baumgarten hat man schon einen groben Teppich gebreitet, Schafmilch, Brot und Tee werden aufgetragen. Solange mich Rast-bedürfnis und Durst zwingen, bleibe ich und lausche den Reden der Mutter. Im Winter liege der Schnee meterhoch, und kein Weg führe von diesem letzten Dorf hinab. Den Bub hätten sie nach dem Unglück nach Tehran gebracht, in das öffentliche Spital, sonst hätte er das andere Auge auch noch verloren. Eine blaue und eine weisse Medizin habe der Doktor mitgegeben für die weitere Behandlung. Aber sie habe so viel Arbeit und könne jetzt nicht nach Tehran Medizin holen i gehen. Post wird hier herauf nicht zugestellt, und in der Postfiliale in Kand, drunten in der Ebene, kenne man sie nicht und würde so etwas wohl « verloren » gehen. Ganz ruhig wird das gesagt, als ob es ganz selbstverständlich wäre, dass da ein armer kleiner Mensch blind werden kann, kaum dreissig Kilometer Li ftlinie von der Landeshauptstadt, wo Hunderte eleganter Amts-autos herum Htzen und Finanz- und Justizpaläste Millionen verschlingen. Ich bin betr Ibt, nicht helfen zu können, und mache mir Vorwürfe, nicht wenigstens eil wenig Jodtinktur bei mir zu haben. Ich gebe das wenige Geld, das ich entbehren kann, und verlasse bedrückt den Ort. Dann wandere ich durch eine herrliche, wilde Schlucht hinunter, wo der Pfad an die Felsen des Abgrundes wie geklebt ist, wo Wasserfälle über ausgeschliffene Steinschüsse in die Tiefe brausen, schwache Holzstege den Bach überschreiten und in den schattigen Kesseln Forellen flitzen. Leider stört mir mein Schuhwerk etwas den Genuss c ieser Wanderung und versagt mir den Dienst. Das viele Bergwasser, das ich ihm in unvorsichtiger und nachlässiger Art zugetraut habe, weichte das kaum gegerbte Schafleder auf, so dass es reisst und die Sohlen sich vom Oberschuh lösen. Riemen und Schnur geben eine Notbindung ab, und so schlarpe ich denn fünf Stunden lang vorsichtig das Tal hinunter, von Die Alpen - 1947 - Les Alpes37 Zeit zu Zeit die rutschende Bindung erneuernd. Als ich endlich das Auto besteige, sind meine Schönwetterschuhe in Fetzen. Ich bin um einige Erfahrungen und Erlebnisse reicher und denke schmunzelnd an die seinerzeitigen Ausführungen eines Diplomaten in dieser Zeitschrift, wonach das Bergsteigen in diesem Lande beinahe ebenso bequem zu bewerkstelligen sei wie in der Schweiz...Juni 1946

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