Kryosphärenbericht der Schweizer Alpen: Schnee, Gletscher und Permafrost 2008/09
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Kryosphärenbericht der Schweizer Alpen: Schnee, Gletscher und Permafrost 2008/09

Schnee, Gletscher und Permafrost 2008/09

Die Gletscher ziehen sich weiterhin zurück, ihre Masseänderungen waren regional sehr unterschiedlich, die Dauer und Mächtigkeit der Schneedecke war zumeist überdurchschnittlich, und der Permafrost erwärmte sich stark. So lauten die Resultate der Kryosphärenbeobachtung für den Zeitraum 2008/09. Sie sind die Folge von intensivem Schneefall im Winter und Frühling sowie einem überdurchschnittlich warmen Sommer.

Witterungsverlauf und Entwicklung der Schneedecke

Bereits Ende Oktober 2008 sorgte ein heftiger Wintereinbruch beidseits der Alpen für Schnee bis in tiefe Lagen. Im Gebirge wurde dadurch die Sommerwärme nachhaltig im Boden eingeschlossen. Nicht nur im Mittelland waren die Schneemengen ausserordentlich ( z.. " " .B. 20 cm in Zürich ); selbst in der Zentralschweiz wurden Neuschneehöhen von rund 50 Zentimetern gemessen. Auch danach kam es beidseits der Alpen immer wieder zu Schneefällen bis in tiefe Lagen. Aus meteorologischer Sicht speziell war die Häufung von Südstaulagen im November und Dezember 2008. Dadurch erreichten die Schneehöhen Ende Dezember im Oberwallis, am Alpensüdhang und im Engadin sowie in Mittelbünden das Eineinhalb- bis Zweifache der sonst üblichen Werte. Die ersten zwei Wochen des Jahres 2009 waren sonnig und ohne Niederschläge. Anschliessend regnete es im Norden teilweise bis etwa 1600 Meter hinauf, im Nordwesten sogar bis über 2000 Meter. Dies war zwischen November und Ende März allerdings der einzige ausgeprägte Wärmeeinbruch des sonst gegenüber dem langjährigen Mittel leicht zu kalten Winters 2008/09. Am 8. Februar, nach einer erneuten intensiven Südstaulage mit Dreitagessummen von mehr als einem Meter Neuschnee am zentralen Alpensüdhang, wurde dort und im Oberengadin an einigen Stationen bereits die maximale Schneehöhe des Winters erreicht ( Abb. 1 ). Auch im März fielen beidseits der Alpen überdurchschnittliche Neuschneemengen. Auf der Alpensüdseite gab es im April nochmals drei grosse Schneefälle, wobei allein in den letzten vier Tagen des Monats im Saastal und in den oberen Maggiatälern etwa zwei Meter Neuschnee fiel. So lag Ende Mai in den höheren Lagen des Alpenhauptkamms und südlich davon noch überdurchschnittlich viel Schnee für diese Jahreszeit ( Abb. 2 ). Dieses Polster sorgte dafür, dass die Gletscher im südalpinen Bereich lange vor der Sonnenstrahlung geschützt blieben und weniger Eis schmelzen konnte. Auf der Alpennordseite sorgten die sehr warmen Monate April und Mai hingegen für eine intensive Schneeschmelze ( Abb. 1 ). Der überdurchschnittlich warme Sommer 2009 ( drittwärmster Sommer seit Messbeginn 1864 ) mit nur gerade drei ausgeprägten Kaltluftvorstössen und fehlenden Schneefällen liess die Schneedecke bis August auch auf den Gletschern wegschmelzen und erlaubte so eine intensive Eisschmelze. Für die Gletscher dauerte die Schmelzsaison bis Ende Oktober an, was als ausserordentlich lange gilt. Das rasche Ausapern im Frühling kombiniert mit den hohen Sommertemperaturen führte auch zu einer starken Erwärmung des Bodens. Das frühe Einschneien und die grosse Anzahl von Tagen mit Schneebedeckung auch in den Städten waren charakteristisch für den Winter 2008/09 ( Abb. 3 ). Betrachtet man die lange Zeitspanne mit Schneebedeckung aufgrund des Ausbleibens von sonst häufigen Tauperioden, kann man trotz fehlenden Rekordschneefällen vom schneereichsten Winter seit fast 20 Jahren sprechen ( Abb. 3 ). Allerdings war der Jahresniederschlag 2008/09 mit –7% leicht unter dem langjährigen Mittelwert ( Abb. 6b ), während die Sommertemperaturen ( Mai bis September 2009 ) um +2,. " " .2 °C zu hoch waren ( Abb. 6a ). Gletschermessungen Die Massenbilanz sowie die Längenänderung sind wichtige Grössen für die Beschreibung des Verhaltens von Gletschern ( Abb. 4 und 5 ). Während die Massenbilanz als Resultat von Schneezuwachs ( Akkumulation ) und Eisabtrag ( Schmelze ) in direkter Beziehung zu den Witterungsbedingungen des Berichtsjahres steht, ist die Längenänderung eine verzögerte Reaktion auf eher langfristige Klimaänderungen. Der oben beschriebene Witterungsverlauf sorgte dafür, dass auf der Alpennordseite am Ende der Schmelzsaison ähnlich deutliche Massenverluste zu verzeichnen waren wie in den vergangenen Jahren, während auf der Alpensüdseite auch Massengewinne beobachtet wurden. Beispielsweise hatte die Schneedecke auf dem Basòdino- und dem Griesgletscher Anfang Mai noch eine mittlere Mächtigkeit von gut fünf Metern. Umgerechnet in Meter Wasseräquivalent ergaben sich Ende September für die vermessenen Gletscher die folgenden Werte für die Massenbilanz: Pizol –1,. " " .46 Meter, Silvretta –1,. " " .10 Meter, Rhone –0,. " " .35 Meter, Gries –0,. " " .95 Meter, Findelen –0,. " " .04 Meter und Basòdino +0,. " " .13 Meter. Die Längenänderungsmessungen an den Gletschern ergeben für das Berichtsjahr folgendes Bild ( vgl. auch die Tabelle zu den Längenänderungen ): Von 92 ausgewerteten Gletschern befanden sich 84 im Rückzug, zwei sind geringfügig vorgestossen, und sechs sind unverändert geblieben. Die meisten Längenänderungen liegen zwischen –1 und –25 Metern. Lokale Besonderheiten haben auch weitaus extremere Rückzüge bewirkt: Zum Beispiel wurde der Glacier du Trient ( VS ) um 151 Meter kürzer. Dabei hat sich das Gletscherende aufgrund des zu geringen Eisnachschubs sukzessive ausgedünnt und ist in eine steile Stufe zurückgewichen, wo es nun leicht zu grossen Längenverlusten kommen kann. Am Riedgletscher im Mattertal ( VS ) ( siehe Bilder Seite 45 ) und beim Rossbodengletscher am Simplon ( VS ) befindet sich das neue Gletscherende um einen halben bzw. mehr als einen Kilometer hinter dem Zungenende des Vorjahres. In beiden Fällen hat sich der Gletscher in einem steilen und damit dünnen Bereich aufgetrennt. Die flachen und schuttbedeckten Zungen haben dadurch den Kontakt zu den Nährgebieten verloren und werden wegschmelzen. Die Bildung von abgelöstem und oftmals schuttbedecktem Toteis wurde in den letzten Jahren auch an anderen Gletschern beobachtet. Einen Eisabbruch gab es am Feegletscher oberhalb von Saas-Fee. Dieser gliedert sich in verschiedene Zungenlappen. Einer davon liegt in steilem Gelände und hat wegen des starken Rückzuges der vergangenen Jahre die Abstützung allmählich verloren, sodass er seit 2003 zunehmend instabil wurde. Zwischen dem 15. und 2O.. " " .September 2009 sind rund 200000 Kubikmeter Eis in mehreren Portionen ohne Schadenfolgen abgebrochen. Neu sind im Schweizerischen Gletschermessnetz auch die Eistemperaturmessungen am Colle Gnifetti integriert. Aus Forschungsprojekten liegen über die letzten 30 Jahre Daten aus fünf Temperaturprofilen im Eis vor. Die seit den 1990er-Jahren beobachtete Erhöhung der Lufttemperatur ist in den Bohrlochprofilen gut erkennbar: Zwischen 1982 und 1991 blieb die Eistemperatur unverändert bei circa –14 °C. Von 1991 bis 2000 stieg die Temperatur um circa +0,. " " .5 °C an, und seit dem Jahr 2000 stieg sie nochmals um mehr als +1 °C an. Dieser Anstieg zeigt eine hohe Sensitivität kalter Firn- und Eisgebiete auf klimatische Änderungen an. Permafrostnetzwerk Die Verhältnisse im Permafrost werden für das hydrologische Jahr 2008/09 als sehr warm eingestuft. Sie sind nach dem Rekordjahr 2003 die wärmsten, die im Rahmen des Schweizer Netzwerks zur Permafrostbeobachtung ( PERMOS ) in den letzten zehn Jahren gemessen wurden. Die oben beschriebenen Witterungsverhältnisse mit frühem Einschneien, einer dicken Winterschneedecke und überdurchschnittlich hohen Sommertemperaturen waren sehr ungünstig für den Permafrost. Im Permafrost spiegelt die Mächtigkeit der sommerlichen Auftauschicht die jährlichen Witterungsverhältnisse am besten wider, ähnlich der Massenbilanz bei den Gletschern. Diese war an einigen Messstandorten bis zu 50% grösser als in den letzten fünf Jahren und ist damit an vielen Standorten die grösste Auftautiefe seit den im Sommer 2003 gemessenen Rekordwerten ( Abb. 8 ). Ähnlich sind die Bohrlochtemperaturen an den bisher ausgelesenen Standorten in einer Tiefe von etwa zehn Metern leicht höher ( im Bereich von 0,2 °C ) als in den fünf Jahren zuvor ( Abb. 7 ). Mittels wiederholter Geoelektrikmessungen im Boden können Änderungen in der Bodenbeschaffenheit bestimmt werden. Bei fast allen vermessenen Standorten wurde im Sommer 2009 eine deutliche Abnahme des elektrischen Widerstandes im Untergrund gemessen. Dies ist eine Folge der höheren Permafrosttemperaturen und deutet auf eine Zunahme des Wassergehalts bzw. auf eine Eisabnahme in den oberen zehn Metern hin. Ähnlich wie bei den Ereignissen 2003 wird es wahrscheinlich einige Jahre dauern, bis sich wieder « normale » Verhältnisse einstellen. Die Kriechgeschwindigkeiten im Permafrost, die an mehreren Blockgletschern gemessen werden, haben nach den sehr hohen Werten als Folge des Sommers 2003 und nach der anschliessenden Abnahme seit 2007 wieder zugenommen und sind im Berichtsjahr weiter angestiegen. Dies hängt vermutlich mit den höheren Oberflächentemperaturen und der dadurch veränderten Wasserverfügbarkeit im Inneren der Blockgletscher zusammen. Gesamthaft zeigen die oben beschriebenen Messungen eine leichte Zunahme der Permafrosttemperaturen im Vergleich zu den letzten fünf Jahren. Die Rekordwerte vom Sommer 2003 wurden im hydrologischen Jahr 2008/09 allerdings nicht erreicht, und die besonders hohen Temperaturen wurden dieses Mal auch nicht flächendeckend beobachtet.

Weitere Auskünfte erteilen: Gletscher :Andreas Bauder, GLAMOS, VAW, ETH Zürich, bauder(at)vaw.baug.ethz.ch, Tel. 044 632 41 12 Schnee :Christoph Marty, SLF, marty(at)slf.ch, Tel. 081 417 01 68 Permafrost :Jeannette Nötzli, PERMOS, Universität Zürich, info(at)permos.ch, Tel. 044 635 52 24

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