Landschaftsformen eines Alpentals: Valle del Lucomagno
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Landschaftsformen eines Alpentals: Valle del Lucomagno

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VON VALENTIN BINGGELI, LANGENTHAl/beRN

Mit 19 Bildern ( 1-19 ) und 17 Skizzen Eine geomorphologische Formensystematik wird immer problematisch sein: die Einzelformen der Landschaft sind bezüglich ihrer Entstehung fast ohne Ausnahme komplexer Natur, entstanden durch Zusammenwirken verschiedener endogener wie der Verwitterungs- und Erosionskräfte. Schwer fällt sowohl einerseits die Zuordnung zur Struktur- oder zur eigentlichen Erosions-Klasse wie andrerseits deren Unterteilung nach den verschiedenen Kräftegruppen.

LèncpproFil durch den Dolomit der Piora - Lucomaqno - Muld& Figur 1

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So müsste genauigkeitshalber jeweils von vorwiegend strukturellen, fluviatilen, glazialen, korro-siv-chemischen Formen gesprochen werden. Gerade im Hochgebirge sind an den morphologischen Erscheinungen die Hauptwirkungsfaktoren Struktur, Wasser und Eis oft alle bis zu einem gewissen Grade beteiligt.

Das Untersuchungsgebiet: Topographie, Geologie Unser Untersuchungsgebiet, die Valle del Lucomagno, liegt sowohl mit Bezug auf die Längs-wie die Querstreckung im Zentralraum der Alpen ( Gotthard-Massiv ), einmal in der Uberschnei-dungszone von west- und ostalpinem Streichen, zum andern unmittelbar angrenzend an die Hauptwasserscheide ( Firstlinie ) des Gebirges auf dessen Südabdachung. Dieses Gebiet, eine tektonische Anmerkung. Es handelt sich um die vorläufige Zusammenstellung eines Kapitels der Berner Dissertation « Zu Morphologie und Hydrologie der Valle del Lucomagno; Lukmanier-Brenno, Ticino », die 1961 in der Reihe « Beiträge zur Geologie der Schweiz - Hydrologie » ( K + F Bern ) erscheinen wird. Dort wird die hier grossteils über-gangene genaue Zitierung zu finden sein.

1 Die Alpen - 1961 - Les Alpes 1 Kulminationszone, ist durch eine ausgeprägte morphologische Depression gekennzeichnet; die das Tal durchziehende Lukmanierstrasse stellt den tiefsten zentralalpinen Passübergang zwischen Mt. Genèvre und Maloja dar ( 1916 m ) ( Fig. 1 ).

Das bei Biasca ebensohlig ins Tessintal mündende Val Blenio steht jenem als gleichgeordnetes Seiten-Haupttal gegenüber, dessen eiszeitlicher Gletscherstrom aus dem ausgedehnten hochgelegenen Firngebiet Adula—P. Medels—Lukmanier sogar den des Stammtals übertraf.

In den Blenio-Brenno ergiesst sich bei Olivone von 550 m hoher Mündungsstufe der Brenno del Lucomagno. Sein Flussgebiet stellt demnach mit Ausnahme des geringen, durch Steilenwanderung etwas erweiterten Anteils am Kessel von Olivone ( Sommascona—Lavorceno ) ein ausgeprägtes sekundäres Hängetal dar ( Abb. 1 ).

Die Valle del Lucomagno bedeckt mit 55,5 km2 die westlichen Teile der ausgedehnten Berggemeinde Olivone ( 72 km2 ). Die Tallänge beträgt ca. 15 km. Diesen relativ kleinen Arealzahlen steht eine beträchtliche Vertikalausdehnung von 860 bis 3199 m ü.M. gegenüber ( Fig.2 ).

Das Flussgebiet des Brenno del Lucomagno lässt sich wie folgt gliedern: 3 Seitentäler münden ins Haupttal, das seinerseits in zwei genetisch verschiedenartige Abschnitte zerfällt. In den obern, den Quertalabschnitt Passhöhe—Pian Segno, münden von W der Riale aus der Piano dei Canali

Wvpsogeaphìsche I^ueven

Einzugsgeb. Brenno d. Lucomagno IITicino mtW. HÒh« Ticino \ 4do.

loo2oo3oo4ooSoo6007006009oo1000 Flächen-io. Figur 2 Gott h ar dma fi& i Schematisches Profil durch die unterpenninischen Decken:

Tessinkulmination.

Nach Preiswerk und Reinhard Figur 3, und sein grösserer Parallelfluss Ri di Lareccio. Dessen Tal stellt die eigentliche Fortsetzung des untern, längstaligen Abschnittes des Brenno del Lucomagno dar. Unterhalb der Mündungsstufe nimmt dieser im Kessel von Olivone noch die Bäche aus dem ausgedehnten nördlichen Hochflächen-gebiet von Dötra-Anveuda auf.

Tektonisch-geologisch gesehen liegt der Lukmanier in der spannungsreichen heterogenen Bran-dungszone der penninischen Decken ans Gotthardmassiv ( Tessin-Kulmination ) ( Fig. 3 ). Drei tektonische Einheiten streichen EW durch das Gebiet: im N das SE-Ende des herzynischen Kristal-linmassives, im S die Lucomagno-Decke ( vor allem Gneise ), dazwischen die sedimentäre Mulde Bedretto–Piora–Lucomagno ( Abb. 2 ). Die mächtig entwickelten durchlässigen Gesteine der letztern, Dolomit, Rauhwacke und Gips, sind für die Hydrologie von besonderer Bedeutung. Zu ihnen gesellen sich als Charaktergesteine mächtige gotthardmassivische und penninische Bündnerschie-fer-M assen ( Fig. 4 ).

Im S ist das Tal begrenzt durch das Lucomagno-Massiv von P. Sole bis Pta. di Larescia, die penninische Deckenstirn, im N durch die Bündnerschieferberge Scopi–Costa–Toira. Es handelt sich beidseits um markante Bergketten, die den stark übertieften, recht einheitlichen Talraum hoch abschliessen. Im NW bildet die Grenze der P. dell'Uomo, rundgebuckeltes Kristallin des abtauchen- P Corombe 7 MACH BoS-SAiJD, Nl'eeU, PrEISWERK U.A.. VeR&|HFA.Ct-IT Ihmo Sao looom a. d Larescia

Skizze dep Vd LucoMAetso

Härte-Diagramm ausgewählter Lukmanier-Wässer Sommer 1957, 1958 C Karbonat ) Vergleichs-Härten 1 Brenno d. Camadra ( Gola d. Sosto ) 2 Carassina-Bach ( Marzano ) 3 Blenio-Brenno ( Solario ) 4 Rhein ( Landquartmdg. ) Figur 5 den Gotthardmassivs, während gegen die Piora zu der Grenzkamm in den Rauhwackegesteinen tiefe Einsattelungen aufweist und schliesslich im Gebiet der flachen Pass-Wasserscheide ganz zu einer Lücke durchbrochen ist.

/. Die Verwitterung Mechanische und chemische Erosion gestalten und prägen die struktur-vorgezeichneten Formen aus, der Verwitterung kommt die Zwischenstellung einer Phase der Gesteinsvor- und -aufbereitung zu, denn die Verwitterungsrückstände sind zumeist ungleich erosionsanfälliger als die Ausgangs-gesteine. Maull spricht zwar der Verwitterung die Kraft der Formgebung ab, doch ist ihr Anteil an der Bildung von Grat- und Gipfelformen, Blockmeeren, Verkarstungen etc. nicht zu übersehen.

Die physikalische Verwitterung ist in verschiedenen Formen wirksam, im Untersuchungsgebiet ist die Frostspaltung, die einerseits an Klüfte, andrerseits an Temperaturschwankungen um 0° herum gebunden ist, die bedeutendste. Blockgipfel und -meere, Zackengrate gehen gutteils auf die Eisdehnung ( Zunahme um 9% des Wasservolumens ) zurück.

Atmosphärische Temperaturschwankungen führen auch über Dehnungen innerhalb des Gesteins zu dessen Zerrüttung ( Sprengung, Vergrusung, Schuppen- und Schalenabfall ). Ungleiche Verhältnis von temporärer ( Karbonat- ) Härte zu permanenter Härte ( v. a. Sulfate ). Werte Sommer 1955-58.

® Vergleiche aus dem Bündner Rheingebiet {Jäckli, 1957 ) Figur 6loTemporäre Harre in ° Ausdehnung entsteht als Folge der ungleich erwärmten Felstiefen, wie der verschiedenen Mineralien und ihren Lagen. Oberflächliche Vorgänge bewirken durch Abfall der feinen Phyllitschalen die typische Herauswitterung der Mineral-Knoten in den Bündnerschiefern.

Die biologische Verwitterung ( z.B. Wurzelkeile ) hat im Gebiet geringere Bedeutung.

Die chemische Verwitterung verursacht als erste, augenfällige und weitverbreitete Bildung eine dunklerfarbige Verwitterungsrinde, der eine Oxydation, die 2- in 3wertiges Eisen umwandelt, zugrunde liegt. Eine wichtige Folge für Gebiete mit tonreichen Gesteinen ( Bündnerschiefer !) bringt die Hydratation, die Wasseraufnahme, mit sich: es bilden sich « wasserreiche Tonmineralien mit sehr geringer Kohäsion, welche sich seifig anfühlen und die Scherfestigkeit des Gesteinsverbandes bedeutend verringern und Differentialbewegungen leicht ermöglichen » ( Jäckli. ) Lösungserscheinungen ( Fig. 5, 6 ), die allerdings schon gutteils in den Rahmen der Erosion gehören, sind für das Lukmaniergebiet mit seinen dolomitischen Karstgesteinen typisch. Gips wird unsern Analysen nach in den grössten Mengen gelöst ( Lareccio-R. bis 650 mg SO4Im kristallinen Quellgebiet weist der Brenno del Lucomagno keinen Sulfatgehalt auf, vor dem Zusammenfluss mit dem Brenno di Camadra bei Olivone ca. 300 mg SO41/1 ( Brenno di Camadra 60 mg ).

Carbonate sind ebenfalls in beträchtlichen Mengen, vor allem in den Bündnerschiefer-Wässern, nachzuweisen ( bis 100 mg CO3"/1 ), während auch die Kristallin-Wässer zumeist noch 10-20 mg führen.

2. Strukturformen 1936 stellte Paul Niggli in seinem regional-petrographischen Überblick über das Tessin entschieden fest, « es würde nicht schwer fallen, darzutun, dass auch geographisch-morphologische Problemstellungen aufs engste mit Tektonik und Pétrographie verknüpft sind ». Verschiedene Autoren haben im Tessin und andernorts ähnliche Ansichten geäussert.

Geologisches

nach L. BO55APD, 1034 fio d-1 |K d. Lucomagno

N

Veld. Campo'La Coste Mesozoische Sedimenre

Praehriadiòche, kristalline Gesteine

Bon dn erschiefer des Golfhärdmässivs E>ur\dners>ç.hieter des PenniniVcom Paragesreine des Vfe.rruc

pfeine/vorw.

örapHih Schiefer C Carbon ) l I Basi&che Gesteine I AmphibolHhe^Serp.elc.

Misch qearei ne Quarrenschiefer hochmehimorpri Rcîuhwûcke, Dolomil-Gips/ Marmor, Quar^it Paracjneise Glimmer schiefer LevenHna -Gtanil-gneia Figur 7 P Corombe 11

Legende

Quelle Grafverlauf u Gipfel Fel&wènde fol Qua^ausbeurungStrassenverbauung u bk Kalkojen v. P Segno

Tekhonik, Geologie

Axialqefälle -¾10Streichen u. Fallen inBruch- u. Kluftsysteme rsiwichHqer Au|-schlu5&

verflachung » OTU .* ehe

Mechanische Erosion

Wo< öipä-Bad Lands6let s Passhôhe Lucomaqno rieh Wi Idbach-kbmplex ( Trichrer, et Pui Kanal u. KegelKan Pieqel

O Nb

BacheinschniH- ia.

Schlucht-

Figur 10

MORPHOLOGISCHE KARTE

der Valle del Lucomagno

( Lukmanier-Brenno )

looo m -Soo 0 1km ç&m u. Tiefe ) Flusslauf jssbefr ( Wadi ) lliffe ( Fliess-6 Eises ) ysiemverflg.

Chemische Erosion

Dolinenfeld i.a. 03/1 Doline ( Meter s^ u.TTefekansVschloV Doline mil- Schluckloch -»D~0- u^erind. Flusslauf m'A Waôsereirrtritt u.Stromauelle v> Karôf hohle

AkUumulaHon I-: '! Alluvialböden i.a. v& Sackuncj

mit Abriss-ni&che und öchultaeb. /V.\ E>lockschuH- b^lj -Schuftcjehâncje, lose lHHid. ± verfeoHgV, zumebt humos-vegehbed. W ôchufrrinne j Morânenbedeckung i.a. Moräne

-Sumpf, Moor

d. Geländelinien Campra-Camperio

Brenno d. Lucomagno

Laufrichrun

Telefonische Formen An den Anfang zu stellen ist eine deutliche morphologische Ausprägung dergras.se« tektonischen Bauelemente.Vom P. dell'Uomo taucht ostwärts gegen die Paßstrasse der Orthogneisrumpf des Gotthardmassivs in überschliffenen Buckeln und Rippen axial unter die mesozoischen Sedimente

I2ichtung

Figur 12.

ein. Augenfällig treten die Kristallinaufwölbungen Scai-Pigna und Selva Secca des aufgelösten Massivs in ebensolchen Formen in Erscheinung.

Die grosse südlich anschliessende Konkavform der Piora-Lucomagno-Mulde liegt in den arg durch die Orogenèse mitgenommenen Sedimenten des Massivmantels und der angehäuften Dek-kenscheider der Penniden. Dieser heterogenen Übergangszone kommt eine besondere, gewisse selbständige Stellung zu. Mit beispielhafter Prägnanz erhebt sich sodann als Südabgrenzung des Lukmanierraums die Kette des « .Lukmaniermassivs », repräsentierend die aufgeworfene penninische Deckenstirn ( Fig. 7, Abb. 1, 12 ).

Durchwegs erkennen wir in der allgemeinen E-W-Morphologie das Streichen der tektonischen Einheiten.

Sowohl in den ostwärts absteigenden Gipfelhöhen ( Gipfelflurgefälle ) des Lukmaniermassivs ( Fig. 14 und Abb. 12 ) wie im Gefälle des Brenno del Lucomagno finden wir Übereinstimmung mit dem Axialfallen des Gebirgskörpers. Ebenfalls liegt noch heute im Gebiet der tertären tektonischen Deckenkulmination ( Tessinkulmination ) die orographisch-morphologische Kulmination des Lukmaniermassivs ( P. Sole 2773,4 m ).

P. Corombe 2545 m ( Abb. 2 ), vollständig aus den sonst Konkavformen bildenden Triasdolomit und -Rauhwacken aufgebaut, ist ein geologisch-morphologisches Kuriosum der Schweizer Alpen, gemahnend an die Dolomiten der östlichen Südalpen. Die romantische Wildheit seiner Stöcke, Türme, Zähne, Zacken, Zinnen wie der dolomitischen Farbigkeit ist zu wenig bekannt und gewürdigt.

Die Erosionsresistenz seiner steilgestellten Schichten dürfte tektonischer Herkunft sein, indem hier, im Gebiet der Hauptaxe der Tessinkulmination, die Quetschung und Aufpressung der Mulden-sedimente zwischen Massiv und brandender Deckenstirn am stärksten erfolgte. Dazu beigetragen haben die südexponierten Prémontoirs des Massivwiderlagers, im Untersuchungsgebiet besonders akzentuiert durch die Granit-Gneis-Stöcke Selva Secca und Pigna.

Auf ähnliche Druck-Verknetung, Pressung und Ineinanderverfältelung wird die ebenfalls sonderbar anmutende Widerstandsfähigkeit der Bündnerschiefer von Scopi 3199 m ( Abb. 7 ), Toira 2099 m, Sosto 2220,6 m und andern markanten Gipfeln der nähern Umgebung zurückgeführt ( Cadisch ). Es sind ebenfalls vor und in der Deckenbrandung aufgehäufte und -getürmte Sedimentmassen, die sonst zur Bildung von Konkavformen neigen.

Strukturterrassen können wir bei uns zu den im folgenden in Kürze zu besprechenden Kleinskulpturformen zählen. ( Über kluft- und bruchbedingte Klein- und Grossformen wird im anschliessenden Kapitel speziell gehandelt. ) Die Strukturterrassen sind im Untersuchungsgebiet durchwegs kleiner als die Systemterrassen, wobei allerdings beizufügen ist, dass auch diese, soweit es den Längs-talabschnitt der Valle del Lucomagno betrifft, stark mit der Struktur, d.h. mit dem axialen Absteigen der Baukörper, verknüpft sind.

Die reinen Strukturterrassen lassen sich von den Systemterrassen durch Schmalheit ( leistenför-mig ), zumeist geringere Länge, aber allgemein grössere Einheitlichkeit unterscheiden. In der morphologischen Karte ( Fig. 10 ) sind Strukturterrassen an drei Orten kartiert: im Gotthardkristallin am P. dell'Uomo ( Axialgefälle 5-10° ), in den Bündnerschiefern des Ör d' Angiasco ( 20° ) und im Penninikum bei Ridegra ( 5-10° ).

Wenn wir innerhalb der tektonischen Großskulpturformen übergehen zu den Konkavformen, kommt das das Untersuchungsgebiet ausmachende Tal des Brenno del Lucomagno zur Sprache, das, wohl aus unterschiedlichen Stücken zusammengesetzt und mit wechselvoller Geschichte, immer indessen stark vom Baugefüge des Gebirges geleitet wurde. Die Valle del Lucomagno ( Längstalung unterhalb P. Segno, dazu die Valle Lareccio als ihre ehemalige Wurzel ) ist als primär subséquentes Deckenstirnrandtal - vergleichbar dem Rheinwald « vor den Gneisstirnen der Tambo- und Suretta-decke » ( Cadischzu bezeichnen, im einzelnen und heute wie erwähnt mannigfach modifiziert und kompliziert.

Der oberste quertalige Abschnitt der Valle del Lucomagno von P. Segno gegen die Passhöhe ( ein relativ jüngeres Talstück, früher dem Rheine tributar ) ist gutteils selektiverosiver Entstehung, hat aber ebenfalls tektonische Grundlinien er folgt dem Ostrande des abtauchenden Gotthardkristal-lins, und zwar augenscheinlich in den hier mit dem Abtauchen nordwärts zu ihrer grössten Breitenausdehnung überflutenden Triassedimenten der Bedretto-Piora-Lucomagno-Mulde. Diese Massen sind als tektonische Häufung erkannt worden. Auch wurde die Frage einer tektonischen Störungslinie in der Talrichtung aufgeworfen.

In der prächtigen Nordflanke der Lukmaniermassiv-Kette mit ihrer reichen morphologischen Gliederung ( Abb. 12 ) spiegelt sich die komplizierte Detailtektonik der Deckenstirnregion. Einmal ist hier ganz allgemein der ( klufttektonische ) Terminus « Bergzerreissung » von Ampferer am Platze: der Hang ist durch Brüche ( Bossard ) und Klüfte zerlegt und zerrüttet. Eine gewisse Labilität ergeben die steil nach N einfallenden Isoklinalfalten, die die steile Prallhang-Talseite aufbauen ( Fig. 7 ).

Bruch- und Klufttektonik und ihre morphologische Wirksamkeit Definition. « Primär stellen alle Flächen, entlang denen zu irgendeiner Zeit eine beliebige Bewegung, habe sie sich nun als Transversalverschiebung, Torsion oder blosses Auseinanderreissen oder eine Kombination dieser drei Arten manifestiert, Brüche dar... auch die Klüftung gehört in gewissem Sinne dazu » ( Eckardt ).

Geschichtlich ist es so, dass vor dem jetzigen Jahrhundert der grossen Spezialisierung die Morphologie der Geologie untergeordnet war und vornehmlich rein endogen betrieben wurde. Nach vorerstem Überschwang einer Pionierzeit « exogener, reiner Morphologie » vor und nach der Jahrhundertwende, vor allem nach dem extremen strengen Glazialpatriziat von Penck und Brückner, nimmt die heutige Morphologen-Generation eine unvoreingenommenere Stellung ein. Neueren Arbeiten nach zu schliessen, scheint sie Bruch- und Klufttektonik vermehrt Bedeutung zuschreiben zu wollen.

Eckardt hat in seiner schon mehrmals zitierten Zürcher Dissertation kürzlich überzeugend für manche Erscheinungen in der Talgeschichte des benachbarten Tavetsch Bruchtektonik verantwortlich gemacht.

Wenn wir nun zu unsern eigenen Studien übergehen und gleich die Folgerungen aus Beobachtungen, Messungen und ihren graphischen Darstellungen in Fig. 8-12 vorwegnehmen, so gehen diese dahin, dass sowohl glaziale wie vorwiegend fluviatile Formen stark strukturgebunden sind. Dies gilt für Grossformen, Täler, Gräben, Talkare, Passfurchen, Gipfel, Ketten, Gräte wie für Kleinformen, Couloirs, Kerben, Scharten, Rippen, Sporne, Wülste, Rundhöcker etc.

Die Strukturen haben also vornehmlich einmal die Richtung der Morphologie bestimmt. Sie haben indessen nicht bloss die Erosionswege vorgezeichnet, sondern diese Zonen vor- und aufbereitet und den Angriff von Wasser und Gletschereis bedeutungsvoll erleichtert ( Abb. 4—6 ).

Fig. 8 und 9 orientieren fürs erste allgemein über die nachgewiesenen Strukturen und ihre Stellung. Das Streichen verläuft N 110-120° E, in seinem Sinne ebenfalls ein ausgeprägtes Kluftsystem, das der Längsklüfte ( L-System ). Sie mögen eine Verwandtschaft haben mit den ( jungen ) Bruch- Systemen C ( N 85-100° E ) und D ( N 115-130° E ) von Eckardt im Tavetsch. ( System D zeichnet sich dort durch Zerrüttungszonen ausEin zweites Hauptsystem bilden Querklüfte ( Q-System, N 10-20° E ), die ungefähr senkrecht stehen zu System L. Sekundäre Klüftungsrichtungen ( Scher-klüfte ) verlaufen kreuzweise dazwischen: System St N 40-50° E; System S2 N 150° E.

Fig. 9 gibt über die verschiedenen Struktur-Systeme hinaus eine Bestätigung vermuteter jüngerer Bewegungen und Verstellungen im Untersuchungsgebiet. E. Niggli ( zit. Eckardt ) hat das Gotthardmassiv mit der Bezeichnung « Pakettektonik » charakterisiert, Eckardt geht noch weiter und spricht ihm « fast Bruchschollentektonik » zu.

Die Nachfolge von Strukturen und Geländelinien springt in Fig. 8 als Hauptphänomen ins Auge.Von den Grossformen liegen im Streichen ( und in System L ) das Längstalstück der Valle del Lucomagno, der Ri di Lareccio, das Lukmaniermassiv, die Costa-Kette; in System Q verlaufen die Kette P. Sole-P. dell'Uomo und wohl das Brenno-Haupttal.

Fig. 11 stellt in zwei Sternen die Richtungen der Klüfte und diejenigen von Geländelinien, wie sie früher, besonders unter Kleinformen, angeführt wurden, dar. Eine Übereinstimmung springt ins Auge: im Streichen WNW-ESE und im gleichsinnigen Kluftsystem L liegt die Mehrzahl der morphologischen Linien. Es ist vor allem einmal das Brennotal selbst, dann die Bachrinnen im Gebiet Dötra-Anveuda ( zum mindesten immer Stücke davon ), die Rinnen, Rillen, Rippen, Rundbuckel etc. des Or d' Angiasco und des obern Teils der Mündungsstufe wie überhaupt die E-W-Morpho-logie im allgemeinen.

Was Fig. 12 wiedergibt, hat bereits Solch, ohne es jedoch zu deuten, erkannt: dass nämlich der Brenno sich « mitunter geradezu im Zickzack hin und her wendet und dabei senkrechte Wände und sogar Überhänge erzeugt ». Der Anstoss zu unserer Untersuchung ging allerdings nicht von ihm, sondern von Gygax aus, der ähnliche Beobachtungen in der Valle Verzasca gemacht hatte.

Das wechselhafte Überspringen des Brennolaufes in die beiden Hauptrichtungen ist nun aber nicht primär vom Flusse gewollt. Schon daraus, dass dieser dadurch deutlich einseitig nach N abgedrängt wird, ergeben sich Hinweise auf eine einseitig wirkende Kraft: es ist der ausgedehnte Bergsturz- und Sackungshang Pta. di Larescia-Gualdo Maggiore. Dessen Massen haben sowohl einmalige ( Bergsturz ) wie langdauernde ( Nachsackungen dürften auch heute noch stattfinden ) Flussverlegungen verursacht. Der ehemalige Brenno hatte seine Laufanlage als normale Fortsetzung des Laufstücks von P. Segno her unterhalb Campra ebenfalls subséquent im Streichen, in System L. Die Schuttmassen drängten ihn ab, er benutzte nun Züge des Systems Q ( und S ' ), nahm aber immer wieder, bis neuerdings dies verunmöglicht wurde, die alte Richtung der wirkungsvollsten L-Strukturen auf.

Geologische Formen, Selektiverosion Auf Formen, deren Ursache in der Materialverschiedenheit des Untergrundes liegt, wurde bereits im vorangehenden verschiedentlich hingewiesen. Obwohl Selektiverosion sozusagen durchwegs an der Formgebung beteiligt ist und in geologisch heterogenen Gebieten eine Selbstverständlichkeit, können wir uns, gerade weil ihre Wirksamkeit nicht in Zweifel steht, kurz fassen.

Auf die tektonisch-geologischen Entstehungsursachen der Valle del Lucomagno oberhalb P. Segno ( Quertalabschnitt ) haben wir bereits hingewiesen. Die Stelle war augenscheinlich prädestiniert für diesen ausserordentlich tiefgesägten Quereinschnitt in den Alpenkörper: die « Geologische Spezialkarte der Tessiner Alpen » zeigt sehr schön die Abhängigkeit von der tektonischen Kon- taktzone wie die Parallelität von Passfurche und den hier zur grössten Querausdehnung entwickelten « weichen » Dolomiten, Rauhwacken und Gipsen der Lucomagno-Mulde.

Härtlinge, die Gegenstücke zur eben besprochenen Konkavrichtung der morphologischen Selektion, sind in gleicher Prägnanz ausgebildet. Klassisches Beispiel der Präparierung eines geologischen Körpers durch die exogene Dynamik ist die gotthardmassivische Gneis-Granit-Auf-wölbung der Selva Secca, 1955,8 m. Als dunkle, tannenbestandene, breitgewölbte Kuppe erscheint sie von P. Segno aus im Tale sitzend. 3. Mechanische Erosion und Akkumulation Bewusst umgehen wir mit diesem Titel aus bereits erwähntem Grund der komplexen Ursache wichtiger Oberflächenformen eine scharfe Scheidung in die Formgruppen von Wasser- und Eiswerk. Wir denken dabei an Bildungen wie Kare, Stufen, Riegel, Becken. Wenn wir im folgenden mit den vorwiegend fluviatilen Formen beginnen, wollen wir damit gleichsam unsere Stellung bezeugen, indem unserer Ansicht nach dem Wasser das Primat unter den Erosionsagenzien zuzuerkennen ist. Fliessendes Wasser ist schlechthin allerorts an der Erdoberfläche und in verschiedenster Wirkung am Werke, sogar am Grunde des Gletschers; das fliessende Wasser hat ohne Zweifel grossteils auch jene Formen, die Tektonik und Geologie begründeten, ausgeschafft und ausgestaltet.

Gips-«Bad Lands » südlich Passhöhe Lucomagno1 Die durch ihre Oberflächenformen und Farbigkeit augenfälligen Gips-Vorkommen ( Trias ) des Untersuchungsgebiets, vor allem diejenigen von Casaccia südlich Passhöhe Lucomagno, sind aus der Literatur bekannt. Obschon ihre oberflächliche Ausdehnung nur gering, ist doch ihre typische fluviatile Ausgestaltung von besonderem morphologischem Interesse.

Die nur zu Gewitterzeiten oberflächlich abfliessenden Wasser schufen und schaffen in den weichen Massen eine Miniatur-Formenwelt, kleine Klamme und V-förmige Kerben ( die immer wieder durch Wandeinstürze und Muren verschüttet werden ), Mäander, kolkartige Löcher, Stufen, Köpfe, Türme, Kämme, Zeugenberge.

Eine unentwegt unter den erschwerten Umständen sich entwickelnde Grasnarbe wird immer aufs neue in Einzelpolster, « Vegetations-Zeugenberge », aufgelöst. Am Ausgang in die Brenno-Schwemm-ebene fächert sich ein beispielhaftes jungfräulich weisses Miniaturdelta auseinander.

Wildbach-Komplexe Darunter verstehen wir die Dreiheit Erosionstrichter - Abzugskanal - Schuttkegel, wie solche im obern Lukmaniergebiet exempelhaft ausgebildet sind. Die Vallone di Casaccia bezeichnet Lautensach als markantestes Beispiel von Rufe und Schuttkegel im Tessin ( Abb. 7,8 ). Unterhalb Passo di Gana Negra ist dieser halbtrichterförmige Einschnitt 300 m tief in die Talflanke eingelassen. Darin sind schön die Rauhwacke-Dolomit-Schichten und ihre Deformationen aufgeschlossen.

Die ganze östliche Steilseite der Valle del Lucomagno oberhalb Pian Segno, bestehend vorwiegend aus Rauhwacken und Bündnerschiefern, zeigt sich in Fig. 10, Abb. 7 und 8, als ausgesprochene Fluvialflanke, aufgerissen von einer ganzen Reihe nebeneinander verlaufender Wild- 1 Begriff nach Typlokalitäten in den USA ( Süd-Dakota ), wo Teile der berühmten Erosionslandschaften zum « National Monument » ernannt wurden.

bacheinschnitte. Trockene Schuttrunsen aller Grossen gehören zur Kleinziselierung des Hangs. Anzeichen chemischer Wasserarbeit Q. UERPPOFILE DURCH DE V D. LUC l'2oooo 3ooo - ISoo- 2ooo- ISoo- P 2ooo - I-Soo _ sind ein paar Dolinen und Karstschlote auf scopi ( SGraO den seltenen flachern Gehängeabschnitten. Schuttüberführungen der Strasse sind in den sommerlichen Gewitterzeiten an der Tagesordnung, wobei Rinnsale zu mächtigen, mithin strassensperrenden Wildströmen anwachsen.

Bacheinschnitte und Schluchtkerben Selbstverständlich fliessen die Wasseradern des Gebietes fast durchwegs in selbstgeschaffenen Bettvertiefungen, die es, soweit sie nicht schluchtartigen Charakter annehmen, im einzelnen nicht zu besprechen gilt. Eine Besonderheit ist allerdings das fossile Brennobett oberhalb Pertusio, das als Wadi-Geröllzug nur noch zu Hochwasserzeiten oberflächlichen Durchfluss aufweist ( Fig. 12 ).

Die Erosionsbeträge in den Rauhwacke- und Bündnerschieferschluchten ( Abb. 9 ) erreichen ansehnliche Grossen. Die Tiefe der Brenno-schlucht unterhalb Campra misst 30-40 m, dazu ist beizufügen, dass möglicherweise der Fluss oder ein Teil davon postglazial zeitweise die nördliche Rinne, durch die die Paßstrasse führt, benutzte. Die drei Schluchtrinnen durch den Camprariegel - die dritte ist die südlichste - sind ungefähr um dieselben Beträge eingeschnitten.

Im Flussabschnitt der Fig. 12 sind die drei Schluchtteile Campra, Sacco und Sommascona der komplexen Mündungsstufe enthalten. Alle übrigen Talstufen der Valle del Lucomagno sind ebenfalls zerschnitten, doch auf recht Figur 13 unterschiedliche Weise. Währenddem diejenigen in den Bündnerschiefern ( es kämen noch zu den erwähnten: Dötra, Anveuda und Rialp ) nur in den flussnächsten Gründen eng und steilwandig sind, oben aber einen geöffneten V-Querschnitt aufweisen, streben die Wände der Schluchten in den Rauhwacken sozusagen senkrecht vom Grunde bis zur Oberkante, die zumeist mit dem Niveau des Würmbodens zusammenfällt ( Fig. 17, Abb. 9 ).

Lareccio Ri und Canali Ri bieten Beobachtungsmöglichkeiten über 2 klassische Flusskerben ( oberhalb Stabbio Vecchio bzw. Alpe di Gana, Abb. 16 ). Am Lareccio Ri wird zudem die Differenz der Eintiefung in verschiedenen Gesteinen deutlich gemacht, indem die Kerbe im penninischen Kristallin nördlich Punkt 2109 bloss etwa die halbe Höhe ( 25-30 m ) der weiter talwärts liegenden Rauhwacke-Schlucht erreicht.

Am wenigsten fortgeschritten ist das Durchsägen des Selva Secca-Granitgneises südlich Acquacalda. Diese Talstufen-Schlucht entstand ebenfalls im Anschluss an die Eiszeit, indem eine Jung-moräne eine Flussverlegung verursachte.

Kolke und Strudellöcher Kistler hat diesen Phänomenen, die in und unter Stromschnellen und Wasserfällen, also in Versteilungen und ihren Schluchten auftreten, eine Sonderstudie gewidmet ( Valle Onsernone ). Beides sind typisch fluvialerosive Formen. Jeder noch so kleine Wassersprung schürft eine Kolkvertiefung aus. ( Technische Probleme stellt die « künstliche » Auskolkung bei Kraftwerk-Überfällen !) Die Strudellöcher ( Evorsionslöcher, Abb. 10/11 ), zu vergleichen mit Gletschermühlen, haben dieselbe Entstehung. Sie kommen ( ebenfalls ellyptisch bis kreisförmig ) als kleinere glattpolierte Felsschüs-seln auch auf bis senkrechten Wänden vor.

In jeder Schlucht des Untersuchungsgebietes sind solche Bildungen zu finden.

Kolke0 = 1 -10 m, T = l-6 m Strudellöcher 0 = 0,5- Im, T = 0,2-0,6 m Besondere Beobachtungsmöglichkeiten bieten die fossilen Schluchten oberhalb Pertusio ( Abb. 9 ), die vollständig begangen werden können. Da sie indessen bereits einige 1000 Jahre keinen Durchfluss mehr haben dürften, sind die meisten Kolke ganz oder teilweise zugeschüttet. Typische Evorsions-Beispiele weisen ebenfalls die Schluchten von Acquacalda ( Abb. 10,11 ) und Rialp auf.

Flussterrassen ( Fig. 13 und 14 ) Um die Jahrhundertwende, in einer Zeit der Terrassen-Klassik, ordneten mithin Forscher ( teilweise sogar ohne entsprechende Überprüfung im Gelände ) schematisch alle flachern Gehängeab-schnitte zu Systemen früherer Talböden. Gerade in unserem Gebiet lässt sich nun sinnfällig dartun, dass a ) einerseits zahlreiche tektonische und schichtgebundene Denudationsterrassen vorliegen, ( z.T. Fälle, wo man sehr wohl den Höhen- und Gefällsverhältnissen nach Erosionsterrassen eines Systems vermuten könnte ), dass b ) andererseits noch heute aktive Flussterrassen-Entwicklung gezeigt werden kann ( Stabbio Vecchio, Canali-Alpe di Gana ).

Während die Terrassen des Längstal-Abschnittes stark mit dem axialen Ostfallen der Schichten verlaufen ( Erwähnung verdienen die Toroi-Leisten und die grossen Bödenreste Dötra-Anveuda ), schneiden diejenigen des Quertal-Abschnittes die steilstehenden Schichten diskordant als reine Erosionsterrassen ( Scai, Passhöhe, Gana Negra, Scopi ).

Deutlich sind von diesen in den anstehenden Fels skulpturierten die Akkumulations-Terrassen zu differenzieren, wie solche am Brenno del Lucomagno bei Campra ( mit feinsandig-tonigen Seeablagerungen ) und auf der linken Talseite von Olivone ( Wildbach-Delta-Schotter und Bergsturzschutt ) auftreten.

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Lucomagno, Ticino. Topographische Übersicht, ca. 1: 50000. Ausschnitt aus der LK 50000 ( Mit Eintragung von Niederschlags- und Abfluss-Stationen ) Aufnahme Ch. Bossard, Langenthaì. Reproduziert mit Bewilligung der Eidg. Landestopographie vom 8.11.1960 7 Scopi, 3199 m, mit Bündnerschiefer-Schutthalden, Karnischen und fluviatiler Gestaltung der Rauh-wacke-Talflanke gegen Casascia ( vorn ) 8 Die aufgerissene Flu-vial-Talflanke des obenstehenden Bildes vom Flugzeug aus gesehen. Wildbach-Komplexe ( Erosionskessel, Kanal und Schuttfächer ), die Passstrasse auf den Schuttkegeln, teilweise in einer Galerie beim Vallone di Casascia ( links ) 7,9-11 Photos Val.Binggeli.

Le.nsenthal S Flugaufnahme Eidg. Landestopographie 12 Becken von Casascia mit Brenno und Passstrasse. Im Mittelgrund die vom Brenno angefressene typische Terrasse von Campo Solario ( Tal-terrassenniveau ). Hinten Lucomagno-Massiv mit Kar-«Lehnstühlen » 13 Die grossen Rundhöcker auf der Passhöhe, mit deutlichen Luv- und Leeseiten ( Überfliessen des Eises über die Passhöhe nach Süden ) 14 Blick über die Glaziallandschaft der Pigna zur Adula-Gruppe mit Rheinwaldhorn 12, 16 Photos Eidg. Landestopographie 13,14 Photos Val.Binggeli, Langenthai 15 Photo E. Kempter, Bern Vergletscherung und glaziale Formen Das Einzugsgebiet des Brenno del Lucomagno ist heute ganz ohne vergletscherten Anteil, obwohl mit Ausnahme der höchsten Gipfelregion und der der Talgründe ein reicher Glazialformen-schatz ihm den Charakter einer weitgehenden Glaziallandschaft verleiht. Zur Hocheiszeit ragten zweifelsohne bloss höchste Gipfel und Kämme als Nunataker aus den Eismassen.

1922 beobachtete Bossard einen kleinen Gletscherrest am Nordhang des P. Sole, « der von der ehemaligen Vergletscherung des Gebietes übriggeblieben ist ». Von der ehemaligen SW-Firnfläche Scopi-Corvo werden allerdings heute noch Eisreste ( Toteis ) unter den Schuttmassen geschützt liegen. Mit frischen Glazialrelikten sind die folgenden Gletschergebiete als subrezent charakterisiert: P. dell'Uomo, Scopi, P. Sole, Bassa di Söu, Passo Predelp, P. d'Era, P. di Campello.

Rundhöcker, Schliffe, Schliffgrenzen Es zeigt sich mehr und mehr, dass auch jene gerundeten Erhöhungen im anstehenden Fels mit angenähert elliptischem Grundriss ( « linsenförmige Gestalt » nach Flückiger ), durch verschiedene Faktoren ( Klüftung, Härtezonen ) bedingt sind, nicht bloss auf glazialer Schlifftätigkeit beruhen ( oder allein auf einer Wellendynamik des Eisflusses, wie sie Flückiger postulierte ).

Rundbuckel als dennoch vortreffliche Vergletscherungshinweise existieren Legionen im Gebiet. Klassische Stelle ist die Passhöhe, mit prachtvollen « roches moutonnées » grossen Stils ( Längsaxen bis ca. 100 m, Abb. 13 ). Sie haben eine ausgeprägte längsaxiale Asymmetrie, eine geschrammte flachansteigende Stoss- oder Luvseite, eine steile rauhe, mit ausgebrochenen Felstrümmern besonders am Fusse besetzte Leeseite. Indem diese gegen S blickt, wird ein N-S-Überfliessen des diluvialen Eises über den Pass unverkennbar.

Rundhöcker treten meist « gesellig auf ». Die Zahl der grössern auf Passhöhe Lucomagno geht an ein Dutzend. Die Rundhöckerflur südlich davon gegen Pertusio umfasst Hunderte in verschiedenen Grossen. ( Hier scheinen Anzahl. Form und Grosse der Einzelhöcker unabhängig von den hier anstehenden Gesteinsarten Gneis, Granitgneis und Rauhwacke zu sein. ) In sehr grosser Zahl beleben sie ebenfalls die Nordkare des Lukmaniermassivs und die Riegelzone Campra-Camperio.

Vorn wurde bereits Selektiverosion als Entstehungsursache der schönen Rundbuckellandschaften Pian Segno-Selva Secca und Campra-Camperio genannt. Resistente quarzreiche Kerne ( dazu Aplitgänge bei P. Segno ) sind beiderorts gut aufgeschlossen. Zwischen Campra und Camperio entwickelte sich eine charakteristische Rundhöcker-Rippenlandschaft, die wir in ihrer Grundanlage der Tätigkeit subglazialer Wässer zuschreiben möchten ( subglazifluviatil nach Jäckli ). Selektiv-erosiver Ursache sind auch diejenigen Rundhöcker auf Pigna, doch handelt es sich hier uva polierte Schichtköpfe.

Schliffspuren, Schrammen folgen den angeführten Höckerflächen. Dagegen sind Schliffkehlen und die hocheiszeitliche Schliffgrenze in dem damals weithin Firnraum darstellenden Gebiet schlecht zu bestimmen. Allfällige morphologische Indizien gerundet-rauh wurden durch die intensive Verwitterung stark verwischt.

Für die Scopi-Westgrate ( GR ) gibt Lautensach 2550 m an, während wir eher 2650 m annehmen. Vis-à-vis dürfte die Grenze am P. dell'Uomo um 2500 m liegen. Am P. d. Campello sind es nach Lautensach 2300 m, und für den Talausgang über der Mündungsstufe lautet unsere Bestimmung 1800 m. Nach diesen Zahlen hätte der Rissgletscher in unserem Gebiet eine Mächtigkeit zwischen 700 m ( Passhöhe ) und 550 m ( Camperio ) gehabt, Beträge, die uns trotz ihrer Höhe für das Gebiet vertretbar scheinen.

Tröge, Trogschultern, Trogplatten Trogform, U-Querschnitt der Täler, zeigt das Untersuchungsgebiet wenige. Im Passhöheraum darf man von einer weitgespannten derartigen Form sprechen, das asymmetrische Talstück unterhalb Pian Segno zeigt mit der steilkurvigen Südseite die Hälfte davon ( Fig. 13 ). Es ist der typische Prallhang des umbiegenden Talgletschers, wo bis auf kärgliche unsichere Reste ( Ridegra, unter Pta. d. Larescia ) Schultern und Leisten fortgeräumt oder durch Unterschleifen dem postglazialen Untergang geweiht wurden.

Eine beispielhafte Form ist dagegen der fossile kleine Trog südlich Punkt 2109, eine ältere moränengeschlossene Lareccio-Rinne. Die südlich davon hinziehenden Toroi-Leisten ( Abb. 12 ) weisen die einzigen ausgeprägten, wulstartig akzentuierten Trogschultern der Gegend auf ( Fig. 15 ). Das Trogtälchen schliesst im Hintergrund mit der ebenfalls sozusagen einzigen erkennbaren Trog-platte, indem eine solche unterhalb Passo Sole bloss angedeutet ist.

Moränen Es ist zu unterscheiden zwischen denjenigen der pleistozänen Talgletscher und der der verschiedenen Lokalgletscher. Die Bestimmung der erstem, vollends wenn es ältere Bildungen, morphologisch verwischt und mit verschwemmtem Material, sind, gestaltet sich oft schwierig. Anhaltspunkte bleiben gute Aufschlüsse und Leitgesteine. Der Erosionsanriss der Vallone di Casaccia hat eine südlich davon längs zum Tal ziehende altere Moräne auf 1980 m angeschnitten. Sie scheint kürzere Zeit von einem spätem Gletschervorstoss überfahren worden zu sein. An ihrer Zusammensetzung beteiligen sich in der Mehrzahl Bündnerschiefergesteine, einzeln Granitporphyre ( Typ Medelser Pro togin ). Die Mächtigkeit dieser dichten Ablagerungen beläuft sich auf 15-20 m. Auch sie gelten uns indessen nicht als eindeutig vorwürmisch.

Altmoränen-Material ist zweifellos, wenn auch nicht sicher nachweisbar, an der ausgedehnten Moränenfläche Croce Portera-Anveuda beteiligt.

Jungmoränen sind eher als Wälle oder Buckel ( Wall-Teile ) morphologisch erkenntlich. Darüber hinaus aber hat sich eine eindeutige Bestimmung, da kantenbestossene oder gekritzte Komponenten als Indizien äusserst selten sicherzustellen sind, wieder an Aufschlüssen und Charaktergesteinen zu orientieren. Besonders solch letztere sind im Gebiet fast durchwegs brauchbar vorhanden ( Fig. 17 ).

Frische Ablagerungen lokaler Gletscher subrezenten Charakters finden wir über 2400 m in den Karen des Scopi, P. dell'Uomo und des Lukmaniermassivs.

Kare Entgegen der frühern Ansicht rein glazialer Entstehung der Kare ( Botner in Skandinavien ) vertreten wir dafür heute eine Theorie, wonach sie zumeist glazial ausgestaltete Quelltrichter älterer Flüsse darstellen. Auf die Strukturabhängigkeit dieser fluviatilen Voranlagen ist verschiedentlich hingewiesen worden. Fels fasste im Karwendelgebirge die grossen « Talkare » als altpräglaziale Talenden auf, die die eiszeitliche Firnerfüllung nicht erheblich ausgeweitet habe. Nach ihm sind dagegen die kleinern Gehängenischen ( « Schneegrenzkare » ) rein glazialer Herkunft.

Der anschauliche Vergleich Flückigers, wonach reihenweise nebeneinander in den Bergkörper eingetiefte Kare, deren seitliche Trennungsmauern wie Rippen vom Hauptgrate ausgehen, Lehn- Stühlen mit Armstützen ähnlich sind, trifft in der Tat für die markanten Nordkare des Lukmaniermassivs zu ( Abb. 12 ).

Kartreppen, bestehend aus 3 Stufen, entwickelten sich an Pizzo Campello und P. Predelp ( Lukmaniermassiv ), eine zweistufige, doppelseitige Kartreppe nimmt sozusagen die ganze Scopi-Südwestseite ein ( Fig. 10 ).

Riegel, Becken, Stufen Jeder Riegel schafft bei Gefälle an sich schon ein Becken, das indessen zumeist klein, auf die hinter jenem liegende Vertiefung beschränkt, ist. So bildeten sich gerade in unserem gebirgigen Gebiete sehr zahlreiche Riegel, gebildet entweder durch Fels- oder durch Schuttmassen: Härtlinge, Moränen, Schuttkegel, Bergstürze, Sackungen und Rutschungen. Moorbecken gehören als typische Folgen dazu.

Die Valle del Lucomagno ist ein ausgesprochen in Stufen und Becken gegliedertes Tal. Wir haben die endogenen Grundursachen dieser Gliederung aufgezeigt. Zu den tektonisch-geologischen gesellten sich innerhalb der Formentwicklung zumeist noch fluviatile wie glaziale, mithin auch chemisch-korrosive Kräfte.

Am Brenno del Lucomagno tritt verschiedenerorts die Dreiheit Riegel - Becken - Stufe auf. In verschiedenen Fällen sind Härtezonen vorhanden, die zudem durch Schuttriegel überhöht sind. Das Becken von Casaccia beendet der Gneisgranit-Stock der Selva Secca, dem sich gegen E eine Moräne zu einem durchgehenden Talriegel anschliesst. Eine Stufe führt 80 m hinunter ins Becken von Pian Segno.

Dieses ist vorerst eine Konfluenz-Weitung, der hydrographische Hauptkampfraum des Gebietes, wie später dargestellt wird. Tektonische Beeinflussung ist ebenfalls anzunehmen. Schliesslich ist die erleichterte mechanische Ausräumung und die Auslaugung der den Beckenuntergrund bildenden dolomitisch-rauhwakischen Karstgesteine nicht zu vergessen. Wir haben im Falle dieser Formentwicklung also eine Kumulation der bedeutendsten Wirkungsfaktoren vor uns ( Abb. 3 ).

Eine Bündnerschiefer-Härtezone quert verengend den untern Ausgang des Segno-Beckens, eine Sackungsmasse vom Osthang verstärkte zudem den Felsriegel. Die darauf folgende Rialp-Stufe leitet als wiederum höchst komplex gebildete Anlage zum 200 m tiefer gelegenen Campra-Boden über. Die Stufe quert tektonische Störungslinien ( vgl. Fig. 9 ). Dann waren wiederum Konfluenz-Kräfte am Werke, auf die teilweise auch die Bildung des Campra-Beckens zurückgeht: von W mündet unterhalb Rialp die ehemalige Lareccio-Talung ( Frodalera ).

Mit dem Resistenz- und Schuttriegel westlich Monti Pü setzt die Mündungsstufe ein, deren zwei Teile gesamthaft eine Höhendifferenz von 550 m ergeben. Wir haben auch hier wieder sowohl Tektonik wie Geologie einen Anteil der Ursachen zugeschrieben. Die Stufe ist als Ganzes ebenso deutlich ca. 1 km rückwärts gewandert wie auf 2,5 km gestreckt worden. Ihr vielgestaltiger Aufbau hat für uns in manchen Teilen noch keine oder bloss unbefriedigende Deutung erfahren.

Bergstürze, Sackungen, Rutschungen Der grösste Felssturz des Gebietes war derjenige von Punta di Larescia gegen Camperio, topographisch gekennzeichnet durch den grossen, schon den mittelalterlichen Passfahrern wohlbekannten Wald Gualdo Maggiore. Das Abrissgebiet befindet sich wenig unterhalb des Grates. Die Schüt-

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Eine Masse Bündnerschiefer löste sich von der Südseite der Porta del Corvo ( Scopi ) unweit ennet der Wasserscheide gegen die Valle del Campo, wo ihr Schüttgebiet weit talwärts reicht. Blöcke bis zu 1300 m3 Inhalt satzten jedoch auch über die nahe flache Wasserscheide auf Lukma-nierboden. Die zwei Gruppen mit hausgrossen Blöcken nördlich des Vallone-Schuttkegels an der Lukmanierstrasse werden daher stammen, sind aber möglicherweise erst auf spätere sekundäre Auslösung hin, durch den rückschreitenden Erosionskessel der Vallone del Campo, an ihren heutigen Standort gelangt.

An Sackungen und Rutschungen ist die untere Valle del Lucomagno reich. Die ganze steile Südseite vom Gualdo Maggiore bis Rialp ist aus erwähnten Folgen tektonischer Zerrüttung, glazialer Unterschleifung und Auslaugung des Gips-Fusses bis unter die Gipfelregion versackt und verrutscht.

Schuttkegel und Schuttgehänge Die morphologische Karte ( Fig. 10 ) zeigt in Fülle sowohl nasse wie trockene Schuttkegel ( Schwemm- bzw. Sturz-Schuttkegel ). Verschiedene der ausgeprägtesten Schwemmschuttfächer quert die Lukmanierstrasse zwischen Acquacalda und Passhöhe, sie gehören den besprochenen Wildbächen der fluviatil gestalteten Ostflanke der obern Valle del Lucomagno zu. Derjenige der heute noch äusserst aktiven Vallone di Casaccia wurde am Deltahals auf eine Strecke von 100 m untertunnelt, damit nicht nach jedem Hochgewitter an diesem neuralgischen Punkte für die Aufrechterhaltung des Passverkehrs gesorgt werden muss.

Indem die Schuttkegel von Casaccia und Pozzetta den Brenno an die andere Talseite drängten, verursachten sie indirekt die Abtragung der dortigen Talterrassen, wovon noch der schöne Rest von Campo Solario zeugt ( Abb. 12 ). Was Mächtigkeitsverhältnisse eines Schuttkegels betrifft, können wir angeben, dass eine Sondierbohrung der Blenio Kraftwerke AG. auf dem Marzano-Schuttkegel ( Olivone ) das anstehende Gestein in 40 m Tiefe anfuhr ( Fig. 10 ).

4. Chemische Erosion Karstphänomene, wie man die durch Lösung kalkiger Gesteine entstandenen Formen nennt, treten verschiedenerorts im Untersuchungsgebiet auf. Südlich der Passhöhe und zwischen Lareccio und Canali aber, wo die triadischen Dolomite und Rauhwacken der Piora-Lucomagno-Mulde am breitesten entwickelt sind, kann man fast von Korrosionslandschaften sprechen. Nach Grund handelt es sich im Lukmanier um einen Halbkarst, indem die Landschaft auch Züge mechanischer Erosion, besonders einer frühern Zeit, trägt.

Einen besondern Teil des Lukmanier-Karstes nahmen wir im Plan ( Karte Fig. 17 ) detailliert auf ( mittels Polygonzügen etc. ). Es sind vor allem Dolinen und Karstquellen, die wir eingehender untersuchten.

Karren, Höhlen, Ponore, Karstquellen Karren ( Schratten ) als typische Erosionsformen in Karstgesteinen - sie beruhen allerdings sowohl auf Korrosions- wie mechanischen Abspülungs-Vorgängen - fehlen in diesem grossteils aus Rauhwacke gebildeten « bedeckten Karst » ( Humus, Vegetation ) bis auf embryonale Vorkommen im Dolomit von Lareccio und P. Corombe. Ebenfalls offene Karsthöhlen sind selten, bekannt sind uns bloss kleinere, ausgehend vom grossen Karstschlot westlich Pertusio ( Karte Fig. 17, Abb. 19 ). Wasser-Färbversuche indessen gaben Hinweise auf ausgedehnte unterirdische Hohlräume.

Die grosse Karstquelle Pertusio ( Name! Abb. 18 ) können wir als Sammelresurgenz bezeichnen, denn hier erscheinen die Wässer verschiedener Schlucklöcher ( Ponore ) des Tälchens südlich Alpe di Croce wieder ( Abb. 17 ). Die Quellengruppe bei A. Lareccio erweist sich, obgleich in einem Gehänge-schuttfuss gelegen, als ebenfalls karstisches Phänomen. Für sie kommen nun aber keine Wasser-schwinden als Speisung in Frage. In ihrem « Hinterland » bis zum P. Corombe zum mindesten sind nur fossile Schlucklöcher vorhanden.

Die bedeutendste Flußschwinde ist jene der Brenno-Quellbäche bei Alpe di Croce, von der aus ebenfalls Verbindung zur Pertusio-Quelle besteht. Ausserhalb der beiden eigentlichen Lukmanier-Karstlandschaften liegt ein Ponor in dem schmalen Dolomitzug von Frodalera.

Dohnen Haupterscheinungsform ist ein runder Versickerungstrichter, wie wir ihn aus andern Karstgebieten der Erde kennen ( 92% ). Auf « Schluck»- ( Abb. 17 ) und Einsturzdolinen fallen bloss die restlichen je 4% ( Fig. 17 ). Im Typkarst der Dinariden ist die Dichte ungleich geringer ( 1-3 pro ha ) als im Lucomagno ( 20-30 pro ha, oft über 100, in Dolinenfeldern ). Was die Ausmasse betrifft, ist der Fall umgekehrt: Karst 10-40 m Durchmesser, 5-10 m Tiefe; Lucomagno 5 m/2,5 m. Form und Gestaltung sind sehr mannigfaltig ( Trichter, Schlote, Verwachsungen, Dolinen unter Moränendecke, Dolinenseen etc. ).

Das Auftreten der Dolinen auf Kluftlinien weist auf die Bildungsumstände hin, wobei im einzelnen die Entstehung noch heute nicht sicher abgeklärt ist. Ohne Zweifel ist aber nicht Einsturz von Höhlendecken vorherrschend, wie früher angenommen wurde. Auf feinen Kluftöffnungen dürfte durch Sickwasser allmählich das Karstgestein gelöst und derart eine Primärmulde geschaffen werden, worin dann die chemische Erosion verstärkt fortschreitet ( Kälte-, Feuchtigkeits-und Schneemulden, Vegetation ).

5. Anthropogene Formen Mit Ausnahme der Beckenlandschaften mit den grossen Maiensäss- und Alpsiedelungen stellt das Gebiet über der Mündungsstufe von Olivone eine alpine Naturlandschaft dar, die nur als Passlandschaft entlang der Strasse von einem Streifen Kulturlandschaft durchzogen ist. Ausser den beiden genannten und proportional der Entfernung von ihnen sind anthropogene Formen selten und in der ursprünglichen Natur wenig stark hervortretend.

Die eine Hauptgruppe von Formen der menschlichen Hand erhielt der Lukmanier, wie erwähnt, als Passübergang. Die Trasseführung der Strasse erforderte Aussprengungen in Felswänden, wodurch eigentliche anthropogene Schutthalden entstanden ( vor allem bei Campra ). Dieselbe Strecke weist zahlreiche mächtige Maueraufbauten auf.

An Randaufbauten, die teilweise noch auf römische Baumeister zurückgehen dürften, ist ebenfalls der alte Saumpfad Camperio—Pü—Campra—Segno zu erkennen, der im Gegensatz zur heutigen Strasse sich eng an den Brenno und teilweise links davon hält. Gegen die Verschüttungsgefahren durch den Vallone-Wildbach bei Casaccia war ein 100 m langer Strassentunnel nötig. Kiesgruben und Steinbrüche liefern Material zum Strassenunterhalt, die letztern ebenfalls zum Hausbau.

Die Alpwirtschaft bedingt eine zweite Formgruppe, worunter die Siedelungen selbst und die sie umgebende « Dunglandschaft », dazu die Terrassenkulturen und Ackerflurschachbrette von Dötra, Anveuda und Camperio die bedeutendsten sind. Zum Steinbruch gehörte beim alten Hausbau der Kalkbrennofen; ein halb verfallener Ofen befindet sich bei Pian Segno, während auch in Camperio einer bestanden haben soll.

Zum Schlüsse bleiben einzelne anthropogene Formen zu erwähnen, die zahlreichen Quarzbrüche, die ATEL-Hochspannungsletiung und zu deren Schutz erstellte Lawinenverbauungen an der Gana Rossa. Die nahe Zukunft wird zudem an der Lukmanierroute ein ganz besonderes Werk von Menschenhand bringen, den Camprasee! ( Ausgleichsbecken der Blenio Kraftwerke ). Der Zeitpunkt der Erstellung dieses Speichersees ist noch nicht festgelegt, vorerst aber wird das Lukmanier-Wasser ( Brenno und Ri di Lareccio ) bei Acquacalda gefasst und ins Speicherbecken von Luzzone geleitet. Die Stollen sind im Bau. Der Rest des Brenno-Wassers wird unten bei Sommascona noch gefasst, um im Werk Biasca ausgenützt zu werden. Die oberen Wasser werden bereits in den Werken Luzzone, Olivone und Sommascona ausgenützt werden.

Glücklicherweise werden im Lukmaniergebiet diese menschlichen Eingriffe in Bild und Haushalt der Landschaft in einem verantwortbaren Rahmen bleiben.

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