Leben wie die Inuit.
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Leben wie die Inuit.

Eine Woche leben wie die Inuit, ohne jeden zivilisatorischen Komfort - dieses Abenteuer erlebte eine Gruppe von 10 Gymnasias-tinnen und Gymnasiasten aus Tavannes im Mai 1999 in den Bergen oberhalb Leukerbad. Für die jugendlichen Gewinner des von der Zeitschrift «L' Illustré» im Sommer 1998 organisierten Wettbewerbs «La Bourse de l' aventure» war es härter, sich in Solidarität zu üben als sich mit den Elementen auseinander zu setzen.

Das Projekt mit dem Titel «Les Inuit débarquent» einer Gymnasialklasse aus Tavannes überzeugte die Jury des Wettbewerbs durch seine Originalität. Sie beschloss daher, die Jugendlichen im Alter von 15 Jahren, die kaum Bergerfahrung mitbrachten, in ihrem Wunsch, wie die Inuit im hohen Norden zu leben, zu unterstützen.

Die Realisierung des Projekts erforderte eine mehrmonatige Vorbereitungszeit, in der die Jugendlichen lernten, Parkas und Werkzeuge der Inuit (Fischruten, Angelhaken) herzustellen und Iglus zu bauen. Da gemäss Projekt die Gruppe jeden Tag weiterziehen sollte, musste täglich ein neues Iglu gebaut werden. Die Schülerinnen und Schüler durchliefen auch ein körperliches Training, ehe sie sich in das Abenteuer stürzten, das - nachdem es drei Monate lang wegen schlechten Wetters hatte verschoben werden müssen - endlich am 25. Mai 1999 gestartet werden konnte.

Gemäss Projekt waren die Lebensbedingungen der Inuit umzusetzen: also weder Uhren noch Handys, dafür Klettergurt, LVS, Felle, Sägen, Kocher und Seile. Zu dieser schon recht umfangreichen Ausrüstung kamen noch die Tourenski. Dies war die einzige Abweichung von den Projektregeln, die sich aber dadurch rechtfertigte, dass die Ski beim Bau des Igludachs eingesetzt werden konnten und die Fortbewegung auf weichem und tiefem Schnee wesentlich erleichterten. Die Reise nach Leukerbad und hinauf auf die Gemmi verlief nicht ohne mulmiges Gefühl im Magen, denn die Jugendlichen begaben sich in eine Welt voller Unbekannten.

Am ersten Tag zwang stürmisches Wetter die Gruppe dazu, möglichst schnell einen geeigneten Ort für den Bau eines Iglus zu finden. Unter einem überhängenden Felsen bauten sie einen Schlafraum mit Etagenbetten aus Schnee und gruben unter einem natürlichen Dach aus zwei Felsblöcken ein zweites Schlafzimmer, das sie mit Schneemauern abschlossen.

Am folgenden Tag bestieg die Gruppe den Wildstrubel, 3243 m. Der lange und mühsame Aufstieg mit 800 m Höhendifferenz war für die jungen Leute hart, hatten sie doch nicht nur eine recht unbequeme Nacht hinter sich, sondern auch viel zu schwere Rucksäcke. Die Erleichterung war spürbar, als die Gruppe schliesslich unter dem Gipfelüberhang eine Stelle erreichte, wo der trockene und vom Wind gepresste Schnee das Schneiden von gleichmässigen Schneeblöcken für den Bau eines Iglus ermöglichte. Eine kleine Küche zum Schmelzen von Schnee war schnell erstellt, und der heisse Tee fand grossen Anklang, denn die Jugendlichen waren durstig vom schweren Aufstieg. Zudem mussten ja wieder Iglus gebaut werden. Die Arbeit war zwar anstrengend, aber schon bald nahmen die Schneekuppeln Form an.

Am nächsten Tag gab es einiges Gemurre, als klar wurde, dass die Abfälle nicht einfach im Schnee eingegraben werden konnten, sondern in ihre ohnehin schon schweren Rucksäcke verstaut werden mussten. Das grossartige Panorama vom Gipfel des Wildstrubels entschädigte dann etwas für die Mühen. Die ziemlich steile Abfahrt zur Plaine Morte, bei der sich der kleinste Belastungsfehler auswirkt, und die schweren Rucksäcke taten ein Übriges: Die Jugendlichen, die mehrheitlich das Snowboard besser beherrschen als die Tourenski, rollten öfter den Hang hinunter, als ihnen lieb sein konnte.

Auf der Plaine Morte entschieden sich die Jugendlichen, an ihrem Biwakplatz wegen des weichen Schnees vier Unterkünfte zu graben und die Ski und Stöcke für die Dachkonstruktion einzusetzen. Diesmal war es einfacher am Vortag. Zudem waren die Jugendlichen besser in Form und schienen den Rhythmus der Inuit bereits angenommen zu haben.

Nach einem letzten Biwak in Form einer zeltartigen Hütte erreichte die Expedition dann Montana. Alle genossen die Rückkehr in die Zivilisation auf ihre Weise: Während die Leiter möglichst schnell nach einem Kaffee Ausschau hielten, stürzten sich die Jugendlichen in ein Lebensmittelgeschäft und deckten sich mit Chips, Coca-Cola und anderen Schleckereien ein.

Wer aus der modernen Zivilisation kommt, kann sich nur schwer auf ein Leben umstellen, wie es die Inuit führen. Einige konnten - oder wollten - auf gewisse Annehmlichkeiten nicht verzichten und versteckten Uhren und Natel in den Tiefen ihrer Rucksäcke - ohne zu überlegen, dass sich dadurch deren Gewicht erhöhte!

Viel härter war aber, die Solidarität innerhalb der Gruppe zu leben, obschon sie das Sprichwort der Inuit «Ohne Mann stirbt die Frau, aber ohne Frau stirbt auch der Mann» kannten. Die Jugendlichen taten sich schwer damit, einander zu helfen, vielleicht aus der Angst heraus, durch den Einsatz ihrer Kräfte für andere selber nicht mehr mithalten zu können.

Diese Erkenntnisse schmälern in keiner Weise die Leistung der zehn Jugendlichen, die während acht Monaten Zeit und Energie in die Realisierung des Abenteuers gesteckt hatten. Vielmehr können sie als Ausgangspunkt für ein neues Abenteuer dieser Art dienen.

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