Linnés Flora Alpina
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Linnés Flora Alpina

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Von A. Bedierer ( Genf )

Eine Schrift über die Hochgebirgspflanzen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts Im Jahre 1756 erschien eine akademische Druckschrift, in der der bemerkenswerte Versuch unternommen wird, die Pflanzen der europäischen Hochgebirge zusammenzustellen und von jeder Art die geographische Verbreitung anzugeben. Die Arbeit ist die Dissertation eines Schülers von Carl Linné oder Linnaeus ( 1707-1778 ), dem grossen schwedischen Naturforscher, ist jedoch — wie dies von den Dissertationen der Schüler Linnés allgemein angenommen wird — dem Meister selbst zuzuschreiben. Sie trägt den Titel: Flora Alpina, quam... praeside... Carolo Linnaeo... publicae ventilationi subjicit Nicolaus N. Amann... die XXIV martii, anniMDCCLVI, etc. Upsala, 8°, 1756 1.

Die Schrift, in der die Schweiz als Gebirgsland ihren Platz gefunden hat, wird zwar in Ed. Fischers Bibliographie « Flora Helvetica » ( 1901 ) zitiert ( offenbar nach Pritzels « Thesaurus » ); von den schweizerischen Alpenfloristen ( C. Schröter in erster Linie ) wird sie jedoch übergangen.

Es entbehrt nicht des Reizes, das bescheidene Opus — Linné war bekanntlich selber nie in den Alpen, sein Schüler Amann ebensowenig, man wird daher nicht zu viel erwarten wollen — in die Hand zu nehmen und zu mustern.

Im ersten Kapitel der Schrift werden die Länder und Gebirge aufgezählt, die berücksichtigt worden sind. Es werden im ganzen dreizehn geographische Abteilungen unterschieden. Von diesen interessieren uns hier die die Schweiz und ihre Grenzgebiete betreffenden. Es sind die Abteilungen 7—-10:

7: Helveticae Alpes: hier werden speziell genannt die Furka, der Niesen ( « Nessus » ), die Gemmi, das Stockhorn sowie — versehentlich — der Hauenstein und die Wasserfalle ( beide im Jura ).

8: Rhaeticae Alpes, mit besonderer Nennung des Gotthards und — merkwürdigerweise — eines geographischen Ortes im Wallis « Loch 2 altissimus mons Vallesiae ».

1 Zitiert nach: A Catalogue of the works of Linnaeus preserved in the libraries of the British Museum, 2. Aufl., London 1933, S. 127. Hier auch Bibliographie der späteren ( identischen ) Ausgaben des Werkes. Die von mir benützte Ausgabe ist die unter Nr. 1894 dieses Kataloges aufgeführte: Flora Alpina praeside D. D. Car. Linnaeo proposita a Nicol. N. Aman [sic], etc. In: Amoenitates Academicae, 2. Aufl., Bd. 4, Nr. 68, S. 415-442 ( nicht 415-422, wie der genannte « Catalogue » angibt ), 8°, 1788.

1 Dieser Name steht auch in der Pflanzenliste der Linnéschen Schrift, und zwar auf S. 429 unter Aretia ( Androsace ) alpina [Alpen-Mannsschild]: « Vallesiae Loch ». Er findet sich unter derselben Art im übrigen schon in Linnés « Species plantarum » ( 1753, S. 141 ): « Habitat in Vallesiae monte Loch. » Linné dürfte diese Angabe durch eine briefliche Mitteilung Albrecht v. Hallers erhalten haben. In Hallers « Enumeratio » ( 1742 ), nach welchem Werk Linné die kurze Diagnose der Aretia angefertigt hat und das er zitiert, fehlt der Name.

Ich fand den Namen auch sonst bei Haller nicht, ebensowenig bei den späteren Schweizer Floristen ( Suter, Gaudin ). Was ist dieses « Loch »? Durch freundliche Vermittlung von 9 9: Italicae Alpes, darunter der Jura, und zwar mit Hervorhebung des Mons Thoiry ( Reculet ) bei Genf, die Auvergne, die Savoyer Alpen u.a.

10: Gallicae Alpes, z.B. mit der Grande Chartreuse bei Grenoble.

Im zweiten Kapitel werden einige den « Planlae alpinae » eigentümliche Merkmale aufgezählt, u.a.: der niedere Wuchs der Alpenpflanzen, ihre grosse Widerstandsfähigkeit, das häufige Auftreten von Sträuchern ( mit den stark vertretenen Weiden [SalixJ ), das nicht seltene Vorkommen der Viviparie x ( z.B. bei: Festuca [Schwingel], Poa [Rispengras], Polygonum [Knöterich], Saxifraga [Steinbrech] ).

Dann folgt, nach Ländern geordnet, ein Verzeichnis derjenigen Botaniker, die sich mit der Erforschung der « Planlae alpinae » beschäftigt haben. Unter der Schweiz stehen hier die Namen:

( 1 ) Rhellicarius, ( 2 ) Gesnerus, ( 3 ) Aretius, ( 4 ) Bauhini, ( 5 ) Scheuchzeri und ( 6 ) Hallerus.

Es handelt sich bei diesen Forschern um:

( 1 ) « Rhellicarius » ( Schreib- oder Druckfehler ): Johannes Rhellicanus alias Joh. Müller von Rellikon. 1528 Hebräischprofessor in Bern, 1538 Rektor der neuen Theologischen Schule in Zürich, 1541 Pfarrer in Biel, 1551 dort gestorben, bekannt durch seine Besteigung des Stockhorns im Jahre 1536.

( 2 ) Conrad Gesner ( 1516—1565 ), den grossen Zürcher Naturforscher und Arzt. 1555 seine denkwürdige Pilatusbesteigung.

( 3 ) Benedictus Aretius alias Benedikt Marti, Professor der alten Sprachen und der Theologie in Bern. 1558 Besteigung des Stockhorns und des Niesens, weiter Reisen im Simmental, Haslital, Kien- und Frutigtal usw.

( 4 ) Das Basler Brüderpaar Bauhin, nämlich Johannes Bauhin ( 1541 bis 1613 ) und Caspar Bauhin ( 1560—1624 ), hervorragende Mediziner und Botaniker.

( 5Das Zürcher Brüderpaar Scheuchzer, nämlich Johann Jakob Scheuchzer ( 1672—1733 ), Professor und Stadtphysikus in Zürich, und Johann Herrn Ing.Topogr. Hans Düby ( Cortivallo-Sorengo ) hat mir auf diese Frage Herr Prof. Dr. J. U. Hubschmied ( Küsnacht ) die folgende erschöpfende Antwort gegeben ( 13. Dezember 1945 ):

« Der Berg, den Linné ,Loch altissimus mons Vallesiae'nennt, wird deutsch Lochberg geheissen haben. Unter mons ist zweifellos nicht ein Berggipfel, sondern ein Bergübergang, ein Pass, zu verstehen. Lochberg ist ohne Zweifel ein alter Name des Theodulpasses, steht für Lochmattenberg. ( Dreigliedrige Zusammensetzungen werden in volks-tümlichem Deutsch zu zweigliedrigen zusammengezogen; vgl. ölbaumzweigÖlzweig. ) Lochmatte ist der alte Name für Zermatt ( noch im 19. Jahrhundert hiess der älteste Dorfteil von Zermatt, das sogenannte hintere Dorf, ,die Lochmattedas Wort ist ziemlich sicher die Übersetzung des alten französischen Namens von Zermatt: Praborgne. Auch im mittleren Zermatter Tal findet sich der Flurname ,die Lochmatten'( plur. ): unterhalb ,Feld', 1 km nordöstlich von St. Nikiaus. » Darnach handelt es sich also um den Theodulpass = Matterjoch oder kurz « Joch » = Col du Cervin = Jugum Sylvii Gaudins, ein an seltenen alpinen Arten reiches Gebiet, in dem der auch sonst um Zermatt häufige Alpen-Mannsschild vorkommt.

1 D. h. des Auswachsens von Ährchen oder des Entstehens von Brutknospen an der Stelle von Blüten zum Zwecke der ungeschlechtlichen Vermehrung.

Scheuchzer ( 1684—1738 ), Professor der Physik und Chorherr in Zürich. Der ältere der beiden Brüder, bekannt hauptsächlich durch sein « Herbarium diluvianum », unternahm viele botanische Reisen in die Schweizer Alpen; der jüngere hat sich insbesondere als Gräserforscher einen Namen gemacht.

( 6 ) Albrecht von Haller ( 1708—1777 ), den ruhmreichen universellen Berner Gelehrten, als Botaniker vor allem hervorgetreten durch seine « Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata » ( 1768 ).

Die sodann folgende Zusammenstellung der Arten — der Hauptteil der Schrift — schliesst sich in der Reihenfolge und der Nomenklatur an Linnés zweibändiges systematisches Standardwerk tSpecies plantarwn » ( 1753 ) an K Die Liste enthält 377 Gefässpflanzen, dazu 9 niedere Kryptogamen.

In der Aufzählung der Länder steht der Norden ( Lapponia ) stets am Anfang. Was die Alpenländer betrifft, so beginnt die Aufzählung meist im Westen ( Helvetia ) und endet im Osten ( Austria ). Im Westen werden gelegentlich die Savoyer, die Piemonteser Alpen, der Mont Cenis besonders hervorgehoben, in den Süd- und Ostalpen z.B. der eine ausnehmend reiche Flora besitzende Monte Baldo und der Wiener Schneeberg. Bei verschiedenen Arten wird neben der Schweiz noch « Vallesia » angeführt, z.B. S. 436 bei Astragalus ( Oxytropis ) montanus [Berg-Spitzkiel], S. 438 bei der Arve und der Lärche.

Allermeist stehen die Verbreitungsangaben in abgekürzter Form. Beispiele: Aconitum Anthora [Feinblättriger Eisenhut]: « Heivet., Pyren., Taur. [Taurero: Tauern], Allob. [Allobrogicis: Savoyer Alpen], Baldo. » — Genäana lütea [Gelber Enzian]: « Lapp., Norv., Helv., Pyr., Bald. [Baldo], Apen. [Apenninis], Trid. [Tridentinis]. » — Pinus Cembra [Arve]: « Helv., Vallès., Bald., Allob., Trid., Tat. [Tatricis: Tatra], Sibir. » Die Angaben entsprechen in einigen Fällen mehr oder weniger den tatsächlichen Verbreitungsverhältnissen. Z.B.: S. 429 Phyteuma comosa [Schopfige Rapunzel]: « Baldo, Austr., Tyrolens., Helvet. » [die Art findet sich in der Schweiz seihst nicht, aber schon an der Grigna am Comersee]. S. 434 Sideritis hyssopifolia [Ysopblättriges Gliedkraut]: « Helvet., Pyren., Ital. » [auch: Spanien, Frankreich]. S. 435 Cardamine asarifolia [Haselwurz-blättriges Schaumkraut]: « Italiae, Pedemont. » [auch: französische Alpen und — erst hundert Jahre später entdeckt — Puschlav in der Schweiz].

Meist sind die Angaben aber sehr unvollständig und lückenhaft, vor allem auch ungleichmässig, was bei einer vor bald 200 Jahren erschienenen Schrift nicht anders zu erwarten ist. Die Ungleichmässigkeit tritt insbesondere zutage in den Angaben über die Verbreitung der Arten im Längsverlauf der Alpenkette, und es wäre ein zweckloses Bemühen, etwa durch eine Zusammenstellung bestimmter Alpenländer sich ein Bild der Alpenfloristik in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu machen.

Etwas anders verhält es sich bei einigen nicht alpinen Gebieten, wie den Pyrenäen, dem Jura oder bei dem bereits genannten, vom Alpenzug abseits liegenden, u.a. auch von zwei Baslern: Caspar Bauhin ( um 1578 ) und Jakob 1 Einige wenige Namen sind neu, z.B. Myosotis nana, der Name für den Himmelsherold, die prächtige, vergissmeinnichtartige, hochalpine Polsterpflanze kalkarmer Gesteine ( botanisch heute: Britrichium nanum Schrader ).

Zwinger ( um 1595 ) besuchten Monte Baldo am Ostufer des Gardasees: festzustellen, welche Alpenpflanzen Linné aus diesen Gebieten angibt, ist ein kleines Stück historischer Pflanzengeographie.

Ich möchte dies im folgenden für den unser Land unmittelbar berührenden Jura tun.

Die Angabe « Jura » steht in der Aufzählung bei 19 Arten ( 18 Blütenpflanzen, 1 Farn ). Diese sind:

S. 428 Veronica aphylla. [Blattloser Ehrenpreis. Verbreitung im Jura: südlicher Teil, nordostwärts bis zur Dent de Vaulion. Stufe: subalpin.Scabiosa alpina.Cephalaria alpina Schrader. Alpen-Kopfblume. Südlicher Teil, bis Aiguilles de Baulmes. Subalpin.Plantago alpina. [Alpen-Wegerich. Südlicher Teil. Subalpin.] S. 429 Soldanella alpina. [Grosses Alpenglöckchen, Soldanelle. Südlicher und mittlerer Teil, bis Suchet. Subalpin.] S. 430 Gentiana acaulis. [Stengelloser Enzian. Im Jura zwei Kleinarten: G. Clusii Perrier et Songeon ( in erster Linie ) und die nahe verwandte G. Kochiana Perrier et Songeon. Die erste verbreitet, nördlich bis ins Birstal, nordöstlich bis in die Gegend von Ölten gehend; montan-subalpin; die zweite nur im südlichen und mittleren Teil; subalpin.Narcissus Pseudo-Narcissus. [Gelbe Narzisse, Märzenblume.Ver-breitet. Montan.] S. 431 Rhododendron ferrugineum. [Rostblättrige Alpenrose. Südlicher und mittlerer Teil, bis Chasserai. Subalpin.] S. 433 Dryas octopetala. [Silberwurz. Südlicher und mittlerer Teil sowie Weissensteinkette. Subalpin.] S. 434 Ranunculus Thora. [Thora-Hahnenfuss. Südlicher Teil, bis zur Dole. Subalpin.Ranunculus aconitifolius. [Eisenhutblättriger Hahnenfuss. Verbreitet. Montan-subalpin.Helleborus niger. [Schwarze Niesswurz, Christrose. Irrtum: nicht im Jura. Die Angabe bezieht sich wahrscheinlich auf einen Fall von Verwilderung, vielleicht auf denselben, den Gaudin, FI. Helv. Ili, S. 565 ( 1828 ) erwähnt ( Mont Soleil bei St-Imier, nach dem Basler Floristen C. F. Hagenbach ). In der Schweiz urwüchsig nur im südlichen Tessin.] S. 435 Antirrhinum alpinum.Linaria alpina Miller. Alpen-Lein-kraut. Südlicher und mittlerer Teil sowie Hasenmatt in der Weissensteinkette. Subalpin.Geranium phaeum. [Brauner Storchschnabel. Urwüchsig in einer ( häufiger in den Alpen wild vorkommenden ) Rasse mit hell schmutzig-violetten Blüten im südlichen, französischen Teil ( Reculetkette ); subalpin; im Schweizer Jura nur verwilderte Vorkommnisse der typischen, dunkel blühenden Form.] S. 436 Sonchus alpinus.Mulgedium alpinum Less., Cicerbita alpina Wallr. Alpen-Milchlattich. Durch die ganze Kette, nördlich bis Raimeux und Weissenstein. Montan-subalpin.Gnaphalium Leontopodium.Leontopodium alpinum Cass. Edelweiss. Südlicher Teil. Subalpin.] LINNÉS « FLORA ALPINA » S. 437 Tussilago alpina.Homogyne alpina Cass. Alpenlattich. Durch die ganze Kette bis in den Solothurner Jura. Montan-subalpin.Centaurea Centaurium. [Irrtum: nicht im Jura. In Mittel- und Süditalien beheimatete Flockenblumenart.Viola biflora. [Zweiblütiges Veilchen. Südlicher und mittlerer Teil. Subalpin.] S. 438 Polypodium Lonchitis.Dryopteris Lonchitis O. Kuntze, Polystichum Lonchitis Roth. Scharfer Schildfarn. Verbreitet, nördlich bis in den Solothurner und Basler Jura. Montan-subalpin.] Das Ergebnis der Untersuchung ist: von den 19 Arten sind 17 richtig im Jura ( 16 im schweizerischen Teil ) vorhanden, und zwar zum grössten Teil in dessen oberster Lage ( subalpine Stufe ); nur zwei ( Helleborus niger und Centaurea Centaurium ) sind bei Linné irrtümlich für den Jura angegeben.

Die Fehler halten sich also in engen Grenzen. Das möge vermerkt und dem Verfasser dieser frühen pflanzengeographischen Schrift gutgeschrieben werden.

Natürlich ist das Kontingent der « Plantae alpinae », die im Jura vorkommen, in Wirklichkeit beträchtlich stärker. Noch bei vielen anderen Arten der Liste müsste man nach unseren heutigen Kenntnissen ebenfalls die Angabe « Jura » beifügen, z.B. bei: Anemone alpina und narcissiflora ( « nar-cissifolia » ) ( Alpen- resp. narzissenblütiges Windröschen ), Polygala Chamae-buxus ( buchsblättrige Kreuzblume ), Viola calcarata ( gesporntes Veilchen ), Erinus alpinus ( Leberbalsam ), Bartsia alpina ( Bartschieum nur einige bekanntere zu nennen.

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