Magnet aus Stein
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Magnet aus Stein 150 Jahre im Banne des Eigers

Das markante Bollwerk aus teilweise brüchigem Kalkgestein über dem grünen Talkessel von Grindelwald, der Eiger, ist nur der elfthöchste, aber berühmteste Berg der Berner Alpen. Bereits vor der Begehung der 1800 Meter hohen Nordseite, die heute von 33 Routen durchzogen ist und 64 Tote gefordert hat, stellte der Gipfel die Bergsteiger vor Probleme. Eine Geschichte des Eigers in acht Seillängen.

Am 11. August ist es 150 Jahre her, seit Bergsteiger zum ersten Mal auf dem Eigergipfel standen. Doch schon vor 200 Jahren sollen Männer versucht haben, den Eiger zu besteigen. Der eine kehrte auf halbem Weg wieder zurück, ein zweiter stürzte ab, ein dritter gelangte fast zum Ziel, fand aber den Rückweg nicht mehr... Kein Wunder, war man der Meinung, der Eiger sei « rein unmöglich zu erklimmen », wie Jungfrau-Fünftbesteiger und SAC-Gründungsmitglied Gottlieb Studer in den « Topographischen Mittheilungen aus dem Alpengebirge » 1843 festhielt: « Wirklich spitzt sich dessen Gipfel in solch schneidender Schärfe aus, dass schon von Weitem der Prüfende diese Behauptung bestätigen muss. » 15 Jahre später ist das Unmögliche möglich geworden: Am 11. August 1858 um 12 Uhr erreichen der irische Gelegen-heitsbergsteiger Charles Barrington mit seinen Grindelwalder Bergführern Christian Almer und Peter Bohren den Eiger ( 3970 m ) über die Westflanke. Sie bleiben zehn Minuten oben und stecken eine Fahne in den Gipfel – damit die Leute unten auch sehen, dass sie oben gewesen sind. Bei der vierten Besteigung steht im Sommer 1864 Lucy Walker, die Der unter dem Spitznamen « Gletscherwolf » bekannte Bergführer Peter Bohren war einer der Erstbesteiger des Eigers. Foto aus dem Buch Carl Egger, Pioniere der Alpen, Zürich 1946 Der Bergführer Christian Almer soll seinem englischen Gast Charles Barrington bei der Besteigung des Eigers davon abgeraten haben, auf den « Pilz » zu springen. Foto aus dem Buch Carl Egger, Pioniere der Alpen, Zürich 1946 Pionierin des Frauenbergsteigens, als erste Frau mit ihrem Führer Melchior Anderegg auf dem Eiger.

 

« Gerade da geht unser Weg durch; es gibt keinen andern », bescheiden drei Grindelwalder Führer ihren drei Touristen am Fuss der Westflanke des Eigers am Morgen des 13. Septembers 1870; einer dieser ist E. Ober, der als Erster im Jahrbuch des SAC ( 1871/72 ) über den Eiger schreibt. Es gibt tatsächlich noch keinen andern Weg auf den Eiger, aber er wird gesucht: Denn nach der Eroberung der meisten höchsten Westalpen-berge zählt nicht mehr allein der Gipfel, sondern der Weg dorthin. Am 14. Juli 1871 betreten der Amerikaner, späterer Grindelwald-Resident und Alpinhistoriker W. A. B. Coolidge, seine Tante Meta Brevoort und drei einheimische Führer erstmals den Südwestgrat zwischen dem Kleinen und dem ( Grossen ) Eiger und erreichen « zuletzt über steile und schwierige Felsen » den höchsten Punkt; der Abstieg erfolgt auf der Normalroute über die Westflanke. Ein Jahr später macht Christian Almer, laut Coolidge « der beste Führer aller Zeiten », diese Tour in umgekehrter Richtung, steigt dann allerdings nicht über den Eigergletscher zur Kleinen Scheidegg ab, sondern hackt sich die steile Eiswand zum südlichen Eigerjoch empor und führt seine beiden englischen Gäste noch gleichentags nach Grindelwald hinab – die erste Traversierung des Eigers. 1876 wird der Südgrat erstmals begangen.

Doch die herausforderndste Linie dieser Zeit am Eiger ist zweifellos der Nordostgrat, besser bekannt als Mittellegigrat. Zwei Engländer und zwei Grindelwalder wagen 1874 den ersten Versuch. Alexander Burgener, damals einer der herausragendsten Bergführer der Schweiz, versucht sich am 1. Juli 1885 mit zwei Walliser Berufskollegen sowie einem österreichischen Gast ebenfalls am messerscharfen Grat; die Seilschaft kommt nicht über den Grossen Turm hinaus. Zwei Tage später schaffen sie es trotzdem, allerdings im Abstieg. Mehr als 150 Meter Seil lassen sie an den Abseilstellen zurück, Burgener gar seinen Pickel, woran das Seil befestigt wird. Es werden noch 36 Sommer verstreichen, bis am 1O. September 1921 Yuko Maki mit einheimischen Führern endlich den Mittellegigrat erklettert – in einer andern Epoche des Alpinismus.

 

Zurück ins Jahr 1878: Nicht alle Alpinisten können oder wollen sich einen Bergführer leisten. Die erste führerlose Besteigung des Eigers gelingt 1878 vier jungen Bernern zu Fuss von Interlaken aus mit einem kurzen Nachtlager auf der Wengernalp. In den ALPEN von 1928 erinnert sich Paul Montandon: « In der Mitte mahnte eine vereiste Runse zur Vorsicht... auf vereisten Platten und in glatten Rinnsalen fand der Fuss nicht immer guten Halt. Doch, wer kannte damals Steigeisen ?» Nach der ersten Winterbesteigung am 7. Januar 1890 folgte die erste Skibesteigung des Eigers am 18. Mai 1924: Der Engländer Arnold Lunn steigt zusammen mit drei Schweizern mit Ski über den wild zerschundenen Eigergletscher zum nördlichen Eigerjoch ( 3614 m ) und von dort zu Fuss über den Südgrat weiter auf den Gipfel. In seiner Zeitschrift « British Ski Year Book » schreibt Lunn: « We put on our ski at the Eigerjoch and ran down to the head of the icefall, a perfect run on ideal snow ». Damit ist am Eiger alles gemacht, könnte man denken, wenn man ihn einfach mit anderen Alpengipfeln vergleicht. Doch da ragt noch die Nordwand vor aller Augen in die Höhe. Auch sie ist schon fast durchstiegen worden, wenigstens das untere Drittel. Am 2O. September 1911 führten nämlich Christen Almer aus Grindelwald und Joseph Schaler aus Zermatt einen Mister P. H. Torp aus Lancaster auf einer leider unbekannten Route in nur zweieinhalb Stunden über steile Firnfelder und senkrechte Stufen bis unter die Fenster der Station Eigerwand, wo « die wagemutigen Bergsteiger mittelst eines heruntergelassenen Gletscherseiles hinaufgezogen » wurden, wie das « Echo von Grindelwald » meldete.

 

« Endlich zündeten die Führer ihre Zigarren an, die sie so lange entbehrt hatten und die so schlecht rochen wie je,... stiegen gemütlich über den Schneegrat zum Nordostgrat empor und folgten diesem in einer guten Spur zum Gipfel ( 16.45 Uhr ). Die Ersteigung der letzten der drei Nordwände des weltberühmten Dreigestirns Jungfrau-Mönch-Eiger war geglückt », schreibt Hans Lauper in den ALPEN von 1933 über die Erstbesteigung des Eigers von Norden am 2O. August 1932. Der Blick aus der selber von abschüssigem Firn und Fels geprägten Eigernordostwand in die eigentliche Nordwand scheint die Erstbegeher mächtig zu beeindrucken: « Aber was wir von der ‹Eigerwand› erblickten, sah abweisend genug oder gar unmöglich aus. Unmöglich ?» Unmöglich oder nicht: Das ist genau die Frage, die Alpinisten, Journalisten, Chronisten, Touristen und Juristen zwischen 1932 und 1938 in Atem hält. Die heroische Zeit am Eiger mit neun Toten, Besteigungsverbot der Nordwand, Polemiken, drei ersten Büchern und einem Film endet mit dem Erfolg durch die Deutschen Anderl Heckmair und Wiggerl Vörg sowie die Österreicher Fritz Kasparek und Heinrich Harrer am 24. Juli 1938. « Je härter das Ringen und je grösser die Gefahr, um so reicher und schöner ist der Lohn », so kommentiert der Seilschaftsführer Heckmair 1949 ihren Erfolg im klassischen Bergbuch Die drei letzten Probleme der Alpen, Matterhorn-Nordwand, Grandes-Jorasses-Nordwand, Eiger-Nordwand. Unterschiedlich schlägt sich die epochale Durchsteigung der berüchtigtsten Wand der Alpen in den ALPEN von 1938 nieder: Während sich im redaktionellen Teil gerade mal sechs Zeilen verstecken, sind zum Material der Eigernordwand-Erstbegeher im Reklameteil grosse Anzeigen von Ovomaltine und Tricouni-Schuhnägeln zu finden. Im ganzen Nordwand-Spektakel geht die erste Durchsteigung der 800 Meter hohen, rein felsigen Südostwand am 11./12. August 1937 durch die Deutschen Otto Eidenschink und Ernst Möller fast unter. Ebenso, dass eine Woche vorher der in Solothurn lebende Österreicher und später in der Schweiz eingebürgerte Hans Haidegger einen Solover-such in der Nordwand gemacht hat. Laut mündlichen Angaben gegenüber Kletterkameraden klettert er bis zum Todesbiwak und wieder zurück. Ins Tourenbuch notiert Haidegger bloss: « Eigernordwand Besuch abgestattet, allein ».

 

In der Abendausgabe vom 25. Juli 1938 bezeichnet die NZZ die erste Durchsteigung der Eigernordwand als « gottversuchte Tour » und befürchtet, « dass die Rekordsucht durch diese Kletterei noch angespornt wird » – was zutrifft. Die ersten, welche die zweite Durchsteigung der Eigernordwand machen wollen, sind die Schweizer Bergführer Edwin Krähenbühl und Hans Schlunegger: Am 16. August 1946 stossen sie bis zum Rampeneisfeld vor; 300 Höhenmeter trennen sie noch vom Gipfel, doch der übliche Wettersturz am Eiger zwingt sie zum Rückzug. Mehr Glück haben die französischen Berufskollegen Louis Lachenal und Lionel Terray im folgenden Jahr sowie drei Wochen später die Wengener Bergführer Hans und Karl Schlunegger mit dem Jurakletterer Gottfried Jermann. 1950 durchklettern die Österreicher Leo Forstenlechner und Erich Waschak die Wand als erste Seilschaft an einem Tag. Die erfolgreichen Durchsteigungen folgen nun Schlag auf Schlag, die missglückten auch. Vier Tote 1953, zwei 1956. Doch kaum ein Unglück erhitzt die Gemüter mehr als das Eigerdrama von 1957. Eine Viererseilschaft dringt nur langsam in der riesigen Fels- und Eisarena des Eigers vor, bis schliesslich die beiden Italiener Claudio Corti und Stefano Longhi erschöpft und verletzt nicht mehr weiterklettern können und kurz darauf die beiden jungen Deutschen, Günter Nothdurft und Franz Mayer, spurlos verschwinden. Bergsteiger aus sechs Nationen können in einer Rettungsaktion vom sturmumtosten Eigergipfel aus einzig Claudio Corti mit dem Stahlseil aus der Eigerwand lebend bergen ( ALPEN 10/2007 ). Die Tragödien, Triumphe und Skandale wechseln sich weiter ab. Schliesslich durchsteigt die Münchnerin Daisy Voog mit einem Begleiter 1964 in vier Tagen als erste Frau die Eigernordwand. Es ist gleichzeitig die 51. Begehung der Heck-mair-Route. Die Schweizer Boulevard-zeitung « Blick » titelt: « Blonde Münchner Sekretärin Daisy brach ein Tabu an der mörderischen Wand ».

 

Das nächste grosse Eigertheater gilt der Suche nach einer Route in der Linie des fallenden Tropfens, die an anderen berühmten Nordwänden schon gefunden wurde. Einen ersten Versuch wagen vier deutsche Alpinisten im bitterkalten Januar 1964. Zwei Jahre später kämpfen eine englisch-amerikanische sowie eine deutsche Mannschaft im Expeditionsstil gegen die Wand, die Wetterunbill und die Konkurrenz. Erst als John Harlin am 22. März 1966 wegen Seilriss unterhalb der Spinne abstürzt, schliessen sich die Teams wirklich zusammen, und fünf Alpinisten vollenden die erste neue Route in der Wand – die Harlin-Direttissima, auch Winter-Direktroute genannt. Das Pendant dazu schafft im Sommer 1969 ein japanisches Team, bestehend aus fünf Männern und Michiko Imai. Der Aufwand ist immens: 1000 Kilogramm Material, unter anderem 250 Bohrhaken, 200 Normalhaken und 2400 Meter Seil sind nötig für die Japaner-Direttissima. Die Nordwand verliert zunehmend den Ruf der Mordwand. Was sich nicht zuletzt an gleich drei neuen Routen über den Nordpfeiler zwischen Lauper-Route und eigentlicher Nordwand zeigt. Am 9. März 1970 fährt der Walliser Sylvain Saudan mit Ski über die Westflanke ab; der Oger, der Menschenfresser, wie der Eiger auch genannt wird, scheint gezähmt. Dazu kommt, dass am 12. September 1971 Alpinretter mit einem Helikopter zwei Alpinisten direkt aus dem zweiten Eisfeld bergen – Direttissima auch hier.

 

In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre eröffnen auch am Eiger Kletterer Routen, die nicht mehr auf einen Gipfel führen. Zuerst legen vier tschechische Alpinisten im Sommer 1976 rechts der Japaner-Di-rettissima eine neue Route, die als erste in der Nordwand nicht auf dem Gipfel endet. Ihnen folgen junge Schweizer Kletterer, allen voran der Genfer Michel Piola, die sich für den senkrechten Fels in der rechten, westlichen Wandhälfte zu interessieren beginnen. Piola und Gérard Hopfgartner eröffnen im August 1979 die Route Les Portes du Chaos über einen Pfeiler, der seither Genfer Pfeiler heisst. « Deux Genevois ouvrent une nouvelle voie dans la face nord », frohlocken die ALPEN bald danach. Es ist die erste Sportkletterroute in der Nordwand und heute längst ein Klassiker. In den 17 Jahren von 1976 bis 1992 legen Kletterer ein Netz von insgesamt 17 neuen Routen über die Nordwand, vor allem im rechten Wandteil. Die Heckmair-Route gerät deswegen nicht in Vergessenheit. So klettert sie beispielsweise Catherine Destivelle 1992 in 17 Stunden – es ist die erste reine Frauen begehung dieser Route.

 

Am Ende des 2O. Jahrhunderts bricht das alpinistische Eigerfieber erneut aus. Das Schweizer Fernsehen überträgt mit « Eiger-Nordwand live » 1999 eine Durchsteigung der Heckmair-Route live. Drei Jahre später begehen Michal Pitelka und Stephan Siegrist diese mit der Ausrüstung der Erstbegeher von 1938. Aufsehen erregt auch Ueli Steck, der gleich zweimal den Durchsteigungsrekord pulverisiert – im Winter 2007/08 rast er in unglaublichen 2 Stunden und 47 Minuten durch die vertikale Arena. Weniger breite Beachtung finden die Kletterer, die den Berg weiterhin auf verschiedenen Seiten mit neuen, teilweise sehr schwierigen Routen erschliessen – La vida es silbar und The Young Spider sind zwei Beispiele – oder die Basejumper. Diese stürzen sich vom Pilz, einem Felsturm der Nordwand, der knapp drei Meter vom Westgrat absteht. Es ist genau diese Kanzel, an der sich vor 150 Jahren laut dem Bergführer und Historiker Andreas Fischer folgende Szene zwischen den Eiger-Erstbesteigern Charles Barrington und Christian Almer abspielte, wie sie in den « Alpen. Chronik des S.A.C. und kleine Mitteilungen » von 1946 abgedruckt ist:

Almer: « Da wollte Anno achtundfünfzig unser ‹Herr› hinausspringen auf die Kanzel. » Fischer: « Und warum ist er nicht gesprungen ?» Almer: « Weil wir ihm sagten, er könnte nicht wieder zurück .»

Weiterführende Texte

Literatur

Daniel Anker: Eiger. Die vertikale Arena. 4., erweiterte und aktualisierte Auflage. AS Verlag, Zürich 2008.

Rainer Rettner: Eiger. Triumphe und Tragödien 1932–1938. AS Verlag, Zürich 2008.

John Harlin: Die Wand aller Wände. Der Eiger, mein Vater und ich. Piper Verlag, München 2007.

Joe Simpson: Im Banne des Giganten. Der lange Weg zum Eiger. Piper Verlag, München 2003.

Thomas Ulrich: Eiger-Nordwand. Mit Nagelschuhen und Hanfseil auf den Spuren der Erstbegeher. AS Verlag, Zürich 2003.

Heinrich Harrer: Die Weisse Spinne. Das grosse Buch vom Eiger. Ullstein, Berlin 2001.

Toni Hiebeler: Eigerwand. Von der Erstbesteigung bis heute. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1976.

 

Filme

The Eiger Sanction: Im Auftrag des Drachen. Regie: Clint Eastwood, USA 1975. Ein Berufskiller muss während einer Besteigung herausfinden, welches der Expeditionsmitglieder ein russischer Spion ist.

Die Nordwand. Regie: Philipp Stölzl, 2008. Vorgesehener Kinostart: Ende Oktober 2008. Inszeniert wird die Geschichte des tragischen Erstbesteigungsversuches 1936 von Toni Kurz, Andreas Hinterstoisser, Willy Angerer und Edi Rainer. Zum Film kommt im AS Verlag das Buch Nordwand. Das Drama des Toni Kurz am Eiger heraus,mit Texten von Oswald Oelz u.a.

 

Ausstellung

« Wand und Wagnis. Risiko am Berg seit der Eiger-Erstbesteigung vor 150 Jahren », Alpines Museum Bern, noch bis 28.9.2008, www.alpinesmuseum.ch.

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