Markant mehr tödliche Unfälle
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Markant mehr tödliche Unfälle Notfallstatistik 2015

Beim Bergsport sind 142 Menschen tödlich verunfallt. Damit liegt die Zahl der Todesopfer rund 20% über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre.

Wie bereits im Vorjahr lag Anfang 2015 nur wenig Schnee in den Bergen. Erst ab Mitte Januar fiel beidseits der Alpen immer wieder Schnee bis in tiefe Lagen. Dieser lagerte sich auf einer dünnen Altschneedecke ab, was am Alpennordhang und insbesondere im Wallis und in Graubünden zu einem ungünstigen Schneedeckenaufbau mit entsprechend heiklen Lawinensituationen führte. Im Frühling war es im Norden eher wechselhaft. Die intensiven Niederschläge im Mai mit einer hohen Schneefallgrenze führten zu einem raschen Abbau der Schneedecke in den Bergen.

Schönes Wetter, mehr Leute, mehr Unfälle

Im Gegensatz zum Vorjahr herrschte im Sommer häufig schönes Wetter. Bereits Anfang Juni lag die Nullgradgrenze kurzzeitig über 4000 Metern. Zwei Hitzeperioden im Juli führten im Hochgebirge zu einer ausgeprägten Ausaperung. Starke Gletscherschmelze und erhöhte Steinschlag- und Felssturzgefahr waren die Folge. Nur ein Kaltlufteinbruch im August mit Schnee bis unter 3000 Meter verhinderte, dass die Rekordwerte des «Jahrhundertsommers» 2003 übertroffen wurden. Bereits im September und Oktober fiel mehrmals Schnee bis unter die Waldgrenze, und nach drei sehr milden Wochen im November gab es im letzten Monatsviertel im Norden einen markanten Wintereinbruch mit viel Neuschnee bis in tiefe Lagen. Doch der Dezember 2015 wurde zum wärmsten und trockensten seit Messbeginn und liess den Winter in weite Ferne rücken.

Anders als der verregnete Sommer im Vorjahr lockte das schöne Wetter 2015 viele Leute in die Berge. Auch im aussergewöhnlich milden und sonnigen Dezember waren noch viele Wanderer unterwegs. Dies widerspiegelt sich beim Notfall- und Unfallgeschehen1. In den Schweizer Alpen und im Jura mussten 2750 Berggänger die Bergrettung in Anspruch nehmen, das sind 294 Personen oder rund 12% mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der Todesfälle ist sogar deutlich höher: Es verstarben 213 Personen (Vorjahr: 162).

Beim Bergsport im engerenSinne2 kamen bei 129 Unfällen 142 Personen ums Leben, rund 48% mehr als im Jahr zuvor. Mit Ausnahme des Felskletterns sind bei allen Aktivitäten mehr Bergtote zu verzeichnen. Ausgeprägt ist dies vor allem bei den Bergwanderungen (64 Personen oder +64%), bei den Skitouren (26 Personen oder +53%) und bei den Hochtouren (24 Personen oder +41%).

Deutlich mehr tödliche Unfälle auf Hochtouren

Wegen des schönen Wetters wurden markant mehr Hochtouren unternommen als im verregneten Sommer 2014. Zwei Hitzeperioden im Juli, in denen die Nullgradgrenze über mehrere Tage im Bereich von 5000 Metern lag, liessen die Firnzonen stark ausapern und führten zu einer starken Erwärmung des Permafrostes. Die deswegen verstärkte Steinschlag- und Felssturzgefahr erforderte eine sehr sorgfältige und selektive Routenwahl.

2015 mussten insgesamt 402 Hochtourengänger aus einer Notlage geborgen oder gerettet werden, knapp 16% mehr als im Jahr zuvor. Mit 111 Betroffenen war ein Sturz oder Absturz die häufigste Unfallursache: 18 Alpinisten verunfallten auf diese Weise tödlich. Von Letzteren befanden sich 13 Personen oder gut zwei Drittel im Abstieg. Zwölf Betroffene waren nicht angeseilt. Unter den angeseilt Verunfallten starben bei je einem Mitreissunfall an der Jungfrau drei und am Piz ­Roseg zwei Personen. Ungewöhnlich war ein Unfall am Bietschhorn: Nach der erfolgreichen Durchsteigung der Ostwandrippe stiegen zwei Alpinisten über die Normalroute des Westgrates ab, dabei stürzte der Schlussmann aus unbekannten Gründen; das verbindende Seil riss, vermutlich von einer Felskante durchtrennt, worauf er mehrere Hundert Meter abstürzte. Zahlreicher als im Vorjahr waren auch Unfälle wegen Stein- oder Eisschlag (18 Verletzte und 4 Tote) sowie wegen Gletscherspaltenstürzen (20 Beteiligte).

Etwas mehr Notfälle beim Klettern

Beim Klettern im Fels sind 122 Personen in eine Notlage geraten oder verunfallt (Vorjahr: 113). Im Rahmen von abgesicherten Mehrseillängenrouten im Plaisirbereich waren 46 Kletterer betroffen, auf solchen im Extrembereich 27 Personen, auf alpinen Touren 21 und in Klettergärten 28. Gut die Hälfte der Beteiligten konnte gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. Verklemmte Seile beim Abseilen, einbrechende Dunkelheit, Wetterverschlechterung oder Verirren im Abstieg waren die häufigsten Ursachen. Durch einen Sturz ins Seil verletzten sich 39 Personen. Die meisten davon (25) mussten mit Blessuren zum Arzt oder ins Spital gebracht werden, 14 erlitten schwere Verletzungen.

Die Ursachen der drei tödlichen Unfälle beim Klettern waren sehr unterschiedlich: Im ersten Fall stürzte eine Person in einem Klettergarten tödlich ab, weil sie beim «Topropen» an einem exponierten Standplatz beim Seilwechsel ungesichert das Gleichgewicht verlor. Im zweiten Fall stürzte ein Kletterer beim Fussabstieg auf einem heiklen Pfad ab. Beim dritten Ereignis wurden beim Abseilen an ­einer alten Verankerung beide Schlaghaken ausgerissen. Diese waren mittels Reep­schnüren mit einer un­sach­gemäs­sen Ausgleichsverankerung verbunden.

Deutlich mehr Lawinenunfälle

Der lang ersehnte Schnee fiel erst nach den Weihnachtstagen im Dezember 2014 und war begleitet von starken Winden, was zu umfangreichen Triebschneeansammlungen führte. Dadurch war die Lawinensituation zum Jahresbeginn verbreitet kritisch. Gleichzeitig brachte das schöne Wetter ­intensive Tourenaktivitäten mit sich, und es kam zu ­zahl­reichen Lawinenauslösungen durch Tourenfahrer. Glück­licherweise verliefen viele davon glimpflich, aber es gab auch Unfälle mit Verletzten. Zwei Betroffene starben im ­Spital.

Im Januar und Februar war das Wetter häufig unbeständig, es schneite immer wieder, dies verbunden mit viel Wind und entsprechenden Triebschneeansammlungen. Zusammen mit dem vielerorts ungünstigen Schneedeckenaufbau führte das oftmals zu einer erheblichen Lawinengefahr. An einigen Tagen stieg sie gar auf die Gefahrenstufe «gross». Erst im März, dank ruhigem Hochdruckwetter, war die Lawinensituation über längere Zeit günstig. Kritisch wurde es hingegen wieder in den Tagen vor Ostern: Mit viel Wind fielen im ­Norden grössere Schneemengen, was in den Ostertagen wiederum mehrere Lawinenabgänge und Unfälle zur Folge ­hatte.

Vor diesem Hintergrund war die Unfallbilanz im Berichtsjahr ungünstiger als im Jahr zuvor. Insgesamt waren 321 Tourengänger von einem Not- oder Unfall betroffen. Dies ist vor allem auf die Lawinenunfälle zurückzuführen, an welchen insgesamt 67 Personen beteiligt waren (Vorjahr: 29). Davon blieben 20 unverletzt oder kamen mit leichten Blessuren davon. 19 mussten wegen mittlerer Verletzungen hospitalisiert werden und acht wegen schwerer Verletzungen. Bei elf Unfällen haben insgesamt 20 Personen tödliche Verletzungen erlitten oder sind erstickt. Allein bei einem Ereignis kamen fünf Personen ums Leben (bei der Abfahrt am Vilan), bei einem weiteren vier Personen (im Aufstieg zum Col du Gd St-Bernard).

Interessant ist der Blick auf die Gefahrenstufen der Lawinenbulletins, bei denen sich die tödlichen Unfälle ereignet haben: Sechs Unfälle mit insgesamt elf Todesopfern geschahen bei Stufe «erheblich», und fünf Unfälle mit insgesamt neun Todesopfern bei Stufe «mässig». Dies zeigt, dass auch bei mässiger Lawinengefahr jederzeit eine umsichtige und defensive Routenwahl angezeigt ist.

Trotz der ungünstigen Bilanz bei Lawinenunfällen waren Ereignisse durch Sturz/Absturz zahlreicher. Insgesamt 138 Tourenfahrer waren davon betroffen (Vorjahr: 154). 122 von ihnen erlitten leichtere bis mittlere Verletzungen und mussten einen Arzt aufsuchen oder hospitalisiert werden, elf Personen erlitten schwere Verletzungen, und fünf fanden durch einen Absturz den Tod. Die Ursachen dieser Todesfälle waren wiederum sehr unterschiedlich. Während einer Abfahrt rutschte eine Tourenteilnehmerin aus und stiess mit einem Gruppenmitglied zusammen. Dieses verlor das Gleichgewicht und stürzte 500 Meter ab. Eine Person verlor beim Fussabstieg über einen Grat mit den Ski in den Händen das Gleichgewicht und stürzte ab. Drei weitere Stürze mit Todesfolge ereigneten sich wegen eines Wechtenabbruchs, und zwei Stürze erfolgten während der Abfahrt im Steilgelände.

Auch beim Freeriden oder Variantenfahren ist die Notfallbilanz mit 172 Betroffenen ungünstiger (Vorjahr: 161) und wie im Tourenbereich auf die oftmals heikle Lawinensituation zurückzuführen. Insgesamt 33 Freerider gerieten in eine Lawine, zehn davon konnten nur noch tot geborgen werden (Vorjahr: 12 Beteiligte und 3 Tote). Von den zehn tödlich Verunfallten hatten sieben kein Lawinenverschütteten-Suchgerät.

Auch beim Bergwandern deutlich mehr Notfälle

Das schöne Wetter im Hochsommer wie auch der aussergewöhnlich milde Spätherbst boten sehr gute Bedingungen zum Wandern in den Bergen: Im Sommer liess es sich so der Hitze im Flachland entfliehen, und im Dezember musste (oder konnte) man weiterhin die Wanderschuhe schnüren, statt Ski zu fahren. Die intensive Wandertätigkeit zeigt sich auch im Notfallgeschehen: Insgesamt gerieten 1193 Bergwandernde in eine Notlage, gut 18% mehr als im Jahr zuvor. Die häufigsten Unfallursachen waren mit 515 Beteiligten Sturz oder Absturz. Von diesen konnten 111 Personen ambulant behandelt werden, 283 mussten mit mittelschweren und 60 mit schweren Verletzungen hospitalisiert werden. Tödlich abgestürzt sind 61 Wandernde, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Dies ist auch auf die Witterungsverhältnisse zurückzuführen. Im schönen Sommer 2015 waren die Wanderaktivitäten im Vergleich zum verregneten Sommer 2014 markant höher. Stürzten 2014 in den Monaten Juli bis September 16 Wanderer tödlich ab, waren es 2015 im gleichen Zeitraum 30. Im Dezember stürzten 2015 fünf Wandernde zu Tode, während sich im Jahr zuvor in dieser Zeit gar kein tödlicher Wanderunfall ereignet hatte. Auch hier spielten die Verhältnisse die entscheidende Rolle: Im aussergewöhnlich milden und schneearmen Dezember 2015 waren durchaus Bergwanderungen möglich, doch über Nacht vereiste Wege sowie gefrorene Gras- und Schrofenhalden waren heimtückisch.

Eine ebenfalls häufige Notfallursache beim Bergwandern sind Erkrankungen. Auch sie waren 2015 mit 225 Betroffenen deutlich zahlreicher als im Jahr zuvor. Die Rettungskräfte wurden oft wegen Übelkeit, Atemnot, Beinkrämpfen, anderer medizinischer Probleme und – typisch für den Sommer 2015 – wegen Überhitzung alarmiert. Bei vielen Ereignissen war die Situation glücklicherweise nicht lebensbedrohlich, und die Betroffenen konnten ambulant behandelt werden. 29 Wandernde hingegen sind verstorben, meist an den Folgen eines Herz-Kreislauf-Problems. Alle waren Männer, und 26 davon waren über 50 Jahre alt.

Notfälle bei weiteren Bergsportaktivitäten

Ausserhalb des klassischen Bergsports kam es vor allem beim Gleitschirm- und Deltafliegen sowie beim Mountainbiken zu Unfällen. Insgesamt verunfallten zwölf Gleitschirmflieger tödlich (Vorjahr: 9). Rund ein Drittel der 173 beim Fliegen Verunfallten konnte, meistens nach einer unglücklichen Landung in einem Baum oder nach dem Touchieren eines anderen Hindernisses, gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. Etwas speziell war ein Fall, bei dem eine Gleitschirmpilotin auf dem Dach eines Postautos ­landete; auch sie kam mit unerheblichen Verletzungen davon.

Mit 162 Beteiligten waren Notfälle beim Mountainbiken weniger häufig (Vorjahr: 176). Vier Biker hatten sich verirrt oder waren in schwierigem Gelände blockiert. 148 hatten sich wegen eines Sturzes verletzt, 129 davon mussten in ein Spital gebracht werden, drei erlitten tödliche Verletzungen. Drei Biker kollidierten mit einem Hindernis, einer wurde angefahren. Sechs weitere erlitten einen medizinischen Notfall, zwei davon sind an den Folgen eines Herz-Kreislaufs-Problems verstorben. Weitere Notfälle gab es beim Canyoning (39), beim Basejumping (32), beim Schneeschuhlaufen (28), beim Begehen von Klettersteigen (34), bei der Jagd (22), beim Pilzesuchen (11) und bei anderen Aktivitäten (13).

Fazit

Die im Vergleich zu den letzten Jahren ungünstige Bilanz beim Not- und Unfallgeschehen ist sicher zu einem wesentlichen Teil auf die Verkettung verschiedener Faktoren zurückzuführen: Auf einen Winter mit häufig erhöhter Lawinengefahr folgten ein sehr schöner Hochsommer mit intensiver Tourentätigkeit und ein aussergewöhnlich milder Herbst und Vorwinter mit gutem Wanderwetter. Dennoch kann nicht von einen «Unfallrekord» gesprochen werden. Ein Blick auf die tödlichen Unfälle beim Bergsport im engeren Sinne zeigt, dass in den 1980er- und 1990er-Jahren sowie 2011 mehr Bergtote zu verzeichnen waren. Berücksichtigt man zudem die nach wie vor anhaltende Popularität des Bergsteigens in all seinen Facetten kann man keinesfalls davon sprechen, dass der Bergsport eine gefährliche Freizeitbetätigung ist: Die stetig verbesserte Ausbildung, Information und Routenabsicherung sowie letztlich die profes­sio­nelle Bergrettung sorgen dafür, dass man in den Bergen immer sicherer unterwegs sein kann.

Quellen

Die Zusammenstellungen und Auswertungen in diesem Bericht stützen sich auf die Angaben und die Mitarbeit folgender Personen und Institutionen: Elisabeth Müller und Andres Bardill, Alpine Rettung Schweiz; Daniel Breitenmoser und Mario Tissi, Rega; Pierre-Alain ­Magnin, KWRO; Giannina Bianchi und Monique Walter, bfu; Frank Techel, slf, Jürg Gartmann und Marco Salis, Bergrettung Graubünden; Bruno Durrer, Bergrettung Air Glaciers Lauterbrunnen und Gesellschaft für Gebirgsmedizin; Urs Schäfer, Rettungsstation Lauterbrunnen; Paul Broger, Kapo Appenzell Innerrhoden; Medienstelle Kapo Freiburg; Corinna Schön, Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern.

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