Meteorologische Überraschungen für wettererfahrene Alpinisten
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Meteorologische Überraschungen für wettererfahrene Alpinisten

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Joachim Küttner

( Observatorium Zugspitze ) Es soll hier nicht von allgemeinen Wetterregeln die Rede sein. Wir setzen voraus, dass ein erfahrener Bergsteiger sie beherrscht. Es gibt aber Fälle, in denen bestimmte Bedingungen zu Ausnahmen von der Regel führen. Sie sind noch wenig bekannt. Es kann für den Alpinisten von grossem Wert sein, diese Merkmale zu kennen, nicht nur um schwierigen Situationen aus dem Wege zu gehen, sondern auch um eine Bergtour nicht unnütz abzubrechen. Nichts ist ärgerlicher, als wenn ein erwarteter Wettersturz ausbleibt und man erkennen muss, dass man die Wanderung hätte fortsetzen können. Wir nennen im folgenden einige typische Beispiele, in denen bekannte Wetterregeln versagen. Was der Bergsteiger befürchtet, ist in der Hauptsache Nebel, Niederschlag, Temperatursturz, Sturm und Blitzschlag.

Nebel Befindet man sich auf einer Gratwanderung, so kann es vorkommen, dass die eine Seite sich einnebelt. Steht der Wind quer zum Hang und bildet sich der Nebel auf der dem Wind abgewandten ( Lee-)Seite, so braucht man in der Regel keine Nebelgefahr zu befürchten. Diese « Sogwolken » sind nur eine Folge des Querwindes und treten auch bei zuverlässigen Wetterlagen sehr beharrlich auf. Sie können den ganzen Tag über die Sicht nach der einen Talseite versperren, ohne dass die Sicht nach der anderen Seite gefährdet ist. In Höhen über 2000 m ist die Sogwolke — so wenig bekannt sie noch in der Wissenschaft ist — eine der häufigsten und dabei harmlosesten Wolkenarten des Hochgebirges. Sie bietet keinen Anlass, eine Tour abzubrechen. Anders ist es, wenn sich der Nebel auf der Luvseite ( Windseite ) bildet. Hier muss mit fortschreitender Einnebelung gerechnet werden.

Wolkenbasis Im Sommer ist bekanntlich die Bildung von Haufenwolken ( Cumulus ) sehr häufig. Dem geschulten Touristen ist die Erfahrung geläufig, dass die Untergrenze dieser Wolken im Laufe des Tages steigt, und dass keine Nebelgefahr mehr besteht, wenn die Wolkenbasis über die Berggipfel gestiegen ist. In zwei Fällen sollte man sich auf diese Regel nicht verlassen.

Befindet man sich am Rand der Tiefebene und kommt der Wind aus dieser Richtung, so können plötzlich Wolken mit tieferer Basis heranstreichen und Nebel bringen. Im allgemeinen bilden sich nämlich die Cumuluswolken im Gebirge eher als über der Ebene, und stets liegt die Wolkenuntergrenze über dem Flachland tiefer als über den Bergen. In diesem Falle geht also das Ansteigen der Wolkenbasis plötzlich wieder in ein Absinken über. Das gilt auch im folgenden Fall:

Beobachtet man die Entwicklung der Haufenwolken in ihrem oberen Teil, so braucht man im allgemeinen keine Befürchtungen zu haben, solange sie schöne Quellformen ( « blumenstockförmig » ) aufweisen. Das gilt selbst bei sehr hoch ( über 6000 m ) aufschiessenden Cumuli. In dem Augenblick aber, in dem der Wolkengipfel schleierförmige Struktur annimmt, setzt unmittelbar die Gefahr von Schauern und Gewittern ein. Der Schleier, der sich schnell zu einem ganzen weisslichen Schirm ausbreiten kann, kennzeichnet den Beginn der Wolkenvereisung, die Vorbedingung für Schauerniederschlag und elektrische Aufladung. Wenn dies der Fall ist, muss man damit rechnen, dass die Wolkenbasis wieder schnell absinkt, und oft dauert es bis zur Dunkelheit, bevor der Nebel wieder weicht und die Gewittertätigkeit abflaut.

Föhn Dass der Föhn seine angenehmen Seiten erst in geringeren Höhen geltend macht ( Wärme, Wolkenlosigkeit, gute Sicht ), ist bekannt. Jeder Hochalpinist weiss, dass der Föhn im Hochgebirge eine äusserst unangenehme, tückische Windströmung ist, die durch ihre Böigkeit, ihre Kälteund die wechselnde, chaotische Bewölkung Gefahren mit sich bringt. Vor allem aber gilt der Föhn als Vorbote eines plötzlichen Wetterumschlags. Tatsächlich wird der Föhn in der Regel durch eine Kaltfront zum Zusammenbruch gebracht, worauf alle Gefahren eines Wettersturzes einsetzen. Man darf aber diese Erfahrung nicht zu starr fassen.

Jeder Bergsteiger wird wissen, dass der Föhn tagelang andauern und sogar schliesslich im Sande verlaufen kann. Es gibt nämlich auch die Möglichkeit, dass der Föhn die Kaltfront auflöst, nicht umgekehrt. ( Das gilt besonders wenn die zugehörige Zyklone über Frankreich südwärts wandert und die Kaltfront eine « Welle schlägt ». ) Es gibt hier ein fast untrügliches Mittel, den Verlauf des Wetters für die unmittelbar folgenden Stunden zu übersehen. Während die wechselnde Verdunkelung und Aufhellung des Himmels auf der Windseite ( also im allgemeinen im Süden ) gar nichts besagt, macht sich das nahende Unheil weder dort noch im Westen bemerkbar. Auf die dem Winde abgekehrte Richtung ( Nord ) muss man schauen, denn die Eintrübung schreitet gegen den Wind fort. Wird dort die Bewölkung plötzlich immer dunkler, so naht mit grösster Wahrscheinlichkeit der Wetterumschlag. Häufig setzt der Föhnsturm kurz vorher aus oder wechselt die Richtung ( mitunter nach Osten ). Das gilt besonders in den nördlichen Randbergen der Alpen. Natürlich zeigt jeder Gebirgszug noch individuelle Eigenarten, die man bei guter Beobachtung schnell herausbekommt.

Mittelhohe Aufzugsbewölkung Wir meinen hiermit nicht den bekannten Cirrusaufzug in grossen Höhen ( 7000-8000 m ), der leuchtend weiss und häufig von einem « Sonnenring » ( Halo ) begleitet dem Dauerregen einer Warmfront vorausgeht. Es gibt auch einen Wolkenaufzug in Höhen zwischen 3000 und 5000 in, der sich mit grosser Geschwindigkeit, meist aus westlichen oder nordwestlichen Richtungen, fortpflanzt und aus einzelnen « Bänken » und Wolkenfeldern besteht. Er verdunkelt sich meist schnell, die Bänke gehen in eine konturlose Struktur über, die Wolkenbasis sinkt ab und es folgt Niederschlag. ( Dies ist ein « Altocumulus-Altostratus-Aufzug ». ) Wir setzen ihn als bekannt voraus.

Es gibt aber auch einen sehr ähnlichen, ganz anders verlaufenden Wolkenaufzug, besonders im Frühjahr. Auch er besteht aus einzelnen Bänken, vorwiegend über dem Hochgebirge, aber er nimmt nur vorübergehend zu und verschwindet dann wieder. Meist geschieht das in den Morgenstunden. Diesen scheinbar harmlosen Wolkenaufzug erkennt man an einer eigentümlichen Rotfärbung, und zwar auf derjenigen Hälfte des Himmelsgewölbes, die der Sonne gegenübersteht. ( In Blickrichtung auf die Sonne sind die Wolken weiss. ) Die rote Farbe hat nichts mit dem Morgenrot zu tun, sie kann auch mittags auftreten. Man übersieht sie leicht, mit einiger Übung erkennt man sie aber sofort, jedenfalls vom Berg aus. ( Ihre Ursache ist noch nicht geklärt, dürfte aber mit einer besonders geringen Grosse der Wolkentröpfchen zusammenhängen. ) Dieser « rote Altocumulusaufzug » ist aber gar nicht so harmlos, nur setzen die üblen Folgen viel später ein. Mit einer — für meteorologische Begriffe — ungewöhnlichen Sicherheit gibt es nämlich am Nachmittag, längst nachdem der rote Aufzug verschwunden ist, Schauer oder Gewitter. Meist quellen die Haufenwolken schon hoch, während die Reste des Aufzugs noch da sind. Und das blendende Weiss der Cumuluswolken hebt sich deutlich gegen das bräunliche bis bläuliche Rot der Altocumulusbänke ab. Diese Erscheinung ist noch fast unbekannt, aber sehr zuverlässig. Sie sei jedem Alpinisten ans Herz gelegt, denn man hat hier ein gutes Mittel in der Hand, schon frühmorgens ( gegen 7 oder 8 Uhr ) den Wetterverlauf in den Nachmittagsstunden zu übersehen.

Dunst Gewöhnlich wird eine dunstige Atmosphäre für ein Zeichen beständiger Schönwetterlage gehalten. Man kann das aber in dieser Allgemeinheit nicht sagen. Es kommt auf die Struktur des Dunstes an. Zeigt er eine blättrige Schichtung, so kann man die Aussage bestätigen. Jede dieser horizontalen Dunstschichten verkörpert eine Grenzfläche zwischen kalter Luft unten und warmer Luft darüber. Eine solche Schichtung ist im stabilen Gleichgewicht, weil die leichten Luftmassen über den schweren liegen. Bei andauerndem Hochdruckwetter sinken immer neue Dunstblätter von oben herab und die Luft wird in der Höhe immer wärmer. Besonders im Winter entsteht auf diese Weise die « Temperaturumkehr », wobei sich in den bodennahen Dunstschichten Hochnebel bilden kann, während auf den Bergen warmes Sonnenwetter herrscht. Obgleich in den Dunstschichten selbst eine schlechte Horizontal-sicht besteht, ist darüber und dazwischen oft ausgezeichnete Fernsicht. An den DunstbJättern 1 kommt es mitunter zu Luftspiegelungen und optischen Verzerrungen, besonders bei Sonnenuntergang.

Es gibt aber noch andere, keineswegs harmlose Dunstarten. Ist der Dunst diffus, also nicht geschichtet, so heisst es aufpassen, woher der Wind weht. Für die Alpennordseite kann man im allgemeinen folgendes sagen: Diffuser Dunst aus südlicher und östlicher Richtung bedarf keiner besonderen Beachtung. Bei Südwind handelt es sich in der Regel um Staubbeimengungen aus den afrikanischen Wüstengebieten. Sie können mitunter die gute Föhn-sicht völlig zerstören und den sog. « Blutschnee » erzeugen. Am Charakter des Föhns wird dadurch nichts geändert, er pflegt dann nur sehr intensiv zu sein. Bei Ostwinden handelt es sich, besonders im Winter, um kontinentale Luftmassen, wenn diffuser Dunst herrscht. Er reicht dann meist nicht hoch ( selten über 3000 m ), und die Temperaturen können sehr tief liegen ( unter —20° ).

Tritt der diffuse Dunst aber bei starken Westwinden, und zwar zuerst in der Höhe, auf, so empfiehlt es sich, eine Hochtour so schnell als möglich abzubrechen und das Tal zu erreichen. Es handelt sich dann um eine in der Höhe vordringende Kaltluft. Schon während der Dunstzunahme sinken die Temperaturen laufend auf den Bergen ( während sie im Tal oft noch steigen, so dass das Gleichgewicht immer mehr gestört wird ). Mit grösster Wahrscheinlichkeit folgt bald von Westen oder Nordwesten her ein starker, frontartiger Kaltlufteinbruch. Die Entwicklung kann oft in wenigen Stunden ablaufen und bedarf daher besonderer Aufmerksamkeit. Einbruch diffusen Dunstes in der Höhe bei stürmischen Westwinden auf den Alpenkämmen ist also ein gefährliches Merkmal. Eine Verwechslung mit dem blättrigen Schönwetterdunst ( der übrigens meist schwache Winde zeigt ) kann böse Folgen haben.

Wer diese kleinen « Ausnahmeregeln » im Gedächtnis behält und beachtet, wird sich manche Überraschung im Hochgebirge ersparen können.

1 Sie sind in Richtung auf die Sonne meist silbergrau, in der Gegenrichtung häufig rotbraun gefärbt.

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