Mit dem Kodak in der Hand
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Mit dem Kodak in der Hand

Von den vielen Gipfelaussichten, Erinnerungsbildern und Veduten in unseren Album, von denen jedes einzelne Blatt uns ja persönlich teuer und ein Andenken an so manche frohe, vielfach auch ernste Stunde im Gebirge sein kann, bleibt wohl nicht viel übrig, das auch einen bloß ästhetischen Beurteiler zu befriedigen vermag. Wird das aber auch verlangt, hat die Kamera in den Alpen nicht zunächst die Aufgabe, die Anschauung zu bereichern, einzig zu erfüllen gehabt, ist nicht die Touristik durch die zahlreichen genauen topographischen Aufnahmen ungemein gefördert worden? Gewiß, und zugleich — das darf man rund heraussagen — hat die photographische Illustrationswut auch unsern Geschmack verdorben. Wo trifft man heute noch den Stift oder Pinsel in der Hand des Bergsteigers?

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Aber die Gebirgsphotographie als Photographie mit mehr Geschmack herstellen, als es meistens geschieht, das ist wieder etwas anderes. Wenn es hier vollendete Beispiele gibt, wie sie etwa am letzten Projektionsabend des A.A.C.Z. zu sehen waren, so wissen sich doch anderseits manche Gebirgsphotographen immer noch nicht Rechenschaft zu geben, woran es liegt, wenn eine Aufnahme einen besseren, gehaltvolleren Eindruck macht als die andere. Ein Beispiel: Die alte Hüfihütte auf der Initiale (siehe pag. 239) ist eine im Original vielleicht technisch ganz richtige Aufnahme, aber sie sagt einem nichts; es ist eine gewöhnliche „ Ansicht " ( gut für eine Postkarte ), wie es deren unzählige gibt. Die unter gleichen Umständen und fast zur gleichen Stunde aufgenommene neue Hüfihütte (siehe das Vollbild zu pag. 240) dagegen gibt genau die „ Stimmung " wieder, wie sie an jenem Abend auf der einsamen menschenleeren Hütte vorhanden war. Wenn man die Bergspitzen auch nicht sieht, so spürt man gleiclnvohl die Nähe und die Größe und Erhabenheit des Hochgebirgs. Auch die unförmliche, ungünstig stehende Hütte ist so auf das Bild gebracht, daß ihre plumpen Linien nicht stören.

Es muß also doch gewisse Regeln geben, an denen das gute Bild zu erkennen ist und nach denen es hergestellt werden kann. Von allen rein technischen Erörterungen sehe ich hier ab, ein gewöhnlicher Kodak wird ebenso gute Resultate in diesem Sinne geben können wie das teuerste Objektiv. Ein untrügliches Zeichen einer geglückten Aufnahme sei, daß sie gefallen soll, ohne daß man gerade zu wissen oder danach zu fragen braucht, welche „ Gegend " sie darstelle. Man kann wohl bei Ansichten einzelner Berge in der klaren Verteilung der Licht- und Schattenmassen oder in großzügigen Linien einen besondern Reiz herausfinden, oder man kann einem an sich in der Form langweiligen Berg durch einen geschickt gewählten Standpunkt ein völlig neues Gesicht abgewinnen ( siehe die Aufnahme vom Sustenhorn ), man kann selbst einen Ausschnitt aus einem Panorama, sofern er abgerundet ist, einfache Linien und einen Kulminationspunkt besitzt ( siehe den Ausschnitt aus dem Jungfraupanorama ), noch leidlich hübsch finden, ohne daß man zu wissen begehrt, was für Namen diese Berge tragen. Aber in der Regel bleiben alle diese oder ähnliche Veduten und Panoramen ohne höheren Wert, wir kleben am Namen und den Vorstellungen, die sich damit verbinden! Also nicht ganze Horizonte und Massive suche man sich aus — diese haben ihre gute Berechtigung für andere Zwecke —, sondern einfache schlichte Motive mit großen Linien und Flächen.

Je weniger auf dem Bild ist, je weniger vom Vielen und Kleinlichen, desto frischer der Eindruck. Eine Spalte, Gwächte, Felsgruppe mit Staffage, ein Grat mit schönen Wolken, eine Hütte, Herde u. dgl., sind viel dankbarere Gegen- stände als ganze Bergketten mit allem Drum und Dran. Solche Photographien mahnen mich immer an die ersten Landschaftsmaler. In der neuerwachten Freude an der Natur wollten sie wohl eine halbe Welt wiedergeben, die Schweizer malten auf jedem Bild Berge, Flüsse, Seen, Städte und Wälder miteinander, alles belebt durch allerlei Getier, Wagen, Menschen, Schiffe; die Holländer vergaßen nicht, im Hintergrund ihrer Landschaften Schneeberge anzubringen. Wie wird dagegen heute Natur gemalt? Ein Ausschnitt, aber auch wirklich erfaßt, vielleicht sogar konzentriert und potenziert im Ausdruck.

Die allzu große Gliederung durch Felsen, durch Schneefelder im Frühling ( vgl. die Aufnahmen vom Wellhorn ) oder durch Waldfetzen im Winter tut der ruhigen Wirkung Eintrag. Deshalb sind auch Schneebilder, wo das Detail verschwindet, oft so anmutend, weil die Landschaft einen großen Zug bekommen hat. Manche Alpenlandschaften sind allbekannt, weil sie immer und immer wieder von Malern aufgesucht und abgemalt worden sind. Ich scheue mich nun gar nicht, auch diese Vorwürfe abzuphotographieren, um vergleichen zu können, was einen Wolf oder Calarne darin angezogen haben mag. Man wird auch meistens finden, daß es neben der edeln Linie die großen Massen und Flächen, ihre Verteilung und Kontrastwirkung sind, welche die Hauptelemente des Bildmäßigen in der Landschaft bilden.

Ein äußerst wirkungsvolles Mittel, das zu scharfe Hervortreten von Kleinigkeiten zu mildern, ist das Photographieren gegen die Sonne ( vgl. die Aufnahmen vom Claridenstock ). Der Schatten deckt dann die einzelnen Felsabsätze, Schneeflecke, Steine, und klare ruhige Flächen sind das Eesultat, zugleich gewinnt die Darstellung an Plastizität. Alle hervorragenden Photographien unserer besten Gebirgsphotographen ( z.B. Sellas ) sind so gegen die Sonne aufgenommen. An einer Gebirgsaussicht um die Mittagszeit herum wird auch immer der Blick nach Süden der interessanteste sein, während die nördlichen Berge flach und leblos erscheinen. Aus dem Beispiel des Urirotstocks ( siehe Illustration), wo der ganze Hintergrund — im Original wenigstensaus einer ruhigen Fläche besteht, während dagegen am Morgen bei entgegengesetztem Sonnenstand die Uferwände zerrissen und scheckig aussehen, ist das Gleiche ersichtlich.

Gegen die Sonne photographiert, können oft die im zerstreuten Licht einförmigsten Hänge ein solches Leben gewinnen, daß sie viel mehr zu fesseln vermögen, als bedeutendere ferne Gebirgszüge. Aber der Tourist geht achtlos daran vorbei; sobald aber über dem Kamm ein winziges fernes Spitzchen auftaucht oder zwei — flugs wird der Apparat hervorgeholt und die denkwürdige Aussieht abgeknipst. Zu Hause ist hingegen dann die Enttäuschung wieder groß, wenn diese fernen Gebirge so gar unscheinbar aussehen und sich nicht vom Himmel abzeichnen wollen. Mein Wunsch lautet daher wiederum, man suche mehr das Charakteristische, Malerische auf als das topographisch Interessante, weil das später viel mehr Vergnügen macht und etwa auch mit gutem Gewissen an die Wand gehängt oder reproduziert werden darf.

Um endlich den einfachen Motiven Leben zu verleihen, dienen oft zweckmäßig Bergsteigergruppen — etwas anderes ist nicht gut möglich —, wie sie des Augenblickes Gunst gibt. So wird ein an sich schlichtes Stück Weg durch Figuren sofort interessant ( vgl. die Aufnahmen vom Weißhorngrat ). Doch ist das ein gar schwieriges Kapitel und dem Zufall, wie überhaupt bei dieser Beschäftigung, ein großer Spielraum überlassen. Wie oft findet man schlechte Gruppen, wie oft unschöne Stellungen und Bewegungen, besonders bei zahlreich versammeltem Volk! Ich wiederhole es, da ist — verhüllt euer Haupt, Kunstphotographeneine einigermaßen befriedigende Gruppierung der reinste Zufall ( vgl. den Lichtdruck zu pag. 244 ). Lieber noch die Personen unbemerkt von hinten genommen, als Photographieposen.

Besonders schwierig sind gute Aufnahmen von Felsklettereien, sie gelingen nur bei Horizontalaufstellung sonst kommen gar merkwürdige Dinge heraus ( vgl. die Illustration am Schluß dieses Aufsatzes ).

Im allgemeinen kann man sagen, daß das gute Landschaftsbildchen innerhalb der Vegetationszone leichter gelinge ( siehe die Illustration aus dem Fieschertal auf dem Vollbild zu pag. 240 ) als über der Schneegrenze. Gerade dieser Umstand sollte eben unsere photographierenden Touristen reizen, recht viele Versuche in den höheren Regionen vorzunehmen, bis ihr Geschmack das Richtige zu treffen weiß. Bieten ja die Zustände und Veränderungen der Atmosphäre allein schon ein unendliches Feld für gute Aufnahmen, schöne Wolken verschönern das unscheinbarste Gebirgs- motiv ( siehe den Lichtdruck auf pag. 244 ). Die Aufnahmen bei klarem Wetter sind in diesem, dem malerischen Sinne, wegen des Fehlens der Luftperspektive im Hochgebirge, überhaupt nicht so dankbar wie solche bei stark wasserdampfhaltiger Atmosphäre.

Alle bildmäßigen Darstellungen wirken ja in dreierlei Richtung: Auf den Gesichtssinn direkt durch schöne Linien und gefällige Farb- oder Lichtabstufungen, diese Wirkung versteht sich von selbst; zweitens auf die Einbildungskraft mehr in negativem Sinn, mehr durch bloße Andeutungen, Verschleierungen, Unausgeführtes; und endlich auf den Verstand durch den Inhalt. Die Gebirgsphotographie ist durch eine trockene Aufzählung der reellen sichtbaren Gegenstände leicht nur auf diese eine letzte Wirkung beschränkt, während nur eine Verbindung aller drei die vollständige Harmonie eines Bildes und Befriedigung beim Anschauen erzeugt. Meine Ausführungen möchten nun besonders für diesen zweiten Punkt einige Fingerzeige geben: Das Tonige, Flächenhafte, Dämmerige, die Einfachheit und Größe der Motive regen die nachschaffende Phantasie am meisten an, die Darstellung bekommt das, was mit einem vielmißbrauchten Wort „ Stimmung " bezeichnet wird. Darum die Wolken- und Nebelphotographien, die Aufnahmen gegen die Sonne, die großen Schatten- und Lichtkontraste.

Man sagt ja wohl, daß dem photographierenden Hochtouristen eine Unmenge von Hemmungen und Widerwärtigkeiten gegenüberstehen, deren größte seine eigene Faulheit oder, schöner ausgedrückt, der Mangel an Zeit sei. Bei großen Touren ist es nicht möglich, geeignete Punkte aufzusuchen, Beleuchtungen abzuwarten oder sich jeden Augenblick loszuseilen. Eisiger Wind, Gefahr, Hunger oder Müdigkeitsgefühl können ihn alle Gedanken an schöne Bilder vergessen machen, und erst zu Hause bedauert er, diese oder jene Gelegenheit nicht besser ausgenützt zu haben. Das ist schon richtig.

Die Hauptsache ist und bleibt aber, daß man sich darüber klar sei, was zu photographieren ist und gut aussehen wird. Daß es nicht immer ein ganzer Berg oder eine Bergkette sein muß, sondern Schönheit im einzelnen und kleinen viel mächtiger wirkt. Diese Richtung des Geschmacks wird gewiß mit der Zeit bei den photographierenden Touristen so Platz greifen, daß allmählich die nichtssagenden Veduten aus ihren Albums verschwinden und durch wertvollere Bilder ersetzt werden.

Zugleich aber wird auch die Freude am Schönen und Charakteristischen in der Alpennatur sich steigern, und das ist noch mehr wert als die ganze Photographiererei.

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