«Natures en tête, vom Wissen zum Handeln»
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«Natures en tête, vom Wissen zum Handeln»

Eine bemerkenswerte Ausstellung in Neuchâtel Das ethnographische Museum von Neuchâtel zeigt bis zum Januar 1997 eine reiche und interessante Ausstellung, die sich mit den vielen Formen der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt auseinandersetzt.

Warum ist die Natur in den menschlichen Vorstellungen so stark gegenwärtig? Warum besteht der Mensch so hartnäckig darauf, sie zu zähmen, zu verkaufen, zu zerstören, zu schützen, und wie macht er das? Wie soll man sich in einem so vielfältigen und problematischen Gebiet wie dem Umweltschutz verhalten?

Dies sind einige der Fragen, die sich Jacques Hainard, der Direktor des Musée d' ethnographie de Neuchâtel ( MEN ), und seine Mitarbeiter gestellt haben. Sie haben nicht versucht, darauf fertige Antworten zu geben, sondern Richtungen und Wege für Überlegungen und ein mögliches Handeln zu weisen.

Ein klarer Plan für ein reiches Programm Diese Ausstellung des MEN ( sie wurde mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe und das Bundesamt für Gesundheitswesen organisiert ) ist in verschiedener Hinsicht ehrgeizig.

Zunächst einmal ist sie systematisch viersprachig -französisch, deutsch, italienisch, englisch - angelegt. Weiter haben die Veranstalter sorgfältig darüber gewacht, dass die Besucher angesichts der grossen Menge und Vielfalt des Materials nicht in der Vielzahl der Informationen die Orientierung verlieren. Sie haben darum eine strenge und klare Gliederung in drei deutlich getrennte Gruppen gewählt, die ihrerseits wiederum in vier Untergruppen geteilt sind.

Strenge und Klarheit bestimmen auch die Wahl der museographischen Mittel. Hier ist es wichtig aufzupassen, dass man die bemerkenswerte zweispurige Ausstellungsform richtig nutzt, denn es sind zwei grundsätzliche Möglichkeiten eingesetzt: Zum einen die Objekte, die direkt und leicht verständlich zum Besucher sprechen. Zum andern Texte, die mehr Zeit und Aufmerksamkeit erfordern, die aber der Ausstellung Sinn und Bedeutung geben. Nur wenn man sich von den einen zu den andern führen lässt, wird man wirklich Gewinn aus der Ausstellung ziehen. Schliesslich erinnert die Inszenierung mit Einkaufswagen daran, dass die Orte des grössten Konsums eine wichtige Rolle in unseren Beziehungen zu den Dingen und besonders zu « natürlichen » Produkten spielen. ( Vor längerer Zeit wurde bei einer soziologischen Umfrage in New York die Frage gestellt: « Woher kommt die Milch ?» « Aus dem Supermarkt », antworteten die Jugendlichen, die noch nie eine Kuh gesehen hatten. ) 1980 - 1990: Die umfangreichen Abholzungen in manchen tropischen Ländern treten immer stärker ins Bewusstsein und führen zu Reaktionen.

Auch Freude an Training und Bewegung gehören zu den Äusserungen einer guten Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.

Der Weg durch die Ausstellung Der erste Teil zeigt die Jahrzehnte von 1960 bis 2000 und macht auf viele charakteristische Ereignisse in den Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt aufmerksam ( eingeschlossen die Interaktionen zwischen den menschlichen Gesellschaften selbst ). Vor den grossen Tafeln, auf denen nukleare Zwischenfälle, soziale Aufstände, Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Bemühungen um Lösungen durch Einzelne oder Institutionen verzeichnet sind, stellen 16 Caddies in drei Linien ( Ökologie, Gesundheit, Entwicklung ) einige der hervorstechendsten Tatsachen oder Ereignisse dar: einen Haufen Zigaret-tenkippen, um die Verheerungen durch Zigaretten und den Beginn eines Bewusstwerdens in grösserem Ausmass unter dem Titel « Schatten auf der Lunge » zu demonstrieren; ein Hemd mit Krawatte und einen Revolver, um das Ende der Kolonien anzuzeigen; ein menschliches Gehirn im Heu mit der Legende « Beten wir für das Gehirn », um auf den Rinderwahn-sinn und die eventuelle Übertragung auf den Menschen hinzuweisen. Die vier Jahrzehnte sind durch kleine Inszenierungen voneinander unterschieden, die Bestandteile eines Frühstücks bei uns von 1960 bis heute zeigen ( Tisch, Stuhl, Geschirr, Toaster, tragbares Radio ).

Die zweite Gruppe hat den Titel « Désagrégation » - Zerfall, Auflösung - und zeigt die verschiedenen grundlegenden psychologischen Varianten unseres Verhältnisses zur Umwelt: Respekt, Angst, Herrschaft/ Beherrschung, Liebe. Sie sind jeweils unter den drei Gesichtspunkten Ökologie, Gesundheit, Entwicklung dargestellt und durch eine Unterteilung in vier Diskurse - einen allgemeinen, einen wissenschaftlichen, einen ökologischen und einen animistischen -noch im einzeln verdeutlicht. Einige Dutzend kleiner Vitrinen mit Themen von « Ich liebe meine Mutter » über « Lieber nackt als mit Pelz » und « Sonne in Ihren Tank » bis zu « Ich habe Angst vorm bösen Blick » illustrieren diesen Teil. Der dritte Teil der Ausstellung bricht mit dem strengen Chromstahldekor der ersten beiden und führt den Besucher in eine bon-bonrosa Welt, in der ihm unter dem Titel « Kristallisation » riesige meta-phorische Torten geboten werden: Acht Themen ( reisen, sich ernähren, sich pflegen, waschen usw. ) sind unter vier Gesichtspunkten - Werbung, Technik, Idylle, Mythos - dargestellt.

Was nun...?

« Während wir Raum und Zeit neu denken müssen, finden wir den Faden unserer Existenz wieder und sind mit der Notwendigkeit, neue Grenzsteine zu setzen, konfrontiert. Wir müssen Stellung beziehen, handeln oder neu erfinden - aus der Überzeugung heraus, dass das einzig wahre Wissen seine Grundlagen hinterfragt. » Die grosse Bedeutung dieser Ausstellung beruht in erster Linie auf ihrer Struktur, die nicht einen einzigen geschlossenen Block bildet, sondern aus einer Vielzahl von Elementen der Reflexion zusammengesetzt ist, die, in Form einer netzartigen Verknüpfung dar- geboten, unendlich viele Kombinationen erlauben. Der Besucher kann seine Visionen und Vorstellungen entsprechend seiner Bildung, seiner Intelligenz und seiner Neugier entwickeln, neu wieder aufbauen oder erweitern. Ihm wird alles gezeigt, aber nichts aufgedrängt. Dies, weil man ihn respektiert, von ihm aber auch fordert, dass er in dem ihm dargebotenen reichen Schatz und unter all den möglichen « natures » die Lösungen für eine zukünftige Beziehung zwischen Mensch und Umwelt entdeckt.

Es ist eine Ausstellung, die in hohem Masse einen Besuch ( und sogar mehrere ) wert ist. Sie hebt ganz besonders die Tatsache hervor, dass jede Sicht der Natur, selbst die extremste « ökologische » Sicht, eine kulturell bedingte Konstruktion ist und dass die menschlichen Gesellschaften darum keine Lösungen für die Probleme der Umwelt finden werden, solange sie nicht zu Kompromissen zwischen ihren verschiedenen Bezugssystemen, Techniken und Träumen gelangen.

Praktische Hinweise Musée d' ethnographie de Neuchâtel, 4, rue Saint-Nicolas, Tel. 038/ 24 41 20, Fax 038/ 21 30 95. Täglich ausser montags von 1O.00 bis 17.00 geöffnet. Die Ausstellung dauert bis zum 12.. " " .Januar 1997. Eintrittspreis: Fr. 1.; für Gruppen von 10 Personen an Fr.4.. Auf schriftliche oder telefonische Voranmeldung besteht die Möglichkeit zu geführten Besuchen.

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