Nordgrat der Wilden Frau
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Nordgrat der Wilden Frau

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Xaver Kalt.

Schon seit Wochen schauten wir uns den Nordgrat der Wilden Frau von allen Seiten an, um schliesslich zur Überzeugung zu kommen, dass er unser werden sollte. Bergführer Mani wollte uns begleiten, wurde aber wegen Abwesenheit daran verhindert. So entschlossen wir uns denn, Dienstag, den 5. September 1933, allein den Angriff zu wagen.

Die Säcke wurden gepackt, ein paar Adressen einem Freunde abgegeben, damit für eintretende Eventualitäten gesorgt war, und dann bummelten wir in gemessenem Tempo der Bundalp zu. Es war schon völlig Nacht, als wir die Hütte aus dem Schlafe wecken mussten. Bald träumten wir von festem Fels und Gipfelglück, bis uns der Wecker morgens 3 Uhr eines Bessern belehrte. Der gute Mond begleitete uns, und in forschem Tempo steigen wir über den Hohtürliweg bis zum Sattel. Kurze Rast, und hinab auf den Gletscher, der das Couloir unter der Blümlisalphütte durchzieht. Mit steifen Fingern werden die Steigeisen angeschnallt, um über das glasharte Eis, unter der Zahmen Frau durch, den Einstieg auf den Grat zu gewinnen. Morgens 530 Uhr stehen wir auf dem Grat, die Schuhe werden mit den Kletterfinken vertauscht. Schon kleben wir in luftiger Höhe, und schaurigschön ist der Blick in die Tiefe des Gamchigletschers. In senkrechten Wänden fällt der Fels einige hundert Meter ab, um auf den Gletscher zu münden. Ein Blick aufwärts belehrt mich allerdings, dass ich anderes zu schauen habe. Über mir turnt mein lieber Freund, nach spärlichen Griffen tastend oder sich dicht an die Wand schmiegend. Meter um Meter gleitet das Seil aus meinen Händen. Schon hat er gesichert, und in schwieriger, äusserst exponierter Kletterei über losen Fels folge ich ihm. Zeitweise wird die Stille durchbrochen vom Pfeifen und Poltern gelöster Steine, die in der schaurigen Tiefe verschwinden, uns ahnen lassend, wie weit es hinunter geht. Drei Stunden sind wir geklettert, dann stehen wir droben auf dem ersten Gratturm.

Kletterfinken werden mit Steigeisen vertauscht, und in schwerer Eisarbeit wird der steile Gletscher, der sich wie ein Gürtel um die Wilde Frau legt, erobert. In den nächsten Turm wird von der Seite ( rechts im Aufstieg ) eingestiegen, um etwa in der Mitte auf die Gratkante zu kommen. Ganz guter und griffsicherer Fels lässt uns hier ziemlich rasch vorwärts kommen, so dass wir nach fünf Stunden auch den zweiten Turm von oben beschauen können. Über einen kleinen, aber giftigen Gendarm, den wir direkt über die Kante nehmen, gelangen wir zum Fusse des dritten Turmes.

« Xavi, jetzt chunnt Chrampf !» höre ich meinen Freund sagen und sehe dann nur noch die Sohlen seiner Kletterfinken. Senkrecht fällt hier der Fels ab und lose Steine mahnen uns zu grösster Vorsicht. Schon meinen wir, nicht mehr weiter zu können. An einer glatten Platte, die nicht zu umgehen ist, scheitern zwei Versuche, und erst beim dritten Mal « hat sie dann endlich ja gesagt ». Ein grosser Spreizschritt bringt uns auf die äusserste Kante, um über diese den Turm zu gewinnen. Von der Sonne umstrahlt, grüsst uns der Gipfel. Was wird der Weg bis zu ihm noch alles bringen? Der Abstieg nach der Scharte des vierten Turmes ist nicht gerade schwierig, jedoch äusserst gefährlich das lose Gestein, das jeden Augenblick mit uns in der Tiefe zu verschwinden droht.

Schon meinen wir, gewonnenes Spiel zu haben, da sperrt uns ein messerscharfer Eisgrat, die Verbindung zwischen dem dritten und vierten Turm, den Weiterweg, und die Wand des vierten Turmes sieht alles andere als verlockend aus. Nun, hinüber müssen wir. Ein harter Kampf beginnt. Schritt um Schritt probiert es mein Freund. Zuerst mit den Kletterschuhen, muss aber wieder umkehren, um die Steigeisen anzuschnallen. Sprödes, glashartes Eis erschwert das Stufenschlagen, und nur mit grösster Mühe gelingt es, hinüber zu kommen, um einen Eishaken hineinzudonnern. Für fünf bis sechs Meter eine Stunde Arbeit! Ein Überhang lässt uns nicht in die Felsen einsteigen. Umgehen können wir diesen Turm nicht, und zurück wollen wir nicht, also hinauf. Was bleibt uns anders übrig, als einen Schulterstand zu wagen. Eine sehr wacklige Angelegenheit, schliesslich gelingt es meinem Freund aber doch, einen Griff zu fassen, und schon « schwindelt » er sich über die glatte Wand hinauf. Diese Sache gefällt mir aber gar nicht mehr, und fest an die Wand gedrückt harre ich der Dinge, die da kommen sollen. Schon ist beinahe eine halbe Stunde vergangen, und immer noch hängt das Seil in der gleichen Entfernung. Auf meine Frage, was denn los sei, erhalte ich einen gelösten Stein, und endlich schiebt sich das Seil Zentimeter um Zentimeter durch den Karabiner. Der Ruf « Mer hände » lässt mich aufatmen. Rasch wird der Karabiner gelöst, und mit Hilfe des Seiles bin ich bald ob dem Überhang. Wie sich mein Freund über diese Wand hinaufgeschwindelt hat, ist mir heute noch ein Rätsel, denn es war noch schwierig genug für mich, da das Gesichertsein doch ein viel leichteres Klettern erlaubt. Auch der vierte und schwierigste Turm ist bezwungen, und leuchtenden Auges schauen wir hinauf zum Gipfel. Neun Stunden vom Einstieg bis hierher, hoffentlich geht 's jetzt ein wenig schneller. Die Meinung, hier abseilen zu müssen, stellt sich als falsch heraus, und über loses Gestein gelangen wir in die Scharte. Bald darauf nochmals eine kitzlige Stelle, dann über steile Geröllhalden zum Gipfel. Hand in Hand schauen wir zurück auf unsere heutige Arbeit.

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