« Nordwand » – das « letzte grosse Problem » im Kino Eigerdrama als Spielfilm
Die Besteigung der Eiger-Nordwand galt in den 1930er-Jahren als « letztes grosses Problem » der Alpen. Bis zu ihrer Erstbesteigung vor 70 Jahren starben neun Bergsteiger, darunter der deutsche Alpinist Toni Kurz und drei Kollegen. Der Film « Nordwand » über ihren tragischen Tod kommt im Oktober in die Kinos. Ein Blick hinter die Kulissen.
Toni Kurz und sein Freund Andi Hinterstoisser reisen im Sommer 1936 nach Grindelwald. Die beiden deutschen Gebirgsjäger wollen die Eiger-Nordwand bezwingen. In der Wand treffen sie auf die Österreicher Willy Angerer und Edi Rainer. Beide Seilschaften kommen gut voran. Doch dann wendet sich das Blatt: Willy Angerer wird von einem Stein am Kopf verletzt, das Wetter schlägt um. Die vier müssen umkehren. Das Drama nimmt seinen Lauf. Einzig Toni Kurz überlebt beim Abstieg die Steinschläge und Lawinen. Halb erfroren verbringt er eine weitere Nacht in der Wand. Am anderen Tag stirbt er nach einer mehrstün- Erstbegehung vor 70 Jahren Auch nach der Erstbesteigung des Eigers vor 150 Jahren ( vgl. ALPEN 7/08 ) wagten sich die Alpinisten vorerst nicht an die Nordwand. Erst in den 1930er-Jahren wurde die Wand zum begehrten Ziel – vor allem von deutschen, österreichischen und italienischen Bergsteigern. Den Anfang machten im Jahr 1934 drei deutsche Bergsteiger, die ihren Aufstieg aber bei 2900 Metern abbrechen mussten. In den anschliessenden vier Jahren starben neun Menschen beim Versuch, die 1800 Meter hohe Wand zu bezwingen. 1936 erliess der Kanton Bern sogar kurzzeitig ein Verbot für Begehungen der Nordwand. 1938 – vor 70 Jahren – schaffte es dann die deutsch-österreichische Seilschaft mit Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek – ihr Erfolg wurde anschliessend vom nationalsozialistischen Regime zu Propagandazwecken ausgeschlachtet. ( Quelle: Rettner, Rainer, Eiger – Triumphe und Tragödien 1932–1938, AS Verlag ) digen Rettungsaktion, nur fünf Meter oberhalb seiner Retter – zum Verhängnis wird ihm ein Seilknoten, der nicht durch den Karabiner läuft. « Ich kann nicht mehr », sind seine letzten Worte. Sein Tod ist eine der dramatischsten Geschichten im Alpinismus. Abgesehen von der Zeitspanne, als die Retter dabei waren, ist über den Ablauf der Tragödie nicht viel bekannt. Umso mehr wurde darüber gemutmasst, in verschiedenen Versionen. Nun kommt im Oktober ein Spielfilm darüber ins Kino. 1 « Nord- wand » des deutschen Regisseurs Philipp Stölzl ist eine deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion. Der 7,5 Millionen Euro teure Film entstand in den letzten zwei Jahren vor allem im Eiger-Gebiet.
Traum wird wahr durch Albtraumfilm
Dem Regisseur Philipp Stölzl wurde beim Lesen des Drehbuchs bewusst, welche Herausforderungen auf ihn warteten – der Mythos der Eiger-Nordwand hatte ihn aber schon vorher gepackt. Zwar sei er kein grosser Kletterer, als « Münchner ist der Berg mir als Umgebung aber vertraut und lieb », sagt Stölzl im Gespräch mit den ALPEN. « Zudem hatte ich Lust, mich auf ein schwieriges Unterfangen einzulassen. » Für den Toni-Kurz-Dar-steller des Films, den Berliner Benno Fürmann, war ein Kletterfilm sogar schon immer ein Traum gewesen.
Bevor Fürmann diesen verwirklichen und seine Kenntnisse vor der Kamera unter Beweis stellen konnte, mussten die Schauspieler ins Klettertraining. Im Gegensatz zu Fürmann hatte etwa Florian Lukas, der im Film Andi Hinterstoisser spielt, überhaupt keine Ahnung vom Klettern. « Ich wusste nicht einmal, wo sich der Eiger befindet », gesteht der Berliner. Dies habe sich als « furchtbare Bildungslücke » herausgestellt. In einem klassischen Sportkletterkurs erarbeitete sich Lukas zuerst einmal die Grund- 1 Der Kinostart von « Nordwand » ist am 9.1O.2008, die Premiere des Films war auf der Piazza Grande am Filmfestival Locarno.
Realität und Fiktion perfekt vermischt: Viele Nahaufnahmen, wie diese hier von Willy Angerer ( Simon Schwarz ) und Edi Rainer ( Georg Friedrich ) wurden in einem Kühlhaus in Wien gefilmt.
kenntnisse, dann ging es in Trainings-camps in Frankreich und der Türkei. Währenddessen wurde im Herbst 2006 bereits im Gebiet des Eigers gefilmt, und zwar mit erfahrenen Bergsteigern als Doubles. Der Interlakner Bergführer und Topalpinist Stephan Siegrist etwa doubelte Toni Kurz. Eine naheliegende Wahl, hatte Siegrist doch im Jahr 2002 selber die Eiger-Nordwand in der Ausrüstung von anno dazumal durchstiegen. Die Schauspieler reisten dann im Frühling 2007 nach Grindelwald. Dort wurden sie von skeptischen Bergführern erwartet, wie Florian Lukas erzählt. « Die Bergführer wussten nicht so recht, wie gut wir vorbereitet waren. » Mit der Zeit hätten sie Vertrauen in die Fähigkeiten der Schauspieler bekommen. Und so konnte Florian Lukas immer häufiger selber klettern, aber: « Ich hätte gern mehr gemacht. » Im Hintergrund hätten jedoch auch Versicherungen und Produzenten Grenzen gesetzt. Den Pendelgang beim Hinterstoisser-Quergang machte Lukas aber zum grössten Teil selber.
Widerwärtiges im Kühlhaus
Neben den Drehorten rund um den Eiger und am österreichischen Dachstein – für eine Eingangsszene des Films – wurde Ein Wetterumsturz zwingt die Nordwandaspiranten zur Umkehr: Das Drama nimmt seinen Lauf.
Regisseur Philipp Stölzl vor dem Eiger. Hier galt oft: warten, warten und noch einmal warten.
Fotos:2008 Rialto Film AG, Zürich aus logistischen Gründen auch in einem Kühlhaus im österreichischen Graz gefilmt. « Aufwendige Szenen wären in der realen Wand nicht zu machen gewesen », erläutert Regisseur Stölzl.
Das Kühlhaus war aber nicht etwa der einfachere Teil der Dreharbeiten. Als « widerwärtig » bezeichnet Fürmann die Bedingungen: draussen 30 Grad im Schatten, drinnen minus zehn Grad, der Fels aus Beton vereist. Ein Ventilator blies minus 38 Grad kalte Luft und Schnee auf das künstliche Stück Nordwand und in die Gesichter der Schauspieler, dazu Drehtage von bis zu zwölf Stunden. Dies alles brachte sie an ihre Grenzen. Bei der Schlussszene musste die Kamera sogar ein Mal anhalten: Fürmann konnte den Karabiner nicht mehr einhaken. « Mein Körper hat nicht mehr mitgespielt. Wenn so etwas passiert, dann weiss man, dass man in der Realität des Bergsports angekommen ist », sagt der Kurz-Darsteller weiter. Aber im Gegensatz zum Verunglückten habe auf ihn auch wirklich eine heisse Badewanne gewartet.
In der Umgebung der Eiger-Nordwand braucht auch der Kameramann die entsprechende alpine Ausrüstung. Fotos: Thomas Ulrich Ein Vorteil am Drehort Kühlhaus war, dass der Zeitplan durchgesetzt werden konnte. Draussen am Eiger hiess es nämlich wegen der schnellen Wetterum-schwünge immer wieder: warten, warten und noch einmal warten. Dies kostete Stölzl mehrmals Nerven: « Du bist mit zwei Helikoptern da, die Tausende von Euro die Stunde kosten, und dann musst du einfach warten. Dabei willst du doch als Regisseur den Film so gut als möglich machen. » Für einen perfekten Film brauche es aber entweder viel Geld oder viel Zeit.
Eine weitere Herausforderung war die Ausrüstung, die möglichst original wie vor 70 Jahren sein sollte: Hanfseile, Wollpullover und Nagelschuhe. Die Sicherheit der Schauspieler ging dabei aber vor. So wären Stürze oder das Pendeln mit den nicht dynamischen Hanfseilen zu gefährlich gewesen. Auch trugen die Darsteller unter den historischen Kleidern Thermounterwäsche und Klettergurte. Das grösste Problem waren laut Stölzl die Nagelschuhe wegen des Abrutschens. Auch die Doubles, die Profibergsteiger, trugen diese so wenig als möglich.
Liebe im Film und zum Berg
Neben der Geschichte um die vier Bergsteiger ist im Film zusätzlich ein fiktio-naler Strang eingebaut. Luise Fellner beobachtet die Bergsteiger von der Terrasse des Hotels Bellevue auf der Kleinen Scheidegg aus. Die Jugendliebe von Toni Kurz soll neben dem nazitreuen Reporter Henry Arau über die Erstbesteigung berichten. Während sich das Drama anbahnt, merkt Luise, dass sie Toni eigentlich immer noch liebt. Neben etwas Melodramatik bringt der Film damit auch die Stimmung der 1930er-Jahre ein. Gerade diese Mischung aus Abenteuer, Tragik, Zeitgeschichte und Alpinismus unter nationalsozialistischem Einfluss fand Stölzl denn auch so spannend. Sollte diese Mischung beim Publikum – wider Erwarten – keinen Anklang finden, hat sich der ganze Aufwand sicher für einen gelohnt: « Dieser Film hat mein Leben verändert », sagt Florian Lukas. « Ich bin seither total begeistert von den Bergen. » Inzwischen sei er Mitglied des Deutschen Alpenvereins und der Geschäftsführer einer Berliner Kletterhalle ein guter Freund von ihm, betont Lukas, der vor den Dreharbeiten noch nie einen Gletscher in natura gesehen hatte. Im Juli dieses Jahres stand er nach dem Aufstieg von der Mittellegihütte sogar selber auf dem Gipfel des 3970 Meter hohen Eigers – im Gegensatz zu Andi Hinterstoisser.