P. Ignaz Heß: Der Grenzstreit zwischen Engelberg und Uri
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

P. Ignaz Heß: Der Grenzstreit zwischen Engelberg und Uri

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Uri. Historisch-topographische Studio. Jahrbuch für schweizerische Geschichte. Bd. XY. Zürich 1900.

Prof. P. P. Garofalo: Süll' antica storia della Vallis Pœnina. Anzeiger für schweizerische Geschichte. 31. Jahrgang, Nr. 3. Bern 1900.

Prof. Dr. W. Öchsli: Der Lausanner Vertrag von 1564.

Politisches Jahrbuch der schweizerischen Eidgenossenschaft. Bd. XIII, pag. 141—261. Bern 1899.

Senatsverhandlung über die schweizerisch-französische Grenze am Mont Dolent. Ibidem. Bd. XIY, pag. 252. Bern 1900.

Unter der historischen Litteratur der Schweiz von 1900, welche in näherem oder fernerem Sinne etwas mit den Alpen zu thun hat und deswegen hier Erwähnung verdient, ist die Arbeit des Benediktinerpaters von Engelberg uns besonders lieb. Sie ist ein Seitenstück und eine Ergänzung zu den Arbeiten von P. Odilo Ringholz in Einsiedeln über den Marchenstreit und beweist, daß unsere Innerschweizer im Mittelalter gegen Klöster und Geistliche nicht so rücksichtsvoll waren, wie etwa heute. Der Interessenkampf wurde vielmehr an der Surenen von den Urnern ebenso leidenschaftlich durchgefochten wie am Hacken von den Schwyzern, und die Gewaltthat gegen Engelberg von 1309 ist kaum weniger schlimm, als die von 1314 gegen Einsiedeln. Das Übereinstimmende in beiden Handlungen wird übrigens verständlich, wenn wir unter den sieben Schiedsrichtern, welche 1309 den Streit zwischen Uri und Engelberg schlichten sollten, Herren Wernher von Attinghusen, Ammann, Rudolf Staufacher von Schwyz und als Obmann Conrad ab Yberg finden. Auch daß dieser Schiedsspruch nicht zu gunsten von Engelberg ausfiel, sondern dem „ Kries-zug der Urner mit fliegendem panner über den Surenenpaß " den rechtlichen Erfolg hinzufügte, wird keinem Kenner der damaligen Länderpolitik auffällig sein. Die gewissenhafte Arbeit von P. Heß weist durch Besprechung der Urkunden und Prozeßschriften, die zum Teil erst jetzt aus dem Stiftsarchiv Engelberg veröffentlicht werden, durch eingehende Er- örterung der Rechts- und Eigentumsverhältnisse und fortwährenden Bezug auf die Topographie der in Betracht fallenden Alpen und Grenzen, wie mir scheint, unwiderleglich nach, daß auch hier das Kloster aus seinem rechtlichen Eigentum durch den rücksichtslosen Egoismus der Urner Politik und deren kluge Benützung der Zeitumstände Schritt für Schritt herausgedrängt wurde, bis schließlich durch eine Marchausscheidung vom 15. Juli 1472 und einen Tauschvertrag vom 16. Mai 1513 die noch jetzt gültige Grenze zwischen Obwalden und Uri festgelegt wurde. Sie führte, nach den Protokollen, „ vom Bernfad in der Steyenfluh in der Alp Ebnet, hinab in die Enge, über die Aa an den Stock, von da aufwärts durch den Mysiwald in den Grat " ( des Grassen sc ). Ursprünglich aber war die Grenze gelaufen „ von dem Kreuz in der Fluh, die da heißt am Hengestfart, grad abwärts auf den Berg und von dem Kreuz daselbst, wie sich die Fluh windet, bis an den schießenden Bach und von dem schießenden Bach aufwärts in den Grat ". Nach den Nachweisen von P. Heß und der beigegebenen Karte, einem Überdruck aus dem topographischen Atlas der Schweiz mit Einzeichnungen und vermehrter Nomenklatur, wäre das die Linie vom Fuß des Weißbergs südwärts hinab zu Punkt 1923 zwischen Fürren- und Ebnetalp, dem Elwenstein des Schiedsspruchs von 1309, längs der Fluh nordostwärts bis zur „ Stäubi ", dem Wasserfall der Aa, nicht dem Stierenbach, dann ostwärts hinüber an den Fuß des Schloßbergs und längs diesem auf die Grathöhe bei der Schloßberglücke. Die Blackenalp gehörte von jeher den Urnern, aber was zwischen der eben genannten March und der jetzigen Kantonsgrenze liegt, haben sie in dem Jahrhunderte dauernden Streit, ausgehend von einem Zufluchtsrecht auf Alp Surenen bei Unwetter und frühem Schneefall und von dem freien Zufahrtsrecht auf Weg und Steg von Stans und Buochs her über das Gotteshausland in ihre Alpen am Surenenegg, erstritten. Die Ortsnamen, die P. Heß aus den Urkunden und der lokalen Tradition beibringt, sind für die Toponomasie sehr wertvoll, und ich empfehle sie den sich damit Beschäftigenden zum Studium, wie überhaupt die ganze Arbeit, die auf nur 42 Seiten, wovon 11 auf die Beilagen kommen, sehr viel Wissenswertes enthält.

Die Bemerkungen des gelehrten Professors in Catania über die älteste Bevölkerung des Wallis und besonders die Anwohner des Großen St. Bernhard ( Vallis Pcenina im weiteren und engeren Sinn ) waren mir eine willkommene Bestätigung der Zweifel, welche ich Jahrbuch S.A.C. XXXII, pag. 371, gegen die Öchslische Theorie von einer vorkeltischen „ germanischen " Bevölkerung des Wallis erhoben habe. Eingehender, als ich es dort thun konnte, hat Prof. Garofalo die Nachrichten und Namen analysiert und, unter Hinweisung auf seine mir bis dahin unbekannt gebliebenen Schriften über die Helvetier, die Allobrogen, die Kelten, den Germanennamen u.a., bewiesen, daß die von Öchsli daraus gezogenen Schlüsse unhaltbar seien. Beachtenswert sind seine Bemerkungen über die Uberi oder Viberi, die vielleicht gar nicht ins Wallis gehören, die Ardyes, die man bei Ardon gesucht hat, deren Name aber auf jeden hochgelegenen Ort paßt ( vergl. Ardu-enna Silva ). Auch die Grenzbestim- mungen der Vallis Pœnina gegen die Lepontier, Helvetier, Allobrogen und Salasser werden von Garofalo sehr vorsichtig gegeben, und die be-trügliche Sicherheit über die Lage von Orten wie Drusomagus = Martigny, Eburodunum Sapaudise = Yvoire wird erschüttert. Und das ist gut, denn in solchen Fragen ist nicht wissen besser als falsch wissen.

Der letztgenannte Ortsname führt uns hinüber zu den beiden Artikeln in Hiltys Politischem Jahrbuch, die wir hier besprechen wollen. Im allgemeinen erfreut sich der Alpenclub und seine Bestrebungen nicht der unbedingten Sympathie des Herrn Prof. Hilty, der mit seinen etwas asketischen und rein geistigen Neigungen gegen Sport und Spiel sich kühl verhält und die Gefahren der Fremdenindustrie, die wir ja wohl kennen, vielleicht übertreibt. Im Jahresbericht für 1900 lesen wir pag. 490 folgenden Satz: „ Der Bergsport, den wir für den besten ansehen würden, sofern er mit einer gehörigen Bezahlung und namentlich mit einer unbedingten ökonomischen Haftbarkeit für das Leben der dabei verwendeten Führer und Träger durch die Sportleute verbunden wäre, forderte auch in diesem Jahre wieder zahlreiche Opfer. Wir wissen nicht, ob die bestehenden Unfallversicherungsgesellschaften Bergführer und Träger, die gefährliche Besteigungen mit Fremden unternehmen, gegen eine billige Prämie versichern. Wenn das der Fall ist, so sollte jedem Bergsteiger die gesetzliche Verpflichtung auferlegt sein, seine dafür engagierten Leute für eine bestimmte, ansehnlich bemessene Summe zu versichern, wogegen er bei Unterlassung dieser Vorsicht selbst für Unfälle derselben zu haften hätte. Der Schweizerische Alpenclub sollte sich dieser Sache annehmen, denn es ist sehr bemühend, immer wieder zu hören, dieser oder jener abgestürzte, oft sogar durch die Ungeschicklichkeit oder den Leichtsinn der Bergsteiger verunglückte Führer hinterlasse eine Witwe und eine Anzahl Kinder ohne Mittel, es sei eine Geldsammlung unter den Fremden des Unglücksortes für ihn unternommen worden, um der größten Not abzuhelfen. Da wäre denn doch eine Ausdehnung der bestehenden Haft-pflichtgesetzgebung auf diesen Sport sehr am Platze. " Wir glauben, eher am Platze und auch leichter zu machen wäre eine Erkundigung bei kompetenten Leuten über die Thätigkeit des S.A.C. im Führerversicherungs-wesen, bevor man solche Sätze in die Welt hinaus schreibt. Denn so, wie sie jetzt dastehen, leidet nicht die Ehre des Alpenclubs und der Wert des Bergsports not, sondern das Ansehen des Herrn Professors als eines gewissenhaften und zuverlässigen Chronisten. Auch sonst wäre ihm etwas mehr Fühlung mit uns dienlich; zu den „ Senatsverhandlungen über die schwei-zerisch-französische Grenze vom Mont Dolent bis zum Genfersee " im nämlichen Jahresbericht, pag. 252, hätte ihm der Referent pikante Erläuterungen geben können, namentlich in dem Sinne, wie weit wir es in der topographischen Bereinigung von Grenzfragen im Gebirge im Jahre des Internationalen Alpinen Kongresses zu Paris gebracht haben und warum die Exkursionskarte des S.A.C., die das wichtigste Teilstück dieser Grenze, vom Mont Dolent bis zum Pas de Morgins, enthält, so spät erscheint und dann noch mit einer vollkommen ungenügenden Darstellung des französischen Terrains, die gegen die schweizerischen und italienischen Ge- biete bös absticht. Wie die ganze Grenzlinie vom Mont Dolent her, die jetzt bei St. Gingolph den Genfersee erreicht ( Grenzfluß die Morge ), während früher Thonon und die Dranse die äußersten Punkte bernischen und wallisischen Territoriums am Südufer des Leman gewesen waren, zu stände gekommen ist, das ist in der sehr instruktiven Abhandlung von Prof. Öchsli im Politischen Jahrbuch, Band XIII, pag. 141-261, zu lesen. Damit war das so tapfer erworbene Chablais und mit ihm der Einfluß von Bern und Genf auf das Faucigny verloren. Hätten diese Dinge sich politisch anders entwickelt, wer weiß, ob nicht auch die alpinistische Eroberung des Mont Blanc- und Buetgebietes von Genf aus früher erfolgt wäre und wir ein historisches Recht hätten, in diesem Jahrbuch den Mont Blanc zu den Schweizeralpen zu zählen.

Redaktion.

Feedback