Pizzo Stella: Skitourenvergangenheit - Skitourenzukunft
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Pizzo Stella: Skitourenvergangenheit - Skitourenzukunft

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Daniel Anker, Bern

Dhoto Daniel AnkBr

Frühmorgendlicher Aufstieg zum Pizzo Stella mit Blick auf die Valle di Lei Wer alte Ausgaben der SAC-Zeitschrift DIE ALPEN durchblättert, stösst in den Bänden aus den 30er, 40er und 50er Jahren immer wieder auf den Namen Eugen Wenzel. Von Skitouren schreibt er, im Avers, in der Val Madris, auf den Piz Platta. Einer dieser immer noch lesenswerten Berichte, er trägt den Titel ( Pizzo Stella 3162 m. Eine Osterski-fahrt>, findet sich im Band XII der ALPEN von 1936. Die damals beschriebenen Erlebnisse werden nachstehend auszugsweise mit der Schilderung einer in ihrer Form zukunftsorientierten frühsommerlichen Rad-Ski-Fahrt zu Beginn der 90er Jahre verknüpft.

Diese weisse Spitze ganz in der Ferne! Was für ein Berg muss das sein, so weit weg und doch so deutlich! Ralph, Dieter und ich sitzen an einem sonnigen, klaren Tag im März 1991 auf der Sulzfluh im Rätikon und schauen abwechslungsweise mit dem Feldstecher auf das Meer von Gipfeln.

Als wir an einem sonnigen Märztag vom Gipfel des Piz Platta über die Bergwelt Bündens hinausschauten und unter den Feisund Gletschergestalten manchen alten Freund entdeckten und begrüssten, da blieb unser Blick plötzlich wie gebannt an einem uns unbekannten Berg haften. Alle umliegenden Grate mächtig überragend, stach dort eine rein weisse Pyramide in den tiefblauen Himmel empor. Von der lichtumfluteten Spitze fiel nach Nordosten, also uns entgegen, ein steiler, nach unten breiter werdender Gletschermantel herab. Beim damaligen Sonnenstand leuchtete dieser in mattem Glänze und verlieh dem Berg eine märchenhafte Würde. Wenn wir auch die Felsgipfel des Fornogebietes, der Albigna und der Bondasca bewunderten, welche sich scharf am südlichen Horizont abhoben - immer wieder kehrten wir zur königlichen Gestalt jener Gletscherpyramide zurück, die dort im Südwesten hinter den langgezogenen Graten der Averser Seitentäler dominierte.

Einige markante Pizzi erkennen wir: Linard, Bernina, Badile, Tambo. Zwischen beiden letzteren dieses helleuchtende Dreieck. Wir fragen Bündner Tourenskiläufer nach seinem Namen. Einer kennt ihn: Pizzo Stella.

Clubkameraden aus St. Gallen genossen diese Gipfelstunde mit uns. Für einen von ihnen schien es vom Ortler bis zum Mont Blanc keinen Berg zu geben, den er nicht beim Namen nennen konnte. ( Und das dort ), dabei deutete er auf unsere Pyramide, Der Pizzo Stella ist ein Skiberg, wie ich zu Hause auf der Skitourenkarte

Nun hatten wir den Namen dieses herrlichen Berges erfahren und wussten auch, dass er jenseits der Grenze liege. Und es erging uns wie jenen Schulbuben, die den schönsten Apfelbaum immer im Garten des Nachbars entdeckt zu haben glaubten und keine Nacht mehr schlafen konnten, bis sie nicht über den Zaun geklettert waren und von den verbotenen Früchten gemaust hatten. Zu Hause wurde dann die Karte angeschafft und eifrig studiert, und zuletzt war es beschlossene Sache, den Pizzo Stella einmal im Winter anzugehen. Wenn wir die weite Zufahrt und den langen Anmarsch in Erwägung zogen, kam nur eine mehrtägige Fahrt in Frage, und da Skifahrten im Hochgebirge im März und April am schönsten sind, einigten wir uns auf die Ostertage.

Der Pizzo Stella ging mir nicht aus dem Sinn. Dort wollte ich hinauf, und je mehr Informationen ich über den Berg und seine Umgebung suchte und fand, desto stärker wurde der Wunsch. Der Pizzo Stella gehört zu den Averser oder Oberhalbsteiner Alpen. Er liegt am Ende der Valle di Lei, einem Paralleltal westlich der schweizerischen Val Madris, aber schon zu Italien gehörend, weil die italienischen Orte Plurs und Chiavenna Weiderechte geltend machen konnten, als es im 19. Jahrhundert darum ging, Staatsgrenzen festzulegen. Heute gibt es nur noch wenige Weiden in der Valle di Lei, da ein riesiger, acht Kilometer langer Stausee das Tal Anfang der sechziger Jahre unter Wasser gesetzt hat. Damit die Staumauer ganz in der Schweiz liegt, wurden die Grenzen in diesem Seitental des Avers verschoben. Vom Lago di Lei spricht man denn auch als von einem der grössten Stauseen der Schweiz. Seine Betreiberin, die Kraftwerke Hinterrhein, wollte Anfang der 40er Jahre einen grossen Stausee im Rheinwald errichten, was am Widerstand der bedrohten Dörfer scheiterte. Der Lago di Lei ersetzt diesen geplanten Stausee, und bereits sind Abklärungen im Gang, um einen zweiten Stausee in der hinteren Valle di Lei, im Tal zwischen dem Pizzo Stella und der Cima di Lago, zu bauen; dies als Ersatz für den geplanten Pumpspeicher in der idyllischen Val Madris, was umweltbe- wusste Bergler wie Städter zu verhindern suchen. Die italienische Valle di Lei hat also eine enge Beziehung zur Schweiz, zu der sie ja rein geographisch gesehen ohnehin gehört. Zürcher Radiohörer werden diese Tatsache kennen: Vom Pizzo Groppera, der sich nur vier Kilometer vom Pizzo Stella entfernt erhebt, begann der bekannteste Privatsen-der der Schweiz, ( Radio 24>, halblegal zu senden.

In Thusis haben wir die Rhätische Bahn und mit ihr auch den Hauptstrom der Oster-skifahrer verlassen. Bis Andeer bleiben wir noch in Gesellschaft von einem Dutzend Skifreudigen, die nach Splügen weiterfahren. Wir selbst müssen hier den bequemen, ledergepolsterten Sitz des Postautomobils mit der schmalen Bank der Averser Postkutsche vertauschen.

Die Skitourensaison war schon zu Ende, als Christian und ich zum Pizzo Stella aufbrachen. In der Bahn Richtung Bündnerland musterten uns die Leute verständnislos, da wir bei Sommerbeginn immer noch mit Ski unterwegs waren. Wenn sie gewusst hätten, dass in Thusis noch die Fahrräder auf uns warteten! Wir hatten nämlich den Dreh gefunden, wie der Pizzo Stella ohne Umweg über Italien angegangen werden konnte. Ganz einfach von der Schweiz aus mit einer Fahrt durch den einen Kilometer langen Tunnel, der das Avers mit der Valle di Lei verbindet und der für den Zugang zum Staudamm erbaut worden ist. Am Stausee entlang windet sich dann noch ein acht Kilometer langer Fahrweg bis zum Ende des Sees, unpassierbar, solange Schnee liegt und Lawinen drohen. Und selbst wenn die Verhältnisse ein Durchkommen im Winter und Frühling erlaubten, so würde ein solcher Marsch auf einem Strässchen wenig Spass machen. Deshalb wollten wir diese Flachstrecke fahrenderweise zurücklegen, aber nicht mit dem Wagen. Für Autos besteht ein Fahrverbot -die italienischen Fischer, die vor allem am Wochenende im Schwärm im Lago di Lei ihr Glück versuchen, halten sich freilich nicht daran. Wir hingegen hatten ein leises, sauberes Verkehrsmittel gefunden: das Velo.

Der oberste Hang des Pizzo Stella Kein gewöhnliches Rad war 's, sondern ein Mountain Bike. Sein Rahmen ist stabil genug, um Fahrer samt Sack und Ski zu transportieren, seine Reifen sind stollig und breit und können es mit den Schotterstrassen aufnehmen, seine Gänge sind genügend klein, um mühsame Steigungen zu überwinden. Natürlich hatten wir auch nicht die normalen Tourenski dabei, sondern die 1,3 Meter langen Kästle Firn Extrem. Während Christian die Tourenskischuhe mitgenommen hatte, fuhr ich in Kunststoffbergschuhen. Wenn der Hang nicht zu steil und der Schnee nicht zu hart gefroren ist, kurvt es sich damit bestens. Nach dem Blatt Campodolcino der Landeskarte der Schweiz im Massstab 1:25 000 ist der Gipfelhang des Pizzo Stella auf 200 Höhenmetern 33 Grad steil; bei Junifirn versprach dies viel Skigenuss.

Die Hänge auf der Sonnenseite sind schon stark ausgeapert. Der über Nacht gefrorene Boden beginnt unter den warmen Strahlen aufzutauen, und wenn man sich hinsetzt zu kurzer Rast, so umspielt einen der Geruch von feuchter Erde und trocknendem Gras, welches winterlang unter der Schneedecke moderte. An besonders geschützten Orten wird sich bereits das geheimnisvolle, unsichtbare Naturschauspiel der Wiedergeburt vorbereiten, und wie bald wird sich das tiefdunkle Blau des Himmels in überall aufleuchtenden Enzianblüten widerspiegeln. Ob diesem Frühlingsahnen möchte man fast das Skifahren vergessen.

Von Schnee keine Spur, als wir in Crot mit Rad und Rucksack, Ski und Shorts aus dem Postauto stiegen. Doch die Nordflanke des Pizzo Stella würde wahrscheinlich noch weiss sein. Die Nordabdachung des Piz Gallagiun zuhinterst in der Val Madris war es jedenfalls gewesen. Ihn hatten wir uns als erstes Ziel unserer Bike-Ski-Touren für den 21 .Juni, den längsten Tag des Jahres, vorgenommen. Dass wir uns um vier Uhr in der Früh in den Sattel schwangen, um den 11 Kilometer langen Radweg durch die Val Madris zum Beginn des eigentlichen Aufstieges auf den Gallegione zurückzulegen, störte uns nicht heftig. Unangenehmer war bloss, dass wir nach der erfolgreichen Doppelabfahrt -zuerst im Schnee, dann auf dem Strässchen - und nach dem kühlen Bier auf der Sonnen-bank der schon bald schlafen gehen mussten. Doch Juni-Skitouren bedingen ein unanständig frühes Aufstehen, mit oder ohne Bike.

Die Wirtsleute schütteln bedenklich den Kopf, wie sie von unserem Vorhaben hören. Was sie uns erzählen, wissen wir zwar schon. In der Valle di Lei sind ziemlich sicher alle Alpen verschlossen. Es wird nicht leicht sein, einen Unterschlupf zu finden. Was aber noch schlimmer ist, das Tal mündet in einer tiefeingefressenen Schlucht in das Aversertal und ist nur über den die Valle di Lei westlich begrenzenden Kamm erreichbar und im Winter auch dort nur schwer zugänglich. Man macht uns darauf aufmerksam, dass hin und wieder Schmuggler im Dorf erscheinen, deren Spuren wir vorteilhaft benützen könnten, wenn solche noch sichtbar seien. Der freundliche Gastwirt versieht uns zuletzt noch mit Wolldecken, von welchen sich jeder eine auf den Rucksack schnallt. So ist dann nach allem die Bürde des Rückens und diejenige des Gemütes reichlich schwer geworden, wie wir um die dritte Mittagsstunde das Dorf verlassen.

Leicht ist der Start um vier Uhr morgens. Wir lassen uns talauswärts rollen. Die Stirnlampe erhellt kaum die dunkle Strasse. Kurz vor der Abzweigung in die Valle di Lei kreuzt ein Hirsch unseren Weg. Die knapp 300 Höhenmeter Aufstieg zur Staumauer des Lago di Lei gehen ganz schön in Beine und Lungen. Als wir aus dem feuchten Tunnel her-ausradeln, sehen wir weit hinten die weisse Pyramide des Pizzo Stella, 1200 Meter über dem Ende des Sees, unnahbar und doch verheissungsvoll schimmernd wie der Morgenstern.

Aber dort, weit in der Ferne, hinter aller Gefahr, erhebt sich die rein weisse, königliche Gestalt des Pizzo Stella. So beschwerlich und gefahrvoll der Weg auch sein mag, der herrliche Berg hat uns bereits mit seinem Zauberbann umfangen.

Auf der Schotterstrasse haben wir keine Zeit mehr, diesen unvergleichlichen Talabschluss zu studieren. Das Umfahren der Schlaglöcher erfordert volle Reaktionsfähigkeit, und wenn wir manchmal trotzdem hineingeraten, dann drückt der Rucksack, der mit Ski und Stöcken und kompletter Ski-hochtourenausrüstung doch recht schwer ist, arg gegen das Gesäss. Plötzlich verfolgt uns ein Auto - sind es italienische Carabinieri oder schweizerische Grenzwächter, die uns zur Rechenschaft ziehen wollen, weil wir ausserhalb der offiziellen Durchfahrtszeiten durch den Tunnel gefahren sind? Der Fahrer erschrickt, als er mit seinen Scheinwerfern zwei Veloskifahrer erfasst, während wir beruhigt sind, weil es sich um einen harmlosen Fischer handelt.

Mit den grossen Säcken und den geschulterten Brettern kommen wir uns selbst wie Schmuggler vor. Ein gewisser Unterschied besteht aber doch. Jene schleppen sich um eines kärglichen Lohnes ab, wir zu unserem Vergnügen. Es gibt eben sehr verschiedene Dinge im Leben, um derentwillen der Mensch Schweisstropfen vergiesst.

Am Ende des Lago di Lei, bei der Brücke westlich der Alpe Scalotta auf etwa 1960 Meter, machen wir ein Raddepot.

Die Dämmerung hat sich über das stille Tal gelegt. Wir sind nun besorgt, endlich ein Obdach zu finden. Bei der Alp Mulecetto machen wir endgültig halt. Ein paar kleine, offene Steinhütten üben keine grosse Anziehungskraft auf uns aus. Der einzige Bau, der noch in Frage kommt, ist fest verschlossen.

Nachdem wir eine Zeitlang ohne Erfolg am Schloss ( herumgedoktert ) haben, entschliessen wir uns für einen etwas ungewöhnlichen Eintritt. Das Dach lässt sich leicht erklettern. Es besteht, wie alle andern des ganzen Tales, aus Steinplatten. Vorsichtig schieben wir am Giebel ein paar zur Seite und seilen uns ins dunkle Gemach hinab. (... ) Bald summt der Kocher das Lied von der warmen Suppe, und wenig später nisten wir uns im feuchten Heulager ein. O herrliche Romantik der Berge! Noch bist du nicht untergegangen. Noch gibt es Orte, wo wir dich in alter Natürlichkeit geniessen können. Nicht um alle Annehmlichkeiten der Welt würden wir dich preisgeben.

Der Tag beginnt. Die Ski müssen wir noch etwa 10 Minuten zur Schneegrenze tragen.

Früh am Morgen sind wir unterwegs zur grossen Fahrt. Nach einer Stunde Flachlauf kommen wir zur hintersten Alp des Tales, Pian del Nido, 1941 m. Damit sind wir am Fuss des Stellamassives angelangt. Bis zum Zuhinterst im Valle di Lei: ganz rechts der Pizzo Stella, links die Gruppe der Cima di Lago Gipfel sind also noch über zwölfhundert Meter zu bewältigen. Aber was bedeuten uns jetzt Zahlen! Da strebt ein Steilhang vor unseren Augen zum Himmel empor, wie man sich ihn nicht lockender vorstellen kann. Seit Jahren hat er uns beschäftigt, und nun soll alles Träumen Wirklichkeit werden.

Auf der östlichen Seite des tief eingeschnittenen Baches im Vallone dello Stella steigen wir rechtshaltend über eine Folge von Mulden und Kuppen auf. Auf etwa 2620 Meter kommen wir in die Sonne und auf den nur mässig verschrundeten Ghiacciaio Ponciagno. Der Schnee ist hart, aber nicht durch und durch gefroren. Im Gipfelhang beginnt ihn die Sonne schon aufzuweichen. Wir beeilen uns.

Jetzt also rüsten wir zum letzten Ansturm gegen die weisse Gipfelhaube des Pizzo Stella. In einer weitausholenden Kehre schneiden wir den Steilhang und spuren dann wieder auf den Nordostkamm, der von hier fort in schön geschwungener Linie gegen die Spitze ausläuft. Es ist ein Wandeln direkt in den Himmel hinein. Kurz unter dem Gipfel schärft sich der Grat zur Firnschneide und gebietet unseren Ski endgültig Halt. Bei einer Schneewehe stecken wir sie in etwas übertriebener Vorsicht bis zur Bindung in den Firn. Die dreissig Meter bis zum Steinmann geben uns zu denken. Das Firngrätchen ist nach einer Seite stark überwachtet und gegen die Valle di Lei stürzt es steil wie ein Kirchendach hinab. Wir seilen uns an. Mit dem Pickel wird Tritt um Tritt in den weichen Firnschnee geschlagen, bis auf einmal alles unter uns geblieben ist und wir beim Steinmann nur noch die unendliche Bläue über uns haben.

Zuletzt hasten wir zu Fuss, die Ski tragend, über einen unangenehm abschüssigen Grat zum roten Gipfelkreuz des Pizzo Stella. Es ist Viertel nach Acht, höchste Zeit für ein zweites Frühstück. Doch wir haben kaum Zeit, das Panorama zu bewundern, denn Junifirn will rasch befahren werden.

An einem ganz klaren Tag muss die Aussicht von dieser weit gegen Süden vorgeschobenen Hochwarte unseres Alpenkammes überwältigend sein. Man müsste sicher bis gegen den Comersee hinab sehen. Heute gucken bloss die nächsten höheren Nachbargipfel aus dem wallenden Wolkenmeer heraus, während von den tiefliegenden italienischen Tälern nur ab und zu für kurze Augenblicke etwas Weniges zu erhaschen ist. In solchen Augenblicken mag es während des Schauens in unendliche Weite über dich kommen, dass du trotz der Siegesfreude, mit der du diese Bergspitze betratest, plötzlich fühlst, wie unscheinbar, wie wenig du bist vor dieser grossen Welt, die sich vor dir aufgetan hat.

40 Minuten brauchen wir vom Gipfel zu den Rädern oberhalb des Lago die Lei. Das sagt alles über die Schneeverhältnisse in der Nordflanke des Pizzo Stella. Wie viele Schwünge wir da hineinzogen, weiss ich nicht. Unzählige jedenfalls. Und auch die einzigen.

Die ersten Bogen werden noch etwas zögernd angesetzt. Wie wir dann aber die Schneebeschaffenheit des Steilhanges kennen, werfen wir uns mit Schwung hinein. Auf gut gesetzter Unterlage liegt eine gleichmässige Neuschneeschicht, gerade fest genug, dass einem das Schwingen so märchenhaft leicht wie im Traume gelingt. Im Fluge gleiten wir hemmungslos durch die obersten Hänge und betrachten dann verschnaufend unsere ( Schrift ). Dort das steil anstrebende Anstiegsgeleise, hier die geschwungene Doppelreihe der Abfahrt; die Fährten des Skifahrers, eine Freude für sich. Manchmal kommt es einem fast sündhaft vor, die reine Unberührtheit des Schnees zu zerstören. Man bleibt immer wieder stehen und erfreut sich an den Licht- und Schattenspielen der Gletscherbrüche und Mulden. Hunderte von Bogen haben wir schon in diese herrlich weissen Flächen gezeichnet, und noch ist kein Ende.

Am Berg selbst hatten wir gar nicht bemerkt, wie mächtig er ist. Doch bei der Rückkehr auf den Mountain Bikes baut sich der Gipfel mächtig auf, wenn wir anhalten und zurückblicken. Die Fahrt entlang des halbleeren Stausees erfordert wieder volle Aufmerksamkeit, weniger wegen der Schlaglöcher als wegen entgegenkommender Autos - und Kühe, die übermütig zu den Alpweiden springen. Von der Westecke der Staumauer fahren wir einen Kilometer weiter zum italienischen Berggasthaus ( Baita del Capriolo. Den caffè con grappa bezahlen wir freilich in franchi svizzeri. Der Patron zeigt uns noch den Vorratsraum mit selbstgemachtem For- maggio und Salame. Ein ander Mal. Und die Fahrräder müssen wir dann auch nicht mitnehmen: Sie können in der Baita, die von Mitte Mai bis Ende Oktober offen ist, gemietet werden.

Für die Tour am nächsten Morgen wäre es praktischer, hier hinten zu wohnen, aber da auch diese Hütte verschlossen ist und wir uns auf der Alp Mulecetto ja so ( heimelig ) eingerichtet haben und auch im Zins nicht überfordert sind, beschliessen wir, dort hinaus zu fahren. Dann und wann blicken wir zurück auf den herrlichen Berg, der wieder gross und stolz über dem Tal und über uns Menschen zum Himmel ragt.

Tags darauf ziehen wir über die Cima die Lago ins Madrisertal und durch dieses ins Avers hinaus. Diese Fahrt steht aber auf einem anderen Blatt.

Mit unseren Bikes sausen wir zurück in die Schweiz, zuerst abwärts auf die Averser Talstrasse, dann auf ihr aufwärts zum Quartier in Crot. Es ist ein Uhr und heiss. Um kühlen Fahrtwind zu fühlen, beschliessen wir, mit dem Rad nach Thusis zu rollen, 1000 Höhenmeter Abfahrt auf 30 Kilometer. Sack und Ski übergeben wir dem Postauto. Und auf geht 's! Beim Einbiegen in die Hinterrhein-strasse geraten wir in ein Strassenrennen italienischer Radamateure. Mit unseren bulligen Bergvelos und den flatternden Kleidern haben wir keine Chance. Auf dem Flachstück nach Andeer müssen wir die Ciclisti ziehen lassen. Doch in der Via Mala holen wir sie ein und hängen sie in einer kurzen Gegensteigung sogar ab.

Was uns dieser und der kommende Winter auch bringen mögen, nichts kann den unvergesslichen Eindruck verwischen, den uns die gelungene Osterfahrt auf den Pizzo Stella hinterlassen hat.

Es ist ein guter Weg, mit dem Rad auf Skitour zu gehen. Zum Pizzo Stella - und zu anderen Gipfeln.

Aussicht vom Gipfelhang des Pizzo Stella auf die Valle di Lei

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