Projekt «Alpenlandschaft Zukunft»: Neue Basis für den Landschaftsschutz
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Projekt «Alpenlandschaft Zukunft»: Neue Basis für den Landschaftsschutz

Der hohe Erschliessungsdruck in den Schweizer Bergen ist für den SAC eine Herausforderung. Mit dem Projekt « Alpenlandschaft Zukunft » will der Verband die Grundlage schaffen für eine effiziente und kohärente Mit- und Einsprachepolitik. Am 5.Juni 2010 befinden die Abgeordneten über das umstrittene Projekt.

Verkehr, Tourismus und die Energiewirtschaft haben in den Alpen Spuren hinterlassen, und es gibt Pläne für viele weitere Eingriffe: Die Ideen für neue Hotels, Gondelbahnen, Strassen und Staumauern sind Legion. An den übrig gebliebenen kleineren und grösseren Inseln unberührter Hochgebirgslandschaft wird stetig geknabbert. Das muss den SAC beschäftigen, hat er sich doch die Erhaltung der Alpen auf die Fahne bzw. in die Statuten, ins Leitbild und in die Umweltrichtlinien geschrieben. Die Aussagen in diesen Dokumenten sind jedoch auslegungsbedürftig. Wegen oftmals kurzer Fristen muss die Entscheidungsfindung unter hohem Zeitdruck erfolgen, was einer kohärenten Schutzpolitik nicht förderlich ist. Diese Situation bewog den Zentralvorstand (ZV) im Jahr 2006 dazu, das Projekt «Alpenlandschaft Zukunft» ( ALZ ) zu lancieren. Auf einer Karte sollen jene wenig oder nicht erschlossenen Landschaften eingezeichnet werden, die der SAC langfristig erhalten will. Dabei soll zwischen zwei unterschiedlich strengen Schutzzonen unterschieden werden: der Zone Gold, in der praktisch keine neue Infrastruktur erstellt werden soll, und der Zone Silber, in der mehr möglich sein soll. Da dürfen neue Wanderwege und Klettergärten angelegt werden, und es darf auch mal eine Forststrasse gebaut werden.

2007 sagten die SAC-Abgeordneten Ja zu einer Pilotphase für das Projekt. In zwei Gebieten (Berner Oberland und Romandie) wurde von den ortsansässigen und den hüttenbesitzenden Sektionen je eine Karte erarbeitet. Die Erfahrungen in den Pilotregionen zeigten zweierlei. Erstens: Es ist möglich, mit partizipativen Methoden eine Schutzkarte zu erarbeiten. Die Sektionsvertreter erklärten sich in einer Befragung mehrheitlich zufrieden mit dem Prozess und den Resultaten. 75 Prozent möchten, dass das Projekt fortgesetzt wird. Zweitens: Es sind noch Fragen zu klären: Wie viel haben die ortsansässigen Sektionen zu sagen, wie viel die hüttenbesitzenden? Verabschieden die betroffenen Sektionen oder die Abgeordnetenversammlung (AV) eine Karte? Und wie verbindlich ist eine Karte? Um das zu klären, beantragte der Zentralvorstand der AV 2009, das ALZ-Konzept zu überarbeiten. Kritische Stimmen opponierten und wollten das Projekt sofort beerdigen. Die Berner Oberländer Sektionen beurteilten das Projekt als nicht konstruktiv, rechtlich auf wackligen Füssen und viel zu teuer. Sie warnten vor einem neuen Röstigraben zwischen Unterland- und Bergsektionen. Die Befürworter sahen dagegen im partizipativen Ansatz des Projekts die Chance, diesen Graben zu überwinden. Die Versammlung folgte dem Antrag des ZV ( vgl. ALPEN 7/2009, S.32–34 ).

Das ergänzte Konzept, über das die Abgeordneten am 5.Juni 2010 zu befinden haben, liefert Antworten: Der Sorge der Gebirgssektionen, durch die « grünen » Talsektionen überstimmt und dadurch um Einkommen und Arbeitsplätze in der Region geprellt zu werden, wurde Rechnung getragen: Bei der Erarbeitung der Karte dürfen die ortsansässigen Sektionen zwei Vertreter stellen, die hüttenbesitzenden Sektionen nur einen. Mittellandsektionen ohne Hütte können in einer Region ihrer Wahl mitarbeiten. Verabschiedet werden die Karten von der AV. Sind die Abgeordneten nicht zufrieden, können sie die Karte zur Überarbeitung an die beteiligten Sektionen zurückweisen. Nach der Verabschiedung ist die Karte für den gesamten Verband verbindlich. Der Zentralverband soll aktiv werden, wenn ein Infrastrukturprojekt dagegen verstösst. Leicht abgemildert wird dieser Grundsatz durch eine Ausnahmebestimmung: Ist die Hälfte der ortsansässigen und hüttenbesitzenden Sektionen für ein Bauprojekt, so kann der ZV darauf verzichten, eine Einsprache zu machen – auch wenn das Vorhaben der Karte widerspricht. In einer Vernehmlassung bei sämtlichen Sektionen stiessen diese Vorschläge mehrheitlich auf satte befürwortende Mehrheiten. Eine Pattsituation ergab sich nur bei der Frage, ob die Sektionen oder die AV die Karte verabschieden solle. «Wir wollten, dass bei Entscheidungen dieser Bedeutung alle Sektionen mitreden können», begründet Zentralpräsident Frank-Urs Müller den Entscheid für die AV. Um sich der aktiven Mitarbeit der Sektionen sicher zu sein, hat der ZV beschlossen, die Hürde für das Projekt höher zu legen. Er beantragt, dass ALZ nur verwirklicht wird, wenn ein qualifiziertes Mehr von 60% dafür ist. Abstimmungsempfehlung gibt er keine ab. «Die Abgeordneten haben uns beauftragt, die offenen Fragen zu klären. Das haben wir getan, jetzt ist es an ihnen, zu entscheiden, ob die Antworten in ihrem Sinn sind», sagt Zentralpräsident Müller.

Gemäss Konzept sollen die verbleibenden elf regionalen Karten innerhalb von drei Jahren erarbeitet werden. «Für den Erfolg eines partizipativen Prozesses ist es wichtig, eine gewisse Intensität aufrechtzuerhalten», sagt Thomas Gurtner, Projektleiter von « Alpenlandschaft Zukunft » und Bereichsleiter Umwelt der SAC-Geschäftsstelle. Ein zweites Argument für das zügige Vorgehen: Die Karten könnten im Rahmen des 150-Jahr-Jubiläums des SAC im Jahr 2013 präsentiert werden. Die Beschleunigung des Prozesses ist nicht gratis zu haben. Für vier Karten pro Jahr reichen die personellen Ressourcen der Geschäftsstelle nicht aus. Für drei Jahre soll deshalb eine Assistenz-stelle geschaffen werden. Das führt zu Mehrkosten von ca. 360000 Franken, womit sich das Projektbudget auf 880000 Franken erhöht. Das laufende Budget des SAC wird über die drei Jahre mit 150000 Franken belastet. Der Rest wird durch Gelder aus dem Naturschutzfonds (Fr. 43000O.–) und durch Beiträge von Stiftungen und Sponsoren (Fr. 30000O.–) gedeckt. Ein Projektjahr wird jeweils erst gestartet, wenn das Budget im Voraus gesichert ist.

Thomas Gurtner hofft, dass die AV dem ALZ-Konzept zustimmt. «Die heutige Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im SAC ist manchmal unbefriedigend», erklärt er. Stellungnahmen zu publizierten Planungs- oder Bauvorhaben müssen oft in kurzer Zeit und ohne griffige übergeordnete Beurteilungs-instrumente erarbeitet werden: Wie sind die Richtlinien des SAC im konkreten Fall auszulegen? Was sind die Interessen und Meinungen der Sektionen? Lässt sich beides unter einen Hut bringen? Es wird ein Entwurf erarbeitet und in die Vernehmlassung geschickt. Falls sich kein Konsens finden lässt, ist es gemäss Statuten am ZV, die Haltung des SAC festzulegen. Weil sich Baueingaben nicht nach dessen Sitzungsrhythmus richten, muss man oft in abgekürztem Verfahren auf dem Zirkularweg entscheiden. «Einzelfallbeurteilungen unter Zeitdruck sind nicht ideal», sagt Gurtner. Mit ALZ würde das ändern. «Die Sektionen entwickeln die Haltung des Verbandes im Voraus», sagt Gurtner. Würde dann beispielsweise ein Teilprojekt des geplanten Schneeparadieses Hasliberg-Titlis aufgelegt, könnte der SAC rasch aus der Karte ableiten, ob das Projekt ins Gebiet passt. Das Verfahren bis zur Festlegung der SAC-Stellungnahme würde beschleunigt. Es ist zudem möglich, dass die Karte allein durch ihre Existenz eine Wirkung entfaltet, weil sie Investoren und Bauwilligen zeigt, was der SAC in einem bestimmten Gebiet zuzulassen bereit ist. «Die Karte schafft Transparenz zur Haltung des SAC. Gegen innen und gegen aussen», sagt Gurtner.

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