Risiko: eine Bedingung der Freiheit
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Risiko: eine Bedingung der Freiheit

Es scheint, als liege ein besonders schlimmer Bergsommer hinter uns. In der öffentlichen Wahrnehmung jedenfalls gab es zu viele Unglücke: Tote am Everest schon im Mai (vgl. Bericht S. 44), später am Eiger, an der Dent Blanche und dann auch noch am Mont Maudit, um nur einige zu nennen. Nachdenklich mache das, hat es in den Medien geheissen. Und, so fragt die besorgte, angesichts der Bergdramen schaudernde und debattierende Öffentlichkeit: «Woran liegt es, dass die Bergsteiger solche Risiken eingehen?»

Die Fakten sprechen eine andere, nüchternere Sprache. Die Zahl der Todesfälle des aktuellen Bergsommers – so tragisch jeder einzelne ist – liegt im üblichen Rahmen. Ueli Mosimann, von der Fachgruppe Sicherheit im Bergsport des SAC, zählt die Bergtoten seit Jahrzehnten und sagt: «Das Risiko, einen tödlichen Unfall zu erleiden, ist beim Bergsteigen in den Alpen etwa gleich hoch wie im Strassenverkehr.» Laut Chris Semmel vom Deutschen Alpenverein liegt das Todesrisiko etwa auf Hochtouren bei 0,6 Promille, so eine DAV-Statistik. Sofern man sich der Gefahr während 1000 Stunden aussetzt. Das reicht für ein ganzes Bergsteigerleben.

Ob Strasse oder Hochtour, das Risiko reist mit. Allein: Im Strassenverkehr rechnen die wenigsten mit dem Schlimmsten, eine Debatte über Sinn und Unsinn einer Fahrt findet kaum statt. Anders beim Bergsteigen: Die Sinnfrage wird nicht erst seit Whymper wieder und wieder gestellt. Eine Erklärung, warum wir in die Berge gehen und uns Risiken aussetzen, liefert der englische Mathematiker und Philosoph John G. Bennett (1897–1974): Freiheit sei nur in nicht determinierten, nicht vorausbestimmten Lebenssituationen möglich. Eine freie Willensentscheidung bedinge die Möglichkeit des Eintreffens eines «Hazard», einer Gefährdung oder Gefahr, eines Gefahrenmoments, Wagnisses und letztlich Zufalls. Nur in diesem Moment des Abwägens – Abmarsch oder Abbruch – kann der Mensch die Freiheit leben, so Bennett.

Und dieses Risiko gehe ich in den Bergen gerne ein, weil ich frei entscheiden kann. Man muss ja deswegen nicht zum Hasardeur werden.

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