Risikosport Bergsteigen
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Risikosport Bergsteigen

Was treibt uns dazu?

Seit eh und je muss sich der Mensch mit Risiken auseinandersetzen. Daraus aber einen Sport zu machen fiel ihm erst in jüngerer Zeit ein. Heute gehört das Ausüben von Risikosportarten wie Gleitschirmfliegen, Wildwasserfahren oder Bergsteigen zu den alltäglichen Hobbies.

Weshalb der Mensch sich freiwillig in Risikosituationen begibt, hat viele Gründe. Drei davon wurden in einer Untersuchung am Beispiel des Bergsteigens etwas genauer betrachtet:

die Suche nach Nervenkitzel, genannt Sensation seeking,

die Suche nach Kontrolle,

die Suche nach Flow-Erlebnissen, dem Gefühl des gänzlichen Aufgehens in einer Bewegung.

Das Verhältnis zum Risiko

Was sind Risikosportarten?

Risikosportarten werden als solche bezeichnet, weil sie Risikosituationen beinhalten, nämlich Situationen, deren Verlauf und Konsequenzen nicht mit Bestimmtheit vorhersagbar sind und sowohl günstig als auch ungünstig sein können:

Ein ungünstiger Verlauf bedeutet für den Menschen eine Schädigung psychischer oder physischer Art, was im Risikosport mit Unfällen gleichzusetzen ist, deren Folge Tod oder Invalidität sein kann.

Ein günstiger Verlauf beschert dem Menschen einen persönlichen Gewinn, und wäre dieser Gewinn nicht potentiell möglich, würde der Ausübende sich kaum auf eine solche Aktivität einlassen. Was aber könnte diese persönliche Bereicherung sein? ( Eine mögliche Antwort ergibt sich aus der nachstehenden Untersuchung. )

Objektive und subjektive Gefahren

In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass der Mensch beim Ausüben von Risikosportarten nicht machtlos unsicheren Situatio-

Gut abgesicherter Sturz ins Seil ( Peter Wüthrich am Abendberg, BO ) Roland Descloux in der Route « Gletschersinfonie » ( Südwestwand des Klein Wellhorn, BO ) Wissenschaft und Bergwelt

nen ausgeliefert ist, sondern das Risiko zu einem grossen Teil selbst wählt.

Wie gefährlich eine Situation ist, hängt von objektiven, äusseren Gefahren und den damit in Wechselwirkung stehenden subjektiven Gefahren, d.h. vom Verhalten des Menschen in dieser Situation, ab.

Beim Bergsteigen gehen die objektiven Gefahren von den Umweltbedingungen im Gebirge wie Steinschlag, Lawinen oder Wetter aus. Hingegen sind fehlende alpine Erfahrung, schlechte körperliche Verfassung oder Selbstüberschätzung von den Bergsteigern und Bergsteigerinnen selbst ausgehende und somit subjektive Gefahren. Das auf einer Tour eingegangene Risiko können die Bergsteiger/innen verringern, indem sie eine Route wählen, für die sie über die entsprechende Erfahrung, Kondition und Ausrüstung verfügen und diese zu einem objektiv günstigen Zeitpunkt begehen. Allerdings bleibt ein gewisses Restrisiko, eine Unsicherheit hinsichtlich Unvorhersehbarem, immer bestehen. Aber obwohl Bergsteiger/innen sich freiwillig und ( meist ) bewusst ( Rest-)Risikosituationen aussetzen, darf nicht davon ausgegangen werden, dass sie die Gefahr selbst suchen. Sie gehen in der Regel eine Tour nur dann an, wenn sie der Überzeugung sind, dass zum gewählten Zeitpunkt die Anforderungen ihre Fähigkeiten nicht übersteigen. Auch versuchen sie durch entsprechendes Verhalten vor und während einer Tour einen ungünstigen Ausgang zu vermeiden. Ein Sich-Einlassen auf Risikosituationen darf somit nicht mit riskantem Verhalten gleichgesetzt werden.

Weshalb aber lassen sich Menschen überhaupt auf Risikosituationen ein? Einen allgemeingültigen Grund für das Ausüben von Risikosportarten finden zu wollen wäre illusorisch. Nicht ein Motiv veranlasst den Menschen dazu, sondern ein ganzes Motivbündel, das bei jedem Menschen unterschiedlich zusammengesetzt ist. Drei wesentliche Mosaiksteine sind die Bedürfnisse nach Nervenkitzel, Kontrolle und Flow-Erlebnissen.

Die drei Hauptmotive

Das erste: Sensation seeking, die Suche nach Nervenkitzel

Ein Grund für das Ausüben einer Risikosportart könnte sein, dass die Menschen in unserer Welt der Routine und der Versicherungen Abenteuer, Spannung und Dramatik suchen. Eine auf der menschlichen Biologie basierende Theorie besagt, dass der Mensch eine gewisse Stimulierung von Körper und Geist braucht, um angenehm leben zu können. Fehlt ihm diese, empfindet er Langeweile und wird

Am extremsten tritt das Sensation-seeking-Motiv im Bergsport in der « Spielart » des « free soloing » auf. Es handelt sich dabei um seilfreies und damit völlig ungesichertes Klettern selbst in höchsten Schwierigkeitsgraden ( vor Nachahmung wird dringend gewarntder Franzose Alain Robert in « L' Ange en décomposition » ( 7a ) im Verdon ( Frankreich ).

des Lebens müde. Mit wachsender Stimulierung steigt sein Wohlbefinden bis zu einem optimalen Punkt an. Bei übermässiger Stimulierung kommt es jedoch zu einer Übererregung, und der Mensch empfindet Angst. Das individuelle optimale Erregungsniveau hängt von der biologischen Beschaffenheit ab und bestimmt damit den unterschiedlichen Bedarf an Stimulierung. Was aber wen wie stark stimuliert, hängt zu einem grossen Teil von den persönlichen Erfahrungen ab.

Menschen mit einem sehr hohen optimalen Erregungsniveau werden Sensation seekers genannt. Sie haben ein starkes Verlangen nach Stimulierung aller Sinne. Sie suchen stets neue und ungewöhnliche Empfindungen wie den freien Fall beim Bun-gee-Jumping, sie wollen neue Länder oder Musik-stile entdecken, tendieren zu enthemmten Aktivitäten, zu exzessiven Parties und haben eine Abneigung gegen Repetition und Monotonie. Risikosportarten geben dem Sensation seeker die Möglichkeit, Nervenkitzel zu empfinden. Risiken bzw. Ungewissheiten stimulieren und sind deshalb willkommen.

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Das zweite: die Suche nach Kontrolle

In unserm Alltag existieren Gefahren, denen der einzelne Mensch machtlos gegenübersteht. Im Gegensatz zu den individuellen Risiken wie Risikosportarten, bei denen der Mensch über das Sich-darauf-Einlassen selbst entscheiden und den Bedro-hungsgrad zu einem grossen Teil selbst steuern kann, kann er bei den die ganze Gesellschaft bedrohenden Risiken wie Atomkraftwerke oder Kriminalität durch sein Verhalten wenig bewirken. Im weiteren ist der Mensch « Alltagszwängen » ausgesetzt wie den vorbestimmten Arbeitsabläufen ohne Ent-scheidungsspielraum in der Berufswelt. Es ist jedoch ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, auf seine Umgebung Einfluss nehmen zu können.

Eine weitere Erklärung für das Ausüben einer Risikosportart wäre deshalb, dass gerade dieser meist recht kontrollierte Umgang mit Risiken einen Ausgleich zum unbefriedigten Bedürfnis nach Beherrschung der Alltagsbedrohungen und auch der Alltagszwänge schafft. Gerade das Verhindern oder Meistern einer Risikosituation scheint für viele Menschen in diesem Sinn eine Herausforderung und eine grosse Bereicherung zu sein.

Das dritte:

die Suche nach Flow-Erlebnissen1

Beim Flow-Erlebnis handelt es sich um ein spezielles Gefühl, das bei einer geliebten intensiven Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen Anforderung und

:'Vgl .DIE ALPEN, QH 1/93, S. 30-44: Maire, Martin Rone, « Über die Motivation zum Klettern » Wissenschaft und Berg we It

Können eintreten kann. Voraussetzung dafür ist eine Tätigkeit, die den Menschen fordert und ihm Spass bereitet. Dabei müssen die Anforderungen an den Menschen klar ersichtlich und die Ziele eindeutig und dem individuellen Können angepasst sein. Bergsteigen - und dabei insbesondere das Klettern - ist eine solche Tätigkeit. In den Momenten der optimalen Ausgewogenheit von Anforderung und Können, in denen der Mensch sich stark konzentriert und seine ganze Aufmerksamkeit auf die Bewegung und die nächste Umgebung richtet, vergisst er Zeit, Alltagssorgen und sogar sich selbst. Er versinkt voll und ganz in der Bewegung, und die sonst recht anspruchsvolle Tätigkeit geht ihm scheinbar mühelos von der Hand: Der Bewegungs-prozess ist eine einzige Fliessbewegung.

Gerade Risikosportarten erfordern oft eine starke Konzentration, was Flow-Erlebnisse begünstigt.

Alpine Kletterei mit z.T. eigener Absicherung ( am Frêney-Pfeiler am Montblanc ) Die Untersuchung im Überblick

Erhebung der Daten

Im Rahmen einer Lizentiatsarbeit bei Professor Heinz Gutscher an der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Zürich wurde bei mit wenigen Ausnahmen aus der Deutschschweiz stammenden Bergsteigern und Bergsteigerinnen untersucht, inwiefern die drei Motive von Bedeutung sind. Zusätzlich wurde geprüft, ob sich hinsichtlich der Art und Weise des Bergsteigens sowie der soziodemo-graphischen Daten allfällige Unterschiede in der Ausgeprägtheit der Motive feststellen lassen.

Die extremste Form des Sensation seeking: « free soloing » ( der Franzose Alain Robert beim Soloklettern in der Verdonschlucht; vor Nachahmung wird dringend gewarnt !) Je schwieriger die Routen sind, die angegegangen werden, desto mehr Bedeutung hat das Sensation-seeking-Motiv, in den Kletterdisziplinen ist es am ausgeprägtesten. Doch auch hier steht das Sensati-on-seeking-Motiv nicht im Zentrum.

Als Extremfall eines Sensation seekers können auch hier wieder die seilfreien Alleingänge im Fels angeführt werden, aber auch bei schwierigen alpinen Sportklettereien, anspruchsvollen kombinierten Touren und Ski-Steil-wandabfahrten spielt das Sensation-seeking-Motiv eine Rolle.

Die « typische » Bergsteigerin und der « typische » Bergsteiger

Befragt wurden 94 Bergsteigerinnen und 331 Bergsteiger im Alter von 18 bis 75 Jahren. Anhand ihrer Angaben zur Soziodemographie und zum Bergsteigen konnten die typische Bergsteigerin und der typische Bergsteiger herauskristallisiert werden, indem jeweils die meistgenannte Kategorie ( bei den Jahresangaben der arithmetische Mittelwert ) berücksichtigt wurde.

Die typische Bergsteigerin

Sie ist 27 Jahre alt, ledig und hat keine Kinder. Sie ist in einem Pflegeberuf Vollzeit erwerbstätig und lebt in der Agglomeration einer Kantonshauptstadt oder in einer grösseren Ortschaft. Sie treibt mehrmals pro Woche Sport, wobei sie verschiedene Laufarten und Radfahren bevorzugt. Diverse Sportarten sind für sie zu einem grossen Teil Training fürs Bergsteigen. Das Bergsteigen, das sie als Erleb-

nissport versteht, ist ihr liebstes Hobby. Seit 8 Jahren beschäftigt sie sich damit. Sie unternimmt zwei bis drei Touren pro Monat und verbringt die Hälfte ihrer Ferien in den Bergen. Am liebsten geht sie in einer kleinen Gruppe von bis zu vier Personen auf eine Tour, wobei sie manchmal auch einen Bergführer oder eine Bergführerin engagiert. Bis anhin ist sie beim Bergsteigen ( ohne Sportklettern2 ) nie gestürzt. Von den « klassischen » Arten des Bergsteigens ( ohne Wandern und Sportklettern ) bevorzugt sie alpines Klettern, Hochtouren und sowohl einfache als auch technisch anspruchsvolle Skitouren. Beim alpinen Klettern steigt sie als Seilerste normalerweise einen Vierer3 und maximal einen Fünfer vor. Die selbst eingeschätzte Schwierigkeit ihrer Touren fällt bei einer Skala mit sechs Schwierigkeitsstufen auf die zweite.

Der typische Bergsteiger

Er zählt 33 Jahre, ist ledig und hat keine Kinder. Er bevorzugt technische und handwerkliche Berufe und ist in Anstellung Vollzeit erwerbstätig. Er wohnt in der Agglomeration einer Kantonshauptstadt oder in einer grösseren Ortschaft. Mehrmals pro Woche läuft er oder fährt mit dem Rad oder Bike, um sich körperlich zu ertüchtigen. Der Sport dient ihm insbesondere als Training fürs Bergsteigen.

Er bezeichnet das Bergsteigen als Erlebnissport. Er begann damit vor 14 Jahren, und heute ist es sein liebstes Hobby. Er unternimmt zwei bis drei Touren pro Monat und verbringt die Hälfte seiner Ferien mit Bergsteigen. Meistens unternimmt er die Touren in einer kleinen Gruppe von bis zu vier Personen, ohne jemals einen Bergführer oder eine Bergführerin zu engagieren. Er ist beim Bergsteigen ( ohne Sportklettern ) bis anhin nie gestürzt.

Von den « klassischen » Arten des Bergsteigens ( ohne Wandern und Sportklettern ) bevorzugt er alpines Klettern, Hochtouren, einfache Skitouren und technisch anspruchsvolle Skitouren. Wenn er beim alpinen Klettern vorsteigt, klettert er normalerweise einen Fünfer und maximal einen Siebner. Der Schwierigkeitsgrad seiner Touren fällt bei sechs Stufen - von einfach bis schwierig - auf Stufe zwei oder fünf.4

2 Unter Sportklettem wird hier Klettergarten- und Hallenklettern verstanden. Risikosituationen sind dabei durch gute Absicherungsmöglichkeiten mehr oder weniger ausgeklammert, damit praktisch die volle Konzentration auf den Körper gerichtet werden kann.. " " .Das alpine Sportklettern fällt hier unter die Kategorie alpines Klettern.

.'Alle Schwierigkeitsangaben basieren auf der UlAA-Skala.

4 Bei der Einschätzung der Tourenschwierigkeit resultierte bei den Männern nicht eine meistgenannte Kategorie, sondern diese beiden Kategorien wurden gleich häufig, aber deutlich häufiger als die andern genannt.

Schwierige kombinierte Route ( in der Nordwand des Grand Pilier d' Angle am Montblanc ) Wissenschaft und Bergwelt gering mittel Bedeutung des Sensation-seeking-Motivs IB Frauen ^h^bm Männer Sensation seeking: Verteilung der Bedeutung des Sensation-seeking-Motivs bei Anzahl Frauen und Männern in Prozent

Ergebnisse:

Die Bedeutung der Motive

Die hier dargestellten Ergebnisse beschränken sich auf die Bedeutung der Motive unter Berücksichtigung des Geschlechts, des Alters sowie der Art und Weise des Bergsteigens.

Sensation seeking

Bei den befragten Bergsteigern und Bergsteigerinnen hat das Sensation-seeking-Motiv eine relativ geringe Bedeutung. Nur wenige Bergsteiger/innen können wirklich als Sensation seekers bezeichnet werden. Bei den Männern ist dieses Motiv jedoch eindeutig stärker gewichtet als bei den Frauen ( vgl. Fig. 1, oben ), und es ist bei den jüngeren Bergsteigerinnen und Bergsteigern stärker als bei den älteren. Die Geschlechterdifferenz sowie die Abnahme mit zunehmendem Alter wurden in früheren Untersuchungen ebenfalls festgestellt. Begründet wird dies mit den biologischen Unterschieden zwischen Frau und Mann sowie mit den biologischen Veränderungen bzw. dem Absinken des optimalen Erre-gungsniveaus mit dem Alter.

Die Sensation-seeking-Theorie genügt nicht, um das Interesse an der Risikosportart Bergsteigen zu erklären, denn dazu ist die Bedeutung des Sensati-on-seeking-Motivs zu gering. Es lassen sich aber interessante Zusammenhänge zwischen Sensation seeking und der Art und Weise des Bergsteigens feststellen: Je schwieriger beispielsweise die von einer Person meist ausgesuchten ( selbstbewerteten ) Bergtouren sind, desto mehr Gewicht hat das Sen-sation-seeking-Motiv. Auch ist bei den Bergsteigern und Bergsteigerinnen, die eine Kletterdisziplin ( alpines Klettern, Eisklettern oder auch Sportklettern )

Fig. 2 Suche nach Flow-Erlebnis-sen: Die Verteilung der Sensibilität für Flow-Erleb- nisse beim Bergsteigen nach Anzahl Personen in Prozent.

hoch geringmittel Sensibilität für Flow-Erlebnissem Frauen und Männer hoch

ausüben, dieses Motiv wesentlich stärker ausgeprägt als bei jenen, die gar nicht klettern. Je schwierigere Kletterrouten eine Person bewältigen kann, desto bedeutender ist das Sensation-seeking-Motiv. Interessanterweise zeigt sich in dieser Hinsicht keine wesentliche Differenz zwischen den Personen, die sich mit den ebenso recht anspruchsvollen « Berg-Disziplinen » Hochtouren und technisch anspruchsvolle Skitouren beschäftigen, und jenen, die dies nicht tun.

Dass Personen, die beim Bergsteigen ( ohne Sportklettern ) bereits mehrmals gestürzt sind, höhere Sensation-seeking-Werte aufweisen als jene, die nie oder nur einmal gestürzt sind, unterstreicht das Draufgängerische des Sensation seeker.

Für die Bergsteiger/innen, die im Schnitt mindestens eine Tour pro Woche unternehmen, hat das Sensation-seeking-Motiv eine grössere Bedeutung als für jene, die weniger häufig in den Bergen unterwegs sind. Aber je länger eine Person das Bergsteigen bereits ausübt, desto geringer ist die Bedeutung dieses Motivs, was vermutlich grossteils mit dem zunehmenden Alter und der damit einhergehenden biologischen und psychischen Veränderung erklärt werden kann. Eine andere Erklärung wäre, dass extreme Sensation seekers gar kein höheres Alter erreichen.

Sensation seekers unter den Bergsteigerinnen und Bergsteigern lassen sich folgendermassen charakterisieren ( von den Merkmalen, bei denen sich wesentliche Unterschiede in der Ausprägung des Sensation-seeking-Motivs zeigen, werden die Kategorien mit den höchsten Werten erwähnt ):

Typische Sensation seekers unter den Bergsteißerinnen und Bergsteigern

Sie sind meist männlichen Geschlechts, relativ jung, ledig und haben keine Kinder. Sie verstehen das Bergsteigen als Risikosport oder Erlebnissport, nicht aber als Freizeitsport. Sie üben mindestens eine der drei Kletterdisziplinen - Sportklettern, alpines Klettern, Eisklettern - aus und gehen eher we-

{ f 1 i. 4 M

Die Suche nach Beherrschung einer Extremsitua-tion durch Kontrolle ist beim alpinen Sportklettern besonders ausgeprägt, aber auch die « super » ab- gesicherte Sportkletterroute kommt diesem Bedürfnis entgegen ( Klettern an der « Galerie » bei Weesen/ Amden ).

nig wandern, auf einfache Skitouren oder auf Bergwanderungen mit einzelnen Kletterstellen. Beim alpinen Klettern vermögen sie im Vorstieg maximal einen Siebner zu klettern. In der Regel unternehmen sie einmal pro Woche eine Bergtour, und diese ist nach ihrer Einschätzung meist sehr anspruchsvoll. Sie sind auf ihren Touren bereits mehrmals gestürzt ( ohne Sportklettern ).

Suche nach Kontrolle

Der Wunsch nach Kontrolle wurde anhand der beiden Faktoren Bedürfnis nach selbständigem Entscheiden und Problemlösen sowie Bedürfnis nach Eigenständigkeit gemessen. Bei den Bergsteigerinnen und Bergsteigern sind beide Faktoren stark ausgeprägt, wobei sich Frauen und Männer nicht wesentlich

unterscheiden. Sowohl das Bedürfnis nach selbständigem Entscheiden und Problemlösen als auch das Bedürfnis nach Eigenständigkeit nimmt mit dem Alter etwas zu.

Personen, die hauptsächlich in grösseren Gruppen in die Berge gehen, unterscheiden sich durch ein wesentlich geringeres Verlangen nach selbständigem Entscheiden und Problemlösen von jenen, die alleine oder in kleinen Gruppen gehen. Personen, die nie einen Bergführer oder eine Bergführerin engagieren oder selbst Bergführer sind, haben ein grosses Verlangen nach beiden Formen von Kontrolle. Bergsteigen ist ja eine Sportart, bei der sowohl bei den Vorbereitungen als auch während der Tour - oft auch in Problemsituationen - viele Entscheidungen getroffen werden müssen.

Personen, die das Schwergewicht auf Wanderungen, Besteigungen mit einzelnen Kletterstellen oder einfache Skitouren legen, verspüren einen weniger starken Wunsch nach selbständigem Entscheiden und Problemlösen als Personen, die eine andere Disziplin vorziehen. Insbesondere zeigt sich bei Personen, die im alpinen Stil klettern, ein wesentlich stärkerer Wunsch nach selbständigem Entscheiden und Problemlösen als bei jenen, die diese Disziplin nicht ausüben. Hinsichtlich des Bedürfnisses nach Eigenständigkeit lassen sich diese Differenzen nicht feststellen.

Suche nach Flow-Erlebnissen

Die Suche nach Flow-Erlebnissen bzw. die Sensibilität für Flow-Erlebnisse liegt bei den Bergsteigerinnen und Bergsteigern im oberen mittleren Bereich. Geschlecht und Alter stehen damit in keinem wesentlichen Zusammenhang ( vgl. Fig. 2, S.54 ).

Aber je häufiger eine Person Bergtouren unternimmt, desto sensibler ist sie für Flow-Erlebnisse. Auch ist sie um so sensibler dafür, je grösser der Anteil der in den Bergen verbrachten Ferien ist. Ist das Bergsteigen das liebste Hobby oder sowohl Beruf als auch Hobby, so sind Flow-Erlebnisse beim Bergsteigen wesentlich bedeutender als bei Personen, für die das Bergsteigen weniger im Zentrum steht. Zudem zeigt sich bei Personen, die sich neben der üblichen sportlichen Aktivität zusätzlich durch spezifisches Training auf das Bergsteigen vorbereiten, eine besonders hohe Flow-Sensibilität.

Bergsteiger/innen, die zumindest eine der drei Kletterdisziplinen ausüben, weisen höhere Flow-Werte auf als jene, die überhaupt nicht klettern. Je schwierigere Routen eine Person beim alpinen Klettern im Vorstieg beherrscht, desto wichtiger sind ihr die Flow-Erlebnisse. Auch zeigen sich bei den höheren Schwierigkeitsstufen des Bergsteigens höhere Flow-Werte. Es könnte sein, dass die « Flow-Sensiblen » gerade deswegen so häufig in die

Wissenschaft und Bergwelt Q.

Berge gehen, weil sie das Flow-Gefühl immer wieder erleben möchten. Durch das häufige Bergsteigen wächst das Können, die Touren werden anspruchsvoller, und aufgrund des höheren Komple-xitätsgrades werden Flow-Erlebnisse eher ermöglicht. Es zeigen sich aber auch höhere Flow-Werte, je häufiger eine Person allgemein beim Bergsteigen ( ohne Sportklettern ) gestürzt ist.

Zusammenfassung und Schlussgedanken

Kurz gesagt ergab die Analyse der drei Motive, dass das Sensation-seeking-Motiv bei den Bergsteigerinnen und Bergsteigern aus der Deutschschweiz eher von geringer Bedeutung ist. Jedoch haben sie ein starkes Verlangen nach Kontrolle und trachten beim Bergsteigen nach Flow-Erlebnissen.

Interessant ist festzustellen, dass je mehr Bedeutung eine Person dem Sensation-seeking-Motiv und/oder dem Flow-Motiv zumisst, sie desto stärker die Meinung vertritt, Bergsteigen sei für sie eine Art Sucht.

Was die Ergebnisse wirklich bedeuten, kann erst festgestellt werden, wenn die gleichen oder entsprechende Fragen einer sogenannten Kontroll-gruppe ( z.. " " .B. Leuten, die keine Risikosportart betreiben ) sowie Personen, die andere Risikosportarten ausüben, gestellt und jene Ergebnisse mit den vor-

liegenden verglichen werden. Auch wäre es interessant, Personen, die sich öfters nervenkitzelerre-genden Aktivitäten wie Trittbrett-Fahren oder Bun-gee-Jumping zuwenden, mit in Betracht zu ziehen. Diese könnten sich insbesondere hinsichtlich Sensation seeking von den Bergsteigern und Bergsteigerinnen unterscheiden.

Zum Schluss möchte ich mich bei allen ganz herzlich bedanken, die den Fragebogen ausgefüllt zurückgesandt haben, denn ohne sie wäre die Untersuchung nicht zustande gekommen.

Literatur

Csikszentmihalyi, Mihaly: Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: Im Tun aufgehen. Klett-Cot-ta, Stuttgart 1985 Mehr, Astrid: Risikosport - Suche nach Nervenkitzel, Kontrolle oder Flow-Erlebnissen? Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit, Philosophische Fakultät der Universität Zürich, 1995 Trimpop, Rüdiger: The Psychology of Risk Taking Behavior. North-Holland, Amsterdam 1990 Zuckerman, Marvin: Behavioral Expressions and Biosocial Bases of Sensation Seeking. Cambridge University Press ( USA ) 1994 Je häufiger jemand Bergtouren unternimmt, desto sensibler ist der oder die Betreffende für Flow-Erleb-nisse. Kletterdisziplinen eignen sich besser für Flow-Erlebnisse, wobei mit zunehmender Schwierigkeit die Bedeutung des Flow-Erlebnisses zunimmt. Alpines Sportklettern bietet für Flow-Erlebnisse ein besonders geeignetes Umfeld. Ebenso ermöglichen aber auch gut abgesicherte Sportkletterrouten im -noch beherrschten - Grenzbereich der eigenen Fähigkeiten Flow-Erlebnisse ( in der Route Lancelot an den Wendenstöcken, BO ).

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