Ruwenzori - Gletscherwelt am Äquator
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Ruwenzori - Gletscherwelt am Äquator

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON MERET OETTLI, ZÜRICH

Mit 4 Bildern ( 79-82 ) Endlich waren wir am Fusse des Ruwenzori-Massivs, in Mutwanga, eingetroffen. Hinter uns lagen zwei Tage Fahrt im Landrover über kongolesische Hauptstrassen. Dank der mässigen Geschwindigkeit von 10-40 Meilen, mit der wir über diese Wege holperten, konnten wir doch einiges von der wundervollen Gegend geniessen. Die abwechslungsreiche Fahrt entlang dem Kivusee, vorbei an kleinen und grossen Vulkanen, von denen wir später noch einen besteigen konnten, die einmalige Fahrt auf dem Dache des Autos im Albertpark, vorbei an Elefanten, Antilopen, Warzen-schweinen, Nilpferden, Pelikanen, ja sogar Löwen, waren Erlebnisse, die wir nicht vergessen werden.

Mutwanga ( etwa 1100 m ) ist eine Missionsstation, die in den letzten Jahren sehr unter den Wirren im Kongo gelitten hat. Père Dominique, der Leiter der Station, empfing uns mit grosser Herzlichkeit. Es kommen so wenig Weisse in diese Gegend, dass jeder Besuch eine Abwechslung bedeutet. Am selben Abend meldeten wir uns auch in der 3 Kilometer entfernten Station der Parkverwaltung, die uns trotz militärischer Disziplin und Maschinengewehr im Anschlag freundlich empfing. Ich weiss nicht, ob unsere Anwesenheit durch Rauch- oder Trommelsignale durchgegeben wurde; auf alle Fälle standen am andern Morgen 17 Träger « gestiefelt und gespornt » vor der Mission. Diese Bezeichnung ist zwar mehr als übertrieben, denn sie waren alle barfuss und trugen alles andere als Kleider, wie man sie sich auf 4000 Meter als nützlich vorstellen könnte. Nur einer schien sich der bevorstehenden Strapazen bewusst zu sein: Er trug einen eleganten, glockigen, braunen Damenmantel mit Pelzbesatz und einem Gärtchen auf dem Rücken. Chef dieser Träger war Joseph Kitam-bara, ein eher kleiner Eingeborener mit einem grossen Kruzifix auf der Brust, der seine Schar aber gut im Zügel hielt.

Unter Anteilnahme der ganzen Mission, hauptsächlich der Kinder, wurden die Lasten verteilt. Wir waren drei Aspiranten für die Ruwenzoribesteigung: Philippe, ein belgischer Arzt, der im 11 Die Alpen - 1967 - Les Alpes161 Kongo arbeitete, mein Mann Berni und ich. Die Hauptperson aber war Ursula. Sie wohnt seit sieben Jahren im Kongo, ist gewöhnlich auf Schimpansenfang und spricht fliessend Suaheli, was sich für uns als unerhört wichtig herausstellte: Es gab fast keine Missverständnisse, und die Träger waren während der siebentägigen Expedition zufrieden und guter Laune. Wir hatten genügend Rucksäcke mitgenommen, um unsere Esswaren, Kleider, Schlafsäcke und das Bergmaterial darin zu verstauen. Die einen Träger hatten die Säcke wie wir geschultert, die andern transportierten ihre Last an einem über den Kopf gelegten Riemen aus Bananenfasern. Mein Freund mit dem Damenmantel hingegen trug seine Last auf dem Kopf, um sein Prachtsstück, um das ihn alle andern beneideten, zu schützen.

Zur Verpflegung unserer dunkelhäutigen Helfer hatten wir auf Anraten eines Ruwenzori-Kenners unseren Landrover halb mit getrockneten Fischen gefüllt, vorsichtshalber in Plastiksäcken verpackt, um den Gestank wenigstens halbwegs in Grenzen zu halten. Heroisch hatten wir diese « Düfte » ertragen, und nun erlaubten sich unsere Träger zu sagen, sie hätten lieber getrocknetes Nilpferdfleisch. Ihre gute Laune schien uns aber wichtig. Also machte sich Ursula mit Dieudonné, unserem von der Parkverwaltung gestellten Führer und Aufpasser ( Pflanzen und Tiere müssen geschont werden ), auf den Weg, um das verlangte Fleisch einzukaufen. Da Nilpferde aber geschützte Tiere sind, konnte das gewünschte Fleisch nicht aufgetrieben werden. Erst als Ursula beim vierten Versuch den Parkwächter beim Auto liess, erhielt sie in der ersten Hütte das verlangte Fleisch, das zwar vor lauter Würmern den Ruwenzori allein hätte besteigen können. Das schien jedoch die Träger nicht zu stören: mit befriedigten Gesichtern packten sie Würmer, Fleisch und Fische, Maniokmehl, Tee und Salz in ihre Bündel. Also beladen mit Säcken, Wasser- und Heizölkanistern, ihrer drei stolz bewehrt mit unseren Pickeln, machten sie sich lachend und gestikulierend auf den Weg, um sich in den am Pfade liegenden Dörfern von ihren Angehörigen nochmals bewundern zu lassen. Wir assen noch mit dem gastfreundlichen Père Dominique und seinem Ordensbruder zu Mittag und machten uns dann mit Dieudonné auf den Weg. Vorbei an bananentragenden Frauen, « jambo »-rufenden Kindern und pfeiferauchenden Männern brachten wir die heisse Mittagsstunde hinter uns, bis wir endlich im kühlen, dunkeln Bergurwald untertauchen konnten. Anfangs versuchten wir, unsere nackten Füsse und Basketballschuhe einigermassen trocken- und sauberzuhalten. Wir gaben es aber bald auf, denn der Boden, das Gras und die Farne waren nass und liessen uns oft ausrutschen. Bald dachten wir auch nicht mehr an unsere nassen Füsse, denn die Vegetation um uns nahm überdimensionale Formen an: Unser Pfad führte unter riesigen Baumfarnen durch; wilde Bananenbäume, von einer Grösse, wie ich sie noch nie gesehen habe, stellten sich uns in den Weg, und vom Himmel sah man nur hie und da einen kleinen Fleck. Nur das Keifen einer Schimpansenfamilie und der Schrei des Turako ( Vogel ) unterbrachen die Stille.

Gegen Abend erreichten wir unsere erste Hütte: Kalongi. Kalongi heisst Bambus, und hier be ginnt der Bambuswald. Diese Hütte - wie auch die beiden höher gelegenen - war für vier Personen ausgezeichnet eingerichtet. Ein Aufenthaltsraum mit einem Tisch, vier Stühlen, ebenso vielen Tassen, Tellern und Gabeln usw. und einem Kochherd, links und rechts davon je ein Zimmer mit zwei Betten und gute Wolldecken liessen es uns an nichts fehlen. Ferdinand, der uns zur Verfügung gestellte Koch, hantierte bereits am Herd; sein schwarzes Hinterteil lugte ungeniert zwischen den dünnen Streifen hervor, die seine Hose noch zusammenhielten. Die Träger hatten es sich bereits in ihrer eigenen, abseits stehenden Hütte bequem gemacht und zeigten sich nicht mehr bis zum nächsten Morgen.

Da die Tagesetappen nicht lang waren ( etwa sechs Stunden ), starteten wir erst um 8 Uhr. Nur kurze Zeit wanderten wir im Bambuswald; bald wurde er durch hohe Erikazeen, dicht behangen mit langen Flechtenbärten, abgelöst. Eine Märchenlandschaft! Wir wanderten vorbei an braunen, rostroten und gelben Moospolstern, an leicht im Winde wehenden Flechten, prächtigen Orchideen, weissen und roten Begonien, gelben Schafgarben und an den orangen Glockenblumen einer Liane. Wir filmten, photographierten, genossen die Aussicht und den Hüttenanstieg einmal ohne Rucksack. Am Mittag kam der obligate Regen, der bis gegen Abend anhielt. Neben der Mahangu-Hütte ( 3350 m ) fanden die Träger zwei Chamäleons, die sie uns auf einem Erikazweig präsentierten. Erschreckt sahen uns die Gehilfen an, als wir die Tiere in die Hand nahmen. Sie glauben nämlich, dass man von der Berührung unfruchtbar werde.

Nach einer gut verbrachten Nacht starteten wir zur dritten Etappe. Der Märchenwald ging weiter; nur begann sich jetzt der Pfad im dicken Moos wie eine hohle Gasse einzuschneiden. Anderthalb Meter tief konnte ich meinen Stock in die Moos- und Humusschicht stecken. Um nicht ständig fusstief in der nassen Erde einzusinken, versuchten wir, auf den dicken, glitschigen Wurzeln, die überall den Weg kreuzten, zu balancieren. Auf etwa 3700 Meter erblickten wir die ersten typischen Riesen-pflanzen des Ruwenzori-Massivs: Lobelien und Senecien. Gleichzeitig fielen auch wieder die ersten Regentropfen, und bald begann es auch zu schneien, so dass wir ohne Halt bis zur Kiondo-Hütte ( 4200 m ) aufstiegen, wo wir nass und mit eiskalten Füssen ankamen. Unsere armen Träger, immer noch barfuss und meist nur in Hemd und kurzer Hose, litten sehr unter der Kälte und der Höhe. Alle drängten sich in unsere Hütte, wo wir ihnen mit Kampfer die Rücken einrieben und sie mit Würfelzucker und Alkohol, Tee und Candybars « aufwärmten ». Die letzten drei der Mannschaft mussten wir unterhalb der Hütte holen, mit Würfelzucker füttern und an der Hand bis zur Unterkunft führen. Der Hüttenraum dampfte, roch nach allem möglichen, und langsam tat die Wärme ihre Wirkung: Die gute Stimmung kehrte zurück, und vor allem meldete sich bei Schwarzen und Weissen der Hunger. Die Träger verzogen sich in ihre Hütte, und wir begannen nach einem guten Znacht die Vorbereitungen für den « Gipfelsturm ». Wir fühlten uns prima, litten kaum unter der Höhe; nur Philippe verspürte keinen Appetit und war müde. Da er aber als Belgier im Bergsteigen nicht geübt war, nahmen wir an, dass ihm die Schneegipfel, die wir nun zum erstenmal sahen, auf den Magen geschlagen hatten.

Um 6 Uhr früh starteten wir im Nebel mit Dieudonné und Joseph. In den mannshohen Strohblumen senkte sich die schmale, kaum zu findende Piste zu den berüchtigten Kabeln. Dort halfen zwei Drahtseile über eine mit Griffen versehene Felsplatte und einen steilen, sumpfigen Hang hinunter. Nach einem kurzen Aufstieg öffnete sich der Blick auf den Lac Vert, der zwischen steilen Granitwänden eingekuschelt liegt und von herrlichen Senecien und Lobelien eingefasst ist. Auf den 3 Meter hohen Blütenkerzen der Lobelien sassen blaugrün schillernde « Nectarins » mit langen, krummen Schnäbeln.

Bald sahen wir ein, dass wir den Gipfel unmöglich noch am gleichen Tag besteigen konnten. Das Wetter war schlecht, die Stanley-Gruppe mit der Punta Margherita, unserem Ziel, steckte ganz im Nebel. Dieudonné schien es auf dieser Höhe und im steilen Gelände alles andere als gemütlich. Er atmete sichtbar auf, als wir ihn mit einem Auftrag in die Hütte zurückschickten. Ursula, die während unserer Abwesenheit in der Umgebung der Kiondo-Hütte mit Hilfe der Schwarzen versuchte, einen Baumschleifer ( Dendro-Hyrax ) für wissenschaftliche Zwecke einzufangen, sandte uns drei Träger mit unseren Schlafsäcken und Esswaren nach. Vom Lac Vert stiegen wir steil hinauf zum Lac Gris. Wie wir auf die Anhöhe kamen, sahen wir eine kleine braune Antilope erschreckt davonspringen.

Immerhin befanden wir uns auf etwa 4300 Metern. Die Landschaft wurde nun alpiner, und schon zeigte uns Joseph die Moräne, wo wir auf 4350 Metern unser nächstes Nachtlager finden sollten. Ein Träger war vorausgeeilt, und nun erwartete uns das Hüttchen voller Rauch, was uns sehr, die Schwarzen jedoch gar nicht störte. Diese machten sich, nachdem sie gegessen und sich erwärmt hatten, an den Abstieg. Mit vielen guten Wünschen verliess uns auch Joseph und verschwand im Nebel. Zuerst warfen wir das nasse Moos, das unseren Vorgängern wahrscheinlich einmal als Lager gedient hatte, aus der Hütte, versuchten, die Ofenrohre richtig zusammenzusetzen, und dichteten mit einem Plastiktuch das Dach ab. Bald war es so weit, dass wir einander in dem etwa 9 Quadratmeter grossen Raum wieder sehen konnten, und gegen Abend trocknete sogar der Boden ein wenig. Auf dem Borde-Kocher wärmten Berni und ich je eine Büchse Tortellini und warteten auf den Abend. Der arme Philippe konnte immer noch nicht essen und hielt sich an Kaffee. Jede halbe Stunde sahen wir nach dem Wetter. Hie und da konnten wir einen Blick auf den Pic Albert oder die Alexandra werfen, hinter der sich unsere scheue Margherita verbarg. Aber immer wieder kam der Nebel. Bald legten wir unsere Schlafsäcke auf den Boden, nahmen vorsorglich eine Schlaftablette und träumten von einem Ruwenzori in strahlender Sonne.

Nach einer guten Nacht begannen wir um 6 Uhr bei klarem Himmel mit der langen Traverse unter den bedrohlichen Brüchen des Alexandra-Gletschers. Der Schnee war weich, und wir sanken fuss-bis wadentief ein. Hoch lagen die Trümmer der Eislawinen. Um 7 Uhr standen wir auf dem Sattel, dem Anfang des NW-Grates auf den Pic Albert, einem schönen Blockgrat aus Granit. Dort liessen wir die Steigeisen zurück und gaben damit den Gedanken an eine Traversierung über Margherita- und Alexandraspitze auf, dies besonders, weil der Abstieg von der Alexandra über den SW-Stanley-Gletscher sehr steil und ständig von Eisbrüchen bedroht ist. Die Kletterei am Grat war nicht schwer; trotzdem mussten wir sehr vorsichtig gehen, denn auf den dichten Flechten lag Neuschnee. Philippe, als letzter am Seil, machte seine Première im Fels ausgezeichnet und kam gut mit. Nach 40 Minuten wurde der Grat sehr steil, so dass wir über ein Band weit nach links auswichen. Über Felsstufen und zwei steile Schneerunsen gewannen wir eine mit hartem Schnee bedeckte Schulter. Eine kleine Pause kam wie gewünscht. Wir genossen die prächtige Aussicht zurück auf die Semliki-Ebens und den Eduardsee und bemerkten auch, dass sich der Himmel langsam mit Zirren bedeckte. Also weiter! Der Fels war fest und griffig; nur machten uns der Schnee und die Flechten immer noch zu schaffen. Auf halber Höhe wichen wir über zwei steile Schneebänder nach rechts aus, um sofort wieder auf den Grat zurückzugelangen, wo uns zur Beruhigung ein Steinmann empfing. Der Fels wurde leichter, und als wir jetzt alle zusammen den Gipfel stürmen wollten, merkten wir sofort, dass wir immerhin auf 5000 Meter den Berg hinaufrannten. Wir schnauften wie alte Lokomotiven, und unser Tempo wurde merklich langsamer. Um 11 Uhr standen wir endlich auf dem Pic Albert— im Nebel. Aber auch dieser konnte unsere Freude nicht beeinträchtigen, und als wir eine halbe Stunde später auf der Margherita ( 5119 m ) standen, riss der Nebel auf, und über uns erschien eine grosse, blaue Lücke. Die Alexandra zeigte sich prächtig beleuchtet mit ihren riesigen Eisbaikonen. Für einen Augenblick tauchte im Westen auch der Speke aus dem Nebel, doch gleich war der Blick nach Uganda wieder versperrt. Wir fühlten uns wunderbar, hatten kein Kopfweh und litten nur unter der sengenden Hitze. Afrika!

Als es aber - welcher Gegensatzum 13 Uhr zu schneien begann, stiegen wir ab und wurden bei der kleinen Hütte von Joseph freudig empfangen. Ohne Halt ging es gleich zur Kiondo-Hütte hinunter, wo uns Ursula mit unserem neuen Weggenossen bekannt machte. Dies war ein ungefähr sechs Monate alter Baumschleifer, der aussah wie ein Bärchen aus dem Spielzeugladen und ein Weibchen sein sollte. Darum nannten wir sie Kionda. Abwechslungsweise trugen wir das anhängliche Tier bis ins Tal, wo sich zu Ursulas Enttäuschung Kionda als Kiondo entpuppte.

Nach einer Woche waren wir wieder am Ufer des Kivu-Sees, und allda fand auch Philippes Appetitlosigkeit ihre Erklärung: Er legte sich mit einer Gelbsucht ins Bett.

Dennoch lautete unser Urteil einstimmig: Diese Ruwenzori-Ferien waren einzigartig!

Feedback