Salina und Stromboli
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Salina und Stromboli

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von M. Reist

Mit 2 Bildern ( 42, 43Langnau i. E. ) Das Geographische Institut der Universität Bern führte im Herbst 1951 unter der Leitung von Prof. F. Gygax eine Studienreise nach Süditalien durch. Hauptziel war das Studium der Liparen, einer Inselgruppe nördlich Sizilien, die ausschliesslich aus Vulkanen besteht. Eine Gruppe von sechs Teilnehmern, von der die nachstehenden Erlebnisse stammen, besuchte die Insel Salina. Die Insel hat eine Ausdehnung von 7 x 5,5 km und eine Einwohnerzahl von etwa 3500.

Am Morgen hat uns der Dampfer « Luigi Rizzo » vom sizilianischen Festland weggeführt und steuert nun gegen Salina zu. Die Umrisse des kleinen Eilandes sind bereits vor einer Stunde über der spiegelglatten Meeresfläche aufgetaucht. Bald werden wir in Rinella an Land gehen. Ruhig und unnahbar stehen die beiden alten zusammengeschweissten Vulkankegel über dem tintenblauen Meer. Wir stehen an der Reeling und diskutieren, welcher der beiden Berge bestiegen werden soll. Vom Schiff aus gesehen, scheint der westlich gelegene Monte dei Porri unbedingt interessanter. Unser Oberhaupt nimmt die Pfeife aus dem Mund und schreitet zur Abstimmung. Der Monte dei Porri wird einstimmig gewählt.

Unter schrecklichen Hornstössen gleitet der « Luigi Rizzo » an seinen Ankerplatz. Die nußschalenähnlichen Boote der Inselbewohner bringen uns endgültig an Land. Dort steht schon der Gemeindepräsident mit sämtlichen Neugierigen des Dorfes. Das Kreuzverhör ergibt, dass sich unter den gelandeten Subjekten kein Feind der Insel befindet, und so schicken wir uns denn, nach einem salzigen Bade, zum Aufstieg nach Valdichiesa an. Unerbittliche Hitze liegt über den trockenen Olivenhainen. Das gelbrote Strässchen und die vielen Steinmäuerchen strahlen zurück, das Ganze wirkt wie ein Backofen. Nach 4 Uhr nachmittags, wie wir das Dörfchen Valdichiesa ( 300 m ) erreicht haben, wird es merklich kühler. Auf der Suche nach einem Zeltplatz bringt einer plötzlich eine verlockende Idee: Er möchte die kühlere Tageszeit ausnützen und den Monte dei Porri bereits heute abend besteigen. Die Höhendifferenz beträgt noch 550 m, und bis zur Dämmerung bleiben uns noch etwa zweieinhalb Stunden. Mit vier zu zwei Stimmen entscheiden wir uns für dieses Projekt. Dieser und jener sieht wohl schon im Geiste das Zeltlager und ein gemütliches Feuer im Gipfelkrater des Porri.

Da in dem vulkanischen Gestein auf keine Quelle zu hoffen ist, füllen wir unsern Wassersack mit Zisternenwasser. In die Feldflaschen kommt der herrliche, süsse Wein Salinas, der Malvasia. Nachher fragen wir den Bauern nach einem Weg auf den Berg. Er schüttelt den Kopf und schaut uns mit einem verständnislosen Blick an. Seine Reden über die Wertlosigkeit unseres Unternehmens hören wir nicht mehr fertig an.

Der mächtige Schatten des Monte dei Porri schiebt sich langsam über die Weinberge von Valdichiesa. Der ganze Vulkan erscheint nun in blauem, fast violettem Dunst, und die Flanke, die vor uns liegt, sieht mit ihrem Gebüsch und den kleinen Felsabstürzen ganz harmlos aus. Eine Wegspur führt uns die ersten 50 m den Hang hinan. Nachher folgen wir der vorbespro-chenen Route. Der Aufstieg wird mit der Zeit etwas mühsam. Die vulkanische Asche rutscht, ähnlich wie Sand, bei jedem Schritt unter den Fussen weg. Wir kommen nur langsam vorwärts und müssen öfters anhalten. Weit drüben im Süden sind Lipari und Vulcano zu erkennen. Die Sonne steht schon tief und lässt alles in Pastellfarben aufleuchten, die Felsen, das Meer und die Olivenhaine unten am Strand. Dann müssen wir weiter. Immer wieder wechselt der Wassersack, der in dem steilen Gelände schwer zu tragen ist, seinen Besitzer. Wir sind noch in der untern Hälfte des Aufstieges. Der Schatten des Berges hat eine beträchtliche Länge erreicht. Die Vegetation, die uns umgibt, wird immer dichter. Buschige, mannshohe Gewächse, zum Teil voller Dornen, verwehren uns ein schnelles Vorwärtskommen. Müde, oft auf allen Vieren, schleppen wir uns weiter. Allzu früh geht die Sonne unter. Wir wissen nun, dass in einer halben Stunde Nacht sein wird. Verbissen kriechen wir aufwärts, Asche und Dornen verwünschend. Endlich landen wir, mit zerrissenen Armen, Beinen und Hosen in einem Blockgewirr. An ein Vorwärtskommen in diesen Blöcken und Büschen ist in der Dunkelheit gar nicht zu denken. Der Berg hat uns, ohne viel Aufwand seinerseits, auf halber Höhe sitzen lassen. Erst sagt keiner ein Wort, wir sitzen da wie ein Fussballteam, das soeben 10:0 geschlagen worden ist. Unten am Strand und auf Lipari flackern die ersten Lichter auf, und die letzte Rote des Tages verzieht sich am westlichen Horizont.

Nach einiger Zeit lassen sich die ersten Witze über unsere neue Lage hören. Damit ist auch die grösste Krise überwunden. Wir sehen uns in dem unfreiwilligen Biwakplatz um. Die Zelte können unmöglich aufgestellt werden. Auf der ebensten Stelle wird die Küche eingerichtet. Nach dem Nachtessen sitzen wir auf den Blöcken um ein mächtiges Feuer herum. Die meisten haben unsere Niederlage vergessen. Der goldfarbige, fast dickflüssige Malvasia löst die Zunge, und bald einmal klingen der « Trueberbueb » und andere küchengeräucherte Weisen zum Himmel hinauf. Nach einem weitern Schluck aus der Feldflasche ist es Zeit zur Nachtruhe. Jeder gräbt sich ein Bett in die Asche, damit er nicht hinunterkollert. Bald einmal ist es still. Drüben, weit im Meer draussen, stösst der Stromboli von Zeit zu Zeit seine glühende Wolke aus. Sie schiesst empor, flackert fast unmerklich und sinkt wieder zusammen, regelmässig, wie ein ungeheurer Pulsschlag aus den Tiefen der unvorstellbaren Kräfte.

Früh schon blinzelt uns die Sonne ins Gesicht. Ein allgemeines Ächzen wird hörbar, rings herum kriechen sie aus den Erdlöchern und schütteln die Asche aus dem Haar. Gefroren hat keiner, und wir schreiben doch immerhin den 22. Oktober! Nach dem Morgenkaffee, den jeder in streng abgemessener Quantität erhält, machen wir uns mit steifen Gliedern auf den Weg. Es ist im wahren Sinne des Wortes ein dornenvoller Aufstieg. Es sind schätzungsweise noch 150 m zu bewältigen. Der Durchstieg durch den 10 bis 15 m hohen Basaltabsturz ist wider Erwarten leicht. Oben wird der Vulkan flacher. Um 9.30 Uhr stehen wir auf dem Kraterrand. Trotz den nur 859 m bietet der Porri eine überwältigende Aussicht. Er steht im Zentrum der Lipari-Inselgruppe. Gegen Westen zu erheben sich die Klippen der beiden Vulkane Filicudi und Alicudi aus dem Meer. Gegen Süden liegen im Vordergrund Lipari und Vulcano mit seinen Solfataren ( rauchende Schwefelquellen ). AlsAbschluss im Hintergrund das Festland Siziliens, vom schneebedeckten Ätna überragt. Und endlich im Osten der Stromboli, der heute noch tätige Vulkan mit seiner Rauchfahne.

Einer beginnt zu zeichnen, ein anderer photographiert. Zwei klopfen mit ihren Hämmern auf den Basalten herum, dass es nur so kracht. Und einer kann sich nicht enthalten, ein rauchendes und stinkendes Feuerlein zu entfachen. Vielleicht, um dem erloschenen Vulkan seine Rauchfahne wiederzugeben! Gegen Westen stürzt die Bergflanke steil ab in einen uralten Krater. Fast mahnt seine Gestalt an ein riesiges römisches Theater. Ein Teil ist im Meer versunken, nur noch eine kleine Klippe ist stehengeblieben. Der eigentliche Krater des Monte dei Porri ist noch erhalten. Er hat oben einen Durchmesser von 100 bis 150 m. Von vulkanischer Tätigkeit aber ist keine Spur mehr zu finden. Kein Mensch jedoch weiss, ob nicht eines Tages die friedliche Haube des Berges in die Luft fliegt und die scheinbar verheilte Wunde von neuem ausbricht.

Der Abstieg macht uns Sorgen. Rings herum ist das Gebüsch überall gleich dicht. Mit Todesverachtung taucht der erste in die zwei Meter hohe khakifarbene Wildnis. Abwechslungsweise gehen wir an die Spitze und hauen einen Pfad. Einmal gibt es Halt. Jemand hat sich bei einem unfreiwilligen Salto den Finger erheblich verletzt. Ein Schluck Bätzi-und ein Notverband stellen den Erbleichenden wieder auf die Beine. Allmählich lichtet sich die Vegetation. Der Strand wird sichtbar, rotbraune Erde mit Olivenbäumen und weissgetünchten Häusern: Malfa. Nach einer Stunde sind wir in den holperigen Gässchen. Die Leute machen aus ihrer Neugier kein Hehl, und es scheint fast, als ob sie Bocksfüsse in unsern Bergschuhen und Hörner unter unsern Zipfelkappen vermuteten. Das Feuer am Berge war ihnen unheimlich letzte Nacht.

Ein Fischer fährt uns mit seiner Segelbarke nach Sta Marina, dem Hauptort der Insel. Sta Marina bietet mit Meerbädern und süssem Nichtstun herrliche Erholung. Der Goliath unserer Gruppe wird beim Baden von einem Polypen angefallen. Mit einiger Mühe und unter Gelächter befreit er sich von der unangenehmen Umarmung.

Anderntags, gegen Abend, geht der « Luigi Rizzo » draussen vor Anker. Ein Salinese rudert die Passagiere mit seinem Boot hinaus. Wie wir dem Gondoliere das übliche Trinkgeld zustecken wollen, macht er erstaunte Miene. Er verlangt, mit einer vagen Geste auf unsere Säcke, Schuhe und Zelte weisend, gerade das Doppelte. Die Süditaliener sind ja in der Beziehung bekannt, und so nicken wir möglichst verständnislos. Der Kerl lässt aber nicht locker. Kurzerhand nimmt er zwei Paar Bergschuhe, hält sie mit theatralischer Geste über den Boots-rand hinaus und stellt sie erst wieder ab, nachdem wir die verlangten Lire hervorgezählt haben. Mit Groll in Herz und Gesicht steigen wir an Bord des « Luigi Rizzo »...

Am nächsten Tag hält der « Eolo », auf seiner Fahrt von Lipari nach Stromboli, in Sta Marina. Bei dieser Gelegenheit erhält der ahnungslose Impresario, wie er mit seinem Boot am Fallreep anlegt, eine Douche aus sechs Feldflaschen.

Dann führt uns der « Eolo » weiter, dem Besuch des Vulkans Stromboli entgegen. ' Der « Eolo » ist ein prächtiges Fahrzeug. Jeder Winkel ist sauber herausgeputzt, und die Aufbauten glänzen, von der Mittelmeersonne beschienen, in grellem Weiss. Und noch fast weisser strahlt die Jacke des Stewards, der mit seinem Tablett zwischen den sitzenden Passagieren herumtänzelt. Einige von uns rücken den Barten zu Leibe, andere wiederum sonnen sie, damit sie ja recht kräftig spriessen. Schon zwei Stunden liegen wir nun im Hafen von Canneto ( Lipari ). Kleine Boote führen Fässer herbei, die dann mit einem rasselnden Kran in den Bauch unseres Schiffes versenkt werden. Aus den riesigen Bimssteingruben an der Küste steigt hie und da eine weisse Staubwolke auf, und ein gedämpfter Lärm dringt herüber. Endlich trom-petet der « Eolo », mit drei Stunden Verspätung, seinen Abschied in die Bucht von Canneto hinein. Aber kaum sind wir eine Stunde gefahren, machen sich auch schon die Folgen der grossen Nachmittagshitze bemerkbar: Die Sonne versinkt hinter einem düstern Wolkenturm. Viel zu früh bricht die Dunkelheit herein. Das Meer, von einem kräftigen Wind aufgewühlt, wird pechschwarz.B.ald beginnt ein Tanz, der uns Landratten nicht mehr gefällt. Das Schiff hebt sich, senkt sich, kippt nach vorne, nach hinten und nach der Seite. Wir stehen auf dem obersten Deck. Plötzlich ergiesst sich eine Welle von vorn nach hinten über das ganze Schiff, und wir retten uns pudelnass und torkelnd in den Salon. Beim dritten Versuch gelingt es dem Kapitän, im Windschatten der Insel Stromboli zu ankern. Unheimlich heulen die Sirenen durch den Sturm, gespenstisch tanzt der Lichtkegel des Scheinwerfers über das aufgewühlte Wasser ans Land. Vom Ufer lösen sich zwei kleine Lichter, kommen auf uns zu, schwankend, oft in den Wellentälern verschwindend. Der aufregendste Teil der Seefahrt steht uns noch bevor. Das Einsteigen in die « Nußschalen » der Inselbewohner, die Überfahrt und das Landen in der kräftigen Brandung ist ein Erlebnis, das man so leicht nicht wieder vergisst.

Später, als wir uns in der « Locanda Zaia » eingerichtet haben, macht uns unser Professor noch etwas mit Aufbau und Geschichte dieser seltsamen Insel bekannt. Der Stromboli ist wohl - in bezug auf seine Tätigkeit - der einzigartigste Vulkan der Erde. Schon die griechischen Seefahrer kannten diesen natürlichen Leuchtturm, der in unregelmässigen Zeitabständen sein rot-glühendes Licht aufsetzte. Diese Tätigkeit hielt, abgesehen von kürzeren Ruhepausen, bis auf den heutigen Tag an.

Vor dem Schlafengehen treten wir nochmals in den Hof der Locanda hinaus. Das Gewitter hat sich verzogen, aber an Stelle des Donnerrollens vernimmt man von Zeit zu Zeit ein dumpfes unterirdisches Tosen, und eine rot schimmernde Wolke steht schräg über uns in der Dunkelheit.

Am andern Morgen will uns der Stromboli offenbar für den unfreundlichen Empfang entschädigen. Der Himmel ist fast so dunkelblau wie das Meer. Immer noch donnern die riesigen Wellen gegen das Ufer, und der Gischt spritzt haushoch an den schwarzen Basaltfelsen empor. Rings um die Locanda stehen, inmitten von Feigenbäumen und Rebgärten, die hellen Flachdachhäuser von San Vincenzo. In unserm Quartier verbreitet sich bald der Duft des Morgenkaffees und kurz darauf auch das übliche zornige Reden auf die Blechgeschirre, an denen man sich alle Morgen den Mund neu verbrennt.

Gegen Mittag erscheint der « Bergführer ». Wir schultern die Säcke und folgen dem mit leichten Sandalen beschuhten Mann durch die engen Basaltgässchen des Dorfes. Wir sind auf einen mörderischen Aufstieg gefasst, denn die Verhältnisse am Porri sind uns noch allzu frisch im Gedächtnis. Aber wider Erwarten bequem steigt der Weg zwischen den mannshohen Ginsterbüschen bergan. Die flimmernde Hitze wird bald durch einen angenehmen Meerwind vertrieben. Schon nach einer knappen Stunde stehen wir auf dem Nordostgrat des Berges und machen hier einen kleinen Halt. Das Tosen und Krachen der Eruptionen ist stärker geworden, und über die Geröllhalde « Sciarra del Fuoco », die von hier aus gut zu überblicken ist, fahren polternde Blöcke ins Meer hinunter. Vom eigentlichen Krater ist aber noch nichts zu sehen. Kurz nach unserer Rast gelangen wir an die Vegetationsgrenze. Sie wird hier nicht, wie in unsern Alpen, durch das Klima bestimmt, sondern durch den anhaltenden, feinen Aschen- regen, der jedes Leben unbarmherzig erstickt. Und rasch sind auch unsere Rucksäcke, Haare, ja sogar die Ohrmuscheln voll von diesen schwarzen Körnchen.

Die Landschaft gleicht hier einer Wüste, es gibt nur noch Aschendünen und Felsgruppen. Um 14 Uhr stehen wir auf dem Gipfel, einem Rest der alten, nur noch teilweise vorhandenen Kraterwand. 200 m tiefer liegt die Terrasse mit den zwei rauchenden, heute noch tätigen Kratern. Wir haben kaum Zeit, unsere Säcke abzulegen: Die Dampfwolke über dem ersten Krater verdichtet sich. Ein Zittern geht durch den Boden, von einem unheimlichen Donnern begleitet. Dann ein Krachen, als ob tausend Bäume von einer ungeheuren Faust umgeknickt würden -und in einer wirbelnden schwarzen Wolke schiessen Asche, Steine und Lavafetzen empor, dass wir unwillkürlich ein paar Schritte zurückweichen. Einzelne Brocken fliegen über uns hinaus und kollern den Abhang hinunter. Aber so plötzlich wie die Erscheinung gekommen ist, verschwindet alles wieder. Der Führer gibt zu verstehen, dass es sich um eine relativ starke Eruption gehandelt habe.

Am Nachmittag untersuchen wir, immer in respektvoller Entfernung von den beiden Kratern, die sich von Zeit zu Zeit bemerkbar machen, die Gesteine des Gipfels. Zu unserem Erstaunen finden wir in der Asche wundervolle, ideal gewachsene Augitkristalle. Mit vollgestopften Taschen kehren wir zum Gipfel zurück und warten die Nacht ab. Doch der Stromboli macht sich kostbar mit seinen vielgerühmten Nachteruptionen. Lange sitzen wir, erst fröhlich singend, dann kläglich schlotternd auf dem Aschenkamm des Gipfels. Die Wolke, die dauernd über dem Krater schwebt, leuchtet hie und da hell auf. Aber die Lava dringt nicht mehr bis an die Oberfläche. Bevor wir uns in die Schlaf löcher verkriechen, schickt uns der obere Krater doch noch einen Gutenachtgruss. Wieder ertönt das bekannte Krachen, unaufhaltsam schiesst dann der höllische Springbrunnen empor, kerzengerade steigen die glühenden Lavafetzen durch den wild gewordenen Dampf in die Höhe. Niemals haben wir ein grösseres Naturschauspiel gesehen. Dann sinkt alles zusammen, Glut und Getöse ziehen sich in die Erde zurück. Die ausgeschleuderten Fetzen verglimmen allmählich, und über der « Bocca » schwebt nur noch die rötliche Wolke.

Schweigend kriechen wir in die Schlafsäcke. Eine halbe Stunde später weckt uns ein Gewitterregen. Erst suchen wir im 50 m tieferen Atrio Schutz. Die Blitze krachen aber schon verdächtig nahe. Es bleibt nichts anderes übrig: Mit einer lästerlichen Rede auf den Windgott Äolus, der nach den alten Griechen hier oben hausen soll, schnüren wir die Säcke und « schwimmen » eilig durch die Asche abwärts. Das Licht der Kerzenlaternen wirft bizarre Schatten in den stockdicken Nebel. Glücklicherweise ist der Führer seiner Sache sicher, dennein Sturz über das Felsband, das wir heute morgen von unten her bewunderten, wäre nicht sehr angenehm. Als die ersten Ginsterbüsche im Kerzenlicht auftauchen, bleibt die Karawane stehen, froh, die nächtliche Rutschpartie heil und ganz überwunden zu haben. Einzelne Sterne blinken wieder auf, und die Gewitterwolken umhüllen nur noch den Gipfel. Äolus hat uns genarrt.

Der Weg bis zur Locanda ist nun nicht mehr weit. Hie und da zetert ein aufgescheuchter Vogel über den steinigen Weg, und in den regennassen Büschen singen die Grillen. Erst jetzt wird einem richtig bewusst, wie leer und tot es auf der Gipfelhöhe eigentlich war.

Zwei Tage später sehen wir das kleine Eiland mit der Rauchfahne vom Heck unseres Schiffes aus langsam kleiner werden und schliesslich im Meer versinken. Es scheint merkwürdig, dass es Menschen gibt, die noch auf dieser Insel wohnen, obwohl bereits ihre Väter und Urgrossväter durch den Vulkan mehrmals vertrieben und geschädigt wurden. Die Erde ist wohl fruchtbar, aber sie ist auch heiss und gefährlich, und es scheint fast, dass gerade dieses Unheimliche den Menschen immer wieder anziehe.

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