Saracenen und Ungarn in den Alpen
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Saracenen und Ungarn in den Alpen

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Dr. H. Duby ( Section Bern. )

Saracenen und Ungarn in den Alpen Von Ueber der Geschichte unseres Vaterlandes im Mittelalter bis zur Gründung der Eidgenossenschaft liegt ein dichter, meist undurchdringlicher Schleier ausge- breitet, und die wenigen Punkte, wo ein unsicheres Licht durchscheint, dienen, wie Sterne in der Nacht, dazu, das übrige Dunkel nur desto mehr hervorzuheben. Und doch ist es weit entfernt, dass die Bevölkerung der schweizerischen Berge und Ebenen seit dem Aufhören der Römerherrschaft ein Stillleben geführt hätte, ohne bedeutsame geschichtliche Ereignisse und Gestaltungen, werth, in ihrem Verlauf von treuer Hand festgehalten und den Nachkommen überliefert zu werden. Die Züge und Ansiedlungen der Alamannen, Burgundionen, Langobarden, um zu schweigen von dem räthselhaften Zusammenhang der rätischen Völker mit italischen Nationen, haben auf die Geschicke des Landes in und vor den Centralalpen eine gewaltige Wirkung ausgeübt, die wir in ihren Resultaten übersehen können, wenn wir auch dem Einzelnen darin nicht mehr nachzugehen vermögen; und die Stürme, welche über das deutsche Reich und seine Nebenländer dahingingen, haben ihre Wellenschläge gewiss bis in die entferntesten Thalwinkel getrieben. Aber wenn aus vergilbten Pergamenten dumpfe Kunde herübertönt, wie in Burgen gelebt, geliebt und gekriegt und in Klöstern geistige Schätze gewahrt und zeitliches Gut vermehrt wurde, und wie beide, Ritter und Mönch, mit dem Landmann umsprangen; wenn halbverfallenes Gemäuer vernehmbar spricht, wo der Ackerbauer bei Feindeseinfall Zuflucht fand und wo er seinem Gott für den Theil der Ernte dankte, den ihm die Grundherren übrig liessen, wie den einsamen Hirten im Gebirge Tage, Jahre, Jahrhunderte verstrichen, darüber haben wir so wenig sichere Kunde, dass ganz haltlose Sagen, ja gelehrtes Machwerk von ihren Nachfahren begierig aufgegriffen worden ist, um die klaffenden Lücken der Ueberlieferung mit einem Material zu füllen, das, in seiner Werthlosigkeit von dem prüfenden Auge der Forschung erkannt, niedergerissen werden muss, damit ein wenn auch verstümmeltes, doch in seinen Zügen wahres Bild der Ereignisse bleibe.

Nur für eine kurze Zeit, kein Jahrhundert im Ganzen, erfahren wir aus lateinisch geschriebenen Jahr-zeitbüchern, Klostergeschichten und Heiligenlegenden Näheres über Ereignisse in den Alpen, die, so interessant sie für die Nachwelt sind, für die Mitlebenden recht unbequem waren, und von der Anwesenheit fremder Gäste in unsern Bergen, die auch wir nicht zu den willkommenen rechnen würden. Von dem vielen Merkwürdigen, dessen die ewigen Grenzwälle, welche die Schweiz und Frankreich von Italien trennen, Zeugen gewesen sind, ist es gewiss nicht das Geringste, dass im 10. Jahrhundert ihre Felseinöden widerhallten von dem Tritt ungrischer und saracenischer Räuber und den Lauten ihrer Niemand bekannten Sprachen. Dass es solchem wildfremden Volke möglich war, nicht nur die Alpenpässe zu übersteigen, sondern sich auch dauernd in den Schlupfwinkeln der Berge einzunisten, erklärt sich nur aus der nationalen Zerfahrenheit und dem politischen Wirrwar jener Zeit und verdient darum auch das Interesse von uns spätem Geschlechtern, die jetzt zu Hütern jener Marken gesetzt sind.

Ein Mann, der mit offenen Sinnen und warmem Gemüthe für das Wohl der deutschen Völker und der abendländischen Bildung an der Scheide des 9. und 10. Jahrhunderts stand, mochte wohl mit Missmuth und Betrübniss in die Zukunft schauen. Die fränkische Weltmonarchie, das Erbe des grossen Karl, war zer^ fallen; der letzte der Karolinger, der das ganze Reich in seiner Hand vereinigte, Karl ( III. ) der Dicke, war wegen Unfähigkeit von seinen eigenen Leuten auf der Reichsversammlung zu Trebur abgesetzt worden, 887, und in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Italien vollzog sich unter Sturm und Drang die Entwicklung neuer nationaler Gebilde. Die Ruhe in den verschiedenen Ländern wurde nicht nur durch den Hader der Grossen beständig gestört, sondern auch durch Angriffe von aussen. Auf ihren schnellen Wickinger-Schiffen fuhren die Normannen und Dänen die französischen und deutschen Ströme weit hinauf, verheerten das platte Land, wagten sich selbst an die Belagerung der Städte und kehrten meist mit ihrem Raube ungestraft heim. In Unteritalien hatten afrikanische Saracenen, durch einheimische Fürsten selbst herbeigerufen und unterstützt, sich niedergelassen, am Garigliano eine Festung gegründet, wo sie den Ertrag ihrer Beutezüge zusammen-schleppten, und es kam vor, dass der Stuhl Petri den Söhnen Ismaels zinste, um Aergeres zu vermeiden. Im Osten war den slavischen Stämmen noch nicht das Siegel deutscher Herrschaft und deutscher Sitte aufgeprägt, und schon durchbrachen die magyarischen Reiter-schwärme das Mährenreich und pochten an die Ostmark, während spanische Saracenen in den Westalpen eine Räubercolonie gegründet hatten. Von den beiden Letztern will ich unternehmen, hier ihre Beziehungen zu den Alpen darzustellen. Beide Völker gehören nicht nur zeitlich zusammen. Ungarn und Saracenen traten in diesen Gebieten nur als streifende Plünderer, nicht als Eroberer und Ansiedler auf; oft durchkreuzten sich ihre Wege und Interessen, ohne dass sie jedoch einmal feindlich zusammentrafen* ). Beiden waren gewisse kriegerische Eigenschaften und die wilde Sinnesart gemeinsam; beide standen abendländischer Bildung ebenso fremd wie feindlich gegenüber; aber in einem sind sie grundDie bei Ekkehard, casus S. Galli II, 110, geschilderte Begebenheit ist nur Sage. Literatur: Diimmler, ostfränkisches Reich. Waitz, Heinrich der I. Köpke-Dümmler, Otto der Grosse. Dr. Ferdinand Keller, in: Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft des Kantons Zürich, Bd. XI.

G. Meyer von Knonau, in: Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte, Bd. XV—XVI.

30 verschieden gewesen. Die Ungarn, als vollständig ròhe Barbaren, wie sie noch Jahrhunderte lang blieben, sind nur über eine Ecke unseres Vaterlandes dahin gebraust, wie der Hagel über ein Getreidefeld, der vergeht, wenn die Sonne sich wieder zeigt und die ungeschädigte Erde neue Saat aufspriessen lässt; die Saracenen, als Träger einer höhern Cultur, haben, im Innersten des Gebirgs sich festsetzend, Ableger ihres Wirkens in die Erde gesenkt, die heute noch nachweisbar sind.

Die Magyaren, wie sie sich selbst nennen, oder Ungern, wie die Slaven und Deutschen sie nannten, der. Sprache nach ein finnisch-uralisches Volk, finden wir in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zwischen Sereth und Bug, im Bücken -bedrängt von den türkischen Petschenegen. Schon 862 streiften ihre Reiter wohl im mährischen Solde an der deutschen Grenze. 892 dienten sie König Arnulf in seiner Fehde gegen den Mährenherzog Svatuplok, und wie schon die Zeitgenossen bemerken, half so ein deutscher Fürst in Selbstverblendung den starken Damm einreissen, der einzig noch das Reich gegen die Sturmfluth des wilden Reitervolkes schützte. Dann dienten sie dem Kaiser Leo gegen den Bulgaren-König Simeon, wurden aber von diesem im Bunde mit den Petschenegen so geschlagen, dass ihnen der Rückweg in die Heimath verlegt war, und sie, dem Drang aller orientalischen Kriegervölker folgend, nach Westen hin sich ausdehnen mussten. Sie überschritten die Karpathen, setzten sich in der Pussta fest, gingen über die Donau nach Pannonien, und am Ende des 9. Jahrhunderts erfolgte ihr erster Einbruch in Italien. Fremdartig und ab- stossend, kaum menschenähnlich erschienen sie den Zeitgenossen. « Sie durchwandern zuerst die Einöden der Pannonier und Avaren », erzählt von ihnen der vortreffliche Abt Regino von Prüm, « und suchen ihre tägliche Nahrung auf der Jagd und Fischerei; dann brechen sie häufig auf feindlichen Einfällen in die Gebiete der Karantaner ( Kärnten ) Maraher ( Mähren ) und Bulgaren ein und tödten Einige mit dem Schwerte, viele Tausende mit Pfeilen, die sie mit so grosser Kunst aus Bogen von Horn entsenden, dass man sich vor ihren Schüssen schwerlich zu schützen vermöchte. Ihre Art, zu fechten, ist desto gefährlicher, je ungewohnter sie den übrigen Völkern ist. Sie leben nicht nach Art von Menschen, sondern wie das Vieh. Sie essen nämlich, wie das Gerücht geht, rohes Fleisch, trinken Blut, verschlingen als Heilmittel die in Stücke zertheilten Herzen Derer, die sie zu Gefangenen gemacht, werden durch kein Erbarmen erweicht und durch keine Regung des Mitleids bewegt. Das Haar schneiden sie bis auf die Haut mit dem Meser ab. » Von dem so rasirten Kopf hingen drei Zöpfe herab. Ihre Waffen, ausser dem Bogen, den sie vortrefflich handhabten, « wie zur Flucht den Rücken wendend, strecken sie mit ihren wohlgezielten Pfeilen viele Christen zu Boden », auch Wurfspiess und krummer Säbel, waren unansehnlich, ihre Zelte, die sie auf Wagen mit sich führten, nennt der Bischof Liutprand von Cremona « Lumpendächer »; aber auch die Feinde rühmten ihre kriegerische Zucht und Ordnung, die Ausbildung des Vorposten- und Späherdienstes, die Schnelligkeit, mit der sie bei Ueber-fällen gerüstet standen, ihre Gewandtheit im Reiter- kämpf und die List, durch Hinterhalte die Feldschlacht zu entscheiden. Auf ihren schnellen Pferden oder auf Thierfellen, die mit Heu ausgestopft waren, setzten sie über die Ströme; nur an festen Städten fanden sie ein Hinderniss, zu deren Berennung sie von ihren Stammesfürsten mit Geiseln angetrieben werden mussten.

Fürchterlich waren ihre Verwüstungen; und wie sie mit ihrem dämonischen Schlachtgeschrei « hui! hui! » den Deutschen und Italienern als wahre Teufel erschienen, so hausten sie auch, wo sie hinkamen, brannten alles nieder und führten Massen von Beute fort. « Die Männer und alten Weiber tödteten sie insgesammt, die jungen nur schleppten sie wie Vieh mit sich, ihrer Begierde zu fröhnen, und verwüsten ganz Pannonien bis zur Vernichtung », berichten die Jahrbücher aus dem Kloster Fulda zum Jahr 894.

Nach Italien hatten sie von der Brenta Späher vorausgeschickt, die nach Liutprand folgenden Bericht brachten: « Die vor uns liegende, stark bevölkerte Ebene wird von der einen Seite, wie ihr seht, durch sehr rauhe, aber an den Abhängen fruchtbare Gebirge, von der andern durch das adriatische Meer begrenzt, die Städte darin sind zahlreich und wohl befestigt. » Im Jahre 899 erfolgte der Einbruch. Sie zogen an Aquileja und Verona vorüber und gelangten bis Pavia. Eilig sammelte König Berengar ein grosses Heer gegen sie, drängte sie in eiliger Flucht über die Adda zurück und kam mit ihnen zu gleicher Zeit an der Brenta an. Vergeblich boten die Ungarn den Frieden an; « ihre sämmtlichen Habseligkeiten, ihre Gefangenen, alle Waffen, auch ihre Pferde auszuliefern, nur dass Jeder eins zur Heimkehr behalte; um aber ihrer Bitte mehr Gewicht zu geben, erklären sie sich bereit, wenn man sie nur mit dem nackten Leben entkommen lassen wolle, zu geloben, dass sie in Zukunft nie wieder nach Italien kommen wollten, und als Burgen dafür ihre Söhne als Geiseln zurückzulassen. » Da der Vorschlag nicht angenommen wurde, « legten die Ungern an drei Seiten Hinterhalte, setzten dann selber gerades Weges über den Strom und stürzten sich mitten unter die Feinde. » Sie errangen einen vollständigen Sieg. « Als endlich die Christen alle theils getödtet, theils, in die Flucht geschlagen waren, durchzogen die Ungern verheerend das ganze Land. Niemand wagte ihre Ankunft anders als etwa in den festesten Plätzen zu erwarten. Ihre Plünderungszüge gingen bis an den St. Bernhard, wie die venetianische Chronik ausdrücklich meldet; die Alpen haben sie damals noch nicht überschritten. Nach Jahr und Tag erkaufte Berengar ihren Abzug durch Geschenke und Geiseln, sie kamen aber schon 901 und darauf öfter wieder, wie sie vom Jahr 900 an auch das deutsche Reich mit häufigen Einfällen heimsuchten.

Und schon hatte sich im Westen ein anderer, ebenso grausamer Feind gezeigt, der sich noch dazu im Lande selbst einnistete.

Ums Jahr 888 nämlich hatten sich spanische S a r a c e n e n, die als Seeräuber gekommen waren, in Fraxinetum niedergelassen. Es ist dieser Ort das Dorf Garde-Freynet bei Frejus im Departement Var. Liutprand entwirft von ihrer Ansiedelung folgende Schilderung « Damit die Beschaffenheit dieses Ortes allen meinen Lesern anschaulich werde, muss man wissen, dass diesen Ort von der einen Seite das Meer und von der andern ein dichter Wald von dornigem Gesträuch einschliesst. Wer diesen betritt, wird dergestalt durch die krummen Zweige aufgehalten Und von den scharfen Spitzen der Dornen durchbohrt, dass er ohne grosse Anstrengung nicht im Stande ist, vorzudringen oder auch nur zurückzukehren. Die Saracenen landen dort nach Seeräuber-art bei nächtlicher Weile, schleichen sich in den Flecken ein, ermorden, o Jammer, die christliehen Bewohner, bemeistern sich des Ortes und richten den daran stossenden Berg Maurus zu einer Zufluchtsstätte ein, um daselbst vor den benachbarten Völkern sicher zu sein. Damit aber das dornige Gebüsch zu ihrem Schütze noch höher und dichter werde, bedrohen sie einen Jeden, der auch nur einen Zweig abschneiden würde, mit dem Tode durch das Schwert. So verschwanden alle Zugänge bis auf einen einzigen sehr engen Pfad. » Hier hausten sie nach dem Zeugniss der Chronik des Klosters Novalese « in unterirdischen Gängen* und verwüsteten von hier aus die umliegenden Landschaften mit Feuer und Schwert. Im Jahr 906 überschritten sie die Westalpen und überfielen das genannte Kloster Novalese bei Susa am Fusse des Mont-Cenis. « Der Ort selbst war in seinem Umkreis so befestigt, dass er mit mässigen Hindernissen von allen Seiten geschützt werden konnte, sei es durch ein Palissadenwerk oder « ine Mauer oder ein Gehege. Denn auf der einen Seite ragt ein hoher und steiniger Felsen vor, auf dessen Gipfel die Kirchen gebaut sind, auf der andern Seite aber ist ein hoher und waldiger Berg, Namens Panario, der auf seinem Gipfel sehr fruchtbare Weiden haben soll. » Auf die Kunde aber vom Nahen der Saracenen flüchteten Abt und Mönche und brachten ihre Schätze nach Turin in Sicherheit. « Die Saracenen besetzten den Ort, plünderten alles, was sie finden konnten, verbrannten alle Kirchen und Häuser und misshandelten zwei alte Mönche, die zur Bewachung der Kirchen und Häuser zurückgeblieben waren, bis zum Tode. » Von diesem Punkte aus war das Hinabsteigen in die reiche Beute versprechende Lombardei ein Leichtes. « Aber auch die Saracenen, » erzählt Liutprand, « verübten, nachdem die Kraft der Provençalen gebrochen war, nicht geringe Verheerungen in den zunächst gelegenen Gegenden Oberitaliens, so dass sie sogar nach Ausplünderung vieler Städte bis nach Acqui kamen, einer Stadt, die etwa 40 Meilen von Pavia entfernt ist. Sie hat ihren Namen von den warmen Quellen erhalten, welche daselbst auf bewundernswerthe Art mit einem viereckigen Gebäude und zu Bädern eingerichtet sind. » Man erkennt in dieser Schilderung unschwer Bormio; der Zeitpunkt, wann die Saracenen dorthin kamen, lässt sich nicht genau bestimmen, doch mag es um 's Jahr 913 gewesen sein. Ein anderer Trupp muss sich von Novalese aus in die nördlichen Berge geschlagen haben; denn 921 finden wir sie nach dem Zeugniss des Flodoard von ßheims auf dem Grossen St. Bernhard, « wo sehr viele von den Engländern, welche nach Rom reisten, von den Saracenen mit Steinwürfen überschüttet wurden. * Der St. Bernhard, Jupitersberg oder Berg Hiob, wie er damals hiess, war eine vielbesuchte Pilgerstrasse, die namentlich von Frankreich und England her benutzt wurde. Diese " Wegelagereien dauerten fort, manchmal konnten die Pilger gar nicht über die Alpenpässe; sie wurden ausgeplündert, misshandelt, getödtet, und es ist ein starker Beweis von dem Heilsbedürfniss der Menschen des 10 Jahrhunderts, dass diese Pilgerwege nicht ganz verödeten. Denn die Pässe über die Westalpen wurden häufig von ungarischen Schaaren, die zwischen Italien und Frankreich wechselten, unsicher gemacht. Dieses Volk hatte seine Angriffe eine Zeit lang mehr gegen Bayern, Schwaben ( 917 wurde Basel von ihnen zerstört ), Thüringen und Sachsen gerichtet; aber die politischen Verhältnisse in Italien kamen ihnen bei ihren Einbrüchen dort besser zu statten, und wie uns von den Provençalen erzählt wird: « Da nun die eine Partei unter ihnen ihrem Hasse und ihrer Eachsucht nicht Genüge zu thun vermochte, so rief sie die nicht minder schlauen als treulosen Saracenen zu Hülfe und schlug im Verein mit diesen die Gegner zu Boden, » so benutzte König Berengar, der seit 896 in Italien die Herrschaft mit Kraft, aber nicht ohne Härte führte, die Ungarn gegen die Anschläge seiner Unterthanen, die zu König Rudolf von Burgund Boten sandten « und baten, dass er kommen möge, den Berengar zu vertreiben. » Wir folgen wieder dem Bischof von Cremona in seinem Buch der Vergeltung: < Während solches von den Verschwornen betrieben wurde, ereignete es sich aber, dass ihnen unbemerkt die Ungern bis Verona kamen, deren zwei Könige, Dursak und Bugat, mit Berengar sehr befreundet waren. Während nun der Markgraf Adelbert und Odelrich, der Pfalzgraf, auch Graf Giselbert und mehrere andere auf dem Gebirge bei Brescia, welche Stadt 50 Meilen von Verona entfernt ist, Besprechungen über Berengars Entthronung hielten, bat dieser die Ungern, wenn sie ihn lieb hätten, so möchten sie über seine Feinde herfallen. Diese aber nach Blut lechzend und gierig zum Kampf, liessen sich alsbald von Berengar einen Wegweiser geben, kamen auf unbekannten Wegen jenen in den Rücken und überfielen sie mit solchem Ungestüm, dass Niemand Zeit hatte auch nur die Rüstung anzulegen oder die Waffen zu ergreifen. Viele wurden niedergehauen, Viele gefangen. » Dann nahm Berengar mit den Ungarn furchtbare Rache an den abtrünnigen Lombarden. « Die Ungern verwüsten unter der Führung des Königs Berengar, welchen die Longobarden verdrängt hatten, Italien; auch Pavia, eine sehr bevölkerte und reiche Stadt, verbrennen sie mit Feuer, wo unzählbare Schätze zu Grunde gingen, 44 Kirchen wurden angezündet. Der Erzbischof der Stadt selbst sammt dem Bischof von Vercelli, der bei ihm war, wird durch Feuer und Rauch getödtet und aus jener fast unzählbaren Menge sollen nur 200 übrig geblieben sein, welche aus den Ueberbleibseln der verbrannten Stadt, welche sie aus der Asche aufgelesen hatten, 8 Scheffel Silber den Ungern gaben, wofür sie das Leben und die leeren Stadtmauern erkauften. Als die Ungern dies ausgerichtet hatten, gingen sie über die steilen Joche der Alpen und kommen nach Gallien. Rudolf, der König des diesseitigen Galliens, d. i. Burgund, und Hugo von Vienne schliessen die Ungern in den Engpässen der Àlpenberge ein, von wo sie, auf einem unerwarteten Punkte über die Abhänge des Gebirges entrinnend, nach Gothien ( bei Narbonne und Nîmes ) gelangen. Die vorgemeldeten Fürsten aber verfolgen sie und machen die nieder, welche sie finden konnten. » Offenbar galt dieser Alpenübergang der gefürchteten Käuber in erster Linie dem König Kudolf, und Berengar wurde dadurch die unbequemen Freunde los. Schade ist, dass Flodoard, dem wir die obige Erzählung zum Jahr 924 verdanken, den Punkt nicht näher bezeichnet hat und wohl auch nicht bezeichnen konnte, wo die Söhne Arpads zum ersten Mal die Alpenhöhen überstiegen. Am ehesten ist wohl an den Mont-Cenis zu denken, es sind aber andere Pässe nicht ausgeschlossen.

Im Jahre 926 erfolgte der Ungarneinbruch am Bodensee und die Plünderung des Klosters St. Gallen. Wir besitzen darüber in den Geschichten des Mönchs Ekkehard IV. und in zwei Lebensbeschreibungen der heiligen Wiborad eine Fülle von sehr interessanten Notizen, aber da dieses Ereigniss nicht eigentlich in den engern Rahmen unserer Darstellung gehört, so können wir uns begnügen, nur die Hauptpunkte flüchtig zu erwähnen.

Die Ungarn waren durch Bayern gekommen und von den Mauern Augsburgs, wie man glaubte, durch die Kraft des Gebetes des h. Bischofs Ulrich vertrieben worden. So rückten sie durch Schwaben. Der Abt von St. Gallen, « wie ein Riese des Herrn den Harnisch angezogen, die Kutte und die Stola darüber geworfen, befahl den Brüdern, ein Gleiches zu thun. Pfeile werden verfertigt, aus gepresster Wolle werden Brust- hämische gemacht. Schleudern werden geflochten; aus zusammengefügten Brettern und Wannen werden Schilde nachgeahmt, Sparren und Knittel werden zugespitzt und im Feuer gehärtet. » Doch versäumte Engilbert auch die Vorsicht, den bessern Theil der Tapferkeit, nicht. In geringer Entfernung, in der Waldschlucht der Sitter wurde ein Castell angelegt und das Nöthige dorthin gebracht, ebenso die Kirchengeräthe und der Kirchenschatz. Die Bücher kamen auf die Reichenau, die wegen ihrer Lage besser geschützt war. Die Greise und die Knaben der Klosterschule wurden nach der Wasserburg in Sicherheit gebracht und deren Bewachung den Hörigen im Argengau jenseits des Sees anvertraut. Kundschafter verkündeten das Nahen der Ungarn. « Denn die Feinde gingen nicht zusammen, sondern in Schwärmen; weil Niemand Widerstand geleistet hatte, hatten sie Städte und Dörfer angefallen, ausgeplündert und verbrannt, und griffen daher unversehens, wo sie wollten, die Ungerüsteten an. Auch in Wäldern lagen sie zu Hunderten oder weniger zuweilen verborgen und brachen hervor. Rauch aber und der vom Feuerschein geröthete Himmel zeigten an, wo jeder Schwärm sei. » Die Ungarn fanden in St. Gallen keinen Menschen mehr, als einen Blödsinnigen Namens Heribald, der nicht hatte fliehen wollen, « weil der Kämmerer ihm das Leder zu seinen Schuhen dieses Jahr nicht gegeben habe », und den die Wilden schonten, als sie seinen Geisteszustand erkannten, und eine Klausnerin, die h. Wiborada, die den von ihr gesuchten Märtyrertod durch die Heiden fand. Das geschah am 1. Mai. Nachdem die Ungarn was sich vorfand geraubt und die Gebäude ausser dem Kloster niedergebrannt hatten, zogen sie in der Richtung nach dem Bodensee ab. Vom Abt und seinen Leuten verfolgt, bildeten sie zur Abwehr Wagenburg und Postenkette, plündern am Morgen die nächsten Dörfer aus, brennen sie nieder und ziehen ungestört mit ihrem Eaube ab. Constanz blieb verschont, weil es Mauer und Besatzung hatte, an der Eeichenau zogen sie vorbei, weil alle Schiffe entfernt waren und die Insel von Bewaffneten starrte; erst im Frickgau kam die Rache über die Plünderer. Der starke Irminger, « wie einst Mathathias Vater von sechs Maccabäer-Söhnen », überfiel die Schaar, die in St. Gallen eingebrochen war und von ihren Gefährten getrennt am linken Rheinufer abwärts zog, als sie eben einen Angriff auf das Kloster zum heiligen Kreuz in Säckingen plante. Was von ihnen nicht über den Rhein schwimmen konnte, wurde erschlagen oder ertrank. Mit ohnmächtiger Wuth musste die Ungarn-abtheilung auf dem rechten Ufer den Untergang der Ihren ansehen. Mit Pfeilschüssen, hündischem Geheul und schauerlichen Schwüren machten sie sich Luft. Dann gingen sie ins Elsass und nach Besançon. So endete der zweite und letzte Ungarneinfall in die Schweiz; die Einbrüche aber ins übrige deutsche Reich, in Frankreich und Italien dauerten fort. König Heinrich I. hatte mit ihnen Frieden geschlossen gehabt gegen einen an sie zu erlegenden Tribut- Als die Frist abgelaufen war und der Tribut geweigert wurde, erschienen sie 933 in mehreren Schaaren wieder. Ein Theil wandte sich nach Italien, und da wir auch von Verwüstungen in Frankreich und Burgund hören, so lässt sich annehmen, dass sie die Alpen üherschritten haben, vielleicht, um einer andern Abtheilung jenseits des Rheins die Hand zu reichen. Den directen Angriff auf Sachsen schlug Heinrich in der Nähe von Merseburg siegreich zurück, und der kräftige Widerstand, den sie fanden, mag die Ungarn veranlasst haben, ihre Züge in der nächsten Zeit mehr nach Italien und Frankreich zu richten und die deutschen Länder, wo durch neue Festen die Zahl der widerstandsfähigen Punkte unter dem ersten Sachsenkaiser bedeutend vermehrt wurde, in Ruhe zu lassen.

935 « verbreiteten sie sich über Burgund, und nachdem sie dort mit Raub Brand und Mord, doch nicht lange, übel gehaust hatten, gingen sie auf die Kunde von der Ankunft des König Rudolf nach Italien hinüber », so Flodoard. Im zweiten Jahre König Otto's des Ersten, 937, fielen die Ungarn wieder ins deutsche Reich; sie kamen durch die slavischen Gebiete nach Franken; dann wandten sich die Einen nach Schwaben, die Andern gingen über den Rhein bis Metz, verwüsteten Elsass, Lothringen, Westfrancien und gingen dann über die Alpen nach Italien hinüber, wir wissen nicht, an welchem Punkte.

In Italien hatten sie sich so festgesezt, dass König Hugo, der im Streit mit Berengar, dem Markgrafen von Ivrea, sich schon mit den Saracenen verständigt hatte, auch mit ihnen ein Abkommen zu treffen für gut fand. « Zu dieser selben Zeit », d. i. 943, erzählt Liutprand, « Schloss König Hugo Frieden mit den Ungern, indem er ihnen 10 Scheffel Münze zahlte, wogegen sie ihm Geiseln gaben, Italien verliessen und mit einem Wegweiser, den er ihnen gab, nach Hispanien sich aufmachten. Dass sie aber nicht nach Hispanien und Cordova gelangten, das geschah aus folgender Ursache. Sie zogen drei Tage durci eine wasserlose und wüste Gegend, und da sie nun befürchteten, dass hier ihre Pferde und endlich auch sie selbst vor Durst umkommen würden, prügelten sie den Führer, welchen Hugo ihnen mitgegeben hatte, zu Tode und kehrten weit rascher, als sie davongezogen waren, wieder zurück. » Die Geissel dieser Plünderungen blieb auf dem unglücklichen Italien, auch als König Hugo im Jahre 947 gestorben war und der Markgraf Berengar für Lothar, den Sohn Hugo's, das Regiment führte.

« Zu dieser Zeit kam Taxis, König der Ungern, mit einem grossen Heere nach Italien. Berengar aber zahlte ihm zehn Scheffel Münze, doch nicht etwa aus seinem eigenen Schatze, sondern aus dem, was er von den Kirchen und armen Leuten eingetrieben hatte. » So Liutprand. Auch als Berengar durch seine Tyrannei die Intervention Otto's des Grossen veranlasste, die mit dessen Kaiserkrönung und der Vermählung mit Adelheid, der von Berengar bedrängten Wittwe König Lothars, endigte, besserten sich diese Verhältnisse nicht sehr. Während der Kämpfe um die italische Krone selbst, im Jahre 951 « überschritten die Ungern », wie Flodoard erzählt, « von Italien ausgehend die Alpen und drangen in Aquitanien, d. i. Westfrancien ein, und indem sie fast den ganzen Sommer daselbst verweilten, beschädigten sie die Gegend mit Plünderungen und Mordthaten und kehrten so durch Italien wieder in ihre Gebiete zurück. » Ja die Vermählung mit Adelheid und die Feindschaft, die darüber zwischen Liudolf, dem Sohn Otto's aus erster Ehe, und dem Kaiser entstand, gab sogar Veranlassung, dass Liudolf und sein Schwager Konrad, der in Lothringen gebot, diese Reichsfeinde gegen Vater und Schwiegervater zu Hülfe riefen.

« Die Ungern überschritten unter Führung der Feinde des Königs den Rhein während der Fasten — am Sonntag vor Ostern ward ihnen zu Worms öffent-ich aufgewartet uud sie mit reichen Graben an Gold und Silber beschenkt — durchzogen Gallien, begingen unerhörte Gewaltthaten gegen die Kirche Gottes und kehrten über Italien zurück. » So erzählen der Fortsetzer des Regino und Widukind in den Sachsenge-schichten zum Jahr 954. Es ist dies vielleicht die schmählichste Episode im traurigen Zeitalter der Ün-garneinbrüche, aber auch die letzte. Im Jahr 955 machte Otto, der schon um dieser einen That willen den Namen des Grossen verdient, mit der wieder-geeinigten Kraft des gesammten Reiches den Raubzügen dieses Gesindels auf dem Lechfeld ein blutiges Ende für alle Zeit. Von dieser Zeit an verschwinden sie aus der Geschichte des Reiches für Jahrhunderte und gewiss sind die Spuren ihrer Anwesenheit schnell verwischt worden und nichts Bleibendes mahnte an sie, als die neuangelegten Burgringe, aus denen die deutschen Städte erwachsen sollten und die sächsische Ordnung des Ritterheeres, die für lange Zeiten hinaus die deutsche Kriegsweise bestimmte.

Anders mit den Saracenen, die wir bei ihrem Räuberhandwerk in den Felsnestern der Alpen verlassen haben. Bald tagten sie sich weiters und plünderten von den Alpenhöhen aus die benachbarten Gebiete. Im Jahre 936 drangen sie, vielleicht von Bormio aus, wo wir um 's Jahr 935 ihre Spuren wieder finden, nach Alamannien vor und verwüsteten das Bisthum Chur. « Während dieser Vorfälle versammelten die Saracenen zu Fraxinetum ihre Schaaren, » erzählt Liutprand, « und kamen bis nach Acqui, 50 Meilen von Pavia. Ihr Anführer Sagittus ( d.h. der Pfeil* ) war der schlimmste und gottloseste Saracene. Durch Gottes Beistand aber wurde dieser Elende mit all' den Seinen in einer Schlacht um 's Leben gebracht. » Die Eeste dieser Schaar, die gewiss noch recht ansehnlich waren, mögen sich über das Gebirge nach Norden gewendet haben. Die Verwüstung des Bisthums muss bedeutend gewesen sein. Mit den Worten: « weil der Bischof uns klagte, dass sein Bisthum durch die beständige Verwüstung der Saracenen sehr verödet sei », begründet König Otto I. in einer 940 ausgestellten Urkunde die Schenkung zweier Kirchen an Chur. Die Morde an Rompilgern dauerten fort und die Saracenen vom St. Bernhard stiegen in 's Rhonethal hinunter und verbrannten die Abtei St. Maurice 940. Der Bischof Ulrich von Augsburg, der in den burgundischen Landen, wozu St. Maurice gehörte, an der fürstlichen Familie Gönner besass, war gerade auf der Reise, um für seine Kirche Reliquien zu sammeln und hatte dieNach Prof. Grörgens bedeutet das Wort vielmehr „ der Erwürger ".

Erlaubniss erlangt, die Gebeine eines der Märtyrer der thebaeischen Legion nach Augsburg überzuführen. « Und als er an einem Samstag », erzählt die Lebensbeschreibung des Heiligen, « dorthin gekommen war, fand er das Kloster neulich von den Saracenen verbrannt und bemerkte keinen von den Bewohnern daselbst, ausser einem Kirchendiener, welcher das verbrannte Kloster bewachte. Und als er die heilige Nacht im Lobe Gottes dort zugebracht hatte und morgens die Messe de sancta Trinitate celebrirte und nach Vollendung derselben gleich eine zweite der Verehrung des Tages des Herrn entsprechende zu celebriren an- fing, kamen zwölf Mönche mit einer Menge Volkes an und standen, als sie ihn sein Amt verrichten hörten, still. » Sie konnten zum Glück seinen Herzenswunsch erfüllen. « Nachdem die in einem ausgehöhlten Felsen befindliche Keliquiensammlung geöffnet war, erfreuten sie ihn mit dem Geschenk eines sehr grossen Theils der heiligen Ueberreste. » Von diesem Punkte aus stand den Saracenen der Weg in die fruchtbaren Gefilde am Lemanersee offen, und in der That erzählen spätere Chroniken nach Volkstradition, dass damals die Königin Bertha sich mit dem Bischof Ulrich vor der Wuth der Saracenen in den festen Thurm von Neuenburg flüchtete, und eine Reihe von Ortsnamen, die sich vom Genfersee bis in den Berner Jura zieht, hält die Erinnerung an jene bösen Tage noch heute aufrecht. Was die Saracenen an solchen Orten erbeuteten, scheinen sie alles nach Fraxinetum geschafft zu haben, von wo sie auf Schiffen ihre Verbindung mit Spanien aufrecht erhalten konnten. Wollte man 31 also ihren Räubereien ein Ziel setzen, so musste man sie dort angreifen. Das soll nach Flodoards Zeugniss schon 931 geschehen sein durch die Griechen, jedenfalls aber nicht mit dauerndem Erfolg; denn 941 Schloss Graf Hugo von Provence, der König von Italien, einen Bund mit dem byzantinischen Kaiser zur Vernichtung des saracenischen Raubnestes. Wir lassen darüber wieder Liutprand reden:

« Der König Hugo also versammelte sein Heer, entsandte die Flotte über das tyrrhenische Meer gegen Fraxinetum und zog selbst auf dem Landweg eben dorthin. Als die Griechen dort angelangt waren, warfen sie Feuer auf die Schiffe der Saracenen und ver-. brannten sie alle in kurzer Zeit. Andererseits drang auch der König in Fraxinetum ein und zwang die Saracenen, sich auf den Berg Maurus zu flüchten. Hier nun hätte er sie belagern und gefangen nehmen können, wenn nicht ein Umstand, den ich sogleich berichten will, dazwischen gekommen wäre.

König Hugo fürchtete nämlich nichts so sehr, als dass Berengar aus Franken und Schwaben ein Heer aufbringen und über ihn herfallend ihm das Reich nehmen möchte. Daher verfiel er auf einen bösen Rath, entliess die Griechen in ihre Heimath und verbündete sich selbst mit den Saracenen in solcher Weise, dass sie sich in dem Gebirge, welches Schwaben von Italien trennt, aufstellen und dem Berengar, falls dieser ein Heer hindurchzuführen versuche, den Durchzug auf alle mögliche Weise verwehren sollten. Wie vieles Christen-blut sie aber hier vergossen haben, frommer Pilger, die zu den Gräbern der heiligen Apostel Petrus und Paulus wallfahrteten, das ist nur Dem bekannt, der ihre Namen im Buche des Lebens aufbewahrt. » Von dem Grund der Feindschaft zwischen Hugo und Berengar hat Liutprand vorher erzählt. Berengar sollte geblendet werden, wurde aber durch Lothar, den Sohn des Königs, gewarnt.

« Auf diese Kunde entfloh Berengar alsobald aus Italien und eilte über den Jupitersberg ( St. Bernhard ) nach Schwaben zum Herzog Hermann; seine Gemahlin Willa aber liess er auf einem andern Wege ebenfalls dorthin kommen. Diese Frau war schwanger und ihrer Entbindung nahe, als sie über den Vogelsberg ( Bernardino ) zog, und ich kann mich nicht genug wundern, dass sie zu Fuss über ein so rauhes und unwegsames Gebirg hat kommen können. » Liutprand lässt es übrigens beim sich wundern nicht bewenden, sondern verflucht in prasselnden Mönchsversen das grausame Gebirge, das seine persönlichen Feinde entwischen liess. « Denn du rettest das Ungethüm, das umbringen du konntest. » Herzog Hermann nahm die Flüchtigen freundlich auf und stellte sie dem König Otto vor, der sie als politische Werkzeuge gegen König Hugo bei Hofe behielt. Die Saracenenwache aber hinderte eine Zeit lang die Rückkehr Berengars. Ein Spion von ihm, der die Verhältnisse Italiens, ja des königlichen Hofes selbst mit grosser Schlauheit ausgekundschaftet hatte, musste bei seiner Heimkehr 943 « seinen Weg durch unwegsame, rauhe Gegenden nehmen, wo keine Wachtposten standen. Denn der König hatte den Wächtern der Klausen Befehl gegeben, Niemanden durchzulassen, bevor sie durch sorgfältige Untersuchung genau erforscht hätten, wer er sei. » So kam es, dass die Saracenen nicht nur der Vernichtung entrannen, sondern sich auch in den Alpen erst recht festsetzten. Sie hielten die Pässe besetzt — Berengar, als er 945 doch mit wenigen Begleitern aus Schwaben nach Italien zurückehrte, ging durch den Vintschgau — und erhoben Tribut von den Pilgern. Damals auch mögen die Saracenen bis St. Gallen vorgedrungen sein, ein Ereigniss, von dem Ekkehard Folgendes erzählt:

« Als die Saracenen, deren Natur es ist, in den Bergen viel zu leisten, auf der östlichen Seite uns und die Unsrigen zu ihren Zeiten so belästigten, dass sie unsre Alpen und Berge besetzt hielten und sogar auf die Brüder, die dem vorangetragenen Kreuz um die Stadt folgten, Geschosse aus der Nähe schleuderten und durch die Vasallen des Abtes nicht ausgespürt werden konnten, wo sie verborgen lagen, griff der Decan Walto in einer Nacht mit den beherztem seiner hörigen Knechte, als ihr Versteck ihm verrathen war, die im Schlaf Betroffenen mit Lanzen, Sicheln und Aexten an, tödtete Einige, nahm auch Einige gefangen, hielt es aber für erfolglos, die übrigen durch die Flucht Entwischten zu verfolgen, da sie flüchtiger als Gemsen durch die~Berge liefen; Diejenigen aber, die er gefangen hatte, trieb er gebunden vor sich her in 's Kloster, Doch gingen sie Alle zu Grunde, da sie weder essen noch trinken wollten. » Der Mönch schliesst seinen Bericht mit den Worten: « Wenn ich alles Elend, das unsre Leute von den Sara- cenen erduldet haben, durchgehen wollte, würde ich ein Buch füllen. » Aber nicht nur in Mönchsbüchern hat die lange Anwesenheit der Saracenen in unsern Alpen dauernde Spuren hinterlassen. Eine zwischen 1019 und 1038 verfasste, leider jetzt erloschene, Inschrift der Kirche zu Bourg-St-Pierre-Montjoux im Val d' Entremonts erzählte von den Leiden der Bewohner de& St. Bernhard-weges in jener Schreckenszeit; zu Moudon sind arabische Münzen, afrikanischen Ursprungs, vom Jahr 896 und 964 gefunden worden, die ganz gut als Zeugen dieser Ereignisse betrachtet werden können; weniger sicher ist das von dem prachtvollen Churer Saracenengewand. Dagegen weisen eine Reihe von Ortsnamen im Gebirg auf die Saracenen oder Mauren hin. Schon erwähnt haben wir den Berg Maurus bei Garde-Freynet. Am St. Bernhard ist ein Mont Mort ( wie Keller in der obgenannten Abhandlung wohl richtig vermuthet, Mont Maur oder Moro zu schreiben ), ein Pizzo del Moro ist im Anzathale, eine Cima del Moro zwischen dem Antrona- und Anzathale. Am bekanntesten ist der Monte Moro, wo man von Macugnaca her in 's Saasthal hinuntersteigt, ein leichter Pass und früher noch zugänglicher als heute. Hier ist klassischer Boden der Saracenen. Die Saasservisp entspringt im Alalain- gletscher. d.h. an den Quellen. Oestlich darüber liegt die Alp Aien, d.h. Quellenalp. Wenn der Wanderer nach Almagell herunter kommt, so steht er, wie der Name besagt, auf einem « Wachtposten » arabischer Krieger, und dass diesem wilden Volke die orientalische Phantasie auf ihrer kalten Wache nicht ein-

fror, beweist der wundervolle Name, den sie der Gruppe Dom-Nadelhorn-Täschhorn gegeben haben. Mischabel, eigentlich Muschabil oder Muschbil, d. i. die Löwin mit ihren Jungen. Nur lasse man sich nicht einfallen, den Balfrin arabisiren zu wollen; sein Name bedeutet Balenfirn vom Oertchen Baien an seinem Fusse; aber wer glücklich an dieser etymologischen Klippe vorbei bis Stalden gekommen ist, der mag bei einem Glase « Heidenwein, » wie er an den glühend heissen Abhängen noch heute wächst, wo ihn diese Räuber gepflanzt haben sollen, alter Geschichten gedenken, und wer weiss, wenn er dabei zu lange verweilt, ob ihm nicht die Saracenennot bis Visp hinaus in den Nacken schlägt.

Doch kehren wir zu den weitern Schicksalen dieser Gegenden in 's 10. Jahrhundert zurück. Als Kaiser Otto mit seiner neuen Gemahlin Adelheid 952 in sehr früher Jahreszeit aus Italien über den Septimer heimkehrte, am 11. Februar war er laut urkundlichem Zeugnisse in Pavia, am 16. zu Corno, am 1. März in Zürich — fand er das Bisthum Chur von den Saracenen verwüstet und nahm dort ein Gelübde auf sich, dessen er sich mit Urkunde vom 28. Dezember 955 durch einige Schenkungen entledigte. Die Saracenen mögen seinem bewaffneten Zug aus dem Wege gegangen sein; auch war das Verhältniss zu König Hugo durch die veränderten Umstände längst gelöst. Bald darauf scheinen sie aus den östlichen Alpen gewichen zu sein; wenigstens hören wir von dort nichts weiter über sie. Aber in den Westalpen sassen sie noch lange. 955 wurde die Intervention des Khalifen Abderr- " ' .,3T haman III. von Cordova angerufen Der Abgesandte Otto's, Bischof Recemund von Elvira, bekam den Auftrag, « dass er auf alle Weise Freundschaft und Frieden vor der Befehdung durch die saracenischen Räuber zuwege bringe. » Was aber nicht nur würdiger, sondern auch praktischer gewesen wäre, den Feinden selber auf den Leib zu rücken, das erlaubten Kaiser Otto die schweren Verwicklungen, namentlich mit By-zanz, von denen Liutprands Gesandtschaftsbericht so köstliche Nachricht gibt, niemals. Freilich 968 bei seinem zweiten Aufenthalt in Italien gab er die Ab- sicht, « selbst über Fraxinetum die Saracenen zu vertilgen, mit Gottes Geleit den Weg anzutreten, » in einem bei Widukind erhaltenen Schreiben an die Herzöge und Befehlshaber Sachsens kund, aber 972 auf die Kunde vom Tode seiner Mutter, seines Sohnes und von bevorstehenden Empörungen « beschloss er von dem Feldzuge nach Fraxinetum abzustehen und nach Ordnung der Verhältnisse in Italien in sein Vaterland zurückzukehren. » Es bedurfte noch eines Ereignisses, das Jedermann von Herz die Schamröthe in die Wangen trieb, um die Schmach dieser Zustände nicht durch die Kraft von Kaiser und Reich, sondern durch die Initiative einiger benachbarten Fürsten auszutilgen, und diess geschah durch die Gefangennehmung des h. Majolus Abt von Cluny, am St. Bernhard, im Jahr 973. Wir haben über diesen Vorfall ausreichende Kenntniss durch die Lebensbeschreibungen des heiligen Mannes und andere Quellen.

Als der h. Majolus aus Italien zurückkehrte, « und sie trotz der grossen Schwierigkeiten des beschwerlichen Weges schon die Gipfel der Alpenhöhe hinter sich hatten, stiegen sie bis zu einem Dorfe herab, welches nahe an dem Lauf des Dranceflusses gelegen, einstmals pons Ursarii genannt zu werden pflegte. Der Bach, der von den Bergen herabfällt^ lässt, da er in mannigfaltigen Krümmungen zwischen den Alpen herabfliesst, durch seine Windung nur eine so grosse Ebene frei, als die Lage des genannten Dorfes einnehmen kann. » Da wir bestimmt wissen, dass Majolus von Pavia über den St. Bernhard heimkehrte, so passt diese Beschreibung nur auf Pont-Orsières im Val d' Entremouts.

Dass sich die Saracenen gerade dort in Hinterhalt'legten, kommt wohl davon, dass in Orsières die zwei Wege von Aosta über den St. Bernhard und über Courmayeur und den Col de Ferret zusammenstossen, ihnen also hier die Pilgercolonne, von deren Rückkehr sie Kenntniss haben mochten, auf keinen Fall entgehen konnte. « Viele Leute aus verschiedenen Gegenden begleiteten damals den h. Majolus, weil sie unter dem Schütze seiner Heiligkeit unbehelligt zu bleiben glaubten. Als sie nun ohne Unfall bis za diesem Orte gekommen waren und den genannten Bach überschritten hatten, griff sie plötzlich in den schwierigen Windungen des engen Weges selbst, der den Herabsteigenden nur wenig Baum lässt, eine Schaar des treulosen Volkes der Saracenen an. Durch den plötzlichen Ueberfall in Verwirrung gesetzt und Vieles vergeblich versuchend, gaben sie bessere Hoffnung auf und dachten auf Flucht. Aber vergeblich. Die wilde Schaar der Heiden verfolgte sie auf schnellem Fusssteig und warf Alle, welche sie ergreifen konnte, in Fesseln. Und als einer aus jener Schaar der Heiden von einem hohen Felsen herab nach einem von den Dienern des Gottesmannes mit dem Speere warf, hielt der Gottesmann, damit der Diener gerettet würde, dem herankommenden Geschoss seine Liebeshand entgegen, in welcher so lange er lebte die Narbe der Wunde sichtbar blieb. » Majolus verschmähte, ohne die Gefährten zu entrinnen. « Als daher die wilden Barbaren nach Vollendung ihres Frevels zu ihren Verstecken zurückkehrten mit einer Menge von Gefangenen, sehen sie den h. Majolus von weitem einsam auf einem Steine sitzen. Da eilen hurtige Füsse zu ihm heran und sie legen verruchte Hände an den Heiligen und führten ihn mit den übrigen Gefangenen fort. » Als er ihrem heidnischen Spotte entgegen trat, « legen sie die heiligen Füsse in eine eiserne Fessel und verschliessen ihn in ein schauerliches Felsverliess. » 24 Tage vor Himmelfahrt Marise war er gefangen worden, das letztere Fest brachte er wieder im Kreise der Seinigen zu Cluny zu, nachdem für ihn und seine Mitgefangenen ein Lösegeld von 1000 Pfund Silbers — ein Pfund auf jeden Räuber — mit Mühe aufgebracht worden war. Es war ein schmählicher Beweis von der Ohnmacht des Reichs in diesen Gebieten, und nur die fromme Einfalt damaliger Geschlechter konnte sich mit Geschichten trösten, wie der Heilige diesen Mu-hammedanern ihren Irrglauben bewiesen und Viele von ihnen bekehrt habe, wie diese Neugewonnenen in der Nacht Chöre der Engel mit dem Gefangenen haben

psalliren hören, wie die Bekehrten später bei dem Untergang der Uebrigen wunderbarlich gerettet worden seien und stracks die Taufe begehrt hätten, wie ein Saracene, der beim Holzschnitzeln einen Fuss auf ein heiliges Buch des Abtes gesetzt habe, von den Uebrigen ausgescholten worden sei, weil er die Worte der grossen Propheten mit Füssen trete, und im Streit mit den Gefährten den Fuss, mit dem er gesündigt, verloren habe; wie, um endlich noch ein freundlicheres Bild anzuführen, einer der Wilden, als der Abt die ihm dargebotene Nahrung, Fleisch und hartes Brod, zurückwies, weil er nicht gewohnt sei, dergleichen zu essen, « die Aermel aufstülpte, seinen Schild abwusch und auf demselben unter den Augen des ehrwürdigen Majolus ein Brod aufs Reinlichste zubereitete, aufs Schnellste buck und es ihm mit Ehrfurcht darreichte. » Nach den Biographen des Abtes von Cluny sollen die Saracenen, als sie beutebeladen auf gewohnten Abwegen den Rückzug in ihr Raubnest suchten, von den Christen überfallen worden sein, worauf sich die Mehrzahl Nachts, vom Satan verleitet, von einem hohen Felsen in die Tiefe gestürzt habe und jämmerlich umgekommen sei.

Wahrscheinlicher lauten andere Nachrichten, wonach der Graf Wilhelm von Arles, der Markgraf Ar- duin von Turin und der Graf Robald von Provence sie zu Fraxinetum angriffen, vernichteten und ihre Beute theilten; und vielleicht ist diess gar nicht unmittelbar nach der Beraubung des Majolus geschehen.

Als Sage interessant, wenn auch ohne geschichtlichen Werth, ist folgende Erzählung über ihren Unter- gang, welche die Chronik des Klosters Novalese uns aufbewahrt hat.

« Es war einer unter ihrer Schaar Namens Aimo. Dieser zog mit ihnen aus, das Land zu verwüsten, und sie rauben Gold und Pferde und Rinder und verschiedene Kleinodien und Mädchen und kleine Kinder. Es geschah, dass sie verloosten. was sie erbeutet hatten, und eine Frau von grosser Schönheit fiel durch 's Loos dem Aimo zu. Ueber diese aber entstand ein Streit unter ihnen und es kam ein Mächtigerer als er und nahm sie ihm weg. Er selbst aber hielt sich erbittert fern von ihnen. Gott aber, der sein Volk befreien wollte, legte ihm in 's Herz, wie er jenen Ort verrathe und die Leute, die darin wohnen. Er geht also zu dem Grafen Robald in 's Gebiet der Provence und beschwört ihn, dass er Niemanden das Geheimniss verrathe, das er ihm zu sagen wünsche; nicht einmal der eigenen Gattin.

« Dieser bezeugt, nichts verrathen zu wollen. Da spricht Jener: « Siehe, ich übergebe Euch Eure Feinde, die Vollbringer der Schlechtigkeit. » Dieser freute sich sehr und versprach ihm, Alles zu gewähren, wenn er dieses Werk ausgeführt hätte. Er befiehlt also Allen und dem Arduin, dass sie ihm beistehen zu einem gewissen Geschäfte. Alle eilen, ihm in Waffen beizustehen. Als aber die Leute unter einander stritten, weil sie nicht wussten, wohin sie gingen, ermahnt er sie, dass sie Jenem folgen. Während sie so bis zu der Festung kamen, rief ihnen Robaldus ermahnend zu: 0 Brüder, kämpfet für Euer Leben; denn ihr seid im Lande der Saracenen. Jene aber kämpfen als tapfere Helden und plündern jenen Ort. Diese Rache geschah durch die List des Aimo, dessen Geschlecht noch zu unsern Zeiten fortdauert. » Das ist die Geschichte der Ungarn und Saracenen in den Alpen, ein lehrreiches Beispiel, wie Eintracht erhält und Zwietracht zerstört. Auch im 17. und. 18. Jahrhundert, wo fremde Kriegshorden sich in unsern Bergen tummelten, lässt sich die Schuld der Vorfahren und Mitlebenden an diesem Elend deutlich nachweisen. Mögen die Namen Sarratz und Sarrasin, wie sie, mit fremdländischem Laut gut schweizerische Familien bezeichnend, den südöstlichsten und nordwestli chsten Kanton unseres Vaterlandes in gemeinsamer Abstammung und Erinnerung verbinden, die ganze dazwischen liegende Schweiz in dem Gefühle einen, dass wir keine solchen Gäste mehr in unsern Bergen dulden wollen, mögen sie kommen im Namen welches Propheten immer, auf dass die ewigen Firne bleiben, was sie sind, die Burg eines friedlichen, aber für seine Unabhängigkeit zu jedem Opfer entschlossenen Volkes.

Anmerkung des Verfassers. Vorstehende Abhandlung lag schon seit einem Jahre druckfertig in den Händen des Redaktors, bevor die Arbeiten des Herrn Prof. Görgens „ Der Islam in der Schweiz " im Sonntagsblatt des Bund 1878, Nr. 18-23, und des Herrn Dr. Ernst Oehlmann „ Die Alpenpässe im Mittelalter " im Jahrbuch für Schweizerische Geschichte, 3. Band, erschienen. Die letztere Arbeit hat mir zu keinen Aenderungen Anlass gegeben; aus der Arbeit des Herrn Görgens will ich hier nachtragen, dass er die im Text nach Prof. Hitzig gegebene Deutung von Alalain und Eyen „ problematisch " findet, dass er Almagell mit „ Kampfplatz " übersetzt und Mischabel mit „ Wildheim ". Mir steht über diese etymologische Frage keine Autorität zu, und so habe ich den Text unverändert gelassen.

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