Schaufeln mit System. Lawinenrettung
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Schaufeln mit System. Lawinenrettung

Schaufeln mit System

Verschüttet eine Lawine Personen, zählt jede Minute. Zeit frisst vor allem das Ausgraben. Dank einer neuen Methode – dem V-förmigen Schneeförderband – geht es schneller und schonender.

Anfang dieses Jahres wurde in Britisch-Kolumbien, Kanada, erstmals ein 18-jäh-riger Skitourenfahrer von zwei Kameraden mit der neuen Schaufelmethode gerettet. Die beiden brauchten 15 Minuten, um ihn aus zwei Metern Tiefe herauszu-buddeln. Ob der junge Mann ohne das V-förmige Schneeförderband gestorben wäre, lässt sich nicht sagen. Aber dass zwei Personen bei dieser Verschüttungstiefe in einer Viertelstunde zum Opfer vordrangen, zeigt die Effizienz der neuen Methode.

Geschwindigkeit ist bei der Lawinenrettung mehr als die halbe Miete. Nach 15 Minuten unter dem Schnee sinken die Überlebenschancen eines Verschütteten dramatisch. In der Schweiz wissen das die meisten und sind entsprechend ausgerüstet. Der Lawinenrettungs-instruktor Manuel Genswein geht davon aus, dass 95 bis 98 Prozent der Tourengeher im Hochwinter LVS und Schaufel dabeihaben. « Wesentlich schlechter steht es mit der Sonde », bedauert Genswein. « Dabei gehört sie zur persönlichen Sicherheitsausrüstung. Sie kann über Leben und Tod entscheiden. » ( vgl. Kasten S. 22 )

Schaufeln bisher stiefmütterlich behandelt

Die Geräte dabeizuhaben ist das eine, sie richtig zu handhaben das andere. Das gilt auch für die Schaufel. Das richtige Graben sei bisher stiefmütterlich behandelt worden, meint Genswein. Eine gravierende Lücke, denn bei einer Rettung braucht das Schaufeln häufig am meisten Zeit. « Diese Lücke wollte ich füllen », sagt der Spezialist. Seit 2004 hat er sich mit der Frage des Grabens beschäftigt. Er analysierte, pröbelte, systematisierte. Im letzten Frühling war die Zeit reif für einen praktischen Feldtest. Er fand in Norwegen statt. Genswein führte ihn zusammen mit der Bergführerin Ragnhild Eide durch. Männer und Frauen im Alter zwischen 19 und 39 Jahren betätigten sich vier Tage lang als Retterinnen und Retter. Die einen wurden instruiert und schaufelten mit der Förderbandmetho-de, die anderen arbeiteten unkoordiniert. Die Resultate waren eindeutig. Unabhängig von Verschüttungstiefe und Hangneigung schnitt das Förderband besser ab. Und: Je tiefer das Opfer unter dem Schnee lag, desto grösser wurde der Unterschied zu anderen Grabmethoden. Die Methode des V-förmigen Schnee-förderbandes findet sich darum auch in der Neuauflage des SAC-Ratgebers « Bergsport Winter », der im Lauf dieses Jahres erscheinen wird.

Kupferstichkabinett, Kunstmuseum Basel; reproduziert von Heinz J. Zumbühl Viel Arbeit für wenig: Das un-koordinierte Schaufeln führt zu hoher Auswurfhöhe, Stufen und geringer Effizienz. Schnelle Erschöpfung und eine lange Ausgrabzeit sind garantiert.

Foto: Manuel Gensw ein

Schaufeln am Förderband

Und so funktioniert eine ganze Rettung mit dem Förderband: Die Suchenden orten mit dem LVS den Verschütteten beziehungsweise markieren den Punkt des Signalmaximums mit der Schaufel. Von hier aus sondieren sie in Abständen von 25 Zentimeter spiralförmig nach aussen. Stossen sie auf das Opfer, beginnt das Graben mit dem Schneeförderband. Die Spitze der V-förmigen Aus-hubfläche befindet sich dabei dort, wo die Sonde steckt. Hier stellt sich der erste Retter auf. Eine Schaufellänge hinter ihm der nächste, leicht seitlich versetzt. Die übrigen Personen sind rund zwei Schaufellängen voneinander entfernt ( vgl. Grafik « Aufstellung der Retter » ). Der vorderste Retter sticht nun laufend Schneeblöcke. Der nächste befördert dieses Material weiter und sticht ebenfalls Blöcke. Je weiter hinten ein Retter steht, desto weniger kommt er selber zum Hacken. Er ist vor allem mit dem Wegräumen des Schnees beschäftigt, der ihm von vorn zugeschaufelt wird. Der ( erwünschte ) Effekt dieses Vorgehens: Vorn an der V-Spitze gewinnt das Ret-tungsteam am schnellsten Tiefe.

Langes Schaufeln in derselben Haltung ermüdet. Ein weiterer Grundsatz der neuen Methode heisst deshalb Rotation: Ungefähr alle vier Minuten, spätestens aber dann, wenn sich Zeichen der Erschöpfung zeigen, wechseln die Retter die Position. Das Kommando gibt die Person an der Spitze, gewechselt wird im Uhrzeigersinn. Wie schnell und ausdauernd man graben kann, hängt auch von der Art des Schaufelns ab. Besonders kraftsparend und effizient ist es, wenn man stehend Paddelbewegungen macht. Viel weniger weit kommt, wer den Schnee mit der Schaufel anhebt und dann nach hinten wirft. Auch eine kniende oder sitzende Körperhaltung erwies sich als wenig effektiv. So wird gegraben, bis der Verschüttete sichtbar wird. Nun arbeiten zwei Retter direkt beim Verschütteten und versuchen möglichst schnell, seinen Kopf freizulegen. Um die Atemhöhle nicht zu gefährden, muss das mit aller Vorsicht geschehen, womit auch weniger Schnee zum Abtransportieren anfällt. Der dritte Retter beginnt deshalb die Schneewände an der Spitze auszubrechen – entsprechend der Lage des Verschütteten.

Ab zwei Rettern sinnvoll

Das V-förmige Schneeförderband funktioniert, wenn mindestens zwei Retter auf dem Platz sind. Die optimale Anzahl Personen hängt von der Neigung des Lawinenkegels und der Verschüttungstiefe ab. Ist die Ablagerung eher flach ( 0 bis 5 Grad ), so sollte das V etwa doppelt so lang sein wie die Verschüttungstiefe. Diese lässt sich an der Sonde ablesen. Ist die Ablagerung steil ( 20 bis 25 Grad ), reicht es, wenn das V gleich lang ist wie die Verschüttungstiefe. Die Breite des V auf seiner offenen Seite entspricht immer der Verschüttungstiefe. Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass ein Retter 80 Zentimeter des V bewältigen kann. Das bedeutet, dass es für die Rettung eines Opfers, das zwei Meter unter einer flachen Schneeablagerung begraben ist, fünf Retter braucht. Ausser dem Zeitgewinn gibt es noch einen zweiten Grund, der für das V-för-mige Schneeförderband spricht: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Retter auf dem Verschütteten herumtrampeln, wird minimiert. Nur wenn sein Kopf genau in der V-Spitze liegt, steht der vorderste Retter direkt über ihm und zerstört so möglicherweise die Atemhöhle. Die Tests in Norwegen zeigten, dass die unkoordiniert grabenden Retter sehr Weshalb eine Sonde wichtig ist Im Jahr 2002 führte der französische Bergführer und Lawinenspezialist Dominique Stumpert einen Feldversuch durch, dessen Resultate deutlich machen, weshalb eine Sonde zur Standardausrüstung von Tourengängern gehört: Eine Rettung mit Sonde dauert im Schnitt 15 Minuten, ohne 26 Minuten. Für den Versuch mussten die Testpersonen ein Opfer finden und ausgraben, das einen Meter tief verschüttet war.

Aufstellung der Retter. Mit der Schaufel bestimmen sie kurz die Abstände.

Arbeit in Sektoren am zentralen Schneeförderband: Der Schnee wird mit Paddelbewegungen weitertransportiert. Da die Belastung je nach Position verschieden ist, wechseln die Personen ihre Plätze nach dem Rotationsprinzip.

Gr afiken: Gensw ein /Eide viel häufiger auf den Opfern standen. Die Grundform des V sollte deshalb auch beachtet werden, wenn nur ein einziger Retter da ist. Er sollte jedoch mit einem gewissen Abstand zur Sonde mit Graben beginnen, um nicht mit einem zu kleinräumigen Aushub zu enden.

Gebrochene Schaufeln

Der Feldversuch in Norwegen brachte noch etwas ans Licht: Ein Grossteil der Schaufeln, die im Handel erhältlich sind, taugen nicht viel. Obwohl die Testteil-nehmer instruiert wurden, wie eine Schaufel richtig gebraucht wird, waren die meisten Schaufeln kaputt, bevor auch nur ein Meter Tiefe gewonnen war. Das gilt im besonderen Mass für Plastik-schaufeln. « Ihr Hauptzweck besteht darin, dass man auch eine dabei hat », sagt Manuel Genswein lakonisch. Aber auch ungehärtete Leichmetallschaufeln seien nach vier Tagen Schaufelarbeit so verformt, dass man sie nicht mehr brauchen könne. Bewährt haben sich nur gehär-tete Metallschaufeln. Gut sind zudem ausziehbare Schaufelstiele mit einem D-förmigen Handgriff. Fazit: Zum effizienten Graben gehört zweierlei – eine gute Schaufelmethode und eine gute Schaufel. a Andreas Minder, Zürich Die Retter beginnen mit einer koordinierten Schaufelaktion. Sie sind so aufgestellt, dass sie ein Förderband betreiben können, das einen zentralen Kanal ergibt.

Ist man zum Verschütteten vorgestossen, wird bei ihm sorgfältig weitergearbeitet, wohingegen die Seitenwände kraftvoll ausgebrochen werden können. Die Spitze des V wird an die tatsächliche Orientierung des Verschütteten angepasst. Koordiniertes Schaufeln: Die Retter haben sich entschieden, vorübergehend das Förderband auf einer Seite zu betreiben. Gut erkennbar ist der entstehende Kanal hin zum Verschütteten.

Fotos: Manuel Gensw ein

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