Scheienzahn
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Scheienzahn

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit I Bild ( 25Von L. Gensetter

( Davos ) Während einzelne Regenschauer die unerträgliche Hitze des Augustnachmittags unterbrechen, tippeln wir, das Tempo den Umständen angepasst, das will heissen, ziemlich langsam, die Abkürzung von Küblis nach Pany hinauf. Dass sich dabei das Mitschleppen des Fahrrades auf diesem steilen Hühnerweglein eher unangenehm auswirkt, kann man sich wohl ohne allzu grosse Phantasie vorstellen. Wer auf die unsinnige Idee kam, dadurch Zeit zu sparen, bleibe dahingestellt. Erleichtert fahren wir nachher auf der nur leicht steigenden Strasse von Pany nach St. Antönien hinein. Immer drohender türmen sich schwarze Wolken über der Scheienfluh, und wie zu erwarten, entlädt sich hinter St. Antönien ein prächtiges Gewitter mit anhaltenden, wolkenbruchartigen Regengüssen. Wir ändern daher wohl oder übel unseren Plan, die Garschina-Hütte zu erreichen, und trachten, dass wir so schnell wie möglich unsere durchnässten Kleider in der Pension Sulzfluh auf Partnun hinter den warmen Herd hängen können. Ununterbrochen trommelt während der ganzen Nacht der Regen aufs Dach, und der Gedanke an ein ruhiges Sonntagmorgen-schläfchen ist nicht einmal so unangenehm. Doch gegen Morgen lässt das Unwetter nach. Verdrossen schaut Erwin in den von grauen Nebeln verhängten Tag hinaus. Der Plan meiner beiden Kameraden Erwin Loop und Ruedi Edel, einmal die Drusenfluh näher kennenzulernen, muss bei diesem unsicheren Wetter fallen gelassen werden. Also was tun? Erwin hat kein Sitzleder, unruhig stolpert er ums Haus und schlägt endlich vor: « Mier gönd a mal ga luega, wie dr Scheiezahn usgseht. » Da die beiden das Seil in den Rucksack packen, stelle ich mir vor, dass es ziemlich sicher nicht nur beim Anschauen des Zahnes bleiben wird; ich schlucke aber eine diesbezügliche Bemerkung wohlweislich hinunter.

Am Fusse der Scheienfluh ragt etwa 60 Meter hoch schmal und verlockend der Turm aus einem mit gigantischen Felstrümmern bespickten Abhang. Abschätzende Blicke streifen die Kanten und suchen nach der bestmöglichen Einstiegstelle. Erwin mit seinem sicheren Spürsinn hat sie bald entdeckt, und wortlos, wie ich vorausgesehen, seilen sich meine zwei Kameraden an. Nach kurzer Zeit hängen sie im Fels. Ich suche mir ein trockenes Plätzchen, von wo ich das Schauspiel bequem aus der Froschperspektive verfolgen kann, denn als Anfänger in der « hohen Kunst des Seiles » verzichte ich gerne auf solch luftige Fahrt. Wie eine phantastische Kulisse hebt sich der helle Fels vom grauen Himmel ab. Zwei Menschen turnen langsam daran höher und höher. Ich beobachte Zug um Zug, jeden Tritt, jede Bewegung. Wie leicht scheint das alles zu gehen. Doch verrät ein unmissverständliches Brummen Ruedis, dass sich da und dort Schwierigkeiten zeigen. Ein heller, singender Ton widerhallt zwischen den Wänden der Scheienfluh. Ein Haken wird in den Fels getrieben. Stetig geht 's weiter der Rinne entlang hinauf. Das letzte Stück, die Platte unterhalb des Gipfels, scheint ziemlich glatt und grifflos zu sein. Doch ein schon vorhandener Haken erleichtert den Aufstieg. Frohes Jauchzen kündet die Ankunft meiner Kameraden auf dem Gipfel an.

In dieser Zeit hat sich ganz unbemerkt die Sonne durch den Nebel gedrängt, und kleine nette Schäfchenwolken hängen in einem durchsichtig blauen Himmel, eigens geschaffen für des Photographen Herz. Wie durch ein Wunder kommt plötzlich Bewegung in meine steifgesessenen Glieder, und voller Begeisterung stolpere ich rund um den Zahn und lasse den Verschluss meiner Kamera « heisslaufen ». Unterdessen seilen Ruedi und Erwin die ganze Länge des Zahnes ab, wobei sich einige kleine Intermezzi mit Randbemerkungen ereignen, da sich das 30-m-Seil als fast zu kurz erweist für dieses Unternehmen. Doch Ende gut, alles gut. Abwechselnd pendeln die beiden dem Boden zu, und bald sehe ich in zwei glückstrahlende Gesichter. Ein fester Händedruck, ich freue mich mit am Gelingen des Tages. Nur die Aussicht auf eine etwas mühselige Heimfahrt auf der staubigen Landstrasse gegen Davos dämpfte etwas unsere Lebensfreude, aber mit viel Optimismus und einigen Witzen brachten wir diesen unangenehmen Teil der Tour hinter uns, und wieder Stunden voll glücklicher, froher Erinnerungen nahmen wir mit uns in den Alltag.

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