Seit 85 Jahren im SAC
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Seit 85 Jahren im SAC

Niemand ist länger SAC-Mitglied als die 103-jährige ­Hedwig «Hedi» Wandfluh aus Frutigen. Ihr alpinistischer Leistungsausweis ist beeindruckend.

An der 144. Hauptversammlung der SAC-Sektion Blümlisalp wurde Hedi Wandfluh für ihre unübertroffene Vereins­treue geehrt: Seit 1933 ist sie dabei, 85 Jahre, länger als jedes andere lebende Mitglied. Die geistig wache ­Seniorin, die im April ihren 103. Geburtstag gefeiert hat, nahm an der Ver­sammlung teil und berichtete von ihren Bergerlebnissen. Davon gibt es einige: Sie hat alle Berner Viertausender und im Wallis das Bietsch-, das Weiss- und das Matterhorn bestiegen.

Dass sie solche alpinistische Glanz­leistungen erbringen würde, war nicht vorgezeichnet, denn ihr Leben begann mit einem Sturz. Ihre Mutter fiel am 13. April 1915 eine Treppe hinunter. Die Folge war eine Frühgeburt. Hedi kam mit nur 1,8 Kilogramm Gewicht zur Welt. Aus dem winzigen Baby wurde eine zierliche, aber zähe junge Frau, die es in die Berge zog. Sie liess sich nicht davon aufhalten, dass der SAC die Frauen acht Jahre vor ihrer Geburt aus seinen Reihen verbannt hatte. «Zum Glück hatte ich für die damalige Zeit fortschrittlich eingestellte Eltern, die ihrer einzigen Tochter das Bergsteigen erlaubten», steht in einem Bericht, den Hedi Wandfluh geschrieben hat, als sie auf 80 Jahre SAC-Mitgliedschaft zurückblicken konnte. Ihr Vater reiste sogar extra nach Genf, um ihr eine modische Knickerbocker-Hose zu kaufen. Die regionalen Fachgeschäfte boten so etwas nicht an.

Mit dem erfahrenen Bergsteiger und Kletterer Fritz Seiler und anderen trainierte sie nach Feierabend an der Spillgerte oder – nach einer Anreise mit dem Velo – an den Engelhörnern. An den Wochenenden standen Touren auf Dreitausender im Berner Oberland auf dem Programm.

6000 Höhenmeter

18-jährig bestieg Hedi Wandfluh ihren ersten Viertausender im September 1933. Es war ein fulminanter Einstieg: In drei Stunden und zehn Minuten erreichte sie mit Fritz Seiler und Edi Thomann den Gipfel des Matterhorns. Nach dem Abstieg nach Zermatt marschierten sie gleichentags zur Weisshornhütte, mit schwerem Rucksack und nägel­beschlagenen Skischuhen. Nach einem Tag Pause gingen sie über den Gletscher Richtung Weisshorn. «Beim Grossen Gendarm fuhr uns ein Schreck durch alle Glieder, vor uns baumelte ein zerfetztes Seilende. Erschüttert gedachten wir der verunglückten Bergkameraden.» Zwei Wochen zuvor war dort der Bergführer Franz Lochmatter mit einem Touristen in die Tiefe gestürzt.

Hedi Wandfluh wollte erst umkehren, liess sich jedoch umstimmen. Das letzte Hindernis, die Gipfelspalte, übersprangen sie. «Eine gütige Hand über uns hatte gesorgt, dass es klappte. Bald darauf sas­sen wir glückselig auf dem Gipfel.» In drei Tagen waren sie rund 6000 Höhenmeter auf- und abgestiegen.

Unfall auf dem Aletschgletscher

Etwas weniger Glück hatten Hedi Wandfluh und ihre Begleiter ein Jahr später. Auf dem Aletschgletscher brach unter Edi Thomann eine Schneebrücke. Es dauerte Stunden und kostete die letzten Kräfte, bis der Verletzte aus der Spalte geborgen war. Aber auch solche Erlebnisse taten Hedi Wandfluhs Liebe für das Bergsteigen keinen Abbruch. Ein gutes Jahr später, im Juli 1935, machte sie mit einer Freundin die Überschreitung von der Wyssi Frau zum Blüem­lis­alp­horn, höchstwahrscheinlich als erste Frauen­seilschaft.

Solche Leistungen von Frauen wurden damals nicht von allen begrüsst. In ­einem Interview erinnert sich Hedi Wand­fluh an Spannungen: «Man sah die Frauen nicht gerne in den Hütten.» Sie erzählte das Beispiel von einer Tour aufs Ferdenrothorn. Die Frauengruppe der Sektion Thun des Schweizerischen Frauen-Alpenclubs und ihr Bergführer Adolf Ogi, der Vater des alt Bundesrats, wurden von den Wallisern mit Spott eingedeckt.

Der Höhepunkt auf dem Balmhorn

Beruflich war Hedi Wandfluh als Handarbeitslehrerin tätig. Als ihr Mann, der Lehrer Hans Wandfluh aus Kandergrund, in den Aktivdienst eingezogen wurde, unterrichtete sie auch noch ­seine 55 Schüler. Nach dem Weltkrieg brachte sie einen Sohn und eine Tochter zur Welt.

Mit dem Alter hat Hedi Wandfluhs Augen­licht nachgelassen, seit gut zehn Jahren nimmt sie nur noch Schemen war. Deshalb ist sie 2009 ins Altersheim Frutigen gezogen. Von ihrem Zimmer geht der Blick auf das Balmhorn. Auch wenn sie den Berg nicht sieht, erinnert er sie doch an jenes Bergerlebnis, das sie in ihrem Bericht von 2013 als «Höhepunkt» bezeichnete: Am 1. August 1943 kletterte sie mit Hans Wandfluh über den Gitzifurggugrat auf den Gipfel, wo sie sich mit ihm verlobte.

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