Skispitzen unter Afrikas Sonne
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Skispitzen unter Afrikas Sonne

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

George Eisler, Affoltern am Albis

Auf dem Weg ins Atlasgebirge Wir haben jetzt Marrakesch, die Stadt des ( organisierten Chaos ), hinter uns gelassen und sind wieder unterwegs - diesmal mit dem Bus. Des öftern überholen wir sie, die in Kapuzen -

Marokko In Marokko skifahren? Wohl auf den Sanddünen! Solche oder ähnliche Bemerkungen fielen, wenn man von unseren ( exzentrischen ) Besteigungsplänen in Marokko erfuhr.

Nur durch die Meerenge von Gibraltar getrennt, weist dieses bereits afrikanische Land eine grosse kulturelle und geographisch-topo-graphische Vielfalt auf. Im Westen vom Atlantik, im Norden durch das Mittelmeer begrenzt, von einer mächtigen Gebirgskette durchzogen und der grössten Wüste der Erde geprägt, übte es auf unsere Vierergruppe eine starke Anziehungskraft aus. Wir hatten uns deshalb zum Ziel gesetzt, wenigstens einen Teil des sich über 2400 Kilometer erstreckenden Atlasgebirges per Ski kennenzulernen. Um so mehr, als dieser Gebirgszug, trotz seiner für unsere Massstäbe mächtigen Ausdehnung, sicher nicht im Mittelpunkt des allgemeinen skialpinistischen Interesses steht. Immerhin fällt hier zur Winterszeit aber doch Schnee bis auf 1500 Meter, und betrachtet man die Gipfelhöhen von über 4000 Meter, so dürfte sich ein Besuch mit Ski wohl lohnen.

In Marokko angelangt, rollen wir zuerst mit der Eisenbahn über den holprigen Schienenstrang von Casablanca nach Marrakesch. Dabei erinnern wir uns der wechselvollen Landesgeschichte, ein Werdegang, der durch verschiedenste Herrscherdynastien und den ständig wiederkehrenden Einfluss des Berbervol-kes vielfältig geprägt ist. Marrakesch selbst -die ( Rote Stadtwurde im Jahr 1062 gegründet. Sie ist von einer 12 Kilometer langen Stadtmauer umgeben und liegt inmitten von Palmen- und Olivenbäumen - aber auch von riesigen Müllhaufen. Im Hintergrund bildet die schneebedeckte Bergkulisse den Kontrast dazu.

Solche Bilder lassen die Busfahrt auf der fast schnurgeraden Strasse zu dem in der Ferne glitzernden Atlasgebirge zum Erlebnis werden. Unvermittelt geht dann die Ebene in eine wildzerrissene Hügellandschaft mit jungen Aufforstungen über. Verschiedenst gefärbte Ge-steins- und Bodenschichten, die auf ein reiches Mineralvorkommen hinweisen, säumen die Asphaltstrasse. Auf ihr erreichen wir schliesslich das Dorf Asni, von dem aus wir einen beneidenswert schönen Blick auf den Hohen Atlas geniessen. Blühende Dattelpal-menhaine kontrastieren hier mit schneebedeckten Viertausendern!

Eng windet sich die grob geschotterte Fahrbahn den jäh aufstrebenden Felswänden entlang. Nur dank dieser bescheidenen Verbin-dungsachse kann heute die Preisgabe des ohnehin kargen Kulturlandes, das für die Existenz der Gebirgsbewohner von höchster Bedeutung ist, verhindert werden. Nach der letzten Kehre, hoch über dem von der Schneeschmelze angeschwollenen Fluss, erblicken wir das auf 1740 Meter erbaute Berberdorf Imelil.

Die Gegend hat sich grundlegend geändert. Mächtig und steil, gleich einer überdimensional versteinerten Flutwelle, erhebt sich vor uns eine wildgegliederte, von mächtigen Schneefeldern durchzogene Felsmasse. Rund zweieinhalbtausend Meter thronen hier die höchsten Gipfel als wahrlich beeindruckende Bastionen über den Niederungen Imelils.

Die stickigschwüle Luft der Stadt liegt nun hinter uns und ist einem schneegekühlten Luftzug gewichen; eine Wohltat für unsere gestressten Lungen. Allenthalben bewässern quirlige Schmelzwasserläufe die frischgrünen Terrassenfelder und stürzen hell aufspritzend über handgeschichtete Steinmauern auf die nächste Felderstufe. Die Natur sprüht vor Leben, das der frisch erwachte Frühling mit sich gebracht hat. Die Bevölkerung, auf die wir hier treffen, entstammt einem anderen Menschenschlag: Leute mit herben, ehrlichen, von der Arbeit gezeichneten Gesichtern, die zugleich Fröhlichkeit und Stolz ausdrücken.

Sind die Berber Sprachfamilie oder Volk? Darüber streiten sich die Gelehrten genauso wie die Berber selbst. Die Stämme und Sip-penverbände der Rifkabylen, Chleuh und Berber machen eine Bestimmung nicht leicht. Sich Berber zu nennen, ist bereits ein Unter-scheidungsmerkmal an sich, das sein Träger durch Krieg, Raub, Mord, Blutrache und Vergeltung seit Generationen erworben hat. Über die Herkunft der Berber und ihren heutigen Siedlungsraum gibt es eine Überlieferung aus der Sagenwelt:

( Einst, als Berge und Täler entstanden und das Land noch nicht bewohnt war, kam eine Nomadenfrau namens Tudga mit ihrer Familie und grossen Herden aus der Wüste, um in die Berge zu ziehen. Doch deren unüberwindliche Mauer bot keinen Durchlass, und so lagerten sie verzweifelt auf einem Hochplateau. Des Nachts träumte Tudga, sie würde mit all ihren Tieren in die Tiefe stürzen. Wie sie im Schreck erwachte, bemerkte sie, dass das Gebirge sich gespalten hatte und sie am Grunde einer Schlucht lagerten, wo ein Fluss entsprang. So konnten sie und ihre Nachfahren das Gebirge besiedeln. ) Erst bei genauerer Betrachtung realisiert man, dass sich Imelil aus mehreren verstreuten Weilern zusammensetzt, die ein Gemeinwesen mit etwa 500 Einwohnern bilden. Neugierig, ihre Lebensweise etwas näher kennenzulernen, durchstreifen wir auf schmalen, gewundenen Weglein die Siedlung, kommen an urwüchsigen Nussbaumbeständen vorbei und werfen auch einen Blick in die spartanischen Behausungen. Als Krönung präsentiert sich uns in scheidendem Tageslicht die prächtige Gipfelpartie des Jbel Toubkal. Nach einem Teebesuch bei einem unserer morgigen Träger und dem aus einem einfachen, aber schmackhaften, traditionellen Kouskous bestehenden Nachtessen erreichen wir erst zu später Stunde unsere Unterkunft, wo wir uns -nach einem langen Tag - endlich auf die harten Pritschen legen.

Schon früh am Morgen finden sich die Treiber mit ihren Maultieren ein. Unter Gestikulieren und lautem Feilschen werden die Gepäckstücke aufgeladen. Dazu braucht man unsere Hilfe nicht, so dass wir hier bloss eine Statistenrolle spielen können. Bis der ganze Tross abmarschbereit ist, schreitet die Zeit voran.

Schon ist es zehn Uhr, und die Sonne steht dem Zenit beachtlich näher. Zum Glück spenden einige Schneereste am Wegrand das notwendige Nass zu willkommender Kühlung. Ohne diesen geschätzten Luxus wäre der Aufstieg wohl zur Durststrecke ausgeartet, und dies trotz der wechselvollen Landschaftsszenerie. Deren Vielfalt lässt kaum das Gefühl von Einsamkeit oder Hoffnungslosigkeit aufkommen und öffnet zugleich dem allein dahin-schreitenden Wanderer das Herz für die wilde Schönheit des Atlasgebirges.

Nach einem längeren Zwischenhalt in Sidi Chamharouch, wo noch ein Marabut, ein Heiliger der Berber, in fast gänzlicher Abgeschiedenheit am Rande des Hochgebirges meditiert und Krankenheilungen verspricht, ändert sich der Wegcharakter: Wir betreten das Reich der Viertausender. Allmählich werden auch die von den winterlichen Lawinenniedergängen stammenden Altschneeflecken grösser und zahlreicher. Zunehmend müssen wir darüber hinweg, so dass die Ski für den weiteren Aufstieg schliesslich sehr willkommen sind. Die Träger hingegen waten zum Teil barfuss die letzten Meter durch den Schnee und deponieren die Lasten bei der Cabane Neltner auf 3207 Metern. Nur wir vom besessenen Alpinisten werden in den nächsten Tagen hier oben leben.

Nirwana 4000 Die Träger sind noch gestern ins Tal zurückgekehrt, worauf wir uns schlecht und recht die Nacht um die Ohren geschlagen haben. Beim Aufbruch ist die Aussentemperatur mindestens cein oder zwei Pullover ) tiefer als bei unserer abendlichen Ankunft und auch der Geist arbeitet noch auf Sparflamme. Nichtsdestotrotz erfordern am sofort ansetzenden, steilen Hang schon die ersten Schritte auf den mit Harscheisen bewehrten Ski unseren vollen Einsatz. Zudem kommt ein starker Wind auf, der den hochalpinen Charakter der Tour unterstreicht. Das Wetter hat sich jedoch eindeutig zum besten gewandelt nach dem Motto: Wenn Engel reisen...!

Mit jedem atemraubenden Schritt weitet sich der Horizont vor unseren Augen, auch der Tiefblick wird beeindruckender, und nach zwei Stunden stehen wir im Tizi n'Ouagane, wo wir freie Sicht Richtung Süden haben. Wegen des lästigen Windes bleibt die Rast allerdings nur in bescheidenstem Rahmen. Während der Aufstieg bis jetzt durch den Talverlauf bestimmt war und somit auch keine Probleme bezüglich der Wahl des Weges bot, gibt die nun folgende Strecke schon eher zu Spekulationen Anlass. Aber auch dieses Problem wird nach kurzer Beratung durch Errichtung eines Skidepots am Pass und das Überklettern des Blockgrates gelöst. Insgesamt handelt es sich um eine leichte, unterhaltsame Wegstrecke, die auf das Firnplateau führt, das von den beiden Gipfeln Ouanoukrim und Timesguida überragt wird. Der Ouanoukrim ist eine sanft gewölbte Kuppe von 4089 Metern, von der aus sich eine weite Aussicht nach Süden auf die hitzeflimmernde, rötliche Sahara bietet. Im Norden steht der 4083 Meter hohe, steilge-formte Timesguida, der den Blick in die Vege-tationsebenen von Marrakesch gewährt. Will man beide Panoramaausschnitte geniessen, bleibt keine andere Wahl als ein zweifacher Aufstieg. Mit zwei Viertausendern auf dem Konto nehmen wir vom Skidepot weg die Abfahrt in Angriff. Da der kalte Wind und die von ihm aufgehäuften, mächtigen Schneeverwehungen eine Sulzschneebildung verhindert haben, müssen wir entsprechend defensiv fahren. Einige hundert Meter oberhalb der Hütte, in etwas besserer Lage, huldigen wir - unter dem Schutzfaktor verschiedenster Cremen -dem Sonnenschein. Aber auch weitere Gründe diktieren diesen Halt: Zum einen gelangt die Hütte schnell in den Schatten der umliegenden Viertausender. Zum zweiten sind die stinkenden, die Hütte wie einen Kranz umgebenden Fäkalien nicht eben dazu angetan, den Aufenthalt dort übermässig auszudehnen.

Aufstieg in der Felsschlucht zum Akioud n'bu Imrhas ( 4030 m ) Blick vom Verbindungsgrat des Timesguida ( 4083 m ) gegen Südwesten Obschon ein brauchbares WC existiert, scheinen die primär dem europäischen Kulturkreis angehörenden sportlichen ( Gladiatoren der Berge> aber nicht fähig - bzw. zu faul -, das Spülwasser mit den bereitstehenden Eimern aus dem nahen Bach herbeizuschaffen!

Die Überraschung ist perfekt, als der junge Tag wiederum mit azurblauem Himmel aufwartet. Die heutige Tour auf den Jbel Toubkal ist somit ohne Gegenstimme beschlossen. Östlich der Hütte steigen wir- mit Steigeisen bewehrt - zunächst direkt in der Fallirne empor, dann dringen wir in ein Tälchen ein, das uns zu einem Felskessel leitet. Nochmals folgt eine Steilstufe mit einer vereisten Schneeschicht, und schon stehen wir auf 4000 Metern. Wo ist bloss der Wind geblieben? Die Rast wird damit zu einer angenehmen Erholungspause vor dem Gipfelsturm, der uns anschliessend über den Südwestgrat auf 4165 m und damit zum höchsten Punkt Marokkos bringt. Auch hier oben weht kein Lüftchen, dafür brennt die Sonne um so erbarmungsloser. Hemdsärmlig lassen wir die Rundsicht auf uns einwirken: Vor uns erstreckt sich der lange, schlanke Gebirgskamm des Hohen Atlas, an den sich - im nördlichen Hintergrund - die tieferen Regionen des grünen, landwirtschaftlich genutzten Marokko anschliessen, während sich gegen Süden hin Afrika mit der grössten Wüste der Welt, der 9 Millionen Quadratkilometer grossen Sahara, sozusagen in die Unendlichkeit verliert.

Nach einer weiteren Hüttennacht benützen wir anfänglich unsere vorgestrige Aufstiegsspur zum Timesguida, welche wir dann aber über eine schmale Felsschlucht verlassen, die uns gegen rechts zu einer Verflachung emporleitet. Jetzt wird auch unser heutiges Gipfelziel, der Akioud n'bu Imrhas ( 4030 m ), zum erstenmal sichtbar.

Nach der in der eben erstiegenen Felsschlucht herrschenden Kälte werden wir hier oben durch eine geradezu schlagartig einsetzende, unbarmherzige Hitze überrascht. Wir befinden uns in einem nach Osten geöffneten Schneekessel, der von einem halbkreisförmigen Bergkamm eingerahmt wird. Auch wenn wir nicht im Brennpunkt dieser parabolförmi-gen Topographie stehen, konzentriert sich hier die Sonneneinstrahlung. Zudem verstärkt die Windstille den Eindruck, als ob unser Blut sich dem Siedepunkt nähere. Im Augenblick jedoch, als wir die schneearme Ostschulter erreichen, treten wir aus dem Windschatten, so dass die erhoffte gemütliche Gipfelstunde erneut dahinfällt. Nach einem raschen Rundblick eilen wir deshalb über den kurzen Felsgrat zu unserem Skidepot zurück.

Der lästige Wind hat aber auch sein Gutes, denn dadurch haben wir etwas Zeit gewonnen, die uns jetzt für eine prächtige Sulzschneeabfahrt zur Verfügung steht.

Auch der vierte Tag verspricht dieselben guten Verhältnisse wie bisher. Gleich gegenüber der Hütte queren wir den steilen Hang, in dessen hart verfirnte Schneeschicht sich nur mühsam feine Kerben treten lassen, in denen dann auch bloss der Sohlenrand Halt findet. Nachdem jedoch das weiterführende Couloir bald erreicht ist und die Schneedecke ebenfalls weicher wird, können wir die Ski anschnallen. In Dutzenden von Spitzkehren aufsteigend erreichen wir schliesslich das Ende der Rinne, die den Biiguinnoussene ( 4002 m ) vom Afella ( 4043 m ) trennt. Von hier aus kommen die Steigeisen zum Einsatz. Auf den Frontzacken geht es nun über eine exponierte Schulter in der Afella-Westwand und ein steiles Eiscouloir zum Gipfelsteinmann des Afella empor. Da der Wind auch heute die Szene beherrscht, verlassen wir nur zu gerne diese luftige Warte. Schnell sind die Steigeisen verpackt und alles startklar zur Abfahrt. Das Terrain ist atemberaubend steil. Die Schwünge werden eng; allzuschnell ist die Hütte erreicht. Hier allerdings ist es mit der Ruhe der vergangenen Aufenthaltstage vorbei. Lauter Diskus-sionslärm empfängt uns, gefolgt von einem freudigen Wiedersehen mit unseren Trägern, die uns beim bevorstehenden Abstieg eine grosse Hilfe sein werden. Dass mehr Träger als abgemacht uns ihre Dienste anbieten wollen, war zu erwarten. Aber nach zweistündigem, geduldigem Verhandeln ist dieses Problem gelöst und der Alpabzug beginnt; für uns vorerst mit Ski, später zu Fuss. Etwas müde, mit verstaubten Schuhen und durstigen Kehlen werden wir am Ziel von der grossen Berberfamilie Imelils empfangen. Strahlende Gesichter hüben und drüben. Sie - die Träger und ihre Angehörige - mit gespannter Freude auf die bevorstehende Lohnzahlung, wir - als glückliche Menschen - erfüllt vom stets neuen Zauber des Hochgebirges.

Das einsame Hochtal Genährt mit einer köstlichen Tajine vom Vorabend und frisch ausgeruht, traversieren wir rund 500 Meter über den rauschenden Fluten des Assif n'lmenane die steilen Bergflanken zum höchstgelegenen und ganzjährig bewohnten Berberdorf des Hohen Atlas - Tacheddirt. Welches sind unsere Gründe, diese Talschaft aufzusuchen? Alpinistisch reizen keine grossen Touren; Komfort bietet sich nirgends; Unterkünfte gibt es praktisch keine! Hingegen beeindruckt uns die Tatsache, dass keine Strasse das Tal zerschneidet. Das Ganze fügt sich zu einer vollendeten Harmonie - eine Verbindung zwischen karger Gebirgswelt und darin naturnah eingebettetem Lebensraum.

Konsequent sind die Dörfchen oberhalb jeglicher Vegetationsstufe angelegt und auf lawinensicheren Hangrücken geschickt in die Topographie eingefügt. Auch die Verbindungswege für den Warenaustausch auf Maultierrücken sind kaum breiter als ein gewöhnlicher Bergpfad zu einer Schweizer Alphütte und tangieren die genutzten Zonen höchstens sporadisch.

Über eine Stunde sitzen wir, umringt von einer Kinderschar, auf einer prächtigen hochgelegenen Wiese. Erst nach einiger Zeit gelingt es uns, da und dort ein scheues Lächeln hervorzuzaubern. Und das Eis bricht vollends, als ein in zerrissene Lumpen gekleideter Junge uns ehrfurchtsvoll zu verstehen gibt, dass er unter Fussschmerzen leide. Für seine infek-tiösen Hautrisse besteht längerfristig keine Heilungsmöglichkeit, denn barfuss in die Wechselbäder von eiskaltem Schneewasser und glutheissen Geröllfeldern getaucht zu werden, erträgt keine Menschenhaut auf die Dauer. Immerhin lassen etwas Vitamerfen und Wundpflaster dunkle Kinderaugen dankbar aufleuchten.

So erreichen wir das am Steilhang auf 2200 Meter gebaute Dorf Tacheddirt. Im Verlauf des Dorfrundganges mit dem perfekt Französisch sprechenden Dorfvorsteher werden wir höflichst zum Nachtessen eingeladen. Trotz unserer zuerst etwas gemischten Freude am ranzigen Buttergeschmack des Kouskous wird anschliessend bei exzellentem Minzentee ausgiebig diskutiert. Es gäbe noch viel Gesprächsstoff, aber die Nacht und der sternen-übersäte Himmel zwingen das Dorf zur Ruhe und uns in die Unterkunft.

Der Schlaf ist tief und kurz, wollen wir doch noch die rund 1700 Höhenmeter Aufstieg zum Gipfel des Jbel Iguenouane ( 3877 m ) bewältigen. Beim Erwachen ist das Wetter zum ersten Mal unsicher. Der monotone Anstieg erweist sich als lang und anstrengend, wird jedoch von einer Aussicht gekrönt, die unsere Mühen aufs beste belohnt. Auch die zwei Berberjungen, die uns hier hinauf begleitet haben, zeigen sich von der Weite begeistert. Sie haben ebenfalls ihren Hausberg erstmals erstiegen. Zum Zeichen unserer Freundschaft und unserer Anerkennung als vollwertige Bergsteiger überlassen wir ihnen unsere Skistöcke.

Unter dem aufklarenden Nachmittagshimmel verlassen wir Tacheddirt. Wieder geht es auf schmalen Pfaden zum Tizi n'Tamatert, wo uns der verpflasterte Hirtenknabe nochmals aufwartet und seine schmerzfreien Füsse strahlend präsentiert.

Während wir, das Gebirge hinter uns lassend, weiter wandern, sehen wir noch lange seine braungekleidete, einsam winkende Gestalt. Aufrecht steht er da, vor der Kulisse majestätisch weisser Berge, die sich gegen den dunkelblauen Abendhimmel abzeichnen.

Fazit Unsere Gefühlswelt ist durchdrungen von Jubelgesang und Wehmut. Jubelgesang -weil wir Marokko bereisten, wie es der durchschnittliche Besucher nicht kennt und auch nicht kennenlernen wird, da er den ausgetretenen und dem Fremdenverkehr reservierten sterilen Pfaden folgt.

Wehmut-weil die Frage im Raum bleibt, wann dieser Erdenfleck endgültig ( erschlossen ) sein wird, womit dieses eigenständige Volk denn auch in den Strudel des Tourismus gerät, wie er im übrigen Marokko schon vorherrscht. Reichen doch heutzutage die Skiliftanlagen von Oukaimeden bereits in die Grenzbereiche des von uns besuchten Gebietes.

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