«So gut klettern wie noch nie in meinem Leben»
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«So gut klettern wie noch nie in meinem Leben» Petra Klingler bei den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August 2021)

Anfang August feiert das Sportklettern seine olympische Premiere. Petra Klingler ist die einzige Schweizerin unter den 20 Athletinnen im Kombinationswettkampf der Disziplinen Speed, Bouldern und Lead. Die 29-jährige Zürcherin über den langen Weg nach Tokio, das Combined-Format sowie ihre Ziele für Olympia und danach.

Erinnern Sie sich an den 18. August 2019?

Natürlich. Das war ein wegweisender Tag in meinem Leben.

Wie war Ihre Gefühlslage, als Ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen mit dem Einzug ins Combined-Finale der Weltmeisterschaft feststand?

Ich spürte eine Riesenerleichterung. Erst da wurde mir klar, welcher Druck auf mir gelastet hatte. Natürlich war ich sehr, sehr glücklich, danach stellte sich aber eine grosse Müdigkeit ein.

Und wie ging es Ihnen im März 2020, als die Spiele wegen der Coronakrise abgesagt wurden?

Die Absage hatte mir schon ein wenig den Boden unter den Füssen weggezogen, obwohl ich damit gerechnet hatte. Dann habe ich versucht, es mit Humor zu nehmen und die positiven Seiten zu sehen: dass es ein geschenktes Jahr ist, um mich noch besser vorzubereiten.

Was ist Ihr Ziel für Tokio?

Dass ich optimal vorbereitet anreise, mit dem Druck umgehen kann und jede Minute dieses unglaublichen Events geniesse, egal, in welcher Form er stattfindet. Dass ich meine optimale Leistung abrufen kann und Spass habe beim Klettern. Ob es für eine Medaille reicht, kann ich nicht einschätzen. Ich kann nur mein Bestes geben und mich so gut wie möglich vorbereiten, um dort am Tag X so gut zu klettern wie noch nie in meinem Leben.

Ist Ihre Vielseitigkeit ein Vorteil fürs Combined-Format?

Ich denke schon. Durch das Eisklettern habe ich noch mehr Wettkampferfahrung gesammelt und gelernt, mit ungewohnten Situationen besser umzugehen. Ich habe dort auch hinsichtlich des Sportkletterns viel profitiert und kann Ausdauer und Kraft anders trainieren. Diese Abwechslung macht viel Freude.

Ein reiner Boulderwettbewerb in Tokio wäre Ihnen aber lieber …

Schwer zu sagen. Mir macht das Format Spass, es ist vielseitig zu trainieren. Ich denke, das Combined-Format hat den Klettersport extrem weiterentwickelt. Es lässt die Kletterer zu kompletteren Athleten werden, was sie definitiv auch in ihren Lieblingsdisziplinen voranbringt. Meine Hoffnung ist, dass es bei Olympia irgendwann Einzelmedaillen in allen Disziplinen plus einen Combined-Wettbewerb gibt.

Wie hat das Combined-Format Ihr Training verändert?

Nicht stark, weil ich schon immer Bouldern, Lead und Speed gemacht habe. Nun trainiere ich öfter Speed und mache mehr Beintraining, was für Speed und Bouldern hilft – auch zur Verletzungsprävention, weil man beim Bouldern immer abspringt. Mobilitätstraining ist noch dazugekommen. Mehr Klettertraining geht nicht, weil da die Haut der limitierende Faktor ist. Das Training hat sich nicht so sehr wegen des Formats verändert, sondern mehr wegen der Professionalisierung: Olympia hat mir die Chance gegeben, als Profiathletin zu trainieren.

Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken: Würden Sie aus heutiger Sicht Dinge anders machen?

Wenn man zurückschaut, sieht man immer Sachen, die man hätte anders machen können. Gleichzeitig bin ich extrem zufrieden mit meiner Karriere. Ich bin ein glücklicher Mensch! Vielleicht wäre das anders, wenn ich in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen hätte. Deshalb stellt sich die Frage für mich nicht.

Welches waren Ihre herausragenden Momente?

Der Weltmeistertitel 2016 in Paris war das Märchen, das wahr geworden ist. Ansonsten sind es eher kleine Geschichten, etwa ein Teamtrainingslager in Innsbruck, wo wir sehr viel zusammen gelacht haben. Auch bin ich extrem dankbar für die grosse Unterstützung, die ich in der Coronazeit erhalten habe, oder für das Privileg, in dieser Zeit im Fitnessstudio zu trainieren, was für andere nicht möglich gewesen ist. Magische Momente gibt es immer wieder, man muss sie nur sehen!

Nebenher arbeiten Sie in einer 50-Prozent-Stelle und halten Vorträge. Gilt das auch derzeit?

Ich habe eine «Sportlerstelle» bei Swiss, da bin ich extrem flexibel. Ich kann jetzt weniger arbeiten und nach Olympia wieder mehr. Da ich im Eventmarketing arbeite, sind wir derzeit ohnehin in Kurzarbeit. Und statt Vorträge sind es gerade eher Onlineworkshops. Klar braucht es Zeit, diese vorzubereiten, aber ich mache das sehr gern. Wenn ich abends vom Training heimkomme, ist das ein Ausgleich für mich, auf gewisse Weise sogar Entspannung.

Bleibt da noch Zeit für Freunde?

Ich bin gut organisiert und diszipliniert und habe kein Problem damit, früh aufzustehen. Ich mache mein Training am frühen Morgen und am Nachmittag noch eine zweite Session. Abends habe ich dann Zeit, etwas mit Freunden zu machen, und Wochenenden gibts ja auch noch. Zudem habe ich das Glück, dass ein grosser Teil meines sozialen Umfeldes im Klettern involviert ist.

Klettern Sie auch draussen?

Derzeit weniger – weil ich danach immer das Gefühl habe, nicht trainiert zu haben. Das ist für mich eine mentale Herausforderung, da ich viel Selbstvertrauen aus dem Training ziehe. Deshalb klettere ich während der Wettkampfsaison und der Vorbereitung sehr selten draussen, dafür in der Off-Season umso mehr. In der Wettkampfzeit bin ich aber viel am Biken, denn in der Natur zu sein, ist für mich sehr wichtig zum Abschalten.

Wie gehen Sie mit der Unsicherheit um, ob die Olympischen Spiele 2021 wirklich stattfinden oder doch noch abgesagt werden?

Solange Olympia nicht abgesagt ist, findet es für mich statt. Würde ich daran zweifeln, könnte ich die Motivation nicht aufbringen, so hart dafür zu trainieren. Die Zuversicht, dass die Spiele im Sommer stattfinden, muss und will ich haben. Gleichzeitig würde es gar nichts ändern, wenn Olympia nicht wäre: Ich klettere gern, ich trainiere gern, ich würde mich nur auf andere Ziele vorbereiten.

Ist diese Teilnahme die Krönung Ihrer Karriere?

Ich denke, jeder Sportler träumt davon, einmal bei Olympia dabei zu sein. Aber es ist nicht so, dass ich von meinen ersten Wettkämpfen an in Richtung Olympia geschielt hätte – wie das Kinder in anderen Sportarten vielleicht tun. Bis 2016 wusste ja niemand, dass Klettern olympisch sein wird.

Denken Sie schon an die Olympischen Spiele 2024?

Ja, Gedanken habe ich mir schon gemacht, vor allem, weil Paris emotional so positiv besetzt ist für mich. Dabei sein will ich dort auf jeden Fall, ob als Athletin oder als Zuschauerin. Erst mal kommt jetzt aber Tokio, und dann sehe ich weiter. Grundsätzlich gilt: Solange ich gesund bin und Freude am Trainieren und an Wettkämpfen habe, ist es ein Thema. Aber vorher stehen noch viele andere Wettkämpfe an, zum Beispiel die Weltmeisterschaft 2023 in Bern.

Sportklettern an den Olympischen Spielen in Tokio

Ursprünglich sollten die Olympischen Spiele vom 24. Juli bis 9. August 2020 stattfinden. Aufgrund der Coronakrise entschied sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu einer Verschiebung um fast genau ein Jahr. Die Spiele beginnen nun am 23. Juli 2021 und enden am 8. August.

Die Sportkletterwettbewerbe von Tokio werden in der Woche vom 3. bis 6. August im Aomi Urban Sports Park ausgetragen. Die Qualifikation der Männer findet am Dienstag, die der Frauen am Mittwoch statt. Am Donnerstag folgen die Finalrunden der Männer und am Freitag die der Frauen.

Da die Wettkämpfe als Kombination ausgetragen werden, müssen sich die Anwärterinnen und Anwärter auf den olympischen Titel in den drei Disziplinen Speed, Bouldern und Lead bewähren. Die Wettkämpfe in den drei Disziplinen werden sowohl in den Qualifikationsrunden als auch in den Finals am selben Tag nacheinander durchgeführt. Im Endresultat werden die erreichten Punktzahlen multipliziert und in einem gemeinsamen Klassement zusammengefasst.

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