Soloklettern provoziert. Alpinfotograf Robert Bösch
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Soloklettern provoziert. Alpinfotograf Robert Bösch

Soloklettern provoziert

Risikobeurteilungen rund um sportliche Aktivitäten unterliegen ganz unterschiedlichen Aspekten. Und sind deshalb häufig nicht objektiv. Der bekannte Alpinfotograf Robert Bösch befasst sich im Folgenden grundsätzlich mit den Risikodiskussionen rund um das Solofreeclimbing.

Ueli Steck ist nicht der erste Solofree-climber, mit dem ich als Fotograf zu tun hatte. Während etlicher Jahre hatte ich den Extremkletterer Alain Robert – alias Spiderman – bei vielen seiner am äus- sersten Limit angesiedelten Solobegehungen fotografiert. So wie der französische Adrenalin-Junky mit seinen nerven-strapazierenden Aktionen erstaunlicherweise mindestens so viel Ablehnung wie Bewunderung hervorgerufen hat, so provozierte der Sologang von Ueli Steck in den Wendenstöcken ebenfalls viele ablehnende Reaktionen, die von « Das Leben leichtsinnig und unnötig aufs Spiel setzen » bis zu « so was darf man nicht zeigen, vor allem wegen der Verlockung für potenzielle Nachahmer » reichen. Die Behauptung, dass es sich bei solchen Aktionen um leichtsinniges Tun handelt, muss bestritten werden. All diesen Sologängen ist immer eine perfekte physische und psychische Vorbereitung vorausgegangen. Wäre dem nicht so, wären Alain Robert und Ueli Steck und einige andere Anhänger dieses « Freizeit-vergnügens » schon längst tot. Dass es sich um ein unnötiges Risiko handelt, stimmt natürlich absolut. Nur, einem unnötigen Risiko setzt sich jeder aus, der als Bergsteiger unterwegs ist. Bergsteigen ist nun mal gefährlich und an und für sich absolut unnötig.

Gängige Slogans versus objektives Risiko

Bei kaum einem anderen alpinen Thema tun sich die Leute so schwer mit einer Veröffentlichung wie beim Solofreeclimbing. Fast auf jeder Redaktion, die sich für die Geschichte interessierte, kam unweigerlich die Frage auf den Tisch, ob man diese Story überhaupt publizieren Fotos: Rober t Bösch Entspannung am Parkplatz Blick von der Sustenpassstrasse auf die Felsbastion der Wendenstöcke mit Pfaffenhut Der Mann und die Wand >

( Mitte ) und Excaliburpfeiler rechts davon dürfe. Und wenn ja, dann müsste man das aber in irgendeiner Form auffangen, relativieren, erklären. Vielleicht einen Psychologen befragen. Eine Erklärung aus der frühen Kindheit hervorzaubern, denn dann wäre die « Sache » etwas entschärft, die Verantwortung irgendwie ein bisschen irgendwohin abgegeben. Natürlich übernimmt man als Medienschaf-fender Verantwortung mit der Art und Weise, wie man ein Thema darstellt. Die Verantwortungslosigkeit beginnt meiner Ansicht nach dort, wo die Gefahr ver-harmlost wird. « Lawinensurfen ist cool » und Ähnliches ist mehr als problematisch. Denn hier wird eine kaum erkennbare Gefahr nicht nur verniedlicht, sondern auch noch attraktiv gemacht. Eine Gefahr, mit der jedermann problemlos in Berührung kommen kann. Um in einen Lawinenhang zu geraten, braucht es keine besonderen Fähigkeiten oder Vorbereitungen. Ein Tagesskipass reicht.

Reizwort Solofreeclimbing

Erstaunlicherweise löst vor allem das Solofreeclimbing diese Verantwortungs-diskussion aus, während die Berichterstattungen über unzählige andere Sportarten und Risikoaktivitäten überhaupt nicht hinterfragt werden. Ich denke an Skirennen, an Autorennen, aber auch an scheinbar harmlosere Tätigkeiten wie zum Beispiel Geräteturnen oder schwierige Biketrails. Das Ausmass der Gefahr ist bei diesen Tätigkeiten meist nicht offensichtlich, oder wir sind so abgebrüht und haben uns schon daran gewöhnt, dass wir die Gefährlichkeit unterschätzen. Mit zum Teil verheerenden Folgen. Die Gefahr des naiven Nachahmens ist beim Freesoloklettern meiner Ansicht nach sehr gering, denn die Gefährlichkeit ist zu offensichtlich. Vergleichbar mit jenem, der sich vornimmt, auch einmal von einer Olympiaschanze zu springen: Wenn er noch so wild entschlossen die unendlich lange Treppe hochsteigt, holt ihn, je höher er steigt, beim Blick nach unten die Vernunft ein. Sie macht ihm deutlich, dass diese Unternehmung vielleicht etwas heikler ist, als es im Fernsehen ausgesehen hat. Was bei jenen leider nicht zutrifft, die ins Auto steigen und mit Formel-1-Ambitionen losrasen. Die lauernde Verheerung wird erst offensichtlich, wenn das tonnenschwere Gefährt ausser Kontrolle geraten ist. Ich bin hingegen sicher, dass es jedem unqualifi-zierten Solo-Wendenstock-Aspiranten ähnlich wie dem Skispringer ergehen wird. Wer mental nicht hundertprozentig auf so etwas eingestellt ist, dem wird im steilen Aufstieg zur Wand mit grösster Wahrscheinlichkeit klar, dass es doch sinnvoller ist, am Einstieg den Steinböcken zuzuschauen und die wunderschöne Umgebung – sowie noch ein paar Jährchen dieses ebenso schönen Lebens – zu geniessen.

Kein Bergsteigen ohne Risiko

Doch es ist eine Tatsache, dass die Verlockung des Solokletterns und -bergstei-gens zum Alpinismus gehört. Viele der alpinen Highlights waren Sologänge: Bonatti an seinem Pfeiler, Buhl am Nanga Parbat, Messner am Everest, Güllich an « Separat Reality », Huber an der Zinne – um nur einige zu nennen. Bergsteigen hat immer mit Risiko zu tun – Extrembergsteigen mit sehr viel. Aber egal wie viel Risiko man beim Bergsteigen eingeht, unnötig ist es auf jeden Fall. Und insofern reiht sich Soloklettern exakt in dieselbe Reihe ein, natürlich eher am höheren, äusseren Ende der Skala. Aber auch die Erlebnisintensität ist mit Sicherheit im obersten Bereich angesiedelt. Deshalb werden das Solobergsteigen und das Soloklettern immer eine starke Anziehungskraft ausüben. Vielleicht ist es eben die perfekteste Art, um auf Berge zu steigen. a Rober t Bösch, Oberägeri

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