Stockhorn und Stockhorngruppe
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Stockhorn und Stockhorngruppe

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Stockhorn und Stockhorngruppe Von Pfarrer L. Hürner ( Section Wildhorn ).

Zu den Gipfeln, an denen der alpine Hochsport seine Großthaten vollbringt, zählt zwar das Stockhorn ( 2192 m ) nicht. Doch stehen die Blätter des Jahrbuches des S.A.C. auch der Beschreibung bescheidener Berggipfel und Gebirgspartien offen. Ist doch „ Kenntniß der Alpenwelt überhaupt zu fördern " statutarisch ausgesprochener Zweck des S.A.C. Ver- hältnißmäßig Wenigen sind Ausflüge auf die Hochgipfel der Eis- und Schneeregion vergönnt. Mit einem leicht erreichbaren Gipfel unserer Bergwelt und seiner Umgebung näher bekannt zu werden, dürfte leicht da und dort einem Bergfreunde, selbst einem Clubisten, lieb sein. Unbestritten haben und behalten mannhafte Erklimmungen schwieriger Hochgipfel als Höhepunkte clubistischen Lebens und Strebens ihre volle Berechtigung, obwohl, wenigstens im Territorium des S.A.C., nicht mehr viele Ehrenkränze für erste Gipfelersteigungen zu holen sind. Um so mehr aber wird es an der Zeit sein, anzuerkennen, daß auch die genauere Erforschung der uns zunächst liegenden Gebirgsgebiete, seien sie auch verhältnißmäßig klein und ihre Gipfel von bescheidener Höhe, alpenclubistischer Thätigkeit würdige Ziele bietet. Herr Professor B. Studer hat in seinem auch für die Kenntniß des Stockhorngebirges Bahn brechenden Werke „ Geologie der westlichen Schweizeralpen " ( Bern 1834 ) folgendes Arbeitsprogramm adoptirt: „ Statt auf schnellen Durchflügen „ allgemeinere, aber oberflächlichere Ansichten zu sam-„meln, möchte es für das Studium der Alpen zweck-„mäßiger sein, die spezielle, möglichst erschöpfende „ Beschreibung beschränkter Bezirke zu versuchen. " Sicher beruhen auf genauer Kenntniß seiner Einzelheiten richtiges Verständniß und gerechte Würdigung eines Ganzen auch für die Gebirgskunde. In dem eben angeführten Werke des Herrn Professor Studer, wie in den neuern Arbeiten der Herren Professor Brunner und Bachmann 1 ), liegen die Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Erforschungen des Stockhorngebirges in orographischer und geologischer Beziehung vor. Unter stetiger Benutzung und Berathung dieser Werke hat Verfasser vorliegender Arbeit Jahre hindurch das seinem Wohnorte nahe liegende Gebirgsgebiet vielfach in die Kreuz und Quer durchstreift, kennen gelernt und lieb gewonnen. Durch vorliegende Beschreibung des Stockhorns und seiner Umgebung möchte er auchProf. Dr. Brunner, Geognostische Beschreibung des Stockhorngebirges ( Bern 1857 ).

Prof. Dr. I. Bachmann: a. Geologisches aus der Umgebung von Thun ( Jahrbuch des S.A.C., XI. ( Bern 1876b. Die Kander im Berner-Oberlande ( Bern 1870 ).

diesem Stück unserer Bergwelt im Jahrbuch ein Ehren-plätzchen sichern. Es verdient solchen Platz, wenn gleich sein Hauptgipfel ohne Gletscherbeil, Seil und Stufenhacken auch dem ganz mittelmäßigen Gänger leicht zugänglich ist, sobald dieser nur den Willen hat, sich zum Besuch einer an reizvoller Abwechslung des Lieblichen und des Wilden kaum übertroffenen Alpengegend und zum Genuß eines herrlichen Gebirgspanoramas einige Hundert Meter über die Thalsohle aufzuschwingen.

I. Begrenzung der Stockhorngruppe. Die im Folgenden zu beschreibende Gebirgsgruppe bildet einen kleineren Bestandtheil des ganzen Stockhorngebirges. Als Stockhorngruppe im engeren Sinne des Wortes darf sie deßhalb wohl bezeichnet werden, weil das Stockhorn selbst, ihr dominirender Hauptpunkt, und die übrigen einzelnen Bestandtheile der Gruppe unter sich in nachweislichem engerem oder fernerem Zusammenhang stehen. Die Gebirgsgruppe hat übrigens als kleinerer Theil des ganzen Gebirgssystems ihre sie deutlich von ihm unterscheidende, sowohl orographische, als geologische Grenze im Gebirge selbst. Ein flüchtiger Blick auf die Karte reicht hin, ihre östliche und südliche Abgrenzung sofort zu erkennen. Die Ebene von Heutigen, in welcher ja überhaupt das Stockhorngebirge nach Osten schroff abbricht, und im Süden die Thalsohle des Simmenthaies mit dem „ Landwasser " von der Wimmisbrücke bis Weißenburg-Dorf bilden die natürlichen Ost- und Südgrenzen unserer Gruppe. Im Westen bildet die Cluse von Weißenburg mit ihrer Verlängerung im Bunschithal etwa bis zur Wahlalpsäge die Grenze. Um den Fuß der Ban-bodenfluh wendet sich das Thal von Richtung S-N. zur Richtung WO. Das clusenartige Querthal wird der Streichrichtung des Gebirges folgendes Langenthal und Über untere und obere Wahlalp nach dem Wahlalp-Sattel ansteigend erreicht diese Theilungs-linie hier mit 1802™ ihren Höhepunkt. Das Rinnsal des Wahlalp-Bunschi-Baches bildet von Unterwahlalp weg die tiefste Sohle dieser Theillinie im Gebirge.Von Wahlalp-Sattel setzt sich die Theilungsfalte, immer in Richtung WO ., als nördliche Begrenzung der Stock-homgruppe unter den Nordabstürzen von Stockhorn,. Solhorn, Lasenberg, Nüschletengrat über Bachalp nach dem Lindenthal fort, um zwischen der Falschenfluh und Moosfluh, diesen östlichen Abbruchen der Gantrisch-Hohmaad- und der eigentlichen Stockhornhetten, bei Reutigmoos in der Ebene zu enden. Eine Rauch-wacken-Gyps-Zone, von der untern Wahlalp her der angegebenen Theilungslinie folgend, bildet im Norden unserer Gruppe auch die geologische Grenze zwischen zwei verschiedenen Formationsfolgen jüngerer und älterer jurassischer Gesteine. Dieser Aufbruchslinie-der Nordseite des Gebirges entspricht eine so ziemlich parallel mit ihr laufende andere Rauchwackenzone der südlichen Abdachung der Stockhorngruppe, welche sich über Schopf-, Haus- und Clusi - Allmend nach Nacki und Günzenen verfolgen läßt.

II. Der Gesammteindruck, den die Stockhorngruppe auf uns macht, von welcher Seite wir uns ihr auch nahen mögen, ist der der „ ewigen Burg ", wie sie der Dichter J. G. Muller besingt. Das Bild einer hoch- gelegenen Bergfeste mit Thürmen und Bastionen bietet sie am wenigsten von der Seite des Simmenthaies, ihrer südlichen Begrenzung, dar. Die Straßenlinie Wimmisbrücke-Weißenburg zieht sich zu nahe an ihrem Fuße hin, als daß man von da ein Gesammtbild der Gruppe gewinnen könnte. Wohl bekommen wir dagegen einen Totaleindruck von ihrer ganzen südlichen Abdachung. Staffelförmig und verhältnißmäßig sanft fällt die weidbewachsene Südflanke des Stockhorngebirges nach dem Simmenthal ab. Zum Theil immer noch ansehnliche Reste früher viel ausgedehnterer und dichterer Bewaldung wechseln vom Fuß bis an die oberste Etage der Berggruppe mit Weiden ab. Weitaus vorherrschend sind in diesen.Waldbeständen die Coniferen. Die großen Schirmtannen werden aber leider alle Jahre seltener. In den Vorweiden der zweiten Terrasse zeigen noch einzelne Bergahorne und viele mächtige Strünke dieses schönen Baumes, daß einst sein lichtes Grün mit dem dunkeln des Tannenwaldes schöne Contraste der Waldfarben hervorgebracht haben muß. Prächtiger Buchenwald in den tieferen Lagen, nach der Höhe in Tannenwald übergehend, über welchem dann die grauen Gräte und Kalkthürme aufragen, bekleiden von der Brünnlisau unterhalb Latterbach hinweg die Abfälle unserer Gebirgsgruppe.Viel steiler und schroffer als die südliche ist die nördliche Abdachung. In jähen, oft überhängenden Fluhbändern und steilen Schutthalden stürzt die Nordflanke in 's Lindenthal ab. Bis hinauf zur Bachalp gewährt sie nur spärlichen, mageren Weideplätzen hie und da Raum. In seiner erwähnten Schrift über die geologischen Verhältnisse der Umgebung Thuns characterisirt Professor Bachmann den Eindruck, den das Gebirge beim Beschauen besonders von der Nordseite erweckt, mit den Worten: „ Die vieltausendjährige Unbill der Verbitterung spricht sich in der Stockhornkette sehr „ entschieden aus. Die auffallenden einzelnen Stöcke „ oder Hörner sind ja nichts Anderes, als die Ueber-„reste von langgezogenen Kalkgräten, welche einstmals, „ eine Verbindung der heutigen Ueberbleibsel oder „ Ruinen vermittelten. Es gibt kaum ein anderes ver-„hältnißmäßig so abruptes und coupirtes Kalkgebirge. „ Alles scheint darauf hinzudeuten, daß die Stockhorn-„kette, wenn auch nicht in ihrer heutigen Form, ein „ recht altes Gebirge oder Festlandsgebiet sei. " ( Jahrbuch XI, pag. 377. ) Der Eindruck, den das stolz von seiner hohen Warte in 's Land schauende Stockhorn, von Thun au » gesehen, macht, wird durch den Umstand verstärkt,, daß nur niedriges welliges Vorland zu seinen Füßen liegt und seine wilde Majestät nicht durch nahestehende höhere Majestäten verdunkelt wird. Im Pinserenwald der Zwieselberge erreicht die höchste,, zwischen dem Nordfuß der Stockhornkette und der Ebene um Thun liegende Höhe nur 834 m.

Treten wir nun dem Gebirge selbst näher. Der Landstraße bald müde geworden, haben wir dieselbe schon bei Gwatt für eine Weile verlassen und am oberen Ende des Dorfes uns von ihr rechts ab gewendet. Den Httgelrttcken, welcher den sagenumsponnenen Thurm der Burg Strättligen trägt, überschritten wir, am großartig schönen Rundblicke uns erfreuend,.

der die Begehung lohnt. Durch die Waldgründe des ehemaligen Kanderbettes, dessen nagelfluhartigen Kiesbänke noch heute den einstigen Flußlauf markiren, sind wir über den freundlichen Zwieselberg bei der Glütsch in die Ebene von Reutigen eingetreten. Die Moränenlandschaft dieser Gegend, die sich durch das Stockenthälchen hinunter fortsetzt, die zwischen Moränenzügen eingebetteten Torfmoore an der Stelle einstiger Gletschertümpel, erratische Blöcke, da und dort Haufwerk kleineren, weit herum sonst nirgends anstehenden Gesteines sind uns lauter sprechende Monumente aus einer Periode der Erdgeschichte, in welcher „ eben so „ trotzig, wie heute, das kühne Stockhorn seine senkrechte Nordwand dem übergletscherten Tieflande „ zukehrte. " ( Bachmann, a. a. O., Jahrbuch, Bd. XI, pag. 376 u. 377. ) Ueberhaupt regt schon der Thalweg um den Ostfuß und den Südabhang des Stockhorngebirges von Reutigen bis an 's Westende unserer Gruppe bei Weißenburgdorf vielfach zu Versuchen an, „ die „ erd- und menschengeschichtliche Vergangenheit „ aus ihren in der Gegenwart noch vorhandenen „ Monumenten zu reconstruiren. " Ein „ sich Beginnen des Menschen auf die Vergangenheit der „ materiellen Basis seines Daseins " nennt Prof. Rütimeyersolche sinnende Betrachtung der Dinge. „ Poesie; doch Poesie im ernsteten Sinne des Wortes. " Wimmis, mit seiner altersgrauen, von blutigem Fehde- strauß oft umtobten Ritterburg, und dem wohl acht-hundertjährigen Kirchlein auf dem Fuße der dunkeln Burgfluh, die Wimmisbrücke mit ihrer schönen Stromschnelle, die wildschöne, merkwürdige Simmenthal-porte, Latterbach mit seinen Uferterrassen, dem großen, weit in 's Thal von Diemtigen sich einbuchtenden Seeboden, alle diese Monumente der Vergangenheit erregen da im Menschen der Gegenwart die Poesie, welche am inneren Sehkreis große, der Gegenwart fremde Bilder aus der Natur- und Menschengeschichte ferner Weltenalter, heraufzaubert.

III. Zugänge zum Stockhorngipfel gibt es von allen Seiten der Berggruppe viele.Von Ober- und Niederstocken im Stockenthaie am Nordfuß des Gebirges führen zwar ziemlich steil ansteigende, doch gut gangbare Pfade, entlang dem tief in den Berg eingefressenen Rinnsal des Feusi- oder Feißibaches durch Wald und Weide nach Unter-Aelpithalalp ( 1689 m ), oder auch nach der oberen Bachalp ( 1724 m ). Im Wahlalpsattel ( 1802 m ) kommen beide Wege zusammen. Ebenda vereinigt sich mit den zwei eben genannten Zugängen ein dritter, der von Reutigenmoos durch das wilde Lindenthal zum Wahlalpsattel bergan führt. Wahlalpsattel ist also der Vereinigungspunkt mehrerer Stockhornwege. Nennen wir gleich hier einen vierten, den schönsten der von Westen her auf eben diesem Punkt mit den drei anderen sich treffenden Zugänge.Von Weißenburgdorf, im Thal der Simme, nimmt er seinen natürlichen Anfang. Auf schöner Kunststraße führt er uns in etwa einer halben Stunde nach dem Weißenburgbad. Reich an wildromantischer Natur- Schönheit ist schon der untere Theil der Cluse von Weißenburg, das langsam und gründlich durchgeführte Werk des Bunschibaches. Entlang der Fahrstraße nach dem Bade finden wir, bloßgelegt durch die Straßenbauarbeit, ein sehr belehrendes Durchschnitts-profil durch den Flyschmantel, welcher der Südflanke des Stockhorngebirges entlang dessen Jurabildungen überlagert. Nachdem wir unterhalb des neuen Curhauses von Weißenburgbad den schönen Wasserfall des Bunschibaches bewundert haben, eilen wir in der Fortsetzung der Weißenburgcluse am hintern Bade vorüber der Leiterenfluh, im Hintergrunde der Clus, zu. Auf die von Herrn Prof. Studer ( Geologie der westlichen Alpen, pag. 326 ) notificirte seltsam gekrümmte Schichtung der hohen Felswand der Kahle, rechts über dem alten Badgebäude — auf den Punkt, an welchem, aus tiefen, engen Felsklammen hervorbrechend, Morgeten- und Wahlalpbach sich zum Bunschibache vereinen — auf die Wasserleitung der Heilquelle von Weißenburg aus der dunkeln Felsschlucht des Wahlalpbaches her, deuten wir hier nur hin. Die Leiteren hinangestiegen gehen wir in ziemlicher Höhe über der tiefen Runse des Wahlalpbaches entlang den Ostabhängen der Schweibegg, dem Beret zu. Ein rauher Holzweg führt von da zur Wahlalpsäge, die hier einsam verwittert, nachdem sie zur Verwüstung des einst prächtigen Waldbestandes dieser Gegend ihr Bestes gethan. Zwischen Beret und der Sage befindet sich unter der Straße in den Felsen des Bachufers eine schon ziemlich ausgebeutete Spath-krystallhöhle, in deren Umgebung auch schöne Schwefel- 32 kiese gefunden werden. Um den Nordfuß der Bärrbodenfluh ( Hugifluh, 1807™ ) wendet sich das bisherige Querthal zum Faltenthal mit Abänderung seiner bisherigen Richtung von S.W.N.O. in die der Streich-linie des Gebirges. Die schönen Alpgebiete der unteren und oberen Wahlalp hinan gelangen wir nach einem Marsche von 3 bis 31 2 Stunden von Weißenburg zum Wahlalpsattel. Wer nicht nach dem Stockhorngipfel strebt, sondern vielleicht nur dem Vorder-Stockensee und den Vorder-Stockenalpen einen Besuch zugedacht hätte, würde, von der unteren Wahlalp über Wandels ansteigend, in einer kleinen Stunde das Nordufer des schönen Alpsees bequem erreichen.

Vier Zugänge von der Nord- und Westseite unserer Gebirgsgruppe, die sich im Wahlalpsattel vereinigen, haben wir nun kennen gelernt. Von diesem Punkte aus muß der eigentliche Gipfelanstieg von dieser Seite her gemacht werden. Verfolgen wir gleich den Weg vom Wahlalpsattel zum Gipfel. Wer sich für diese letzte Wegstrecke nach dem Horn 1V2 Stunden nimmt, hat unter gewöhnlichen günstigen Verhältnissen reichlich Zeit genug verwendet. Vom Wahlalpsattel geht es zuerst im Zickzack eine steile begraste Halde hinan, dicht unter die Felsen des westlichen Stock-hornabsturzes, dann diesem entlang weiter aufwärts. Eine Strecke weit hat man hart neben sich die Felswand auf der einen, jäh zur Wahlalp abstürzende Gehänge auf der anderen Seite, vor sich einen ziemlich schmalen Pfad. Doch ist derselbe bedeutend besser als früher und völlig sicher. Ein Mal nur, bei einer ziemlich früh im Jahr unternommenen Stockhorn- besteigung, zeigte sich uns diese Stelle etwas „ heikel ": Steinfall von oben und die Passage unten von einer hart gefrorenen, an die Wand angebackenen Gwächte verlegt. Beim Strüßlisattel ( Punkt 2045, Blatt Amsoldingen ) betritt man den Südabhang des Stockhorngipfels, das Stockenfeld. Von da ist das letzte Stück Weg nach dem Gipfel über Alpweide weder beschwerlich, noch irgendwie gefährlich. Nach Betretung des Stockenfeldes läßt sich 's auch gleich die Felsen hinan zum Gipfel aufsteigen. Doch ist dieser Anstieg Ungeübten oder Schwindligen nicht anzurathen.

Ein zweiter Anstiegspunkt zum Stockhorngipfel, bei welchem sich ebenfalls mehrere Zugangswege aus den Thälern um Nord-, Ost- und Südfuß des Gebirges vereinigen, ist das an seinem Ostfuß in der Einsattelung zwischen diesem und dem Solhorn gelegene Kummli Vom Kummlisattel ( 1850 m ) aus schwingt sich die Stockhornschneide, ein scharfer, stellenweise sehr steil ansteigender Grat, zum Stocken-felde auf. Kurz ist dieser östliche Anstieg; aber auch seiner oft recht scharfen und auf beiden Seiten jäh abstürzenden richtigen Schneide wegen stellenweise recht „ lauter " und deßhalb, namentlich für den Abstieg vom Horn herunter, nicht Jedermanns Sache. Durch ein Mitglied der Section Wildhorn des S.A.C. wurde der Stockhorngipfel von der Ostseite her auch schon in der Gegend der deutlich ausgeprägten Contactlinie zwischen Jura- und Kreidefelsen erklommen ( im Sommer des Jahres 1883 ). Der Kummlisattel ist Vereinigungspunkt folgender Zugänge zum Stockhorn: Von Norden steigt die Felsgehänge zwischen Stock- und Solhorn ein Kletter weg für Jäger und kühnere Felsgänger zum Kummli, vom Lindenthal ausgehend, an. Ein sehr interessanter Anstieg vom Steinig-Nacki ( 1608 m ) führt von Osten her durch das einst begletscherte Längenthal ( Bachmann, Kander, pag. 101 ) zwischen Brämenhorn ( 1938 m ), Brämen-fluhgrat und Nüschletengrat ( Gemsrevier, 1988 m ) " zur kleinen Walpersbergalp ( 1860 m ). Brämenhorn, ganz nahe dem Paß, lohnt sehr einen wenig Zeit beanspruchenden Besuch en passant. Von Walpersberg über den aussichtreichen Lasenberg ( 2020 m ) gelangt man, den Südfuß des Solhornes ( 2028 m ) traversirend, in 's Kummli und an den Fuß der Stockhornschneide. Sehr zu empfehlen ist der Besuch des SoWiorngipfels. In größter Annäherung an den Stockhorngipfel und mit 2028 m nicht viel niedriger als dieser, gewährt er einen sehr belehrenden Blick in die geologischen Verhältnisse des Stockhornaufbaues. Kaum präsentirt sich der Stockhorngipfel von einem anderen Punkte so großartig schön. Zudem ist das Solhorn merkwürdig als ein Beispiel der für den äußersten Nordrand des Alpengebirges characteristischen Ueberein-anderschiebungen und nördlichen Ueberkippungen der Schichtengewölbeund als einer jener Felsstöcke, in denen sich mehrere unregelmäßige „ Streichungslinien „ vereinigen, so daß sie aus mehreren Stücken zusammengebacken erscheinen."2 ) Steinig-Nacki, von wo wir zum eben beschriebenen Aufstieg nach dem Kummlisattel ausgingen, ist selbst wieder der Vereinigungspunkt mehrerer theils von Norden ( Reutigen-Günzenen-Matten ), theils von Osten'( Latterbach-All-menden - Nacki ) hier zusammentreffender Weglinien. Einer Anstiegslinie, welche von Süden, von Erlenbach her über Moos, die Wildenbachcluse hinan, nach den Clusihütten, dann-über Krindi ( Krinnen ), Krindisattel ,'die Hinterstockenalpen hinauf zum Kummlisattel ansteigt, werden wir später noch etwas einläßlicher zu erwähnen haben. Bei Oberberg, der obersten Wohnung von Moos über Erlenbach, zweigt vom Wildenbach-Krindi-Pfade links ab der von Erlenbach aus meist gewählte Weg nach der Vorderstockenalp über Pfängli, Aelmerenweiden, Hausallmend, Stockenwald. Verschiedene andere, ebenfalls oft begangene Wege von Eschlen, von Baizenberg aus, von denen hier der über Schopfallmend und Schopfwald besonders genannt werden mag, führen alle nach der Vorder-Stockenalp, von wo uns ein sehr hübscher Verbindungssteig zwischen Vorder- und Oberstocken über das obere Läger der Vorder-Stockenalp ( die „ Matten " ) entlang dem Nordabfall des Keibhornes über dem Ostufer des Vorder - Stockensees nach der Alp Oberstocken und dort an den dritten Anstiegspunkt zum Stockhorngipfel, an dessen Westfuß, führt. Wer, vom Krindisattel zur Alp Hinterstocken niedergestiegen, nicht nach dem Kummlisattel und via Schneide zum Stockhorngipfel aufsteigen, sondern lieber mit Vermeidung der Schneide den bequemen und völlig gefahrlosen Aufstieg über das Stockenfeld wählen will, der findet bei der Alphütte von Hinterstocken einen Verbindungsweg mit dem Anstiegspunkt Oberstocken durch die Schwader-Ey.1 ) Die vielen hier aufgezählten Wege zum Stockhorn, neben denen noch eine Anzahl anderer unerwähnt blieb, zeigen zur Genüge, daß unserem Berge das Prädicat der Unnahbarkeit in keiner Weise zukommt. Vom Ausgang im Thal bis zum Gipfel beansprucht jeder der genannten Zugänge, unter Annahme mittlerer Schnelligkeit des Marsches und sonstiger dem Vorrücken günstiger Verhältnisse, wenigstens 4 bis 5 Stunden Marschzeit. Auf die Beschreibung der Wege Weissenburg- Wahlalpsattel- Gipfel, Steinig - Nacki-Kummlisattel- Schneide wurde hier deßwegen etwas näher eingetreten, weil diese dem Stockhornwanderer besonders zu empfehlen sind.

Kaum minder empfehlenswerth ist aber auch die oben berührte Anstiegslinie Erlenbach-Wildenbach- cluse - Krindi - Kummli. Sicher ist sie nicht allein die kürzeste Linie, welche aus dem Süden von dem eben in ihr gelegenen Erlenbach aus zum Gipfel führt, sondern sie ist auch besonders interessant und belehrend für die Kenntniß der orographischen und geologischen Verhältnisse des Gebirges, indem die Wildenbach -Krindi- Cluse alle Lagerungen der Südflanke durchschneidet und ihre Contacte bloslegt.

Bis zur Höhe von 1000 m bildet eine Flyschzone die erste Stufe des Gebirges. Auf den terrassenförmigen, sanft thalwärts geneigten Flächen derselben haben sich die freundlichen Bergweiler Weißenburgberg, Niedfluh, Baizenberg, Eschlen, Moos, Thal und Allmenden angesiedelt. Bis hieher reicht das Gebiet perennirend bewohnter menschlicher Heimstätten. Aus dem eocänen Gestein erhebt sich ein Zug oberjuras-sischer Kalkfelsen. Ueber Weißenburgberg zeigen sich seine ersten Riffe, die sich intermittirend, nach Osten an Mächtigkeit zunehmend, über den vorgenannten Weilern der Flyschstufe fortsetzen. Ob Allmenden noch vom Allmendenbache clusenartig durchrissen, gewinnen die vorher weniger bedeutenden Kalkköpfe plötzlich über Latterbach in der Latterbach-fluh, weiter östlich dann in Port- und Simmenfluh, bleibenden Zusammenhang und große Mächtigkeit. Der schroffe Abbruch der Stockhornkette über Brod-häusi ist das Ende dieses Jurafelsenzuges. Zwischen dem Flysch und dem Oberjurazuge liegt eine schmale Zone jener rothen Schiefergesteine der oberen Kreideformation, der wir am westlichen Ausgang der Port in den „ rothen Platten " begegnen. Diese Zone des Seewer- kalkes überlagert den Fuß der eben beschriebenen untersten Jurakette auf der ganzen Südseite des Gebirges. Nur ist ihr Zusammenhang oft unterbrochen oder wohl vielmehr durch Schuttüberlagerungen dem Auge entzogen. Der über diesen Kreidebildungen sich erhebende und meist bewaldete Jurazug bildet die zweite Staffel des Gebirges. Auf ihr liegen die Vorweiden von Schopf, Älmeren ( Haus- ). Nacki, Günzenen, Hei ti, weiter östlich, dem Abbruch des Gebirges zu, sind während der ganzen Alpzeit benutzte Sommerungen. Das zwischen der untersten und der mittleren Jurakette liegende Gebiet gehört der mittleren Juraformation ( Dogger ) an und liegt großentheils unter Schutt und Verwitterungsmaterial. So ziemlich durch die Mitte dieser Mittel-Juralagerung zieht sich horizontal über die ganze Südflanke des Gebirges parallel der Streichrichtung die schon früher erwähnte Eauchwackenzone, welche namentlich über Schopf und Hausallmend durch stark auffallende Versenkungen sehr bemerklich wird.Ueber dem mittleren Jura steht nun in mächtigem Zusammenhange in den wild verwitterten und zum Theil schwer zugänglichen Felsthürmen des Loherenspitzes ( 1850 m ), der Stockenfluh ( 1953 m ), Mieschfluh ( 1840'° ), Walpersbergfluh ( 1906 m ), Brämenfluh ( 1938 m ) die zweite Ober-Jurakette auf, zwischen welcher und der hintersten mit Stockhorngipfel, Solhorn u. s. w. die oberste Etage unserer Gebirgsgruppe, das Gebiet der Stockenalpen, liegt. So staffelt sich die Südabdachung des Stock- horngebirges vom Simmenthal nach den Stockenalpen auf.

Auf einige Schönheiten und Merkwürdigkeiten des Anstieges zum Kummli durch die Wildenbachcluse und über Krindi sei hier mit wenigen Worten noch hingedeutet. Der hübsche kleine Wasserfall des Wilden-baches im unteren Theil der Cluse und im tiefen Tobel unter den Clusihütten die zwei Quellen, aus denen der unterbirgische Auslauf des Hinterstockensees als Wildenbach zu Tage tritt, sind der Beachtung werth. Ist dann der Felssteig zwischen Miesch- und Walpersbergfluh erklommen und der Krindisattel erreicht, dessen merkwürdige Karren Aufmerksamkeit verdienen, so erfreut uns dort ein zugleich liebliches und erhabenes Gebirgslandschaftsbild. Zu unsern Füßen liegt in tiefem Trichter der Alpsee, von grüner Alptrift umgeben, über ihm und gegenüber die einladende Sennhütte.Vom Tannenwald umsäumt, baut sich mächtig das felsige Fußgestell des Stockhornes auf und hoch über diesem winkt uns der Stockhorngipfel, unser Reiseziel, einen ermunternden Gruß zu.

IV. Die unmittelbare Umgebung des Stockhorngipfels ist das an idyllischem Reiz und überraschender Abwechslung der Landschaftsbilder, wie an starken Contrasten des Lieblichen und Wildernsten im Gebirgs-character so reiche Gebiet der Stockenalpen. Seine merkwürdige orographische Beschaffenheit überblicken wir am deutlichsten auf dem wirklichen Pizzo centrale dieses Gebietes, dem ringsum freistehenden Gipfel des Keibhornes ( 1953 m ). Das Keibhorn ist die höchste gipfelförmige Erhebung eines kurzen Jurazuges, der sich in abnormer Streichrichtung von S. W. nach N. O. schräg durch das Stockenalpgebiet in den Südfuß des Stockhornes zieht und bei'm Solhorn sich der eigentlichen Stockhornkette anschaart. In den Kreidebildungen des Seewerkalkes und Neocoms steckt der Fuß auch dieser Jurazone. Bis an den Gipfel reicht die Kreide an seiner südlichen Abdachung. Am Nordabhang herrscht der Jura bis an das Ufer des Sees. Versteinerte Belemniten findet man häufig in den Steinen der Grenzmauer zwischen zwei Weidgebieten, welche sich hinter der Hütte des oberen Lagers von Vorderstocken dem Gipfel des Keibhornes zuzieht. Der Keib-horngrat mit einem östlichen Ausläufer, der im Sumpf zwischen Vorder- und Hinterstockenalp eine sattelartige Verbindung zwischen Keibhorn und der Mieschfluh bildet, theilt das gesammte Stockenalpgebiet in drei kleinere Bezirke von ungleicher Ausdehnung und Tiefe. Im Westen des Keibhorns überquert eine sattelartige Gratfortsetzung das „ Muri " ( das obere Vorder-Stocken-Läger ) und bildet eine Grenzscheide zwischen diesem Alpgebiet und dem des Spätberges, 150 m unter Matten, am Vorder-Stockensee. Zwischen Muri und Sumpfjoch liegt die Alp Vorderstocken im Westen und Süden des Keibhorns. 1741 m, bei der Sennhütte von Vorderstocken, ist die tiefste Höhenquote dieses Gebietes, welche die Karte verzeigt. Zwischen Sumpfjoch und dem früher erwähnten Uebergang von Hinter- nach Oberstocken durch Schwader-Ey, am Sattel zwischen Keib- und Stockhorn, liegt, rings bis an die Kammhöhe der umgebenden Gräte aufsteigend, das ausgedehnte Weidgebiet der Hinter-Stockenalp. Die tiefste Quote dieses Alp- und Seetrichters ist 1595 m im Spiegel des Hinter-Stockensees, 146 m tiefer als die Sennhütte von Vorderstocken. An und über dem Vorder-Stockensee birgt der tiefe Alptrichter nordwestlich vom Keibhorn Alpe und Weiden des Spätberges ( Vorder-Stockensee, 1658 m ). Und bei 1782 m, also 124 m über dem See, steht, am Fuß des Stockenfeldes, die Sennhütte der bis auf den Stockhorngipfel und über den Strüßligrat sich ausdehnenden Alp Oberstocken. Ein reiches und schönes Eundbild entzückt auf dem Keib-horngipfel Auge und Herz. Da sind es vor Allem die zwei lieblichen Alpseen in ihren tiefen Trichtern, von grünen Alpweiden zunächst, von dunkeln Tannen, hohen Berggräten und kühnen Felshömern in weiterer Umgebung umfaßt, welche unsere Blicke anziehen. Dort der größere See von Vorderstocken mit seiner idyllisch am Ufer stehenden Spätberg-Sennhütte. Die grob eingemeißelte Schrift im großen Stein, der an der kleineren Hütte lehnt, erzählt uns in lapidarer Kürze, daß Sonntag 1. August 1869 der so sanft und lieblich erscheinende See fünf Opfer auf einmal verschlang. Mit Mühe und Gefahr aus dem nassen Grab als Leichen heraufgetìscht, ruhen zu Erlenbach im Friedhof des Kirchleins unten im Thal alle fünf vereint unter dem* gleichen Grabstein. Alle Jahre seither wird am ersten Sonntag des August in gottes-dienstlichem „ Alpdorf " am Spätberg die Erinnerung an dieses Trauerereigniß gefeiert.

Am östlichen Fuß des Keibhorns liegt noch malerischer als der Vorderstockensee der von Hinterstocken. Auch ihn umgibt grüne Alptrift zum größeren Theil. Doch sein südliches Ufer wird gebildet von der jäh in den See niederstürzenden wilden Mieschfluh, welche nicht selten Gemsen zum Aufenthalte dient. Eine felsige Landzunge reicht weit in den See hinaus und erhöht seine Schönheit durch Bildung einer stillen, tannenbeschatteten Bucht. In seinem historisch-topo-graphischen Handbuch des Cantons Bern vom Jahr 1850, pag. 29, berichtet uns Herr Alb. Jahn, daß im Jahr 1780 an diesem See Goldmünzen mit Bildnissen und Geprägen römischer Csesaren gefunden worden seien. „ Wahrscheinlich " seien diese Münzen von Soldaten der römischen Castelle im Simmenthal hier den Nymphen des Sees geopfert wordenDa Gletscher, höhere Wasserreservoirs, eine freilich kurze Zeit im Hochsommer auch größere Schneefelder der Umgebung dieser Seen fehlen, so möchte man fragen: woher alimentiren sich ihre GewässerWohl geben die vielen Einsturztrichter und Auswitterungen, die sich an der Oberfläche ihrer näheren und weiteren Umgebung finden, durch die Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des dem Blicke entzogenen Gebirgsinnern, zu denen sie veranlassen, eine annähernd richtige Antwort auf unsere Frage. Ein für die „ Verbesserung " der Alpen zu wirthschaftlichen Zwecken sehr Eifriger äußerte einst in unserer Gegenwart beim Anblick eines dieser Seen den Wunsch, man möchte diese „ unabträglichen Wasserflächen " ableiten und in „ abträgliche Grasmatten " verwandeln können! Hinter der Sennhütte des steinigen Nacki ist ein solches Culturmuster der „ Naturverb esser ung " in einem wüsten trocken gelegten Geröllboden eines einstigen kleinen Alpsees von geringer Tiefe zu bewundern. Wir denken, sehr wahrscheinlich würde eine Ableitung der Stockenseegewässer statt der erhofften Grasboden-fläche ein jetzt noch von ihrem Spiegel freundlich ver-decktes ganz anderes Bild enthüllen. Wohl dürfte es dem durch Herrn Professor Studer ( Geologie der westlichen Schweizeralpen, pag. 322, 323, vgl. pag. 349 ) beschriebenen trichterförmigen Alpboden am Moléson ziemlich ähnlich sehen: „ Die tieferen Gehänge und der „ Grund des Trichters bestehen aus ungeheuren, neuern „ Schutt- und Trümmermassen, als ob ein ganzes Kalk-„gebirge in sich selbst zusammengefallen und von „ wilden Bergwassern durch einander gewühlt worden „ wäre.Die Beobachtungen über die Beschaffenheit des Seegrundes, welche sich bei der Leichenfischerei der ersten Augusttage 1869 anstellen ließen, bestätigen diese Vermuthung.

Freundlich und friedlich liegen die Weiden und Staffel von Vorderstocken am Südfuß des Keibhorns. Eine besondere Zierde dieses Gebietes, weit schöner, als der Name erwarten läßt, ist der Sumpfwald mit seinen von Alpenrosen bewachsenen Felspartien und balsamisch duftenden Tannengruppen. Einen Blick nun noch der hohen Umfassung all dieser alpinen Schönheit. Einer starken Festung mit detachirten Forts ist sie vergleichbar. Die wilde Kette verwitterter und gezackter Kalkköpfe vom Brämenhorn bis Loherenspitz mit Walpers-berg-, Miesch- und Stockenfiuh bildet die Südbastion der Veste. Krindisattel und die wohl um 100 m höher gelegene Eingangslücke ob dem Stockenwald bei Vorderstocken sind die Thore. Zwischen Stockenfluh und Bärr- bodenfluh liegt die Westschanze, von Weide bis hoch hinauf bekleidet und von Felszinnen gekrönt, der Pfaffli-grat, seinem Nordende zu das Satteljoch ( eine Ueber-gangslücke im Grat ) und über diesem schroff aufstrebend das dunkle, spitze, seiner schönen Aussicht und seiner merkwürdigen Auswitterungshöhle ( „ Chilchli ", „ Schafchilchli " ) wegen sehr besuchenswerthe Sattelhorn ( auch „ Gugihorn, " „ Gugifluh ", 1961 m ). Ein Gang über Stockenfluh ( 1953 m ), Pfaffligrat mit den Pfafflihörnern ( 1938 m und 1950 m ) nach dem Sattelhorn, über die Spätbergalpen dann zum See hinunter ist sehr lohnend. Zwischen Bärrbodenfluh ( nach Blatt Amsoldingen Hugifluh 1807 m ) und dem Solhorn liegt der nördliche Grenzwall des Stockenalpgebietes, die höchste der in unserer Gruppe hinter und über einander aufgestaffelten Juraketten. Durch tiefe Einrisse zwischen Sattelhorn und den Gugiflühen, dann wieder durch die am Nordende des Stockensees und bei seinem unterirdischen Ausfluß sich nach Wahlalp hinunter öffnende enge Ausfallpforte von Wandels unterbrochen, erhebt sich der Nordwall im Strüßli-grat auf 2045 m, im Stockhorngipfel, dem Haupt-thurm der Bergveste, auf 2192 m und im Solhorn auf 2028 m. Lasenberg, der grüne Weidrücken, in seinem höchsten Punkte 2020 m, ist die Ostschanze. Brämenhorn, Loherenspitz, Bärrbodenfluh und Solhorn können als detachirte Vorwerke der Hauptveste angesehen werden, welche mit dieser durch interne Zugänge verbunden sind. Dieses Bild der festungsartigen Umwallung der Stockenalpen und ihrer Seen stellt sich unserm Blicke vom Keibhorngipfel dar. Und drüber hinaus in weitem Bogen welch herrliches Panorama der AlpenweltKeibhorn ", allerdings ein Name, der mit ästhetischen Gefühlen und Begriffen in harte Collision gerathen kann. „ Rosenhorn ", wie vorgeschlagen ward, würde sicher mit der blühenden Sommer-pracht seines von Alpenrosen dicht bewachsenen Nord-gehänges über dem See besser zu stimmen scheinen. Wie aber doch der Name „ Keibhorn " dieses Gipfels würdig befunden werden kann, wurde Verfasser dieser Arbeit belehrt, als er am Sylvesterabend des Jahres 1876 in Gesellschaft eines jungen Clubisten dem Keibhorn einen Altjahrbesuch abstattete. Wir stiegen von Krindisattel und Hinterstocken her durch pulvrigen schon tiefen Schnee das ziemlich steile Ostgehänge hinan dem Gipfel zu. Föhnstöße, in immer kürzeren Pausen sich folgend, zogen mit ihrem eigenthümlichen Getöne durch die Klüfte der ringsum in den ernsten Farben der Föhnluft und des bereits dämmerig gewordenen Sylvester-Abendlichtes schweigsam dastehenden Felshäupter. Von den Kirchen im Thal herauf trugen die Windstöße Schallwellen des Sylvester-geläutes an unser Ohr. Hart unter dem dunkel und scharf in die Luft stechenden Gipfel hatten wir un » aufgearbeitet. Pfeifend, „ keifend " brachen sich an seinen Kanten die immer erneuten Föhnstöße. Sturm-fest, unbewegt, spottend ihrer ohnmächtig an ihm ab-prallenden Wuth, hielt der Gipfel ihnen Stand. So gab jener Sylvesterberggang uns eine Auslegung de » Namens Keibhorn, welche ihn gerechtfertigt erscheinen läßt vor dem Richterstuhl des ästhetischen Gefühls und, wir meinen, nicht minder vor dem des alpenclubi- stischen Verständnisses für die Sprache der Bergnatur.

V. „ Nunc veniamus ad summa " sagen wir mit Cicero, da wir endlich nach so vielen Kreuz- und Querzügen um den Stockhorngipfel auf einem der genannten Anstiegswege zur allseitig freistehenden Hochwarte aufgestiegen sind. Mühsam müssen meist die glücklichen Höhepunkte des Lebens erklommen werden, nach der alten Regel: „ per aspera ad astra. " Einmal errungen bieten sie uns dann oft nicht, was wir von ihnen erhofft; manchmal dafür aber noch Schöneres, als wir erwartet. Beim Ansteigen verhieß uns der Gipfel den Genuß des mit Recht berühmten Stockhornpanoramas. Von der schon stark zum westlichen Horizonte sich senkenden Sonne vergoldet stand die verwitterte graue Felsstirne überwölbt von sonnedurchglänztem Himmelblau über uns, den langsam über das grüne Stockenfeld Aufsteigenden. Daß das reiche Rundbild sich zu unseren Füßen entrollen werde, wie wir die Gipfelfirst betreten, durften wir hoffen. Doch, nicht in erwarteter Weise wird unser Mühen belohnt; dafür aber in nicht erwarteter und nicht minder schöner. Statt auf blaue Seen, über welliges Hügelland, weite Flächen, in Thäler, durch die sich blaue Flußbänder ziehen, auf Städte und Dörfer unseres Heimatbodens, schweift unser enttäuschtes Auge über ein weites Nebelmeer, das unser ganzes Bernerland und, so weit sie vom Stockhorn übersehen wird, die ganze schweizerische Hochebene überdeckt. Tief unter ihm begraben liegen die hier sonst sichtbaren nördlichen Grenzlinien des Rundbildes, 33 die,Bergzüge des fernen Schwarzwaldes. Im Westen bilden die violett gefärbten langgestreckten Züge des Jura die Uferlinien. Von Osten nach Süden umfaßt in weitem Bogen der Kranz der Hochalpen, deren Firnfelder und Gipfel im Abendlichte erglühen, das weite ruhige Meer, über dem wir hoch auf luftigem Gipfel thronen. Nur die Bergwelt des Südens steht noch unverhüllt vom Gipfel bis zum Fuß vor dem bewundernden Blick.

Einen reineren alpinen Hochgenuß möchten wir Keinem wünschen, als den des Blickes vom Stockhorn auf 's Nebelmeer beim Niedergang der Sonne. Leicht ist ja das Andere ein ander Mal nachzuholen: der Genuß des unverhüllten Panoramas, des großen Vielerlei da unten, tief unter uns. Heute reizt es uns nicht zu anatomischen Zergliederungs-Versuchen an Einzelheiten des Gesammtbildes, zu Uebungen in Nomenclatur, die oft ziemlich langweilig die kurzen Augenblicke aufzehren, die auf hohem Gipfel wohl auch zu besserem Gewinn verwendet werden können. Ein großer und ganzer, ein bleibender Eindruck erfüllt in so geweihtem Augenblicke unsere Seele. In der „ antiquarisch-topographischen Beschreibung des Cantons Bern " ( vom Jahr 1850, pag. 291 ) macht Herr Alb. Jahn auf ein „ graues Felsstück " aufmerksam, das nicht anstehe, sondern mit Fleiß auf die Stockhorn-first hinaufgestellt worden zu sein scheine. „ Sollte ", sagt Herr Jahn, „ diese Erscheinung nicht geologisch, „ sondern antiquarisch zu erklären sein, so könnte man „ an die außerordentlichen Anstrengungen des druidisch-„keltischen Steindienstes zu Errichtung von Steinaltären „ denken; denn in der That könnte die auffallend „ konisch gestaltete Stockhornkuppe sowohl für alt-,, keltisch en, als für römisch - keltischen Höhencultus „ eine besondere Bedeutung gewonnen haben. " Wahrscheinlich wird doch die geologische Erklärung für die Loslösung dieses Blockes vom Anstehenden die nächstliegende und natürlichste sein. Es müssen wohl nicht eben alt-keltische Druiden oder römisch-keltische Höhenpriester sein, welche den Stockhorngipfel zu einem Hochaltar der Anbetung des Schöpfers der Welt weihen, der in den Wundern seiner ewig schaffenden Macht seine Herrlichkeit offenbart. Auch die heutigen Priester des Höhencultus, die vom S.A.C., verstehen zu lesen und zu deuten die Schrift des offen aufgeschlagenen Offenbarungsbuches der Natur. Das glänzende Gestirn des Tages ist unter den Horizont, niedergetaucht. Dunkel am Fuß, die Kämme von violetten Tinten übergössen, steht das langgezogene Meeresufer des Juragebirges, fast als baute es neu sich vor unseren Blicken aus dem Urmeere auf. Im Abendroth glühen die Hochgipfel des Uferbogens im Osten. Jetzt verblassen die violetten Töne. Am Kranz der Hochalpen haben die glühenden Farben des Lebens sich getauscht an geisterhaft mattes bläuliches Weiß. Das lichte Roth des Abendhimmels wird immer enger zusammengedrängt durch die anrückenden Schatten der Nacht. Im Wolkenmeer entsteht Bewegung, Brandung. Abendwinde heben seine Decke, Inseln tauchen auf, dort die Insel des Belpberg, dort die lange Landzunge des Längenberg. Land und Meer scheiden sich. Auf der einen Seite ist das Gestirn des Tages für dich niedergegangen. Doch nicht finster soll dein Weg dir bleiben. Dort, über den in seinem Lichte neu erglänzenden weißen Bergen, steigt in mildem Silberglanze das Gestirn der Nacht auf. Wandelnd seine nächtliche Bahn will es eine freundliche Leuchte auch dir sein zum Abstieg — zum Heimgang.

IV. Kleinere Mittheilungen.

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