Streifzüge auf dem Vulkan St. Helena
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Streifzüge auf dem Vulkan St. Helena

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Als unser fünf Mann starker « Tross » das Haus verliess, war ein prachtvoller Sternenhimmel, und eine Sternschnuppe nach der anderen glühte vor unseren Augen auf. Mit zunehmender Höhe bedurfte es einiger Überwindung, die Handschuhe auszuziehen und Aufnahmen von dem wohl einmaligen Sonnenaufgang über der Kaukasus-Hauptkette zu machen. In der Scharte zwischen den beiden Elbrusgipfeln steht eine kleine Unterstandhütte ( 5200 m ). In dieser liegt meistens fast soviel Schnee wie draussen; doch ist es trotzdem ein willkommener Unterschlupf, da man in ihm windgeschützt ist und glaubt, es sei wärmer als im Freien. Wir schalteten eine Rastpause ein, um unsere Zehen und Finger, die von der Kälte steif waren, zu massieren.

Als wir über die 400 m hohe Flanke den zuvor von uns respektlos « eisüberzogener Kokshaufen » genannten Ostgipfel, 5595 m, erreichten, waren wir etwas eigenartig berührt: Wir fanden hier die Büste Lenins anstelle eines Gipfelkreuzes oder Steinmannes...

Nach einer kurzen Photopause stiegen wir wieder zur Scharte ab. Die Russen, nach einer frühern Besteigung beider Gipfel ( an einem Tag ) befragt, antworteten nur mit einem mitleidigen Lächeln. Denn eigenartigerweise gehen sie nur auf den etwas niedrigeren Ostgipfel. Beide Gipfel an einem Tag wurden erstmals von den Schweizern Oskar Hug und Casimir de Rhan, am 23. August 1910, bestiegen, und Jahre hindurch wurde diese Fahrt nicht wiederholt.

Auch heute gelingt nur wenigen Partien diese Tour.

Wir stiegen wieder über Lavagestein und Schnee hinauf und erreichten um ca. 11 Uhr den Westgipfel, 5633 m. Stolz hissten wir unseren rot-weiss-roten Wimpel und wanderten dann hinab zum Schutzhaus und weiter nach Terskol, wo uns ein Lastauto abholte und ins Lager Adyl-su zurückbrachte.

Die Tanzmusik im Hof konnte an diesem Abend keinen von uns aufs Parkett locken, denn wir waren zu müde und schlüpften zufrieden in die Betten.

Streifzüge auf dem Vulkan St. Helena

VON EMIL BRUNNER, BRAUNWALD Mit 4 Bildern ( 157-160 ) Die kleine, rund 1800 km südlich des Äquators liegende Vulkaninsel St. Helena, das meistgenannte Eiland des vergangenen Jahrhunderts und berühmteste Inselchen der Welt, ist jedem von uns als Verbannungs- und Todesinsel Napoleons noch von der Schulzeit her bekannt.

Als am 21. Mai 1502 - dem Namenstag der portugiesischen Königstochter - der iberische Seefahrer Juan de Nova Castella anlässlich einer Kreuzfahrt in der Unendlichkeit des südlichen Weltmeeres etwa halbwegs zwischen dem östlichsten Punkt Südamerikas und dem Kap der Guten Hoffnung ganz unerwartet diese winzige, wildzerrissene und düstere Felseninsel entdeckte und dieser, um seinen alten König zu ehren, den Namen St. Helena gab, war das Eiland gänzlich unbewohnt.

Die ersten Menschen, alles verwegene Gesellen, die sich für ein paar Stunden oder Tage auf der neuentdeckten Insel aufhielten, wussten alle von einer wundervollen Flora und einem grossartigen Baumbestand im Innern des Eilands zu erzählen. Auch die Reisenden des letzten Jahrhunderts, welche auf ihren Fahrten von und nach dem Kap der Guten Hoffnung St. Helena einen Besuch abstatteten, waren alle überrascht ob der herrlichen Vegetation und der grossartigen Berg- und Kraterlandschaft der Insel. Als im Jahre 1921 anlässlich des 100. Todestages Napoleons in Zeitungen und Illustrierten Gedenkartikel und Biographien über die letzten Jahre des verbannten Kaisers erschienen, erweckten die diesen historischen Tag illustrierenden Stiche in mir den Wunsch -einmal diese kleine, ferne Insel sehen und erleben zu dürfen. Die Holzstiche zeigten Palmenbüschel und exotische Bäume in einem mir damals ganz sonderbar anmutenden Tälchen auf St. Helena.

Volle 37 Jahre aber sollten vergehen, bis mein Jugendwunsch in Erfüllung ging! Ich war eben im Begriff, bei den Zulukaffern in Natal, wo kurz zuvor ein blutiger Aufstand gegen die Inder ausgebrochen war, eine photographische Reportage zu machen, als an einem schwülen Montagmorgen eine freudig überraschende Nachricht für mich eintraf. Zwei Telegramme aus London und Kapstadt. Und diese bedeuteten für mich: St. Helena/ Diese Botschaft wirkte auf mich wie eine Schachtel Pervitin. Vergessen war mit einem Schlag mein wrackähnlicher Zustand als Folge des feuchtheissen, scheusslichen Klimas Portugiesisch-Ostafrikas, vergessen war im selben Augenblick die fast unerträgliche Gluthitze der letzten Monate in Kenya und Tanganjika, und nur allzurasch glitten die folgenden anderthalb Monate in den herrlichen Ländern der Südafrikanischen Union dahin.

Im angenehmen Vorgefühl, nun endlich wieder einmal etwas Neues zu sehen und zu erleben, schiffte ich mich in der letzten Märzwoche 1958 auf der « Kenya Castle », einem neueren Cabin-Class-Schnelldampfer der Union Castle Line, in Kapstadt zur Fahrt nach St. Helena ein. Zuerst rollte, stampfte und schlingerte der Kahn ganz bedenklich, dann aber gestaltete sich die fünftägige Überfahrt zu einer meiner angenehmsten Seereisen auf dem Atlantik. Und nun lag die ferne, kleine Insel, von deren unbekannter Schönheit ich seit meiner Schulzeit träumte, in ihrer ganzen Wucht vor mir! Fast gleichzeitig mit der zitronengelb aufgehenden Sonne fiel der Anker der « Kenya Castle » in der kleinen Bucht von Jamestown, keine fünfhundert Meter von der Küste entfernt. Welch unvergesslicher Anblick! Kein liebliches Inselchen mit sanfter idyllischer Küstenlinie und allmählich ansteigenden grünen Hügelzügen, sondern eine ungeheure, düstere, unvermittelt in senkrechten Wänden dem Meer entsteigende, bis 900 m Höhe sich auftürmende schwarzbraune Lavafelsmauer. Wahrlich ein schauderhafter Anblick, der das Blut in den Adern jener erstarren liess, die hierher in ihre Verbannung fuhren! Genau so wie die Franzosen von 1815 schrieben: « Auf Stunden kein Baum, keine Pflanze. Wie kleine, weisse Raketen spritzen die Wogen gegen die hohe, entsetzliche Wand. Kein Sandstrand, nicht ein Fussbreit Ufer. Dieser gigantische vulkanische Schlackenberg scheint die uneinnehmbarste aller Festungen - es könnte der Eingang zur Hölle sein! » Doch ich sah diese Insel mit andern Augen als jener kleine Trupp Franzosen, der im Herbst 1815 nach St. Helena in die Verbannung fuhr. Trotzdem muss ich bekennen, dass der erste Anblick dieser Insel zu den spannendsten Augenblicken meines Lebens zählt. Schnell stieg die Morgensonne am südlichen Himmel hoch, und je länger ich auf der Brücke des Schiffes weilte - ich hatte mir vorgenommen, dasselbe erst nach dem höchsten Sonnenstand zu verlassen -, um so freundlicher zeigte sich nun die Insel. Die viele Kilometer breite, ungeheure Felsmauer entpuppte sich jetzt im Sonnenschein als eine ganze Anzahl in ununterbrochener Reihe nebeneinander aufgebauter Felsen aus brauner Lava, die an einzelnen Stellen mit rötlichen Tonbändern durchzogen sind. Etwa in der Mitte der Mauer lag am Fuss einer viele hundert Meter weiten, keilförmigen Felsspalte eine kleine Sied- lung mit einem hohen, spitzen, auffallenden Kirchturm und einigen immergrünen Bäumen. Das musste Jamestown sein, der Hauptort der Insel. Auf beiden Höhen dieser Felsspalte, auf der östlichen wie auf der westlichen, waren alte Batterie- und Artilleriestellungen zu erkennen. Etwa 600 m südwestlich, oberhalb des Hauptstädtchens, thronte, die ganze Insel beherrschend, ein gewaltiges Sperrfort: High Knoll.

Südlich, zuhinterst im Felseinschnitt, zeigte sich eine mit üppiger Vegetation überwachsene dunkelgrüne Berglandschaft, das Dianasgebirge mit den Hügeln von Briars und den bewaldeten Höhen von Alarm-House. Über die Bergkämme zogen in hastigem Tempo, vom Passat getrieben, mächtige Wolkenballen, der ganzen Landschaft abwechslungsweise einen einladenden, im nächsten Augenblick wieder einen abweisenden, finsteren Anblick verleihend. Bei längerer und genauerer Betrachtung waren überall auf den leicht nach Norden abfallenden Hochplateaus grüne Punkte sichtbar: unzählige Feigenkakteen. Unmittelbar hinter dem Schiffsheck, in einer Entfernung von nur etwa 200 m, klebten wie Schwalbennester an einer hohen Felswand zwei kleine Gebäude. Ein Lepraspital dachte ich. Doch es war das Gefängnis der Insel. Volle sechs Stunden lang verharrte ich schweissgebadet und nach frischer Luft lechzend auf der Brücke aus, um diese für die Franzosen von 1815 schauderhafte, für mich jedoch imposante und fesselnde Kulissenszenerie der Nordküste von St. Helena, in ständig wechselnden Lichteffekten, für immer im Bilde festzuhalten. Kurz vor zwölf Uhr verliess ich meinen Dampfer und setzte auf einem kleinen Boot über die glücklicherweise ziemlich ruhige Wasserfläche in wenigen Minuten zum Land hinüber. Unter einer überhängenden Felswand hingen einige dicke Hanfseile, wie solche auf unseren Bergen an schwierigen Stellen anzutreffen sind. Es galt nun vom auf und ab tanzenden Boot eines dieser Seile zu ergreifen und sich mit einer Art « Teilensprung » an Land zu schwingen, auf eine mit Algen moosgrün überdeckte, schlüpfrige Treppenstufe, ein Manöver, das bei rauher oder gar tobender See absolut unmöglich wäre. Noch bevor die nahe Jameskirche die Mittagstunde verkündete, hatte ich wieder festen Boden unter den Füssen. Die Ankunft eines Schiffes vor St. Helena scheint für die Insulaner jedesmal ein grosses Ereignis, ein richtiges Volksfest zu sein. Die bescheidene Hafenanlage war überfüllt von Menschen, hauptsächlich von Kindern. Das wunderte mich etwas später nicht mehr, als ich erfuhr, dass von den 4750 Einwohnern der Insel rund 3500 Kinder sind. Und was für Kinder! Alle in den buntesten Farben sauber gekleidet, mit dunkelhäutigen, schwarz bis schwarzblauhaarigen kugel-. runden Köpfen, blickten sie unter ihren breitrandigen Strohhütchen mit ihren grossen Augen neugierig über, durch und unter der eisernen Hafenabzäunung auf die ankommenden Fremden, die aus einer für sie alle unbekannten Welt kamen. Dieselben Gesichter, wie ich sie aus Westafrika, von der Goldküste, vom Niger, vom Kongo, aus Angola, aus den süd-, ost- und äquatorialafrikani-schen Ländern her kenne, nur eine Nuance heller in der Hautfarbe; ja sogar einige echte Malayen-und Chinesengesichtchen blickten mich an. Es war also ein ebenso romantischer wie malerischer Augenblick für mich, als ich meinen Fuss erstmals auf die längstersehnte Insel setzte. Keine « hohlen Hände » streckten sich mir entgegen wie etwa in Italien, auf Sizilien oder in orientalischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, im Gegenteil, freundliche und scheinbar sehr glückliche Kinder-gesichtchen blickten mich an. Das war ein schöner und freudiger Anfang meines Inselaufenthaltes! Dann schritt ich auf der Hafenmauer dem Städtchen Jamestown zu, ganz gemächlich, denn es wurde plötzlich heiss wie in einem Backofen, als ich mich dem Eingang der bis 600 m tiefen Felsspalte näherte.

Auf der Insel war bereits der Herbst ins Land gezogen, denn auf der südlichen Halbkugel sind bekanntlich die Jahreszeiten gegenüber den unsrigen um ein halbes Jahr vertauscht. Europäischer Frühling ist auf der südlichen Erdkugel Herbst, und Herbst bei uns ist auf St. Helena Frühling. Wenn die Sankt-Helenianer zu schwitzen beginnen, dann kämpfen wir mit dem Föhn im Ofen. Dieser letzte Samstag im März war also für die Insulaner bereits ein « kalter Tag », derweil ich mich meiner Schweissbäche erwehrte. Auf einem überbrückten, uralten Festungswallgraben der Britisch-ost-indischen Kompanie ging 's nun, vorbei an einem kleinen Soldatendenkmal, durch eine Art « Stadttor » hinein in die Stadt Jamestown. Zuerst über den grossen Platz vor dem alten Schloss und der Kirche, dann durch die einzige Strasse dieses an ein mittelenglisches Provinzstädtchen des 17. Jahrhunderts anmutenden Hauptorts; zu einer Art Herberge, die sich « The Consulate Hotel » nannte und dann während fünf Wochen mir innerhalb ihrer vier Wellblechwände und unter ihrem doppelten Blechdach einen einigermassen akzeptablen Unterschlupf bot. Unweit des « Hotels », am östlichen Felsabhang, lag einer der fast 300 Jahre alten botanischen Gärten der Ostindischen Kompanie, und diesem gegenüber, am andern Ende der hier maximal 150 m breiten Talsohle, schwang sich der Welt höchste Treppe, die « Jacobs-Ladder », in die Höhe, mit ihren 699 Stufen oben am steilen, westlichen Bergabhang bei einem alten Fort und der heutigen Signalstation « Ladder-Hill » endigend. Diese nahezu 250 m lange, beidseitig mit einem Eisengeländer versehene Steinleiter wurde kurz vor Napoleons Tod, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, von Pionieren der englischen Marine erbaut. Sie stellt die kürzeste und schnellste Verbindung zwischen dem Hafen und dem Fort « Signal-Hill » dar. Diese « Jakobs-Leiter » ist einmalig und bildet die Sensation der kleinen Insel. Heute sausen die Schulkinder von St. Helena vom alten Fort über dieses Treppengeländer in 1 ½ bis 2 Minuten nach Jamestown hinunter! Am späten Nachmittag stieg ich die Napoleonstrasse landeinwärts nach Briars hinauf.

Kaum war ich über den obersten Dächern von Jamestown, da öffnete sich schräg unter mir ein unerwartet schönes Landschaftsbild. Gleich einer afrikanischen Oase breitet sich im hintern südlichen Teil des Chapel-Valley ein riesiger, kilometerlanger immergrüner Garten aus. Hier blühen Blumen, Sträucher, Bäume und reifen Früchte aus allen fünf Erdteilen. Als ich noch tiefer im Landesinnern von dem steil sich den Vulkanschlackenabhang hinaufwindenden und nur durch eine niedere Steinmauer vom Abgrund geschützten Strässchen nach Briars einbog, überraschte mich der exotische Zauber eines märchenhaft schönen und duftenden Erdenfleckens. In diesem kleinen Paradies hatte sich Napoleon vom 18. Oktober bis 10. Dezember 1815 in einem heute noch stehenden Pavillon die erste Residenz seiner Verbannung auserkoren, bevor er endgültig nach dem vom Passat umbrausten Hochplateau von Longwood übersiedeln musste. So endete mein erster Tag auf St. Helena mit der untrüglichen Gewissheit, dass mir diese kleine Insel zu einem unvergesslichen Erlebnis werde. Und diese Vorahnung sollte alle meine Erwartungen übertreffen.

Kein halbes Dutzend Bücher sind über diese Insel geschrieben worden. Ebenso klein ist die Zahl der Besucher, welche sich für längere Zeit auf St. Helena aufgehalten haben. Ebenso spärlich sind die Angaben und Beschreibungen, welche bisher über das kleine Eiland gemacht wurden. Meine Aufgabe bestand darin, den geologischen Aufbau, die historischen Stätten sowie das Leben auf dieser weltabgelegenen einsamen Insel im Bild festzuhalten, ferner alles, was sich von irgend etwas eines andern Landes, irgendwo auf der Welt, grundsätzlich unterschied.

St. Helena wird in allen Lexikons entweder als eine Vulkaninsel oder als eine Insel mit vulkanischem Charakter bezeichnet. Beide dieser Bezeichnungen sind meiner Ansicht nach ungenau. Während wir uns doch im allgemeinen unter einer « Vulkaninsel » eine Insel mit einem oder mehreren darauf sich befindenden Vulkanen vorstellen, wie z.B. die Insel Sizilien mit dem Ätna oder etwa Island mit dem Vatna-Jökull und dem Hekla, so haben wir es im Gegensatz dazu bei St. Helena lediglich mit einem Vulkan zu tun, und zwar mit einem der gewaltigsten Vulkane der Erde. Dieser, in der Unendlichkeit des Südatlantik vor Jahrmillionen tätig gewesene Vulkan muss ur- sprünglich einen Hauptkrater von schätzungsweise etwa 10 km Durchmesser aufgewiesen haben. Von diesem Riesenkrater ist vor urdenklichen Zeiten der südliche Rand im Meer versunken, während der übriggebliebene nördliche Rand die heutige Landschaft der Sandy-Bay einschliesst.

Dieser bis zu einer Höhe von rund 900 m ansteigende Kraterrand bildet das Gebirge von St. Helena. Vom Lavaabflussgebiet ist, ausgehend vom Kraterrand, noch fast das ganze nördliche Kreissegment erhalten. Das Basaltgelände bzw. Lavaschlackengelände westlich, nördlich und östlich des Kraters bildet nach aussen leicht abfallende Hochplateaux, die über der Küste in senkrechten Mauern von 200-700 m Höhe direkt zum Meer abfallen. Auf eines dieser Hochplateaus, das Plateau von Longwood, rund 500 m.ü. M., wurde von 1815 bis 1821 Napoleon verbannt. Vom Kraterrand aus durchfurchen eine ganze Anzahl tiefer Täler das westliche, nördliche und östliche Kegelgelände des einstigen Vulkans, beidseitig sehr steile Böschungen aufweisend und ohne Ausnahme direkt ins Meer mündend. In einem der grössten und breitesten dieser Täler, im Nord-Süd verlaufenden Chapel-Valley ( so genannt, weil hier einer der ersten Siedler, ein Portugiese, eine kleine Kapelle baute ), liegt der vor rund 300 Jahren angelegte Hauptort der Insel, das heutige etwa 2000 Einwohner zählende Jamestown.

Die Hochplateaus sind, wie ihre Böschungen, von mehr oder minder tiefen Erosionsrinnen durchzogen. Der Vulkankegel misst vom South-West Point westlich vom Joan Hill bis zum Saddle Point, dem östlichsten Punkt an King and Queens Rocks, maximal 16 km, und vom Sugar Loaf Point im äussersten Norden bis zum Castle Rock Point im entferntesten Süden höchstens 12 km. Das gesamte Basaltlavagelände bedeckt eine Fläche von 122 Quadratkilometern. Der Kraterrand, der das Gebiet der Sandy Bay umfasst, fällt auf allen Seiten in sehr steilen, teilweise in senkrechten Wänden gegen Süden zum Meer ab, in seinem Innern eine grandiose Landschaft bildend. Ich habe auf der weiten Welt noch kein Gegenstück zu dieser Sandy Bay-Landschaft gefunden. Man fühlt sich hier wie auf einen andern Planeten versetzt, so fremd ist die Welt der Sandy Bay auf dieser weltverlorenen fremden Insel! In einer kleinen Bucht, eingeschlossen vom Crown Point und Horse's Head, der eigentlichen Sandy Bay-Bucht, gingen vor Jahrhunderten die ersten Seefahrer an Land. Kein Punkt auf der ganzen Erde kam mir je weltabgelegener, fremder und einsamer vor als dieser, nicht einmal das einsamste Kap auf Spitzbergen. Der östliche, höchste Teil des Sandy Bay-Kraterrandes mit dem Mount Acteon und dem Dianas Peak ist im untern Teil von Flachs bewachsen, zuoberst aber mit so dichtem Urwald bedeckt, dass ich seine Besteigung aufgeben musste, weil ich kein Buschmesser mitgenommen hatte. Das nördliche Segment des Kraters mit den Gipfeln des « The Depot », dem High Peak, Mount Vesey, dem Sandy Bay Ridge, Stitch Ridge und dem Cuckholds Point ist über und über mit Flachs verwachsen, der an vielen Stellen eine Höhe von gegen drei Metern erreicht. Als ich am letzten Sonntag meines fünfwöchigen Aufenthaltes eine Tour zum westlichen Rand des Sandy Bay-Kraters unternahm, kam mir erst recht zum Bewusstsein, wie unvorstellbar wild und eigenartig diese Insel ist. Ich stieg von einem Punkt des Kraterrandes, der « Old Picquet House » bezeichnet wird, zwischen dem Hopper's Ridge und dem Horse Ridge ein Stück weit in den Krater hinunter und gewann etwas weiter südlich bei einem Punkt, der « The Ball Alley » heisst, wieder den Kraterrand, der sich hier zu einer fast messerscharfen Schneide zuspitzt und mich mit prachtvollen Erosionsbildungen überraschte. Das Gestein hatte streckenweise sämtliche Regenbogenfarben. Dann wieder überkletterte ich Stellen, wo Schwefelgelb, Blau, Violett, Hellrot, Purpurrot und Carmin vorherrschten. Das ganze Gelände war übersät mit sogenannten « Auspufflöchern », jenen sonderbaren Öffnungen, aus denen zur Zeit der Eruption des Vulkans brennende Gase ausströmten und die nun wie winzigkleine Nebenkrater aussehen. Diese « Augen » sind fast alle von Farbringen umgeben und verleihen dem Gelände, das stellenweise aussieht wie die Vulkanlandschaft südlich Borgarnes in Nordwest-Island, ein sonderbares Gepräge. Leider ist der Kraterrand derart verwittert und brüchig, dass ich die Schneide nur auf ganz kurze Strecken überklettern konnte und immer wieder auf die innere oder dann auf die äussere Böschung ausweichen musste, oft in ganz exponierten Quergängen. Schliesslich erreichte ich über Blue Point auf vollständig blauem und blauviolettem Fels den Gipfel von Spyglass und darauf den Nordgipfel von The Asses Ears im Gebiet von Great Hallow, der « grossen Höhle », unmittelbar über dem südlichsten Punkt der Insel. Diese Berglandschaft hat viel Ähnliches mit den Zwölfihörnern ob Elm, und von Nordosten gesehen gleicht der Hauptgipfel von The Asses Ears dem Hintern oder Grossen Zwölfihorn vom Vorab aus. Doch dieser Gipfel auf St. Helena dürfte noch bedeutend schwieriger und exponierter zu besteigen sein als sein Ebenbild im Glarnerland. Der verwitterte Fels dieser Insel muss viel sorgfältiger betreten werden als der Schiefer im Sernftal. Mein Trip nach diesem exponierten Gipfel hatte sich gelohnt, denn von diesem topographisch günstigen Punkt aus offenbarte sich mir die Südamerika zugekehrte Seite der Insel und das Kraterinnere der Sandy Bay in ihrer ganzen erhabenen Grosse und Wildheit.

In einer einzigen gewaltigen Flucht ohne auch nur die kleinste Unterbrechung fällt St. Helena hier an seiner Südwestküste 600-700 m direkt zu den schäumenden Fluten des südlichen Weltmeers hinunter. Etwa einen Kilometer südwestlich des südlichsten Punktes der Insel ragt in unnahbaren Wänden ein etwa 300 m breiter und ebenso hoher spitzer, wie mit Neuschnee überzuckerter blendendweisser Felszahn aus dem Tiefblau des Meeres in den Himmel empor. Es ist Speery Island, eine von Millionen von Vögeln bevölkerte Insel. Ich habe ähnliche Vogelinseln an der Küste Nord-norwegens gesehen. Ich hörte das tobende Meer, das seine Wellen kirchturmhoch an die aalglatten und senkrechten Wände dieses bizarren Felsens warf, bis zu meinem luftigen Gipfel hinauf. Doch das grossartigste Bild bot die im ständig wechselnden Licht der Nachmittagssonne nun nordostwärts gerichtete vor und unter mir liegende Kraterlandschaft der Sandy Bay. Unsere, an die steilsten Wildheuhänge gewohnten Bergbauern würden sprachlos, wenn sie sehen könnten, wie die Farmer der Sandy Bay ihre « Cottages » in das saftige Dunkelgrün der Kraterwände ihrer Heimat « hinauf-geklebt » haben!

St. Helena ist in vieler Hinsicht eine ungemein interessante und einmalige Insel. Ihre nach Norden ( das ist auf diesen südlichen Breiten die Sonnenseite ) auslaufenden Hochplateaus und Küstengebiete sind auf mehrere Kilometer Breite landeinwärts fast vollständig vegetationslos, mit Ausnahme einiger Drinbüschel, Feigenkakteen und vereinzelter Aloen. Im krassesten Gegensatz dazu strotzen das Innere und die südlichen Teile der Insel in üppigster Vegetation und zeigen dichten Baumbestand. Nach J. C. Mellis, einem englischen Forscher, der nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts St. Helena bereiste, bestand die Flora damals noch aus nahezu 1500 verschiedenen Pflanzenarten, und man zählte nicht weniger als rund 80 verschiedene Baumarten. Ursprünglich muss die Vegetation noch üppiger und der Baumbestand noch mannigfaltiger gewesen sein. Dieser Gegensatz dürfte sich daraus erklären, dass die Verwitterung des Bodens der Insel sehr unterschiedlich ist, und dies dürfte wiederum mit den Niederschlagsmengen der einzelnen Gebiete, deren Unterschiede ebenfalls sehr gross sind, zusammenhängen. In den niederschlagsreichsten Gebieten von Plantation Ground ( hier befindet sich die Residenz des Gouverneurs ), von Oak Bank, Barn Hill, Alarm House, Hutt's Gate, Apple Cottage sowie am Ostabhang des Mount Acteon und des Dianas Peak ist der dichteste Baumbestand und die reichste Vegetation anzutreffen, und auch der Flachs gedeiht hier am besten, da hier die grössten Niederschlagsmengen fallen. Als etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts sich die ersten Ansiedler auf der Insel niederliessen und das Städtchen Jamestown gründeten, fielen unzählige Zedern, Eichen und Nadelbäume dem Bauholz zum Opfer, und als die Britisch-ostindische Kompanie vor genau 300 Jahren - 1659 - mit der Verwaltung von St. Helena begann, wurde in den nächsten Jahrzehnten ein regelrechter Raubbau unter dem prächtigen und mannigfaltigen Baumbestand der Insel betrieben.

Von 1815 bis 1821, als die Insel ihren höchsten Bevölkerungsstand erreichte, lichteten sich ihre Wälder neuerdings zugunsten von Bau- und Brennholz. Damals erlebte St. Helena ihre Glanzzeit, denn die Insel war zum wichtigsten Zwischenlandeplatz und Süsswasserstation auf dem langen Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung geworden, und es gab Zeiten, wo fünfzig und mehr Schiffe gleichzeitig an der kleinen Reede vor Jamestown ankerten. Mit der Eröffnung des Suezkanals, im Jahre 1869, wurde St. Helena plötzlich vom Schiffsverkehr fast vollständig abgeschnitten,was eine Auswanderung der halben Bevölkerung zur Folge hatte. Man ging dann daran, auf der Insel, die ausser einer bescheidenen Fischerei jeder Verdienstquellen beraubt war, neue Erwerbsmöglichkeiten zu prüfen, und machte Versuche mit dem Anbau von Neuseeländerflachs. Zum Glück eignete sich der Boden ausgezeichnet für diesen Flachsanbau, wodurch wieder einigen hundert Insulanern ihre Existenz gesichert war. Fast gleichzeitig begann man auch mit der Aufforstung der Insel, denn man hatte erkannt, dass der jahrzehntelang betriebene Raubbau das Klima nachteilig beeinflusst hatte. Ein besonders eindrucksvolles Bild der Aufforstung St. Helenas bietet Fishers Valley, das längste Tal der Insel. Hier mochte sich durch Verwitterung von Lavaschlacke eine humusähnliche Oberfläche zu bilden, ein idealer Boden für die anspruchslosen Ölbäume, die heute zu Zehntausenden in die Landschaft des Fischertales « hineinpunktiert » sind. Leider sind die Edelhölzer, wie Mahagoni, Teak und Ebenholz, auf St. Helena heute vollständig ausgerottet, und die einst ebenfalls sehr zahlreichen Gummibäume, die zur Zeit Napoleons ein weites Stück des Hochplateaus von Longwood bedeckten, nur noch in einigen wenigen verkrüppelten Exemplaren vorhanden. Dattelpalmen, die aus Wurzelschösslingen gezogen werden und durch Menschen nach der Insel gebracht wurden und früher, wie alte Stiche zeigen, anzutreffen waren, zählte ich auf der ganzen Insel kein Dutzend mehr. Dafür wimmelt es im Innern des Eilandes heute wieder von Mango, Bananen, Granatäpfeln, Kaffir, Maulbeer und Zitronen, Magnolien, Kamelien, Hibiskus, Feigen, Eukalyptus, Birnbäumen und Nadelholz.B.ei den Birnbäumen fallen die Früchte merkwürdigerweise alle im unreifen Zustand ab und sind nicht geniessbar. Auch Frangipanis, Papayas und vielen andern tropischen, subtropischen und Bäumen der gemässigten Zonen begegnete ich. Die alten Sitze der Beamten aus der Zeit der Britisch-ostindischen Kompanie, vor allem Oak Bank, Farm Lodge, Scotland, Green Gate, Oaklands, Willow Cottage, Alarm Cottage, Prospekt Cottage, Hutt's Gate, Willow Bank, Teutonic Hall, Wranghams, Mount Pleasant, Ross Cottage, Fairy Land sowie die Residenz des Gouverneurs von Plantation Ground liegen heute noch in einer geradezu märchenhaften Umgebung, dank der Blumenwelt und des Baumbestandes. Die Küstenberge von St. Helena ( wenn man sie so bezeichnen darf ), von denen der Sugar Loaf Hill, der Flagstaff Hill, der Barn, Turk's Cap, Horse Point, King and Queen Rocks, Grat Stone, Long Range, Sandy Bay Barn, The Asses Ears, White Point und West Point die markantesten Gipfel aufweisen, stellen alle weiter nichts anderes dar als die Oberkante der gigantischen Basaltfelsmauer, mit der die Insel auf allen Seiten zum Meer abfällt. Diese zum Teil wuchtigen Gipfel sind von der Seeseite aus nicht oder nur in sehr schwieriger Kletterei, vom Innern der Insel dagegen mit einigen Ausnahmen sehr leicht erreichbar. Auf der Süd- und Westseite der Insel sind die meisten von ihnen mit Gras überwachsen und bergen in ihrem saftigen Grün da und dort kleine Cottages und winzige Farmen. Oberhalb Knollcombes, Terrace Knoll und Sydenham und auf dem Hochplateau im Innern der Insel weiden sogar Kühe, eine Art schwarz-weisses Holsteiner Fleckvieh. Als ich vom Gipfelgrat des Mount Eternity auf eine dieser tief unter mir liegenden Farmen schaute, glaubte ich für einen Augenblick, mich in der Heimat zu befinden. Dieses Vieh liefert die Frischmilch für die Insulaner, hauptsächlich für die Säuglinge und Kranken.

Auf meiner letzten grösseren Tour auf St. Helena, die mich zur früheren Signalstation auf den King und Queen Rocks am östlichsten Punkt der Insel führte, machte ich erstmals Bekanntschaft mit einem der ganz wenigen Wässerchen des Eilands. Dieses bescheidene Bächlein durchzieht die Talsohle des Fisher Valley und versickert, noch bevor es in der Prosperous Bay das Meer erreicht hat. Diese Feststellung veranlasst mich, das Klima dieser Insel noch kurz zu schildern. Die Weltöffentlichkeit hat seinerzeit die Engländer gebrandmarkt, dass sie Napoleon im « mörderischen » Klima von St. Helena sterben liessen. Es mag durchaus zutreffen, dass damals, als die Insel ihren niedrigsten Wald- und Baumbestand aufwies, das Klima schlechter gewesen sein mag als heute, aber auf keinen Fall unerträglich oder gar mörderisch. Die seit den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts gewissenhaft geführten « Record Books » und Publikationen des « Public Record Office », die heute noch mit Erlaubnis im Archiv des alten Schlosses in Jamestown eingesehen werden können und die über alles Aufschluss geben, was sich seit der Verwaltung der Insel durch die Britisch-ostindische Kompanie auf dem kleinen Eiland ereignet hat ( auch über das Wetter und das Klima ), finden sich keine Eintragungen über abnormal hohe Temperaturen, Luftfeuchtigkeit oder Regenzeiten. Schat-tentemperaturen von über 40 Grad oder gar 50 Grad und mehr, wie man sie in der zentralen Sahara, in Massaua, in Britisch-Somaliland, in Aden oder Bagdad erleben kann, wurden während der letzten 200 Jahren auf St. Helena nie registriert. Ich muss allerdings zugeben, dass in der engen Felsspalte von Jamestown, wo die Hitze während etwa 8 Stunden von den braunschwarzen Felsabhängen reflektiert wird, das Leben nicht besonders gemütlich und erquicklich ist. Aber der gestürzte Franzosenkaiser war auf dem vom Passat umbrausten Hochplateau von Longwood untergebracht, und dort oben konnte ich oft einen gewaltigen Temperaturunterschied gegenüber dem « Backofen » von Jamestown feststellen. Es war, wie wenn ich urplötzlich ins Hochgebirge versetzt würde, wenn ich jeweils von Hutt's Gate am Rand des Abgrundes, der sich des « Teufels Punschbowle » nennt, entlang nach Longwood wanderte und mir der berüchtigte Passat fast die Haare vom Kopf riss. Ich konnte auch öfters feststellen, dass Longwood in'eine dicke nasse Nebelwolke gehüllt war oder dass es hier goss wie aus Kübeln, während sich gleichzeitig über dem nur 5 km Luftlinie entfernten Jamestown ein tiefblauer Tropenhimmel wölbte, oder auch dasselbe genau umgekehrt!

Ende April schiffte ich mich auf der « Dunnottar-Castle » zur Heimfahrt nach Europa ein. Ein letztes Mal ging mein Blick hinüber nach den romantischen grünen Hügeln von Briars, hinauf zum Plateau von Longwood und zum Alarm House, zur Dianaskette, zum Fort High Knoll, zum Ladder Hill und zu den Millionen Feigenkaktusbüschen von Half Tree Hallow, dieser einzigartigen « Grammophonnadellandschaft »; dann die Jacobs Ladder hinunter nach Jamestown, dem kleinen Städtchen, das mich volle fünf Wochen in seiner engen Felsspalte freundlich gefangenhielt. Zum letztenmal strahlten vor mir die vielen kleinen braunen Kindergesichter. Dann entschwand St. Helena langsam hinter einer Nebelbank in der Unendlichkeit des südlichen Weltmeeres.

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