Streifzüge in den Dolomiten
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Streifzüge in den Dolomiten

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Dr. Ludwig Darmstädter ( Section Bern ).

Als ich mir für meine diesjährigen Touren das Gebiet der Dolomite ausersah, ahnte ich nicht, welch'großartige Eindrücke ich von demselben mit nach Hause bringen, mit welcher Bewunderung die erhabene Schönheit dieser Gegenden mich erfüllen würde.

So ist es mir denn heute eine Freude, von meinen Wanderungen durch diese schönen Gegenden zu erzählen und so die Bilder, die im Laufe meiner fast vierwöchentlichen Reise an mir vorüberzogen, wieder neu in mir aufleben zu lassen.

Ich hatte flüchtig vor 5 Jahren das Gebiet von Ampezzo gesehen und bei der Fahrt durch dasselbe den Eindruck einer einförmigen Natur mitgenommen, so daß die Erwartungen, mit denen ich meine diesjährige Reise begann, keine allzu großen waren. Vorausschicken möchte ich, daß man unter „ Dolomite " diejenigen Gebirgsgruppen begreift, die im Osten von der Piave, im Süden von der Brenta, im Westen von Etsch und Eisack, im Norden von Rienz und Drau begrenzt sind. Sind der Gebirgsstöcke in diesem Gebiete auch viele und deren geologischer Aufbau oftmals verschieden, so daß im streng geologischen Sinn der Name nicht gerechtfertigt erscheint, so ist er doch durch den vieljährigen Gebrauch eingebürgert und nicht wohl durch einen andern zu ersetzen.

Es geht über den Rahmen meines Berichtes, orographische und geologische Details zu geben; ich darf ja auch wohl einige Kenntniß des betreffenden Gebietes voraussetzen, zumal seit Jahren die deutschen und österreichischen alpinen Zeitschriften mit Vorliebe sich mit demselben beschäftigen.

Nachdem ich meine Tour am 19. und 20. Juni mit Besteigung der Hochalmspitze und des Ankogl bei glänzendstem Wetter begonnen, kam ich am 21. Juni Nachmittags mit meinen beiden Führern Johann Stabeier aus Taufers und Alessandro Lacedelli aus Cortina in Innichen an. Das prachtvolle Wetter veranlaßte uns, sofort zur Dreizinnenhütte aufzubrechen, um von da die Besteigung der höchsten Zinne zu unternehmen.

Diese Tour ist typisch für die Dolomitalpen und belehrte mich sofort, wie falsch der Eindruck war, den ich vor Jahren mit mir genommen hatte. Auf schönen saftigen Wiesen und durch Wald entlang zieht der Weg das stille Sextenthal hinauf zum Fischleinboden. Fortwährend tauchen stolze isolirte Zinnen auf, die an Kühnheit und Wildheit ihresgleichen suchen.

Nackter Fels herrscht vor; Schnee haftet trotz der frühen Jahreszeit nur in den Rinnen und an wenigen minder abschüssigen Stellen, die kolossale Verwitterung gibt sich in den Trümmern kund, die weit umher den Fuß der Felszinnen umgeben. Und wenn schon dies Bild nicht mehr zu überbieten erscheint, so wird es doch an Großartigkeit noch von dem Anblick übertroffen, der uns auf dem Toblinger Riedel erwartet, wo drei isolirten Nadeln vergleichbar die mächtigen Zinnen vor uns aufsteigen.

Der malerische Reiz des großartigen Bildes, dem ich in den mir bekannten Alpengebieten nur ein Seitenstück in der Lage der Aiguilles d' Arve zum Rieu blanc im Dauphiné anzureihen wüßte, wird durch die warme Färbung der Felsen noch erhöht.

Der Abend auf der Dreizinnenhütte war sternhell und gab der großartigen Landschaft einen gespenstigen Reiz, zumal eine der prachtvollsten Naturerscheinungen hinzukam, für die mir allerdings die Erklärung fehlt. Gegen 8k 10 Uhr schössen vom west-nordwestlichen Horizont fächerförmige, dem Zenith zu immer breiter werdende weiße Strahlen, die von einem unter dem Horizont liegenden Punkt auszugehen schienen, über den ganzen Himmel. Die Erscheinung dauerte etwa 1k Stunde, um sich dann mit noch höherer Intensität entgegengesetzt vom ostsüdöstlichen Himmel ab zu erneuern.

Kurz nach 3 Uhr brachen wir von der Hütte auf und wanderten über den Paternsattel nach der entgegengesetzten Seite der Zinnen zur Einsattlung zwischen der östlichen und höchsten Zinne, wo wir nach kurzem Aufstieg ein ins Herz des Berges hinein-führendes Couloir erreichten.

Die Tour bot für uns alle Reize einer ersten Ersteigung, denn keiner meiner Führer kannte den Weg. Daher kam es, daß wir zu dem Aufstieg, der sonst wohl in 3 Stunden gemacht wird, 48/* Stunden brauchten.

Die Tritte und Griffe sind größtentheils gut und doch gehört die Tour mit zu den schwierigsten mir bekannten. Die Felsen sind sehr steil, die Bänder sehr schmal und manchmal an den abschüssigsten Stellen mit Schutt bedeckt.

Dies erfordert stetige, ungetheilteste Aufmerksamkeit, so daß man während der ganzen Dauer der Besteigung nicht einen Moment zu ruhigem Genüsse kommt. Mir erschienen am schwierigsten die Ueberkletterung eines mehrere Meter hohen Steins, der das untere Couloir abschließt, und die Durchquerung eines höher gelegenen, sehr engen und steilen Kamins von ca. 16 m Höhe, der theilweise mit Glatteis überdeckt war.

Auf dem Gipfel fand ich mehrere Visitenkarten, die beweisen, wie von jüngeren Leuten das Bergsteigen öfters nach der renommistischen Seite ausgebeutet wird. „ Ohne Anwendung des Seils erstiegen ", lautete mehrfach die Aufschrift.

Es läßt sich ja gewiß darüber streiten, ob bei schwierigen Kletterpartien die Anwendung des Seils vorzuziehen ist oder nicht — ich bekenne mich zur erstem Ansicht — aber zu rechtfertigen ist es gewiß nicht, wenn durch Bemerkungen dieser Art, sei es auf Karten mit Besteigungsdaten, sei es in Abhand- lungen über Bergbesteigungen, der Anreiz zu einem falschen Wetteifer gegeben wird, der bereits viele Opfer gekostet hat und noch manche kosten wird.

Der Blick von der Zinne auf die nächste Umgebung ist hochinteressant; Abstürze wie hier habe ich in diesem Jahre zum ersten Male gesehen, selbst die Brenta hat Aehnliches nicht aufzuweisen.

Noch schwieriger als der Aufstieg gestaltete sich der Abstieg, den wir genau auf unserem Wege, den wir theilweise durch Steinmandl markirt hatten, zurücklegten.

Die Tour des zweitfolgenden Tages auf den Antelao erwähne ich nur beiläufig, da sie ja zu den bekanntesten der Dolomite gehört.

Sie erinnerte mich vielfach an die Beschreibung von Ißler's Wintertour ( Zeitschr. D. u. Oe. A. V. XIII ), da auch jetzt der ganze Berg noch im Schneegewand lag und die Wanderung über die sonst schneefreien Lastei, wie die dachartigen, den Grat bildenden Plattenhänge genannt werden, mehr einer Gletscherwanderung als einer Partie in den Dolomiten glich.

Den wahren Dolomit-Charakter dagegen zeigte die Tour auf den Pelmo, die ich von San Vito aus unternahm. Hier tritt ganz besonders die Neigung des dolomitischen Gesteins zur Bänderbildung hervor.

Nachdem man die auf dem Pian di Magier gelegene Casera, wo wir die Nacht sehr gut verbrachten, verlassen und die Ostwand des Pelmo betreten, geht man wohl eine Stunde diese Steilwand auf einem der vielen sie umsäumenden Bänder entlang, ohne in dieser Zeit auch nur 100 Fuß zu steigen.

Interessant gestaltet sich der Weg erst da, wo man von der Ostwand immer auf demselben Schichtenband nach der Südwand des Berges übertritt.

Kaum hat man die scharfe Ecke hinter sich, so betritt man eine circusartige, gegen Süd offene, höchst großartige Schlucht, la Cengia genannt, die im Großen etwa so aussieht, wie die Schneegruben des Riesengebirges im Kleinen.

Zwei weitere, ganz ähnliche Cirken folgen, durch die der Weg immer auf schmalen Bändern dahinfährt. Nur eine Stelle im zweiten Circus ist nicht ganz ohne Bedenken. Hier kommt überhängender Fels dem Bande bis auf Is Fuß nahe, so daß die Ueberschreitung desselben in kriechender Stellung bewirkt werden muß. Dies ist um so schwieriger, als gerade hier das Band glatt und plattig ist. Im dritten Circus führt eine steile Schneerinne in 's Massiv des Berges hinein. Nach kurzem Klettern erreicht man einen kleinen steilen Gletscher, von dessen Rand man zuerst die einer mächtigen Festung ähnliche höchste Spitze sieht.

Der Gipfel bietet eine Aussicht, die reichlich die nicht allzu große Mühe der Besteigung lohnt.

Mir ist bei meinen Besteigungen stets der Blick auf das zunächst Liegende die Hauptsache; die Fernsicht bietet von höhern Gipfeln selten ein schönes Bild und hat selbst auf weit auseinander liegenden Gipfeln desselben Gebietes viel Gleichmäßiges.

Hier fesselt vor Allem der Blick auf die enormen, senkrechten West - Abstürze des Pelmo nach dem Piorentinathal, der Antelao, die Sorapiss, die durch ihre schönen Formen ausgezeichnete Kette der Sfornioi, der Sasso di Bosco nero, und endlich das Ziel des nächsten Tages, die Civetta.

Der Abstieg war bis la Cengia derselbe, dann wandten wir uns nach Südwest und eilten in flottem Marsch nach Mareson im Val di Zoldo, wo wir bleiben mußten, da das Wirthshaus in Pecol, dem höchsten Ort des Thals, wie wir unterwegs erfahren hatten, seit vorigem Jahre eingegangen war.

Der folgende Tag galt der Civetta. Diese Tour gehört mit zu den schwierigsten meiner diesjährigen Besteigungen; hätte ich die Tücken des Berges zuvor gekannt, so wäre ich ihm wahrscheinlich aus dem Wege gegangen.

Tuckett, der den Berg im Jahre 1867 zuerst erstieg, hätte das Wagniß in Folge von Lawinen fast das Leben gekostet; er schrieb jedoch deren Häufigkeit der frühen Jahreszeit — 31. Mai — zu.

An dieser frühen Jahreszeit lag es offenbar, daß er von einer andern eminenten Gefahr, den hier sehr häufigen Steinschlägen, nichts merkte.

Das von Tuckett benutzte Schnee-Couloir, das den Zugang zum Berge vermittelt und relativ leicht ist, durften wir beim Aufstieg zu betreten nicht wagen, denn eben als wir davor standen, ging eine der größten und furchtbarsten Steinlawinen, die ich je sah, dort nieder, und weiterer Steinfall schien wahrscheinlich.

In der starken Verwitterung des Gestein's liegt zwar die romantische Pracht der Dolomitberge, aber auch diese nicht zu unterschätzende Gefahr des Stein- .'%. -. falls, die für den vorsichtigen Touristen manche Touren, wie Elfer und Zwölfer z.B., überhaupt ausschließt.

Die drohende Gefahr veranlaßte uns denn, die rechtsseitig, d. i. östlich des Couloirs gelegenen Felsen zu wählen, denn so schlimm und plattig sie aussahen, so war doch hier Steinschlag ausgeschlossen.

Eine schwierige Kletterei von fast einer Stunde brachte uns zum Ende des Couloirs und an das eigentliche Massiv heran, das durch seine durch die Einwirkung der Lawinen geglätteten Felsen der Schwierigkeiten noch genug bietet und genügend erklärt, warum der Berg trotz seiner centralen Lage und seines überaus herrlichen Blicks auf den blauen Alleghe-See so sehr selten bestiegen wird. Mir war es leider nicht beschieden, außer dem Blick auf den See, viel von der Aussicht zu sehen, denn bei den großen Umwegen war es nahe an 12 Uhr geworden, /als wir die Spitze erreichten, und nach 10 Uhr ist * in diesen Gegenden kaum eine Chance für Aussicht vorhanden, da dann fast immer Nebel aufsteigen.

Der Gipfel bildet eine von NNW nach SSO verlaufende ca. 40 m lange Schneide, die gegen Alleghe hin* mit Schneewächten gekrönt ist.

Die Luft war so still, daß, wie ich drei Tage zuvor vom Gipfel des Antelao das Fest von San Giovanni, das in San Vito gefeiert wurde, hatte einläuten hören, ich hier deutlich das Mittagsläuten von Pecol hörte.

Die Neigung der letzten Hänge ist eine sehr bedeutende, 50° gewiß überschreitende, die Schneever- 14 hältnisse waren aber so vorzüglich, daß wir weder eine Stufe brauchten, .noch selbst die Steigeisen benutzten.

Der Abstieg ging trotz dem Nebel ohne Zwischenfall von Statten; eine Stelle, wo die Wand in glatten, fast 70° geneigten Platten gewiß gegen 35-40 m abfiel, nöthigte uns zum ersten Mal auf der ganzen Reise, von unsern beiden Seilen Gebrauch zu machen, und bereitete uns viel mehr Schwierigkeiten als beim Aufstieg.

Die zum Aufstieg benutzten Felsen rechtsseitig des Couloirs erschienen zum Abstieg gänzlich un-prakticabel, und so zogen wir es vor, so schnell als möglich den Schnee des Couloirs hinabzurennen, und waren froh, als wir dasselbe ohne nähere Bekanntschaft mit seinen Geschossen hinter uns hatten.

Am nächsten Tage gingen wir über die Forcella grava und den Passo di Duram nach dem prachtvoll gelegenen, aber sehr heißen Agordo, erneuerten nach einer schönen Wagenfahrt durch das Cordevolethal unsere Bekanntschaft mit der Civetta auf angenehmere Weise von dem mit Recht so vielgepriesenen Alleghesee aus und schliefen in Cencenighe, um von da am folgenden Morgen über den Passo di Comelle nach dem von mir vielersehnten San Martino di Castrozza zu wandern.

Ich muß dieses Passes etwas ausführlicher gedenken, da ich romantischere Landschaften, als sie hier in wenigen Stunden aufeinander folgen, nirgends gesehen habe.

l'fi, Von Cencenighe steigt man im Bioisthai nach Forno di Canali, wendet sich hier links, d. i. westlich, nach Gares und steigt von hier südlich an dem Wasserfall des Torrente Liera hinauf nach der Lieraschlucht, die mit ihren vielen Cascaden und schönen Felspartien, ihren hohen senkrechten Wänden, und den vielen den Bach oft gänzlich überdeckenden Lawinenresten eine Reihe der großartigsten Bilder bietet-.

Leider ist das Wenige, was hier von Weg existirt, im schlechtesten Zustand und wird derselbe von unsern Collegen vom Club alpino italiano sehr vernachläßigt. Ich hätte beinahe unfreiwillige Bekanntschaft mit dem wild dahinstürmenden Lierabach gemacht, indem an einer Stelle, wo zwei Felsen hoch über dem Wasser durch drei darüber gelegte Baumstämme überbrückt waren, der mittlere dieser morschen Stämme unter mir durchbrach, so daß ich rittlings auf den linken Stamm zu sitzen kam und nur Lace-delli's rasch dargebotene Hand mich vor gänzlicher Durchnässung oder noch schlimmerem Schicksal rettete.

In einer kleinen Erweiterung der Schlucht fanden wir Hunderte von blühenden Maiglöckchen, eine liebliche Erscheinung in dieser Wildniß.

Am Ende der Schlucht öffnet sich ein etwa eine halbe Stunde langer, ebener, schutterfüllter Thalkessel, das Val Comelle, das zur Rechten von den Steilwänden des zur Palagruppe gehörenden Fuocobuono, zur Linken vom Monte Caos eingerahmt wird. Dann geht es ein steiles Schneecouloir zum Paß hinauf, wo sich der Blick auf 's Plateau der Palagruppe öffnet. Leider war der schöne Anblick nur von kurzer Dauer, denn plötzlich stiegen so dichte Nebel auf, daß wir trotz der Nähe des Rosettapasses in die Irre gingen und auf die Höhe des Passo di Val di Roda gelangten, wo wir erst bei einem momentanen Lichterwerden unsern Irrthum erkannten und den richtigen Weg einschlugen.

Vom Rosettapaß stiegen wir dann in einer guten Stunde nach San Martino ab.

Hier benutzte ich das anhaltende gute Wetter zu Ausflügen auf die Cima Tognola, die Cima di Ball und die Cima di Vezzana.

In Details dieser Besteigungen, über die verschiedene Publikationen vorliegen, brauche ich wohl nicht einzugehen, doch kann ich einige Bemerkungen über die Primörgruppe nicht unterdrücken, die trotz der hochromantischen Situationen der letzten Wochen neben den Fassaner Bergen, die ich kurz darauf besuchte, noch als eine Steigerung der Romantik erschien.

Nirgends in den Alpen ist die Zerklüftung weiter vorgeschritten, als hier in der Palagruppe und in dem zur Rosengartenkette gehörigen Vajolett, nirgends sind phantastischere Felsen, wildere Zinnen zu erblicken. Dazu kommt, daß die Berge der Palagruppe ganz in einem Guß und ohne vermittelnde Absätze bis zum Gipfel hinansteigen.

Weithin um diese kahlen Zinnen erstrecken sich Schuttkare ohne jeden Pflanzenwuchs; gleich aber an deren Rand finden wir die ganze Ueppigkeit einer südlichen Vegetation, die neben prachtvollen Waldungen die herrlichsten und blumigsten Wiesen hervorzaubert.

Mit solcher Umgebung bildet San Martino einen, der reizvollsten Aufenthalte der gesammten Alpen, der noch die Annehmlichkeit eines Unterkommens ersten Ranges bietet. Wäre nicht das Stift von Trient, dem das Terrain von San Martino gehört, jeder Erweiterung des Gasthofes, der bis jetzt nur 40 Personen faßt, abgeneigt, so wäre gewiß schon heute San Martino einer der besuchtesten Alpenplätze.

Aus den Touren in der Palagruppe erscheint mir besonderer Erwähnung werth nur der Abstieg von der Cima di Vezzana über den fast nie gemachten Passo Travignolo, jenen steilen vergletscherten Kamin, der sich bis zur Einschartung zwischen Cimon della Pala und Vezzana hinaufzieht und der seinen ersten Ueberwindern, den Herren Tucker und Freshfield, fast das Leben gekostet hätte.

Auch wir machten beinahe nähere Bekanntschaft mit den dort heimatsberechtigten Lawinen; mehrfach schössen solche in unserer unmittelbarsten Nähe in den zahlreichen Lawinenrinnen, die wir wohlweislich vermieden, nieder, darunter eine so große, daß sie die tiefe Rinne neben uns ganz ausfüllte und wir den heftigen Luftdruck stark merkten.

Wir hatten der Schußlinie der Lawinen nicht ganz ausweichen können, da wir sonst aus dem Regen in die Traufe gekommen wären und es noch viel weniger wagen durften, uns in die Nähe der an jenem Tage fast ununterbrochen vom Cimon mit donnerähnlichem Getöse abstürzenden Steinlawinen zu begeben.

Es ist dringend zu empfehlen, diesen Paß nur bei ganz früher Tageszeit zu betreten, da derselbe, wenn erst die Sonnenstrahlen ihre Wirkung äußern, höchst gefährlich ist.

Von San Martino fuhren wir auf dem bekannten Wege über den Rollepaß und über Paneveggio mit seinem großartigen alten Wald ins Fassathal, wo ich, für den heimkehrenden Lacedelli, Luigi Bernard von Campitello engagirte.

Nach Besteigung der Marmolata nahmen wir einen mehrtägigen Aufenthalt in Vigo, um von dort aus König Laurin's Zauberreich zu besuchen.

Und ein Zauberreich fand ich dort, denn der Zauber der Berge hat mich so umstrickt, daß ich nicht nur meinen Aufenthalt weit über die geplante Zeit ausdehnte, sondern auch mit der festen Absicht, schon nächstes Jahr dahin zurückzukehren, die Rosengartengruppe verließ.

Wer das Glück gehabt hat, wie ich, von der Rothwandspitze und mehrfach von dem von Vigo aus bequem in 2 Stunden erreichbaren Ciampedié, einem kleinen Vorberg der Mugoni, die die Thäler von Vajolon und Vajolett beherrschenden prächtigen Nadeln, Klippen und Zacken in nach dem Stande der Sonne verschiedenster Färbung zu sehen, dem wird wie mir diese Gegend unvergeßlich sein.

Tags nach Besteigung der Rothwandspitze unternahm ich die Tour auf die noch unerstiegene zweite Larsecspitze, Pala delle Fermade der Alpinisti Tridentini. Sehr früh schon erreichten wir über die mir schon wohlbekannten Höhen von Ciampedié die Hütten von Gardeccia im obern Vajolett und stiegen von da über das rechter Hand zur Larsecgruppe hinauf- führende Schuttkar einem engen steilen Couloir zu, das leicht daran kenntlich ist, daß von ihm eine Wildbaehrinne herabkömmt.

Das Couloir war reichlich mit Schnee vorzüglichster Beschaffenheit angefüllt. Da und dort war es durch große Steine versperrt, die bald so aufsaßen, daß wir sie erklettern mußten, bald wieder so, daß L. Darmstädter del.

8. VII. 87.

Die zweite Larsecgpltze ( Pala delle Fermade ) vom oberen TajolettThale ans.

wir zwischen ihnen und der Couloirsohle wie durch einen kleinen Tunnel durchkriechen konnten. In jedem Falle erleichterte uns der Schnee unsere Aufgabe ganz wesentlich. Nach einer Stunde waren wir am Ende der Rinne und betraten ein Schuttkar, das uns direct zum Gipfelmassiv brachte.

Hier lagen in Fortsetzung unseres Weges zwei Pfade vor uns, indem zwei Couloirs in die vo* uns liegende fast senkrechte Wand einschnitten.

Unser gewohntes Glück ließ uns die links gelegene, schwerer erscheinende Spalte wählen; die rechts gelegene hätte uns, wie wir später sahen, nicht zur Spitze gebracht. Die Kluft war eng und beiderseits von hohen, senkrecht abstürzenden Wänden eingeschlossen. Tiefe Dämmerung und Eiseskühle empfingen uns. Schon nach 50 Schritten schien sie durch einen eingeklemmten Felsblock gesperrt, unter dem wir indeß durchkriechen konnten. Bei der Steilheit des Couloirs war uns seine Enge förderlich, indem wir uns an den schlimmsten Stellen an die Wände anstemmen und so vorwärts schieben konnten. Mehrfach wurden wir noch durch Felssperrungen aufgehalten, bis wir nach etwa V2 Stunde eine Gabelung der Rinne erreichten. Da der linke Arm gleich abzubrechen schien, wurde der rechte, der auch der richtige war, verfolgt.

Der erste Anstieg zu ihm war sehr schwierig. Eine Wand von circa 10 m Höhe, die durch einen an ihr niederrieselnden Bach durchnäßt und geglättet war und an der fast jeder Stützpunkt fehlte, mußte erklettert werden.

Der Kamin verengerte sich nun wieder und war an einer Stelle durch herabgestürzte Felsen derart versperrt, daß als einziger Ausweg ein kleines Loch übrig blieb, durch das ich mich eben noch mit Mühe hindurchzwängen konnte. Noch manche aufregende Stelle war zu überwinden, ehe wir die letzten Gipfelfelsen erreichten. Der Berg hat drei Gipfel, die, sämmtlich noch unerstiegen, der Reihe nach von uns erklettert und mit Steinmandl gekrönt wurden, mit Streifzüge in den Dolomiten.

deren Aufsuchen sich am folgenden Tag Stabeier von Ciampedié aus höchlichst amttsirte.

In Folge dieser charakteristischen Gipfelbildung des Berges habe ich mir erlaubt, statt des bedeu- L. Darmstädter del.

8. VII. 87.

Die drei Gipfel ( 3, 1 und 2 ) der zweiten Larsecspitze vom Gartl aus.

tungslosen Namens der Trientiner den Namen Pala delle tre Cime in Vorschlag zu bringen.

Die drei Gipfel bauen sich in einem Halbkreis von Ost nach West auf.

Der östlichste, von der durch Stafford Anderson zuerst erreichten Larsecspitze durch eine tief eingerissene, anscheinend unpassirbare Schlucht getrennte Gipfel ist der höchste.

Die Aussicht auf die Rosengartengruppe ist von hier fast noch großartiger als von der Rothwandspitze.

Beim Abstieg, der, wie bei all' solchen Touren, schwieriger und langwieriger als der Aufstieg war, kam uns die Schneebedeckung ganz besonders zu Statten.

Ich bin der Meinung, daß im Hochsommer, wenn in den Couloirs blankes Eis sich findet oder wenn dieselben ganz aper sind, die Tour kaum ausführbar ist, zumal dann die Steingefahr eine ganz eminente sein müßte.

Die letzte meiner Touren im Dolomitgebiet galt zwei Tage darauf der Rosengartenspitze.

Diesmal gingen wir statt über Ciampedié von Perm aus das Vajolettthal hinauf und wandten uns in dessen oberstem Theil links zum Gartl hinauf, dessen Höhe von Bozen aus als glänzender Schneefleck mitten in der Rosengartenkette sichtbar ist.

Am Rand des Gartl fanden wir einen kleinen Eissee, auf dem im tiefsten Blau schimmernde Eisblöcke herumschwammen.

Der Blick von der Höhe des Gartl auf Tiers und Bozen ist wundervoll und bietet den denkbar stärksten Contrast zur Wildheit der Umgebung.

Von hier geht es die westlich anstehende, schlimm genug aussehende Wand theils in einer steilen Rinne, theils auf deren rechter Seitenwand hinauf.

Besondere Schwierigkeiten fand ich, trotz theil-weiser Vereisung der Rinne, hier nicht; erst oberhalb der Rinne kommen einige heikle, plattige Stellen.

Mit Erreichung des Grates, wo sich ein Prachtblick in 's Vajolett öffnet, sind alle Schwierigkeiten hinter uns.

Die Spitze bietet eine der umfassendsten Rundsichten auf das ganze Tiroler Alpengebiet. Vom Adamello und der Brenta bis zum Ankogl konnte ich fast jede bedeutendere Spitze herausfinden, und auch die Dolomitberge gruppiren sich hier zu einem abgerundeten Bilde. Aber auch hier ist das Reizvollste der Vordergrund, ein wahres Labyrinth von Nadeln, Zacken, Thürmen und Felsenzinnen phantastischster Form.

Den Abstieg machten wir über den selten begangenen Santnerpaß. Von der Höhe des Gartl steigt man im ersten der von dort hinabführenden Schnee-kamine ab. Bald fällt der Kamin in senkrechter Wand ab, an der kein Weiterkommen mehr möglich ist. Hier wendet man sich links und gelangt durch ein Felsenthor in einem zwischen hohen Thürmen hinziehenden Engpaß in steilem Auf- und Abstieg nach einem südlicher gelegenen Kamin.

Dasselbe Spiel wiederholt sich mehrere Male, bis man endlich das Ende der westlichen Rosengarten-wand erreicht und auf einem Geröllfeld zu dem links des Tierser Baches gelegenen, nach Tiers hinabführenden Wald absteigen kann, welcher Weg entschieden dem gewöhnlichen auf der rechten Bachseite hinabführenden vorzuziehen ist.

Die Kletterei war eine sehr aufregende; blickt man vom Thal aus zurück, so hält man es nicht für möglich, diese fast senkrechten Wände zu durchqueren.

Hiermit beschloß ich meine Tpur in den Dolomiten, um noch einige Tage für den Pflerscher Tribulaun und das Stubai zu verwenden.

Ich würde mich freuen, wenn es mir gelungen wäre, durch meine Darstellung einige Clubgenossen anzuregen, den noch so wenig besuchten Gruppen von Primör und Vajolett einen Besuch abzustatten. Auch die kleinern Touren bieten dort so viel Herrliches, daß gewiß Jeder, gleich mir, dort bewundernd verweilen und begeistert heimkehren wird.

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