Thermografie im Schnee
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Thermografie im Schnee

Warum und wie Lawinen entstehen, ist und bleibt eine komplexe Frage. Ein kleiner Baustein für die Verbesserung der Kenntnisse liegt im Bereich der thermischen Prozesse. Im Winter 1997/98 wurde deshalb am Institut für Schnee-und Lawinenforschung SLF gete-stet1, ob Infrarot ( IR)-Aufnahmen im Schnee möglich sind und ob dadurch neue Informationen zur Temperaturentwicklung in der Schneedecke gewonnen werden können. Interessante Aufnahmen entstanden dabei vor allem beim Betrachten der Schneeoberfläche und bei Schneeprofilen.

1 Diese Versuche wurden im Rahmen eines Ge-meinschaftsprojekts zwischen der Abteilung Bauphysik der Eidgenössischen Materialprü-fungs- und Forschungsanstalt EMPA, Dübendorf, und dem Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos, durchgeführt.

Foto: Martin Bosshard St'Moritz mit Piz Julier Abb. 2 26.1.1998, 1O.35 Uhr, Nor-malfoto von St. mit Piz Julier. Die Südosthänge im Skigebiet sind schon lokale Unregelmässigkeiten in der Schneedecke. Zudem können IR-Aus-wertungen von Schneeprofilen zur Verifikation bestimmter Computermodelle, die Berechnungen von Tem-peraturverteilungen und Wärmeflüs-sen ausführen, herangezogen werden.

Wie das Bild von der Region St. Moritz zeigt, können Wärmebilder auch auf grosse Distanzen aufgenommen werden. Je nach Wetter und Entfernung ist die absolute Tem-peraturangabe dabei nur mässig genau ( Gründe: Auflösung, Luftfeuchtigkeit u.a. ), die Differenzwerte innerhalb des Bildes sind jedoch ( bei gleichen Objekt-Emissionswerten ) meist sehr präzis ( vgl. Abb. 2 und 3 ).

Der Temperaturgradient in der Schneedecke Ein Schneeprofil liefert verschiedene Informationen über die Schneedecke. Neben der Schichtstruktur, der Schichthärte, den Kornformen usw. ist auch die Temperaturverteilung bzw. der Temperaturgradient wichtig. Im Hochwinter sinkt bei klarem Himmel infolge starker Wärmeab-strahlung die Oberflächentemperatur der Schneedecke weit unter die Lufttemperatur ab. Die Temperatur am Boden der Schneedecke pendelt sich hingegen wegen der Isolationswirkung des Schnees und des geo- Abb. 1 Die IR-Kamera der EMPA mit ( v. I. ) Kamerakopf auf Stativ, Aufnahmegerät mit LCD-Bildschirm, Behälter für Flüssigstickstoff ( -195,. " " .7° C ) und Akku für Feldeinsatz Abb. 3 Zu erkennen sind die extremen Unterschiede der Schneeoberflächentempe-ratur zwischen den besonnten Hängen und der schattigen Seeoberfläche; Bereich: -5°C bis -30° C.

lange in der Sonne, während die Talsohle ( See ) immer noch im Schatten liegt.

Wie funktioniert eine Infrarot-kamera Beim Thermografie-Aufnahme-verfahren wird die Wärmeabstrah-lung eines Objekts im Infrarotbe-reich sichtbar gemacht. Die Kamera liefert dem Aufnahmegerät mittels einer Spiegel-Optik ca. 53000 einzelne Messwerte. Diese werden zu einem Wärmebild ( 256x207 Bildpunkte ) zusammengesetzt, indem jedem Wert eine bestimmte Farbe zugeordnet wird. Mit dem Vorgeben einer Empfindlichkeit ( bis 1/10 Kelvin ) und einer bestimmten Basistemperatur erhält man ein Bild, das eine grössere oder kleinere Spannweite von Temperaturen aufzeigt. Die gleiche Aufnahme kann also mit veränderten Einstellungen optisch völlig unterschiedlich dargestellt werden.

Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Wellenlängenbereich 0,4 bis 0,7 |xm, die verwendete In-frarot(IR)-Kamera « NecTH 3101 MR » arbeitet zwischen 8 und 13 ixm. Sie misst damit die maximale Intensität der Umgebungstemperatur im sogenannten atmosphärischen Fenster, wo die Luft « IR-durchsichtig » ist.

Für die Interpretationen der Bilder braucht es Fachleute, denn es ist einerseits wichtig zu wissen, welche Absorptions- und Emissi-onswerte die Materialien ( bzw. ihre Oberflächen ) im Bild haben, und andererseits ebenso wichtig zu erkennen, dass Reflexionen der Umgebung, z.B. durch warme Gebäu-deflächen, das Bild verfälschen können.

-35° C ( Nacht ) bewegen ( vgl. Abb. 2 und 3 ).

Das Auswertungsdiagramm eines frisch abgestochenen Schneeprofils ( vgl. Abb. 5 ) zeigt mit der fetten roten Kurve die Temperaturverteilung in den obersten 30 cm einer insgesamt 70 cm dicken Schneedecke. Durch das Ansteigen der Oberflächentemperatur am Tag ( Aufnah-mezeit ca. 15.30 Uhr ) wird der Temperaturgradient von der Nacht stark « zurückgebogen ». Je flacher ( d.h. je grösser ) dieser Gradient ist, desto stärker ist der « Motor » für die aufbauende Metamorphose, die auch zur gefährlichen Tiefenreifbildung führen kann.

Die IR-Auswertungen zeigen in einer bisher nie erreichten Genauig- EEerie HillawMd, Dist ITO '. ' BZTT SeYBäcTi'WsïïcKThTT y-ScïïmTIW1 78x Emls:1 Ofl 2 SyS2poitirt.3/1.3 Dale:27.01 98-15:28:19 Temperatur [°C] Nacht thermischen Wärmeflusses meist um 0° C ein. Je nach Dicke der Schneedecke ergibt sich daraus ein mehr oder weniger grosser Temperaturgradient, der als « Motor » für die Dampf-diffusion, den Wärmefluss und damit auch für die Umwandlung der Schneekristalle ( Metamorphose ) wirkt. Allerdings ist diese Temperaturkurve nicht ein stationärer Wert, sondern sie verändert sich dauernd. Vor allem im oberflächennahen Bereich nähert sie sich mit Verzögerung der ständig wechselnden Oberflächentemperatur an. Diese kann sich z.B. an einem kalten, klaren Wintertag ohne weiteres im Bereich von ca.5° C ( besonnte Fläche ) bis zu Abb. 5 Temperaturen entlang der weissen Schnittlinie vom IR-Schneeprofil. Die verschiedenen Kurven zeigen die Veränderung im Verlauf der Zeit, wobei die keit, wie der Gradient gerade in den oberflächennahen Schichten besonders gross und veränderlich ist. Diese Genauigkeit kann mit Temperatur-Handmessungen nicht erreicht werden, da die in die Schneedecke eindringende Strahlung den Messfühler beeinf lusst und das Instrument zudem selber eine Wärmequerleitung erzeugen kann.

Ein geöffnetes Schneeprofil bietet einen « Einblick » in die innern Zustände der Schneedecke. Es verändert sich aber relativ schnell, da nach dem Aufgraben die kalten Luftmassen plötzlich bis zu den wärmeren, bodennahen Schichten gelangen. Es stellt sich daher die Frage, wie schnell Abb. 4 Infrarotbitd der obersten 30 cm eines Schneeprofils ( Davos, 27.1.1998, 15:28:49 Uhr, totale Schneehöhe 70 cm ). Auf der weissen y-Schnittlinie werden die Temperaturwerte im 1-mm-Abstand erfasst und für das Diagramm in Abb. 5 verwendet. Unter der weissen Linie hat das Temperaturpro-fil keine Fortsetzung, da der Schaufelabstich in der Schneedecke nur bis auf ca. 30 cm Tiefe reicht.

Lufttemperatur ca. 9 C -22 -20 -18 -16 -14 -12 -25 Boden bei - 70 cm Davos, 27.01.1998 1 1 sek 4sek 10 sek 20 sek 30 sek 40 sek 50 sek 60 sek 80 sek ca. 40 min -30 1-Sekunden-Kurve ( rot ) praktisch der wahren momentanen Temperatur in der Schneedecke entspricht. Die gezackte Linie über der Oberfläche zeigt das Phänomen der unterschiedlichen Oberflächen-Temperaturen ( vgl. Abb. 4/IR-Bild « Nahaufnahme » ).

Wissenschaft und Bergwelt Abb. 6 8.1.1998, 16:16:46 Uhr: Normales IR-Bild. Zu erkennen ist, dass infolge verminderter Abstrahlung unter den Querstangen lokal höhere Temperaturen herrschen.

Abb. 7 8.1.1998, 16:16:58 Uhr Gleiche Kameraposition, gleiche Einstellung wie IR-Bild A, aber 12 Sek. später. Der leichte Wind ( Lufttempera- Abb. 9 8.1.1998, Ausschnitt aus dem Versuchsfeld des SLF auf dem Weissfluhjoch. Bei schönem Wetter liegt das Blickfeld um 16.16 Uhr bereits im Schatten. Auf den weissen Querstangen ( ca. 8 cm ) sind verschiedene Messgeräte montiert.

tur ca.6° C ) erhöht die Temperatur der Schneeoberfläche stellenweise um 1,5° C.

eine Serie von Temperaturkurven zu verschiedenen Zeitpunkten nach einem Profilabstich aufgezeichnet ( vgl. Abb. 5 ). Die Originaldaten stammen von einem IR-Film mit Bildern im Se-kundenintervall. Es ist gut ersichtlich, dass eine Extrapolierung auf den Zeitpunkt x = Null keinen wesentlichen Unterschied mehr zur Ein-Se-kunden-Kurve ergeben würde, bzw. dass die Ein-Sekunden-Werte praktisch die wahren Temperaturwerte der Schneedecke zeigen.

Die Oberflächentemperatur Bei der Betrachtung verschiedener Schneeoberflächen wurde bald klar, dass die Oberflächentemperatur nicht ein « fixer » Wert ist, sondern dass sie je nach räumlicher und zeitlicher Auflösung stark variiert.

Folgende Beispiele zeigen die Gründe für die Abweichungen und ihre Grösse:

Einfluss der Strahlung: Besonnte Flächen sind wärmer als Schattenzo-nen. Durch schnelle Wechsel zwi- Abb. 8 Subtraktion der Bilder A und B. Das Resultat ist ein Differenzbild, das die Veränderung zwischen den beiden Aufnahmen darstellt ( mit neuer Skala ). Daraus wird ersichtlich, dass die kurzfristig unterschiedlichen Oberflächentemperaturen nicht eine statische Ursache haben ( z.. " " .B. verschiedene Schneehöhen ), sondern durch den Windeinfluss lokal und schnell verändert werden. Feste träge reagierende Materialien ( Montagestangen ) verändern ihre Temperatur in diesem kurzen Zeitraum kaum, sie werden auf Null weg-subtrahiert ( 0° C = grün ).

sich messbare Veränderungen an der Profilwand ergeben, bzw. ob eine IR-Aufnahme überhaupt die wahren Temperaturverhältnisse in der Schneedecke zu einem bestimmten Zeitpunkt x aufzeigen kann. Um darauf eine Antwort zu finden, wurde schen Besonnung und Schatten ( teilweise Bewölkung ) entstehen auf der Schneedecke puzzleartige Oberflächentemperaturen. Ein Messwert für diesen Veränderungsprozess Son-ne-Schatten ergab einen Temperaturabfall von 4° C/Min.

Veränderung durch Wind: « Luft-pakete », die über die Oberfläche ziehen, erzeugen in kurzer Zeit lokale Erwärmungen ( vgl. Abb. 6 bis 8 ).

Struktur der Oberfläche und Lage der Schneekristalle: Detailaufnahmen von Oberflächenreif zeigen, dass auf kleinstem Raum ( Millimeterbereich ) Temperaturunterschiede von bis zu 4° C entstehen. Zu beachten ist dabei, dass dieses Phänomen nur mit IR-Nah-aufnahmen dargestellt werden kann, da mit zunehmender Distanz zum Objekt die räumliche Auflösung schlechter wird und diese Differenzen in einem Mittelwert verschwinden.

Inhomogenität der Schneedecke: Diese kann sich auch in unterschiedlichen Oberflächentemperaturen auswirken. Das bisherige Bildmaterial zeigt in einigen Fällen zonale Temperaturdifferenzen, die nicht den bereits angeführten Phänomenen zugeordnet werden können. Die genauen Ursachen für diese Unterschiede sind noch nicht bekannt. Ein Grund könnte in den unterschiedlichen Ober-flächenbeschaffenheiten wie hart/weich oder feinkörnig/Reif liegen ( vgl. Abb. 9 und 10 ).

Ortung von Lawinenopfern Vor Beginn der Arbeiten im Schnee wurde auch nach der Anwendung der Thermografie für die Perso-nenortung bei Lawinenunfällen gefragt. Aus physikalischer Sicht bestand jedoch wenig Hoffnung auf Erfolg, was mit verschiedenen IR-Feld-einsätzen auch bestätigt wurde.

Folgende Gründe sprechen gegen eine Personenortung über die Oberflächentemperatur der Schneedecke:

- Die IR-Kamera erfasst nur die Temperatur der Schneeoberfläche, sie hat keinen « Röntgenblick ».

- Ein Lawinenkegel mit Verschütteten hat während einer gewissen Zeit nach dem Lawinenabgang keine « geordneten » Temperaturen mehr, der Schnee ist total durchmischt. Erst wenn sich wieder ein Temperaturgefälle aufgebaut hat, wäre eine Ortung denkbar.

- Ein Verschütteter verursacht an der Schneeoberfläche nur eine sehr kleine Temperaturerhöhung ( einige Zehntelgrade !). Diese kann mit IR-Bil-dern nicht mehr nachgewiesen werden, da sie durch die natürlichen Temperaturveränderungen von Wind und Strahlung praktisch vollständig verwischt wird.

Der Lawinenhund erhält also durch den Einsatz der IR-Kamera keine Konkurrenz.

Ausblick Die Zusammenarbeit von EMPA und SLF ermöglichte, nach Vorversuchen im Jahr 1993, verfeinerte Einsichten in die thermischen Verhältnisse der Schneedecke.

Die dabei gesammelten Daten geben Hinweise für zukünftige Modell-entwicklungen der Schneedecke und führen damit auch zu bessern Kenntnissen für die Entstehung von Lawinen.

Aber auch bei praktischen Anwendungen eröffnen sich mit der Ther-mografie neue Möglichkeiten. So soll das Verfahren in einem Ski-Wachs-Belagsprojekt am SLF angewendet werden, um die thermischen Vorgänge auf der Schneeoberfläche besser zu verstehen. Denkbar sind auch Aufnahmen von Schneebiwaks, um neue Grundsätze für die thermisch optimale Konstruktion abzuleiten. In der Abteilung Sicherheit der EMPA St. Gallen werden Schlaf- und Biwaksäcke thermografisch überprüft, um wärmetechnische Schwachstellen aufzufinden.

Christoph Tanner, EMPA, Dübendorf, und Paul Föhn, SLF, Davos Abb. 13 Auf der IR-Aufnahme sind die « warmen » Gebäude sowie einzelne durch Sonnenstrahlung aufgeheizte Felsen nicht mehr im Farbskalabereich. Dafür sind aber die unterschiedlichen Schneeober-flächentemperaturen und die beiden Skifahrer sehr gut zu erkennen.

Abb. 10 Nahaufnahme von einem Oberflächenreif: Ersichtlich werden die beträchtlichen Temperaturunterschiede in der Oberflächenstruktur. Der ca. 20x20 cm grosse Bildausschnitt ( oben liegt eine Kreditkarte auf dem Schnee ) ergibt eine Bild-auflösung von ca. 1x1 mm1 Pixel ).

Neben der Farbskala sind in dieser Darstellung der Maximal-, der Minimal-und der Durchschnittswert aller Temperaturen aus dem weissen Rechteck A berechnet.

Abb. 11 Die IR-Kamera ist keine Konkurrenz für den Lawinenhund!

Abb. 12 Blick vom SLF-Versuchsfeld aus zum Gipfel des Weiss-fluhjochs mit den Gebäuden von Bahn und SLF *$»4*ari«äiä!

Eniis:0 98 59 X220 6'C Zoom 1 0/1 0 Date 24 03 98-11« 29 i Alpinismus, Berg- u.a. Sportarten i Alpinismo e altri sport di montagna i Alpinisme et autres sports de montagne Roger Büdeler, Hamburg ( D )

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