Unbekannte Urnerberge
Von Hans Koenig
Mit 1 Bild ( 21 ) und 3 SkizzenZürich und sisikon ) Pour connaître un pays, il faut y vivre.
Charles Simon Er hatte recht, der liebe, alte Freund Charles Simon. Um eine Gegend zu kennen, muss man längere Zeit dort gelebt haben. Er, der vielgereiste Mann von umfassender Bildung und feinem Verständnis für Kunst und Literatur, für Land und Leute, war sehr zurückhaltend und bedächtig in seinem Urteil. Fragte man ihn über fremde Länder, dann sagte er: « Je ne connais que l' Alsace où je suis né, quelques parties de la France où j' ai vécu quelques années, et la Suisse qui est ma seconde patrie depuis 40 ans. De tout le reste du monde que j' ai parcouru je n' ai que des impressions - quelques fois très fortes - mais cela ne suffit pas pour juger d' un pays et de son peuple. » Diese Wahrheit habe ich erst im Laufe der Jahre erfasst. Während mehr als drei Jahrzehnten habe ich alljährlich von Zürich aus das Urnerland besucht, wohl alle wichtigen Gräte und Gipfel überklettert und geglaubt, es zu kennen. Nachdem ich aber in zwölfjähriger Verbundenheit mit Land und Leuten in engere Fühlung gekommen bin, scheint es mir, ich sei früher auch der Reisende gewesen, der vom Fenster des Eisenbahnwagens aus sich ein Urteil über Land und Volk bildet und aus zufälligen Erlebnissen und Geschichten glaubt, dessen Seele erfassen zu können. Dazu braucht es mehr. Nicht ganz zu Unrecht rufen die Urnerkinder, wenn man vor einer Alphütte mit ihnen zu sprechen versucht: « Müeter, chum üse, es sind Främdi da! » Erst im Umgang mit den Urnern lernte ich dieses eigenartige Völklein und sein wildes, urchiges Land mit den vielen verborgenen Schönheiten kennen. Man führte mich abseits der Heerstrasse einsame, steinige Wege zu kleinen Kapellen, die errichtet wurden zur Erinnerung an frühere Lawinen- und Wasserkatastrophen. Votivtafeln gemahnen an das Unglück und den Spender. Aber die heutige Zeit hat dafür keinen Sinn mehr, waren doch auf der Rückseite einer solchen Votivtafel Jassresultate mit Kreide aufgezeichnet! Man zeigte mir verborgene Jäger- und Kletterwege, die auf keiner Karte zu finden und in keinem Klubführer angegeben sind und die nur der Einheimische kennt, der zudem mit den Sennen vertraut ist. Als ich einmal nach einem solchen Klettersteig, der mir von einem Freunde angegeben worden war, fragte, wurde mir zur Antwort: « Das isch nit für Iwer Gattig Lit, süsch miend mir Ich nu ga hole. » Was ich an Neuem und Eigenartigem erlebt habe, verdanke ich den Herren Dr. Fritz Burkhardt, Lorenz Huber, Karl Mettler, Dr. Max Oechslin, Hans Rothenfluh und Jakob Sigrist von der Sektion Gotthard SAC.
Es sei versucht, im nachfolgenden etwas von bescheidenen, kleinen, aber bergsteigerisch interessanten und landschaftlich dankbaren Touren zu erzählen.
Die Sassizähne, auch « Fuli Zähnd » genannt ( Auf der Karte « Fulen » ) Wer alte Stiche oder Radierungen von der Teilskapelle am Urner See zur Hand nimmt, findet am oberen rechten Bildrand als Fortsetzung der Urirotstockgruppe einen zackigen Anmerkung: Topographisches. Das hier interessierende Gebiet findet sich auf Blatt 245 Stans-Ost der Landeskarte der Schweiz der Eidgenössischen Landestopographie in Bern, 1: SO 000. Diese Neuausgabe enthält wesentliche Verbesserungen in der Zeichnung, neue Benennungen und Quoten. Im folgenden stellen wir auf diese Karte ab und setzen die Höhenangaben früherer Karten in Klammern daneben.
Felsgrat mit bizarren Türmen - wie Spiesse und Hellebarden -, die sich düster vom Himmel abheben. Diese haben offenbar das Interesse der Kleinmeister des vorletzten und letzten Jahrhunderts, eines Birmann, Bleuler, Dikenmann, Hess, Jentsch, Lory, Thomann und anderer gefunden und deren Phantasie angeregt. Jedenfalls bin ich durch solche alte Stiche auf diese Zacken aufmerksam geworden. Da regte sich in mir auch gleich der Wunsch, die etwas unheimlich ausschauenden Gesellen näher kennenzulernen.
Die Sassizähne sind vier Felszacken im Grat, der vom Urirotstock über den Schlieren nordwärts verläuft. Nach dem Nordabsturz des Schlieren kommen die vier Schlierenzähne, von denen ein breiter Grasrücken hinunter zum Sassipass ( 1868 m ) leitet. Dieser stellt die Verbindung dar zwischen der Musenalp im Kleintal zur Biwaldalp im Grosstal. Vom Pass aus schwingt sich der Grat nach Norden noch einmal auf und bildet die vier Sassizähne, deren letzter auf 2056.7 ( 2058 ) m Höhe auf den breiten, aussichtsreichen Alprücken des Schönen Chulm hinüberführt.
Am Abend des 4. September 1947 sassen Ernst Lemann ( Sektion Emmental ) und der Schreibende vor der Biwaldalphütte und plauderten mit dem Hüttenwart, Karl Infanger. Man war gerade am Wüdheuen. Hoch oben am Grat war ein Drahtseil befestigt, das auf einem Wedelenbock neben der Hütte auslief. Ein Pfiff, und dann wurde von oben ein grosses Heubündel in einer Netzblache aufgehängt und heruntergelassen. Das Drahtseil begann zu surren, anfänglich ganz leise, dann immer deutlicher. Man sah eine schwebende Last mit grosser Schnelligkeit den Hang hinabgleiten. Ein feiner Funkenstreifen, der immer intensiver leuchtete, kam auf uns zu, bis mit: « Päng », Gepolter und Staub, das Heubündel auf dem Wedelenbock aufschlug. Der Funkenstreifen in der Luft war entstanden durch die Reibung des Aufhängehakens am Drahtseil. Mein stets hilfsbereiter Kamerad stieg gleich auf den Prellbock und wollte den Haken lösen, aber ohä! er hatte nicht damit gerechnet, dass dieser infolge der Reibung glühend heiss geworden war, und verbrannte sich empfindlich die Hand. Mein Trost, im Kanton Bern sei man eben noch nicht so modern eingerichtet, und was man nicht verstehe, davon solle man die Finger lassen, wurde mit « ja äbe » quittiert und die Hand verbunden. Infanger belehrte uns, beim Wildheuen müsse man sorgsam ernten. Man dürfe nie zwei Jahre hintereinander am gleichen Ort heuen, sondern mindestens ein Jahr vergehen lassen, sonst werde das Wildheu zu mager. Als wir ihn nach den Sassi-zähnen fragten, antwortete er: « Ihr meinet dank die Fuie Zänd. » Er konnte uns aber keine Auskunft geben. Er gehe oft vom Sassipass aus auf einem Fussweg auf der Westseite unter den Zähnen durch und komme so zum Faulen, d.h. dem vierten Sasszizahn. Das sei ein netter Spaziergang. Auf den einzelnen Gratzacken sei er nie gewesen. An Samstagen und Sonntagen sähe man etwa junge Burschen auf den Türmen. Man habe auch schon verschiedene, die sich verstiegen hätten, herunterholen müssen. Einzelne seien verunglückt, sogar zu Tode gestürzt ( siehe « Alpen » 1945, Varia, S. 147 ). Er selbst interessiere sich nicht für solche Klettereien. Es werde ihm schwindlig, obgleich sein Urgrossvater Infanger, ein berühmter Kletterer und Jäger, 1820 den letzten Bären im Isental erlegt habe. Die Pfoten des Bären sind heute noch im Isental am Haus zur Sage an einer Kette aufgehängt mit der Inschrift:
Jagdtrophäe des letzten Bär in Uri geschossen von Kirchenvogt Infanger, Jäger Isental am 29. Mai 1820 Die « Alpenrosen » Schweizer Almanach bringen im 10. Jahrgang auf Seiten 356 ff. von J. R. Wyss dem Jüngeren eine etwas phantastische Erzählung einer solchen Bärenjagd. Ein feiner Kupferstich von Franz Niklaus König zeigt den Einzug der Jagdgesellschaft ins Dorf. « Auf einer Trage wurde der Bär kunstreich zurechtgesetzt, als lebte er; mit einer Gabel unterstützte man sein schweres Haupt. Jubelnd, singend, trommelnd, auf den Kuhhörnern blasend, unter Freudenschüssen nahte der Zug sich endlich dem Dorf, wo der Schulmeister nicht ermangelt hatte, die geschmackvollen Anstalten zum glänzenden Einzüge zu treffen. » Über die Sassizähne war also vom Hüttenwart nicht viel zu erfahren. Uns zogen aber die vier Felszacken, die gleich über den Sassipass sich aufschwingen und steil nach Westen abfallen, schon ihrer verschiedenen Farbe wegen an. Der erste ist dunkel rotbraun, der zweite grell hellgrau, der dritte wieder braun und der vierte wieder grau. Da musste offenbar bei der Schöpfung allerlei durcheinandergeraten sein. Prof. Dr. Leo Wehrli, den ich um Auskunft bat, hatte die Güte, mir über die geologische Struktur der Sassizähne folgendes zu schreiben:
« Geologisch gehören die Isentaler Berge zu den schwierigst entzifferbaren Gebieten der sogenannten helvetischen Decken, und gerade der Sassigrat mit seinen vier hahnenkamm-artig aneinander gereihten Gipfelzacken ist ein Kabinettstück einzigartig komplizierter Gebirgsarchitektur. Sie erfasst sich wohl am besten aus den Hauptdaten ihrer Erforschungsgeschichte.
1891 erkannte Albert Heim am östlichen Ufer des Urner Sees, südlich Tellsplatte, im Axenmättli, ein aus dem Seeufer aufsteigendes Schichtengewölbe der Kreideformation mit Nummuliten führendem - also jüngerem ( eozänemKern: eine regelwidrig aus der Tiefe zum Gewölbe aufgestülpte, verkehrte Mulde. Deren Fortsetzung im südwestlichen Schichten-streichen konnte er am gegenüberliegenden Seeufer bei Isleten feststellen.
Die damalige Auffassung unseres Alpenbaues als wellige Lokalfolgen von Falten ( Gewölben und Mulden ) der Erdrinde steigerte sich allmählich zur Theorie übereinander ge-schobener Schichtdecken als zusammenfassender Einheiten bestimmter ganzer Faltenkom-plexe. Unser Axenmättli-, Muldengewölbeder widersinnige Ausdruck sei der Kürze halber erlaubt - wurde die aufwärts eingestossene Stirn der .Axendecke ', die als Ganzes selber auf Eozän einer tieferen tektonischen Einheit ( Schächentaler Flysch ) liegt und ihrerseits vom Fronalpstock und den beiden Bauen der Drusberg-Säntisdecke überfahren ist.
Seit Albert Heims origineller Entdeckung am Axen trugen Paul Arbenz, August Buxtorf und insbesondere detailliert Hans Anderegg mit neuen geologischen Karten, Profilen und Texten x prächtiges Material zur stratigraphischen und tektonischen Erfassung der Urner und Unterwaldner Berge bei, darin das Axenmättli-Muldengewölbe eine klassisch gewordene Extrarolle spielt. Es teilt die Stirn der Axendecke schon bei Teilsplatte in einen Nord- und Südlappen, pflegt aber mit diesen beiden anormale Kontakte: nördlich in einem Randbruch, indem sein Kern-Eozän den Kieselkalk der untersten Kreideschichten berührt, und südlich biegt sein oberster Schlussbogen des Muldengewölbe-Kerns in die stark gefältelten unteren Kreideschichten des Rophaien stumpfwinklig südwärts um und liegt einem Teil von ihnen auf, so dass sie nach Norden bewegt erscheinen. Anderegg nennt dies, Unter-vorschiebung'des untern Teils.
Das gibt schon einen Schlüssel zum Verständnis der vier isolierten Sassigrat-Zähne. Denn westlich des Urner Sees lässt sich das verkehrte Axenmättli-Eozän samt beiden Axen-decke-Stirnlappen durch die Schlucht des Isentaler Bachs und kilometerweiter ununterbro- 1 Paul Arbenz, Geologische Karte Meiringen-Engelberg, 1911; geologische Karte der Urirotstockgruppe, 1918. August Buxtorf, Geologische Vierwaldstättersee-Karte 1916. Hans Anderegg, Geologie des Isentals ( Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz, Neue Folge, 77. Lieferung, 1940 ). ( Vgl. auch Alb. Heim, Geologie der Schweiz, Bd. II, Taf. XIX, Profil 5, 1922. ) UNBEKANNTE URNER BERGE chen Klein- und Grosstal südwestwärts kreuzend und bis zum Schoneggpass verfolgen. Zwischen Klein- und Grosstal hat die Tal-Erosion unsern verwickelt gebauten Schichtenkomplex vom Kulm bis gegen den Schlieren als aufschlussreiches Nord-Süd-Querprofil herausgeschnitten, das im Faulen-Sassigrat so wundervoll isoliert und geologisch rätselhaft kulminiert.
2 Im Isental Schematisch Schlieren Urlrotstock ► Flg. 1 Tellsplatte-Axenfluh Rophaien Sassigrat Gruontal Horn g. 3 Grosstal-Ostflanke N-S V, lcm Faulen-Sassigrat 2054 Kl. Schlieren Kulm Nummullfen Schratlenkalk Untere Kreide 1000 e des Gross » »! » Sohl Nach H. ANDEREGG ( 1940 ), vereinfacht von L.W.
Anmerkung: Diese geologische Sassigrat-Skizze stellte ich im wesentlichen aus den zitierten Arbeiten von H. Anderegg zusammen, ohne über eigene Terrain-Anschauung verfügen zu können.
Prof. Leo Wehrli Das geologische Drama beginnt schon nördlich unter Kuhn. Bei Sattel 1S34 m stechen die Axenmättli-Eozänschiefer stark faltig verbogen, aber im ganzen steilstehend, ohne Mul-dengewölbe-Abschluss nach oben offen gen Himmel aus. Sie erscheinen dann erstaunlicherweise 1 km weiter südlich und bis 500 m höher im Faulen 2056,7 m wieder! Dazwischen liegt von Sattel bis Kulm 1885,3 m eine nach Norden ausbauchende Kreidekalk-Faltenstirn des Axendecke-Südlappens, die sich, nach Norden flach umgebogen, von Süden hereingedrängt und .vorunterschoben'hat.
Das nördliche Ende des Sassigrates bildet also mit seinen beiden höchsten Gipfeln den Faulen ( 4. und 3. Zahn, wenn man von Biwaldalp her zählt ); sie bestehen aus braun verwitterten eozänen Stadschiefern. Nach Süden schliesst ein Band mit Nummuliten an, und eine Scharte in Orbitolinenschiefern. Der davor zu erwartende obere Schrattenkalk ist hier nicht vorhanden. Es folgt als grosse, breite Fluh fast kahler, grauer ( unterer ) Schrattenkalk ( Zahn 2 von Biwald aus gesehen ); dann wieder eine Scharte ( mergelige Drusbergschichten ); und schliesslich der südlichste Sassigrat-Gipfel 1 von Biwald her ) aus Echinodermenbrekzie und schwärzlich verwitterndem Kieselkalk der untersten Kreideformation, knollig und mit schmalem Glaukonit-Mittelband.
Alle vier Gratgipfel bilden eine stratigraphisch regulär unter dem Eozän folgende Schichtreihe, welche steil NW- abfallend ungestört konkordant in Reih und Glied stehen. Sie müssen mit einer Scherfläche dem, vorunterschobenen'Axendeckesüdlappengewölbe diskordant aufsitzen. Dieser anormale Basiskontakt ist jedoch durch gewaltige Sackungs- und Schuttmassen vielfach verdeckt. Der ganze, von seinen einstigen geologischen Zusammenhängen losgelöste Sassigrat ist als formenreicher Erosionsrest der obersten Kappe des Axenmättli-Muldengewölbes aufzufassen, der beim tektonischen Axendecke-Schub kilometerweit südlich zurückblieb und vom Muldengewölbe-Stiel durch die Südlappen-Untervorschiebung .unterabgeschert'wurde.
Eine artige Bestätigung dieser Interpretation sei noch erwähnt: Prof. Buxtorf, Basel, hat auf dem obersten Faulengipfel im Jahre 1906 locker zerstreute Bruchstücke fossilreicher Valanginien-Mergel ( untere Kreideformation ) gefunden und als geologisches Denkmal sorgfältig in der Mitte der kleinen Gipfelfläche aufgehäuft zum Beweis dafür, dass dicht über dem Faulengipfel auch noch untere Kreide vorhanden gewesen sein muss, bei deren Abtrag durch Erosion diese Relikte zurückblieben. Hertransport durch Gletscher scheine ausgeschlossen. » Am 5. September 1947 verliessen wir um 6 Uhr die Biwaldalphütte und folgten dem Urirotstockweg bis dort, wo er sich fast ebenen Wegs dem Hang nach zieht. Hier wendet man sich nach links ( i. S. des Aufstieges ) aufwärts über Alpweiden und Schroffen gegen die Felsschlucht zu, die vom Kleinen Schlieren hinabzieht. Sie wird zu einem steilen Felscouloir, das nur betreten werden sollte, wenn keine andere Partie vor einem ist. Sonst ist man - auch bei aller Vor- und Rücksicht der Vorankletternden - Steinschlägen ausgesetzt. Nach anderthalb Stunden stehen wir oben in der Lücke des Grates, direkt über der Musenalp, und haben den freien Blick ins Reusstal und auf den Urner See.
Von hier aus macht man die Besteigung des Schlier ens 2830,2 m über den Nordgrat, wohl eine der interessantesten Besteigungen im Urirotstockgebiet. Sie hat etwas Grosszügiges. Der Auftakt über die drei kleinen Schlierenzähne, der Einstieg in die Wand, der Aufschwung über die Gratkante, die Einblicke in die gewaltigen Kalkwände der Nordseite der Urirotstockgruppe erinnerten mich lebhaft an den Aufstieg aufs Matterhorn über den Zmuttgrat. Als Trainingstour für schwerere Aufgaben eignet sich der Schlieren vorzüglich. Es sei auf die Beschreibung von Hans Spetzler: « Schlieren-Kletterei » ( « Alpen » 1944, S. 287 ff. ) verwiesen.
Wir wandten uns aber nicht nach Süden dem Schlieren zu, sondern nach Norden nach dem Kleinen Schlieren 2155,1 m und dem Sassigrat. Der etwa 25 Meter hohe Felsabsatz kann direkt über die Gratkante erklettert oder unten durch auf der Westseite über eine abschüssige Platte umgangen werden. Um 8 Uhr standen wir oben. Wo aber ist unser Freund Emil Schauffelberger, einer der wenigen noch von der alten « Alpina Turicensis »? Er hatte versprochen, um 8 Uhr hier zu sein, weil er vorgezogen hat, im « Tourist » in Isental in einem guten Bett zu schlafen und am Morgen früh nachzurücken. Da, Rufe! Er ist also auf dem Sassipass. Über den aussichtsreichen Grasrücken, auf dem gestern das Wildheu gesammelt worden war, stiegen wir zu ihm hinunter. In der Lücke, dem Sassipass 1868 m, steht man vor dem ersten Sassizahn. Das braune brüchige Gestein bildet einen spitz zulaufenden Turm, der mit seinem roten Gestein wie das Strassburger Münster aussieht. Diese Steilwand hinauf versuchen wir es nicht, denn wir sind nicht zum « Schlossern » eingerichtet. Wir verfolgen vielmehr den kleinen Fussweg auf der Musenalpseite, lassen dort unsere Säcke und krabbeln auf allen Vieren den steilen Rasen- und Schieferhang hinauf in die Lücke zwischen Zahn I und II. Von dort gewinnen wir über den Nordgrat leicht den Zahn I, eine luftige Spitze mit einem von Legföhren umrahmten Steinmann.
Unser Interesse gilt nun dem Zahn II, den man direkt vor sich hat. Er ist etwa 100 Meter höher und aus vollständig anderem Gestein: bröcklige graue Kalkwände, durchzogen von tiefen Runsen. In der grellen Morgenbeleuchtung sieht das ziemlich unnahbar aus. Freund Lemann beschaut sich seine verbrannte Hand und erklärt: « I gah undenume. » Da sitzen wir nun wie zwei alte « Gymeler ». Die alte Berglust regt sich, und mit dem Zeiss suchen wir nach Durchstiegsmöglichkeiten. « It's easy bei dem Gestein », meint Schauffelberger. Wir seilen uns an und beginnen den Aufstieg in einem steilen Rasen- und Felscouloir an der Südkante. Wegen der vielen losen Steine klettern wir eng aufgeschlossen. Es folgen Zacken, Türme, kleine Wändchen, aber total faul, die sorgfältig nach rechts ( i. S. des Aufstieges ) umgangen werden können. Dann - immer nach rechts ausweichend - Wändlein und Bänder, an denen man rasch an Höhe gewinnt. Kleine Legföhren beleben das graue Gestein. Blickt man von einer Gratkante in die Westwand und das Ricktal, so sieht es grausig aus. Ununterbrochen prasselt das kleine, brüchige Geröll hinter einem, und oft ist ein ganzer Gratturm faul und stürzt mit Getöse, Schwefelgeruch hinterlassend, ab. Mein Freund sagte zutreffend: « Das sind ja Runsen und Krachen wie in den Aiguilles von Chamonix. » Den Gipfelaufbau erklettert man an der Südkante. Es war nicht ganz leicht, und wir mussten uns gegenseitig helfen. Nach 50 Minuten ruhigen Kletterns standen wir auf dem //. Sassizahn.
Ein zerfallenes Steinmannli deutet auf nicht zu häufigen Besuch. Wie kommen wir da weiter? Den Gipfel bildet eine schmale Kante, die in eine graue und glatte Wand nach Norden abfällt. Zu unserer Freude stand unten in der Lücke zwischen dem II. und III. Zahn Freund Lemann, der diese über steile Grasbänder von der Ostseite her leicht erreicht hatte. Nach seinen Weisungen kletterten wir der Gratkante entlang nach Norden. Es folgte ein steiler, glatter Riss, in dem wir, sorgfältig die Reibung ausnützend, rasch abwärts kamen. Weiter unten geht man wieder nach rechts auf den Grat zurück und erreicht leicht die Lücke zwischen dem II. und III. Zahn ( Abstieg 20 Minuten ). Dieser Abstieg nach Norden ist nicht steinschlaggefährdet wie die Südwand, durch die wir aufgestiegen waren, weil das Gestein auf der Nordseite glatt und fest ist. Die Überschreitung Süd-Nord des II. bietet eine abwechslungsreiche Kletterei. Der Zugang zum III. Zahn ist durch hohe Türme versperrt. Wir versuchten diese nicht, sondern stiegen von der Lücke auf die Ostseite ab, von der aus der. Zahn, ein breiter Gratrücken, über mit Legföhren bewachsene Schroffen leicht erreicht werden kann. Über luftige Grattürme, eigentliche Kletterblöcke, kann man Die Alpen - 1953 - Les Alpes5 zum IV. hinüberturnen. Auf den IV., der auf der Karte als Fulen 2056,7 m ( 2058 ) bezeichnet ist, führt von der Ostseite her ein kleines Weglein bis auf den Gipfel. Das Schönste kommt aber erst hier, nämlich die Höhenwanderung über üppige Alpwiesen zum Chulm 1885,3 m. Dieser bietet einen Tief blick ins Isental, auf den blauen Urner See und hinaus ins Land, wie man ihn sich nicht schöner wünschen kann. Den Abstieg vom Chulm nimmt man am besten auf dem steilen Weglein über Rosegg und Chlosterberg ins Chlital hinunter.
So hat jeder der vier Sassizähne seine Eigenart und seinen Reiz, nur die Aussicht ist allen gemeinsam: nach Norden der Blick auf den Urner See und nach Süden entfaltet sich der ganze Aufbau der Urirotstockgruppe. Leicht erreichbar - sogar als Eintagstour -bieten sie abwechslungs- und lehrreiche Klettergelegenheit.
Die Sunnigstöcke Wer kennt sie? Wohl die wenigsten. Das ist um so erstaunlicher, als diese schönen Kletterberge von der ganzen Zentralschweiz aus mit den guten Verbindungen der Gotthardbahn leicht und mit geringen Kosten erreichbar sind. Aber eben: es sind nur « Stöcke », die nicht einmal besondere Namen haben. Das war früher mit den Kreuzbergen, den Gastlosen und den Engelhörnern auch so, bis sie, entdeckt, zu Modebergen geworden sind. In Erstfeld, wo die Gotthardschnellzüge halten, befindet man sich direkt am Fuss der Sunnigstöcke, die keck auf den Bahnhof heruntergrüssen. Sie verlaufen in einer Höhe von 2100 bis 2700 Metern in der Richtung Ost-West und liegen zwischen dem Waldnachttal-Surenenpass ( nördlich ) und dem Erstfeldertal ( südlich ). Sie bilden die Fortsetzung des Schlossberges und haben vom Älpeligriess Punkt 2531 bis zum Spitzen Horn 2110 eine Ausdehnung von rund vier Kilometern.
Die Ausschreibung einer Klubtour der Sektion Gotthard SAC. für die Sunnigstöcke I bis III auf den 22./23. Juni 1945 gab mir Veranlassung, mich mit meinem Kameraden Hans Wicki ( Sektion Rossberg ) anzumelden. Wenn wir auch eine grosse Gesellschaft waren ( 16 Personen ), so verlief doch die ganze Tour unter der ortskundigen Führung von Lorenz Huber und Jakob Sigrist zügig und dank ihrer Umsicht ohne irgendeinen Zwischenfall in angenehmster Weise.
Zugang und Aufstieg Vom Bahnhof Erstfeld nimmt man den Weg ins Erstfeldertal, biegt bei Schöpfen ab und erreicht über Punkt 871 auf rauhem Pfad die Alp Bogli in drei bis dreieinhalb Stunden. Wer sich aber in Urnerschlichen auskennt, geht nach der Brücke über die Reuss rechts ( nördlich ) hinüber nach Niederhofen und Hofstetten, wo er am Fusse der Felswand eine Luftseilbahn findet mit der Aufschrift « Nicht für Personen ». Öffnet er aber den Bretterverschlag, so entdeckt er ein Telephon, an dem nach gehörigem Schellen und einigem Warten geantwortet wird: « Güet, styget y! » Dann wird man sanft in die Höhe befördert und landet mühe- und schweisslos 500 Meter höher in Emmetten. Man steigt höher gegen ein neues Chalet zu, das man aber rechts liegen lässt und zu einem alten Bauernhaus kommt, das von einem kleinen Garten voller prächtiger Alpenblumen umgeben ist. Höher steigend folgt man einem Waldrand bis zu einer Steinhütte, bei der im Wald ein guter Weg im Zickzack zur Boglialp führt. Dort findet man bei freundlichen Leuten Unterkunft im Heu; sogar einige Decken sind da, und am Morgen wird man nach Urnerart mit dem Horn geweckt und zum Kaffee gerufen. Diese Boglialp ist herrlich gelegen. Nach Westen weitet sich der Blick ins Erstfeldertal mit Krönte und Spannörter im Hintergrund, gegen Süden auf die Kette des Jakobigers, den Bristenstock und die Oberalpstockgruppe, und im Osten steht die trotzige Windgälle. Ober- halb der Hütte bei Punkt 1537 m übersieht man das Reusstal, den Urner See und dahinter die weiss schimmernden Häuser von Brunnen und Schwyz mit Mythen und Rossberg als Abschluss. Dieses wunderbare Panorama wiederholt sich mit Variationen auf allen Sunnig-stöcken. Dadurch, dass man bald auf der Erstfelder Seite ( südlich ), bald auf der Surenen-seite ( nördlich ), dann wieder auf der Gratkante klettert, hat man immer Abwechslung in der Aussicht, verbunden mit überraschenden, packenden Tief blicken. Landschaftlich bieten die Sunnigstöcke mehr als irgendeiner der üblichen Gipfel im Urnerland.
Von Boglialp führt ein kleiner Weg der steilen Halde unter dem Grigeler entlang ins Wanneli 1683 m. Das ist eine grosse, von Felsbändern umrahmte Wanne von rauhem Karren-boden und üppiger alpiner Flora. Hier wäre der richtige Ort für eine Klubhütte, die bald ein beliebtes Kletterheim würde. Es ist wichtig, dass man den weiteren Aufstieg durch den runden Felskessel richtig nimmt, sonst kommt man in plattige Felsen und verliert Zeit. Man hole weit nach rechts ( i. S. des Aufstieges ) aus auf eine Moräne zu, auf der Wegspuren zu den oberen Plattenbändern hinaufführen, die man an deren oberem Rand von rechts nach links gut begehen kann. So gewinnt man mühelos die obersten grünen Schafweiden und erreicht das Tiergärtli. Das mag wohl früher der beliebte Tummelplatz der Gemsen - eben ihr Garten - gewesen sein. Heute sind die Grattiere der Urner Jagdlust zum Opfer gefallen und in dem früher so wildreichen Gebiet selten geworden. Das Tiergärtli, von Bogli aus in etwa zwei Stunden zu erreichen, ist der Ausgangspunkt für die Besteigung der Sunnigstöcke. In der Regel legt man hier das Seil an.
Sunnigstöcke, vordere Gruppe I Hoch Geissberg 2395 m, II2459 m und III2473 m Vom Tiergärtli aus wendet man sich in die Südwand. Hier beginnt das Schmalfädli, auch Chrüchifädli genannt. Es ist ein fast horizontal verlaufendes Felsband, das sich hoch über dem Erstfeldertal durch die ganze Südwand der Sunnigstöcke hindurchzieht. Anfänglich geht es leicht durch zwei Rinnen, bis man an eine Felspartie kommt, wo ein Wandblock den Weiterweg versperrt. « Abe mit em Grind! », tönt es von hinten, und in der Tat, hier kommt kein Mensch aufrechten Ganges weiter. Die Wand fällt senkrecht, ja sogar etwas überhängend mehrere hundert Meter ab. Ein Umklettern ist nicht möglich. Auf dem flachen, etwa ein Meter breiten Felsboden hat aber der Schöpfer einen 50 bis 60 cm hohen Durchschlupf gelassen, durch den man kriechen kann. Daher der Name. Es bleibt nichts anderes übrig, als auf den Knien durchzurutschen. Hat man den Pickel im Rucksack verstaut, so tut man gut, den Rucksack abzuziehen und vor sich herzuschieben, sonst verklemmt sich die Pickelspitze, und man kann weder « fürsi noch hindersi ». Wie Jäger berichten, wechseln die Gemsen regelmässig über das « Fädli » hin und her. Da eine ausgewachsene Gemse unter der engen Stelle nicht stehend durch kann, muss auch sie sich ducken, was die Tiere rasch und mit Eleganz fertigbringen sollen. Meine Kameraden geben zudem den Rat, mitten in der Kriechstelle über die Wand hinunterzuschauen. Ah! In der Tat pikant! 1000 Meter fällt der Blick hinunter ins Erstfeldertal auf die Hütten der Alp Matt. Man lasse sich also diese « Urner Sensation » nicht entgehen. Die ganze Kriechstelle beträgt etwa fünf Meter, dann kann man wieder aufstehen und gewinnt, um eine Kante biegend, ein schönes Rasenbödeli senkrecht unter dem Hoch Geissberg, Gipfel I. Hier beginnt der Aufstieg durch die steile Südwand. Über schlecht gestufte Felsen geht man, rechts ( i. S. des Aufstieges ) haltend, in einen Riss, der überwunden werden muss. Über diesem wendet man sich nach links, umgeht den Gipfelstock östlich, kommt auf den Grat und verfolgt diesen in leichter Kletterei bis zum Gipfel, eine Stunde vom Tiergärtli. Der Hoch Geissberg kann auch von der Nordseite aus, von Waldnachtalp, über den Geissberg auf einem breiten Karren- und Schuttrücken leicht erreicht werden. Bei Frühlingssulzschnee bietet er sogar eine beliebte Skitour. Hier gab es noch eine andere « Urner Sensation ». Als unsere Seilschaften auf dem Gipfel rasteten, holte uns verabredungsgemäss noch ein Klubkamerad aus Attinghausen über den Nordrücken ein. Zu meinem Erstaunen trug er keine Schuhe, sondern ging barfuss. Er hat auch so die ganze weitere Tour mitgemacht; nur in den Schneepartien holte er, der Kälte wegen, die Schuhe aus dem Rucksack, um sie gleich wieder zu verpacken, sobald er in den Fels kam. Er blieb trotz des scharfen, rissigen Gesteins ohne irgendwelche Verletzung in seiner ungegerbten Menschenhaut. Er leide an Fußschweiss und trage deshalb selten Schuhe. Als der Mann sich näherte, flog über die Gesichter der Urnerkameraden ein verschmitztes Lächeln. Wie er zu mir trat und ich mich vorstellte: « Koenig », antwortete er mit sonorer Stimme: « Kaiser »! Schallendes Gelächter! Der tüchtige Mann ist leider im Herbst des folgenden Jahres beim Nordaufstieg auf die Krönte, wahrscheinlich infolge Ausgleitens mit den Steigeisen am glasharten Firnhang tödlich verunglücktl.
Den Abstieg nahmen wir über den schmalen Westgrat, der nette Kletterstellen über Platten und Zacken bietet. In 20 Minuten ist die Gratlücke zwischen I. und II. Zahn erreicht.
Von dieser wendet man sich auf die Nordseite. Ein kleines, steiles Schneefeld steht vor dem Wandaufbau des II. Zahnes. Wie kommt man da hinauf? Die bläulichgraue, von der Sonne hell beschienene Felswand scheint absolut glatt und unersteiglich zu sein. Erst wenn man ganz nahe daran ist, zeigen sich kleine, waagrechte Leisten, die treffliche Griffe bieten, über die - etwas ausgesetzt, aber nicht schwer - der Nordgrat und von diesem der Sunnigstock II 2459 m erreicht wird. Der Aufstieg war besonders reizvoll, weil beinahe in jedem Griff eine Flühblume oder ein Ranunculus blühte. ( Aufstieg vom Sattel zwischen I. und II. 45 Minuten. ) Der Abstieg über den scharfen, zerrissenen Westgrat bietet eine leichte, luftige Kletterei.
In 20 Minuten steht man unten im Sattel zwischen II. und III., Bänderfurggi genannt. Diese kann auch über die Südwand gewonnen werden, indem man das Schmalfädli unten in der Wand weiter verfolgt bis in die Fallirne zwischen II und III und von dort eine steile, plattige, nicht schwierige, wohl aber etwas steinschlaggefährdete Rinne aufsteigt. Von der Bänderfurggi kann man auch auf der Nordseite ins Guggital bzw. zur Waldnachtalp absteigen.
Für den Aufstieg zum III. Zahn klettert man auf dem zackigen Grat weiter, umgeht einen Turm auf der Südseite und zieht nach rechts ( i. S. des Aufstieges ) auf den Nordgrat und über diesen, immer in leichter Kletterei, auf den Gipfel des Sunnigstockes III 2473 m. Dieser ist ein strammer Klotz, der nach Süden als plattige Wand mit seltsamen Türmen und Nadeln abfällt. Vom Bahnhof Erstfeld gesehen, wirkt er imposant. ( Zeit zum Aufstieg von der Bänderfurggi 25 Minuten. ) Wir besprechen den Abstieg. Sigrist deutet verheissungsvoll mit dem Finger auf die Kante der Südwand, die ins Leere abfällt. Vom Gipfel geht man etwa zehn Meter zurück über steile Geröllplatten in eine steinschlaggefährdete Rinne. Nach etwa 50 Metern Abstieg kann man leicht auf einem Band westwärts aus der Wand auf ein geröllbedecktes Plateau gelangen. Von diesem sieht man hinunter in eine grausige, tiefe Felsschlucht. Es ist die Vollentalkehle, eine Steinschlaghölle, die im Sattel zwischen III und IV beginnt und in scharfem Schuss die ganze Südwand in geradem Abfall durchreisst. Da die Sunnigstöcke nicht viel begangen und die losen Steine noch nicht alle 1 « Alpen » 1947, S. 170-175, Brühlhard A., Altdorf, und L. Kaiser, Attinghausen, verunglückten tödlich im September 1946 durch Absturz am Firnhang des Kröntenostgrates.
weggeräumt sind, weicht der Schutt mit jedem Tritt und prasselt hinunter in die Schlucht. Von dem Geröllplateau aus steigt man in die Wand zwischen dem Gipfelwestgrat und der Vollentalfurggi. Durch diese Wand wird in gerader Linie von links oben nach rechts unten abgestiegen. Es ist nicht schwer, nur heikel, weil kein Stein hält und ununterbrochen alles unter einem mit grossem Krachen in den Höllentrichter abfällt. Bei mehreren Partien müssen die oberen warten, bis die unteren aus der Fallirne der Steine heraus sind. Als Richtungspunkt nehme man das grosse Felsentor kurz vor der Furggi, durch das man hinabstemmt. Das Loch bildet eine prächtige Umrahmung des Ausblickes auf den Urner See, der im Sonntagsstrahlenglanz heraufgrüsst. ( Abstieg vom Gipfel bis Vollentalfurggi eine Stunde. ) Es ist Mittag geworden; der Schnee ist weich. Lange geniessen wir den Ausblick ins schöne Land. Der weitere Abstieg ist nicht leicht zu finden. Wohl sind die ersten Schneehalden einladend zum Abfahren, aber sie enden in Felsbändern, die keinen leichten Abstieg ermöglichen. Man muss deshalb die ganze Nordseite der Wand möglichst hoch oben queren und dann allmählich dem Nordgrat des I. Zahnes zustreben, um, über Schneefelder abfahrend, den unteren Geissberg zu erreichen. Dort findet man, ungefähr beim ersten « s » des Wortes Geissberg der Karte, im Alpenrosengestrüpp einen kleinen Pfad, der durch den Wirrwarr der Karrenfelsen nach der Alp Waldnacht hinunterführt. Abstieg Vollentalfurggi bis Waldnachtalp zwei Stunden.
Für die Überschreitung der ersten drei Sunnigstöcke von Boglialp bis Erstfeld brauchten wir - bei ausreichenden Rasten - zwölf Stunden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir eine zahlreiche Gesellschaft waren. Aber wir standen unter sehr kundiger Führung. Nirgends musste man den Weiterweg suchen oder zuerst probieren, ob es ginge. Jede Wand wurde an der richtigen Stelle angepackt, und nie ist man fehlgegangen. Wer unbefangen und zum erstenmal an diese Felspartien, die im grellen Sonnenschein immer schwer zu beurteilen sind, herantritt, wird vor manchem Rätsel stehen und damit Zeit verlieren.
( Fortsetzung folgt )