Unbeliebter Meister Petz. Geschichte der Braunbären in der Schweiz
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Unbeliebter Meister Petz. Geschichte der Braunbären in der Schweiz

Nach dem überraschenden Auftauchen eines Braunbären im Münstertal und dem Wirbel um den Bären in Deutschland lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Geschichte seiner Ausrottung in unserem Land zu werfen. Es ist nämlich rund 100 Jahre her, als der letzte Braunbär in der Schweiz abgeschossen wurde.

1904 feierten Jäger und Dorfbewohner von Scuol den Abschuss des letzten Braunbären auf Schweizer Boden. Dank der Auswertung 1 des wissenschaftlichen Nachlasses von ETH-Professor Kurt Ei-berle weiss man inzwischen auch, aus welchen Regionen der Schweiz der Braunbär wann verdrängt wurde. Die 718 Datensätze enthalten Informationen aus der Zeit von 1342 bis 1923. Sie vermitteln ein gutes Bild der sukzessiven Ausrottung des « Königs der Wälder » in der Schweiz. Nun, 100 Jahre später, kommt die Diskussion um eine Wiederansiedlung allmählich wieder in Gang.

Der Bär als « Schädling »

Der Braunbär, Ursus arctos, besiedelte einst fast die gesamte Nordhalbkugel der Erde, von der arktischen Tundra bis zu den Subtropen. Bis ins späte Mittelalter war der Bär auch in der Schweiz überall verbreitet. Dann begannen ihn die Menschen im Mittelland aktiv zu verfolgen. Anlass gaben Schäden an Schafen, aber auch an Bienenstöcken, Obstgärten, Weinbergen oder Getreidefeldern. In Anbetracht der damals weit verbreiteten Armut und der geringen Produktivität in der Landwirtschaft hatten diese Schäden ganz andere Auswirkungen, als das heute der Fall wäre: Sie beeinträchtigten die Selbstversorgung und das bescheidene Einkommen der Bauern. Viele Gemeinden bezahlten deshalb Abschuss-prämien, und es gab auf Bären spezialisierte Berufsjäger, die oft wie Helden verehrt wurden. So brachte im Jahr 1847 das Töten eines Bären oder Wolfs im Bezirk Monthey/VS dem Jäger drei Mo-natslöhne eines Polizisten ein! 2 Braunbären sind tag- und nachtaktiv, je nach Bedrohungslage vornehmlich nachtaktiv.

Im Trentino leben gegenwärtig 18 bis 20 aus Slowenien stammende Braunbären, die zwischen 1999 und 2002 ausgesetzt wurden. Die hier abgebildete Braun-bärin Jurka im Nationalpark Adamello Brenta ist die Mutter von JJ2, der im Sommer 2005 am Ofenpass und im Münstertal für Schlagzeilen sorgte.

Skandinavischer Braunbär in der Bärenanlage des Tierparks Dählhölzli in Bern. Der Braunbär ist ein typischer Allesfresser, zur Hauptsache aber Vegetarier: Beeren, Wurzeln, Früchte, Knospen, Samen und Gras stehen auf dem Speisezettel, daneben auch Insekten und deren Larven sowie Honig von Wildbienen. Gelegentlich kann er Beute schlagen, wobei er sich nicht selten an Weidetieren wie Schafen und Rindern vergreift.

Foto: Carlo Frapporti/Archivio Servizio Foreste e Fauna, Trento Foto: Carlo Fr appor ti/Ar chivio Ser vizio For este e Fauna, Tr ento Foto: Bernd Schildger, Tierparkdirektor Bern

Vom Mittelland in die südöstlichen Alpen

Zwischen 1500 und 1800 verschwand der Bär zuerst aus den südlichen Teilen des Mittellandes 3 und aus den Appenzeller Alpen. Neben dem Alpenraum gab es damals nur noch im Jura eine lebens-fähige Bärenpopulation. Im Jahre 1549 soll ein Bieler Jäger bei Neuenstadt einen 490 Pfund schweren Bären erlegt haben, der sich vom Tessenberg her ins Rebgelände am Bielersee hinuntergewagt hatte. « In seinem Magen fanden sich vier Schafsohren, ein Paar Hosenträger und ein grosser Hausschlüssel » 4, wurde überliefert. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurden dann die letzten Bären in den Nordalpen erlegt, während sie im Jura noch knapp überlebten. Im Kanton Bern sind die letzten Bärenjagden für den Zeitraum zwischen 1781 und 1823 nachgewiesen, vor allem im Lauterbrunnen-, Gastere- und oberen Haslital. Der 1812 am Grimselpass geschossene Bär gelangte in die Sammlung des Naturhistorischen Museums in Bern und ist heute im Museum für Wild und Jagd bei Utzenstorf zu besichtigen. Um 1850 zog sich der Braunbär bereits ins östliche Tessin und nach Graubünden zurück. Dramatisch verlief dieser Rückzug zwischen 1850 und 1900, nicht zuletzt wegen der rapiden Verschlechterung der ökologischen Bedingungen: Damit der Bär überleben kann, benötigt er einen ausgedehnten Lebensraum, der durch Rodung der Wälder zunehmend eingeschränkt wurde.

Letzter Rückzug

Nach 1870 kamen Bären nur noch in den südöstlichen Landesteilen vor und nach 1900 sogar nur noch in den östlichen Zentralalpen und auf der Alpensüdseite. Schliesslich beschleunigte die Verbesserung der Schusswaffen, vor allem die Umstellung von Vorder- auf Hinterladergewehre, den Ausrottungs- N 0 50 km bis 1500 1500 bis 1800 1800 bis 1850 1850 bis 1900 nach 1900 1 « Relikt oder geordneter Rückzug ins Réduit – Fakten zur Ausrottungsgeschichte des Braunbären Ursus arctos in der Schweiz. » KORA-Bericht 24, Muri b. Bern, März 2005, www.kora.unibe.ch 2 DIE ALPEN 9/1999, S. 40–43;10/1999, S. 44–47 3 Eiberle Kurt: « Zur Ausrottung des Braunbären in der Schweiz » in « Wildtiere » 3/86, Wildtier Schweiz, Zürich S. 9–15, Abb. S. 14 4 Nachlass Paul Montandon, Schweiz. Alpines Museum Bern ( « tz » im Oberländer Tagblatt vom 13. Jan. 1936 ) Der Braunbär erreicht eine Körperlänge von 170 bis 220 cm und ein Gewicht von 100 bis 340 kg. Er ist ein Sohlengänger, kann aber auch gut klettern. Im Bild Barba im Mai 2001 Die Karte zeigt das allmähliche Verschwinden des Braunbären ( Ursus arctos ) aus dem Mittelland, den Voralpen und den Alpen der Schweiz. Letzter toter Bär auf Schweizer Boden: Am 1. September 1904 schossen zwei Scuoler Jäger am Piz Pisoc eine sechsjährige, 116 kg schwere Bärin. Für das Dorf war das ein Grund zur Feier. Ganz Scuol liess sich mit den beiden Jägern und ihrer Beute fotografieren.

Foto: Bernd Schildger, Tierparkdirektor Bern Gr afik: zvg/K ur t Eiberle, aus: W ILDT IE R SCH W EIZ 3/86 ( leicht angepasst ) Foto: Nachlass W. R auch, Scuol/zvg Nationalparkhaus Zernez prozess auch hier. Der letzte Schweizer Bär wurde 1898 im Val Cama im Misox erlegt. In der Folge wurden nur noch sporadische Grenzgänger gesichtet. Am 1. September 1904 erschossen die Scuoler Jäger Jon Sarott Bischoff und Padruot Fried am Piz Pisoc im Gebiet des heutigen Nationalparks eine sechsjährige Bärin, die ihren Haupt-lebensraum vermutlich im Südtirol hatte. Das 116 kg schwere Tier wurde – wie eingangs erwähnt – im Triumphzug nach Scuol geführt, wo sich die sorgfältig herausgeputzte Dorfbevölkerung mit den beiden Jägern fotografieren liess. In der Folge zog sich der Bär endgültig ins Südtirol, ins Veltlin und in den Trentino zurück. Der Rummel um JJ2, wie der Trentiner Braunbär vom vergangenen Sommer korrekt heisst, entstand infolge der ersten Sichtbeobachtung des Braunbären in der Schweiz seit 1923.

Kehrt der Bär zurück?

Über die Wiederansiedlung des Braunbären in der Schweiz wurde schon 1914 anlässlich der Gründung des Schweizerischen Nationalparks diskutiert. Während bei Luchs, Wolf und Bartgeier erste Erfolge zu verzeichnen sind, wurde der Bär 1962 vorerst bloss unter Schutz gestellt. Seit 1990 nimmt sich die Schweizer Arbeitsgruppe Braunbär seiner an. Noch in diesem Jahr will das Bundesamt für Umwelt den Entwurf für ein nationales Bärenkonzept in die Vernehmlassung schicken. 5 Die Voraussetzungen für eine Wiederansiedlung in der Südostecke der Schweiz wären übrigens gar nicht schlecht, liegt doch das der Schweiz am nächsten gelegene Bärengebiet im Trentino nur ca. 50 km von der Schweizer Grenze entfernt. Dazu kommt, dass auch ein allfälliger Bärenkorridor von Slowenien nach Italien von Bedeutung sein könnte. 6 Dies setzt allerdings voraus, dass auch die Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung und die mittel- bzw. langfristigen Auswirkungen abgeklärt werden. Bis es so weit ist, müssen wohl Flurnamen, Wappen- und Wirtshaus-schilder oder der sprichwörtliche Bärenhunger die Erinnerung an den Bären wach halten. a Peter Stettler, SAM 5 Bär: « In Erwartung der Nachfolger von JJ2 » in: Umwelt 1/06, Wildtiere S. 51–54, www.umwelt-schweiz.ch 6 Lozza Hans: Auf den Spuren der Bären. Zur Vergangenheit und Zukunft der Braunbären in der Schweiz, Hrsg. Schweizerischer Nationalpark Zernez 1998; u.a.

Der Bär als neue Herausforderung für Kantone In der Schweiz besteht kein Bärenan-siedlungsprojekt. Im Sommer 2005 hat sich aber erstmals seit 100 Jahren ein Bär längere Zeit in der Schweiz aufgehalten. Fachleute gehen davon aus, dass dies nicht der letzte Besuch war; Konflikte wie mit dem Bären JJ1 in Deutschland werden wahrscheinlicher. Deshalb hat der Bund im Sommer 2006 ein Konzept im Umgang mit dem Raubtier erstellt. Somit verfügen die Kantone über verbindliche Richtlinien, die die Sicherheit der Menschen bei gleichzeitigem Schutz des Bären gewährleisten sollen. Bären werden demzufolge in drei Typen eingeteilt: unauffälliger Bär, Problembär und Risikobär. Letzterer ist zum Abschuss freigegeben. Der Bund leistet auch Beiträge an von Bären verursachte Schäden. Das ganze Konzept kann eingesehen werden unter www. umwelt-schweiz.ch/buwal/de/fachge-biete/jagd/raubtier-management/baer/ index.html Die beiden Bärenschwestern Björk und Barba ( geboren am 19.12.2000 in Kolind, Dänemark ) beim Spiel Fotos: Bernd Schildger, Tierparkdirektor Bern Braunbären können gut schwimmen. Beim Fischfang hingegen sind sie weniger geschickt.

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Puryear Joseph

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