Unsere jetzigen schweizerischen Grenzen
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Unsere jetzigen schweizerischen Grenzen

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Unsere jetzigen schweizerischen Grenzen Von G. Meyer von Knonau.

Auch unter den jüngeren Generationen schweizerischer Bergreisender wird es sehr Viele geben, welchen, mögen sie auch jetzt für ihre Ausflüge ausschliesslich der Generalstabskarte sich bedienen, doch noch die Erinnerung daran vorhanden ist, mit was für einer Freude sie früher zum ersten Male eine Keller'sche Reisekarte als eigen empfingen. Wir Zürcher gedenken auch noch gerne des gebrechlichen, aber trotzdem rüstigen ehrwürdigen greisen Mannes selbst, welcher zum ersten Male weiteren Kreisen ein für damalige Zeiten vorzüglich richtiges Bild unseres Landes zugänglich machte. Die Keller'sche Reisekarte ist nun überholt; allein sie bleibt ein achtungswerther historischer Markstein in der Entwicklung unserer Landeskunde. Die Rundschau-bilder Keller's dagegen, in deren Gestaltung derselbe bahnbrechend voranging, behalten unvermindert ihren Anmerkung. Der Verfasser sprach über dieses Thema vor der Section Uto am 26. Januar 1877.

hohen Werth: sie sind Denkmäler des rührenden Fleisses, der liebevollen Arbeit, der unermüdeten Sorgfalt, mit welcher Keller beobachtet und gezeichnet hat, und sie erinnern an die Willenskraft des Kenners der Hochwelt, welcher nur unter unendlicher Anstrengung an den Krücken seinen schwachen Körper auf die Stätten seiner Thätigkeit hinaufbrachte.

Als Heinrich Keller 1813 seine « Reise-Karte der Schweiz » zum ersten Male erscheinen liess, da sah die Grenzgestalt des von ihm dargestellten Landes besonders nach dem Westen hin ungemein schmächtig aus. Es sind die neunzehn Kantone der Mediationszeit. Im Südwesten ist das Schweizergebiet bei Coppet zu Ende. Nordwestlich am Kanton Bern reicht Frankreich bis an den Bielersee, bis an die Zihl und Aare bei Nidau und Büren: Neuveville und Biel sind dem Kaiser unterthan. Im Birsgebiete liegen die Stücke der Kantone Solothurn und Basel, Mariastein und Klein-Lüzel, Biel und Benken, als Enclaven in Frankreich, und weil Arlesheim, Reinach, Therwil, Oberwil, Allschwil und wie die anderen ehemals bischöflich baslerischen katholischen Dörfer zunächst südwestlich von Basel heissen, mit dem gesammten Bisthum französisch geworden waren, ragt die überdiess durch die Hüuinger Geschütze bedrohte nordwestliche schweizerische Grenzwehr in sehr bedenklicher Weise nach Frankreich vor. Aber noch bedauerlicher würde sich auf Keller's Karte das Grenzbild darstellen, wenn nicht der Kartenzeichner als guter Schweizer, welcher auch in schlimmer Zeit nicht gänzlich hoffnungslos wird, eine kleine fromme Täuschung, eine zuversichtliche Vertröstung auf eine bessere Zukunft sich erlaubt hätte.

Während nämlich das Land Wallis seit 1802 durch einen Machtspruch des ersten Consuls von der helvetischen Republik abgetrennt uni als eigene Republik erklärt worden war —: der erste Schritt, welchem nach acht Jahren der zweite, die völlige Einverleibung in das Kaiserreich, nothwendig folgte —, gab Keller diesem alten eidgenössischen Bundeslande doch noch colorirte Grenzen und einTäfelclien mit dem Namen und der Einwohnerzahl, als ob das ein Kanton wäre, freilich neben « Wallis » auch « Dept. du Simplon ». Uni ähnlich hielt er es mit Neuenburg, obschon dasselbe 1806 von seinem Fürsten, König Friedrich Wilhelm III. von Preussen, an den Kaiser cedirt worden war und alsFürstenthum Neuchâtel des Marschalls Berthier, des Prince et Duc Alexandre, welcher gar nie nach seinem Lande kam, thatsächlich zu Frankreich zählte. Augenscheinlich wäre dem Ent-werfer die Schweiz doch allzu kläglich verringert erschienen, wenn er nur zwischen Neuenburgersee und Diablerets, zwischen Hasenmatt und Jungfrau die mit Farben angegebenen Linien hätte ziehen dürfen, und so schob er das uncolorirt gelassene Ausland, den thatsächlichen Verhältnissen widersprechend, etwas weiter hinaus.

Allerdings war, als Keller im Juni 1813 diese seine erste Karte herausgab, der russische Winter schon über Napoleon hereingebrochen, und es scheint nach dem Gesagten, dass der Zürcher Geograph zum Voraus den Waffen der gegen Frankreich vereinigten Mächte eine tüchtige Widerstandskraft zutraute. Dennoch ahnte er jedenfalls noch nicht, dass noch vor Ablauf des Jahres 1813 kaiserlich österreichische Officiere bei ihrem Durchzuge durch die Schweiz gegen Frankreich durch Bestellung von dreihundert Exemplaren seine besten Kunden werden sollten: hatte er ihnen doch ihre Ein-fallswege in das Reich Napoleon's, die Strassen Basel-Besançon und Neuchâtel-Besançon, aber auf zwei Cartons auch die Strassen über Strassburg, Nancy, Chalons s. M. und über Langres, Chaumont, Troyes nach Paris, sowie die Route Genf-Lyon so schön gezeichnet, dass ihnen die Karte noch über die Schweiz hinaus diente. Keller war, so lange er lebte, von aufrichtigster, edelster Liebe zu seinem Vaterlande erfüllt, und so mochte er auch im December 1813 das tief Erniedrigende fühlen, welches für die Schweiz in der Preisgebung der Neutralität lag. Dass jedoch durch dieses Zusammentreffen von Umständen sein erstes bedeutendes Werk sich für ihn zu einer unverhofft grossen Einnahmequelle gestaltete, erfüllte seinen frommen Sinn mit den Gefühlen lebhaftesten Dankes für den unerwarteten göttlichen Segen * ).

1814 lag Napoleon's Thron zertrümmert, und auch für die Schweizer eröffnete sich nun die Möglichkeit, nicht nur Wallis und Neuchâtel, sondern auch Genf 320 Meyer von Knonau.

und den ehemals bischöflich Basel'schen Jura mit Biel zu gewinnen. Aber es kamen ausserdem Fragen über Gebietsstrecken im Südosten und Nordosten und Norden, über Veltlin mit Bormio und Chiavenna, über Constanz und einige weitere Orte am Rheine, hinzu, freilich ohne dass dieselben in einem für die Schweiz günstigen Sinne beantwortet worden sind.

Diese verschiedenartigen Fragen, nach ihrer historischen, geographischen, militärisch - politischen Bedeutung, sollen uns hier beschäftigen. Dabei nehmen uns die an inneren und äusseren Wirren auch für die schweizerische Eidgenossenschaft nur allzu reichen Jahre 1813 bis 1815, mit ihren parallel gehenden Verhandlungen auf dem Congresse in Wien und der Tagsatzung in Zürich, bloss so weit in Anspruch, als die daselbst discutirten Angelegenheiten für diese Fragen über die Grenzen in Betracht kommen.

Der am 6. April 1814 in Zürich zusammengetretenen Tagsatzung, welche mit Recht wegen ihrer zu ungemeiner Länge, bis 31. August 1815, sich hinziehenden Dauer als « lange Tagsatzung » bezeichnet wird, lag die Neuordnung der eidgenössischen Angelegenheiten ob. Ueber die inneren und die äusseren eigenthümlich irriger Weise das von Keller ganz richtig eingezeichnete schon frühmittelalterliche Wormserjoch ( Umbrail ) für identisch mit dem erst in den zwanziger Jahren überhaupt zuerst als passirbar hervortretenden Stilfserjoch ( Stelvio ). Das Neujahrsblatt war von dem 1873 verstorbenen Verwalter der zürcherischen Pfrundanstalt, Hess, verfasst.

Beziehungen der einzelnen Kantone zu einander und zu der Schweiz im Allgemeinen, über einen neuen Bundesvertrag berieth man sich da unter den heftigsten Parteigegensätzen und unter den steten Einwirkungen des Auslandes. Die lange Tagsatzung ist ein verkleinertes Abbild des gleichzeitigen grossen Congresses in Wien; wie hier den Fürsten und Diplomaten, so lag dort den eidgenössischen Boten ein scheinbar unentwirrbarer Knäuel der widerspruchsvollsten Fragen vor. Aber dennoch hoffte man in Zürich, die Stellung der Schweiz nach aussen hin verstärken, ihre Grenzen in dieser Zeit der Veränderung, wo alles in den letzten Jahrzehnten durch die Gewalt der Revolution und die Willkür des Erben derselben Begründete wieder in Frage gesetzt war, verbessern zu können. Es konnten und mussten nunmehr in dem kaiserlichen Frankreich im Westen, in dem gleichfalls Frankreich unterworfenen Italien im Süden, in den dem Rheinbundsstaate Baiern einverleibten Ländern Tirol und Vorarlberg im Osten Umgestaltungen vor sich gehen; auch der territoriale Umfang des gleichfalls rheinbündischen Grossherzog-thums Baden im Norden mochte vielleicht in Frage gestellt werden. Da war es nothwendig, sich eine Uebersicht des unumgänglich zu Fordernden, sowie des Wünschbaren und möglicherweise Anzustrebenden gleichmässig zu verschaffen und Beides in einem systematisch angelegten Tableau sich vorlegen zu lassen. So ertheilte die Tagsatzung am 26. April 1814 dem eidgenössischen Oberstquartiermeister den Auftrag, über eine für die Schweiz wünschenswerthe Militärgrenze Untersuchungen anzustellen und einen Bericht vorzulegen.

Die Persönlichkeit, an welche diese Aufforderung sich richtete, zählt zu den tüchtigsten militärischen Kräften, welche die Schweiz in neuerer Zeit besass; aber ausserdem hat dieselbe in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts auch auf politischem Gebiete sowohl in ihrem Heimatkanton, als in allgemein eidgenössischen Dingen eine sehr bedeutende Stellung eingenommen. Hans Konrad Finsler von Zürich,, geb. 1765, war schon vor 1798 zum Generaladjutant der Artillerie emporgestiegen, dann in der Zeit der helvetischen Republik Finanzminister der Central-regierung und 1800 für einige Monate auch selbst Mitglied des Vollziehungsausschusses gewesen. Mit der Einführung der Mediation wurde er einerseits zürcherischer Staatsrath, andererseits, 1804, eidgenössischer Oberstquartiermeister, in welcher Stellung, er 1805, 1809 und wieder 1813 bei den Grenz-besetzungen thätig war. Später bei der Rückkehr Napoleon's von Elba 1815 und den dadurch nothwendig gewordenen grossen Rüstungen führte Finsler das Interimscommando über die aufgebotenen Truppen, bis der von der Tagsatzung als Obergeneral bestellte Niklaus Franz von Bachmann, ein katholischer Glarner und früher französischer Militär, eingetroffen war. Aber Bachmann legte schon nach wenig mehr als einem Vierteljahre infolge von Reibungen, an denen die Schuld von einem wohleingeweihten Berner offen Finsler's Anzettelungen beigemessen wurde, seinen Oberbefehl nieder, worauf Finsler wieder an seine Stelle trat, und in die Zeit dieses Finsler'schen Commandos fiel die Capitulation der belagerten Festung Hüningen und die Entlassung der eidgenössischen Truppen. Hierauf wurde Finsler noch 1815 zum eidgenössischen Generalquartiermeister befördert, und es ist keine Frage, dass er als erstes bleibendes Mitglied der eidgenössischen Militäraufsichtsbehörde sich um die Militärorganisation sehr bedeutende Verdienste erwarb. Auch die Vorarbeiten für die topographische Karte der Schweiz, die ersten Vorbedingungen für Dufour's grosses Werk, sind unter Finsler's Aufsicht nach dem Auftrage der Tagsatzung geschehen.

Es ist bei der Beurtheilung Finsler's störend, dass der Charakter des Mannes nicht an dessen ausgezeichnete Befähigung, an die mehrfach hervorragenden Leistungen heranreichte. Finsler starb, nach seinem ökonomischen und politischen Sturze 1829 in Zürich unmöglich geworden, von seiner Vaterstadt entfernt in Bern 1839.

Ein höchst sachverständiger militärischer Schriftsteller hat an Finsler eine wahrhaft bewundernswürdige militärische Localkenntniss und einen zu einem sehr liachahmenswürdigen Vorbilde für die jüngeren Offiziere dienenden strategischen Scharfblick gerühmt. In vorzüglicher Weise treten diese Eigenschaften in der Arbeit zu Tage, welche Finsler auf den Befehl der Tagsatzung hin anfertigte. Schon am 2. Mai nämlich legte er seinen « Bericht des eidgenössischen Oberstquartiermeisters an die hohe Tagsatzung über eine für die Schweiz wün schenswerthe Militärgrenze » der Tagsatzung vor* ).

In der ungemein kurzen Zeit von nur sechs Tagen hatte Finsler seinen Bericht abgeschlossen. Er betonte darin, dass die von der Tagsatzung in Aussicht genommene zweckmässige Bereisung der Grenzen den Termin der Ablieferung der Arbeit allzu weit hinausgeschoben hätte: er entwerfe also hier nur in allgemeinen, aber bestimmten Zügen die * Schilderung derjenigen Grenzlinie, welche der Schweiz einen hohen Grad von Sicherheit und schützender Kraft verleihen kann » Der Oberstquartiermeister behandelte seinen Gegenstand in einer von selbst sich ergebenden geographischen Reihenfolge in vier Abschnitten: — die Grenze gegen Alt - Frankreich, gegen die königlich sardinischen Staaten, gegen das ehemalige Herzogthum Mailand, gegen Deutschland. Indem wir den Inhalt des Finsler'schen Berichtes unserer Erörterung hier zu Grunde legen, dabei, wo es nothwendig scheint, einige historische Rückblicke beifügend* ), schliessen wir uns an Finsler auch darin an, dass wir zuerst die Grenze von Basel bis Genf betrachten und hernach um die südliche und östliche Seite der Schweiz herum an den Rhein zurückkehren.

Für die n or d we s tli h e Grenze der Schweiz fallen hier in Berücksichtigung die Gebiete im nunmehr bernerischen Jura, einige Grenzstriche, von Neuenburg uf"d Waadt, endlich Genf mit seiner Umgebung.

Der Fürstbischof von Basel und sein Gebiet hatten sich bis zur französischen Revolution gegenüber der Schweiz in sehr eigenthümlichen Verhältnissen befunden. Die Territorien dieses mit den katholischen Kantonen in Bündniss stehenden geistlichen Fürsten zerfielen in zwei Hauptbestandtheile, einen durchaus katholischen nördlicheren und nordwestlichen von Arlesheim unweit Basel der Birs und Sorne nach aufwärts zum Doubs und an demselben durch die Freiberge bis an die Grenze von Neuenburg und andererseits an der Allaine bis über Porrentruy hinaus, und in einen ganz überwiegend reformirten südlicheren am Oberlaufe der Birs, an der Süse und bis an den Bielersee, bis an die Zihl und Aare. Das katholische Gebiet war ohne jegliche Verbindung mit der Eidgenossenschaft und zählte zum deutschen Reiche. Im reformirten Lande dagegen, nämlich im Münsterthal, im St. Imerthale, im sogenannten Tessenbèrge am Südostabhange des Chasserai, in Neuveville und vollends in der Stadt Biel, welche den Rang eines zugewandten Ortes der Eidgenossen einnahm, und in deren kleinem Territorium waren die Rechte des Bischofes nur von sehr beschränktem Umfange; denn hier war Schweizerboden und von einer eigentlichen Herrschaft des geistlichen Gebieters keine Rede. Zwar hatte im 15. und 16. Jahrhundert auch Basel in den ihm zunächst gelegenen Theilen des Bisthums, im Laufenthaie und im Delsbergerthale und sogar noch weiter bis in die Freiberge hin, durch ein Bürgerrecht seinen Einfluss ausgeübt; allein -seit 1585 war dieses Bürgerrecht der Stadt Basel thatsächlich dahingefallen und infolge dessen auch die katholische Kirche in diesen Gebieten wieder völlig zum Siege gelangt. Ganz anders lagen die Dinge in jenen südlicheren zur Schweiz zählenden Landschaften, über welche Bern seine mächtige Hand ausgestreckt hielt. Unter dem Schütze von Bern war da die Reformation über das Felsenthor von Pierre Pertuis hinaus bis nach Münster vorgedrungen, und was der Bischof dem Namen nach noch in Biel zu gebieten hatte, war nichts weiter, als eine rechtshistorische Antiquität: ja die Stadt Biel regierte neben Bern recht ansehnlich in diese Gebiete hinein und übte insbesondere im St. Imer-thal, dessen Einwohner unter dem Banner der Stadt zu Felde zogen, ihr Mannschaftsrecht aus. Diese Verschiedenheit der beiden Gebietstheile zeigte sich denn; auch in den Schicksalen derselben in der Revolutionszeit. Während das Reichsgebiet schon 1792 der französischen Republik einverleibt und der Bischof aus seiner Residenz Porrentruy vertrieben wurde, fielen der Schweizerboden und die Stadt Biel erst Ende 1797 und in den ersten Monaten von 1798 der fremden Eroberung anheim.

Für Finsler verstand es sich nun von selbst, dass, wie die Kette des Jura in ihrem ganzen Laufe überhaupt, dieselbe auch im früheren Bisthum Basel für die Schweiz als Grenze gewonnen werden müsse, und zwar so, dass hier bei der Lösung des Jura in mehrere parallele Ketten deren nördlichste als Grenze eintrete. Das gesämmte Birsgebiet und südwestlich davon die Freiberge; zwischen dem St. Imerthal südöstlich und dem Lauf des Doubs bis St. Ursanne als Landesgrenze nordwestlich, etwa auch noch mit Einschluss der grossen Biegung dieses Flusses bei St. Ursanne selbst, sollten jedenfalls schweizerisch werden. Dagegen wird ausdrücklich hervorgehoben, dass verschiedene Ortschaften des Fürstenthums Pruntrut, welche jenseits der natürlichen Grenze und über die äussersten Aeste des Jura hinauslägen, für das Vertheidigungssystem der Schweiz ganz entbehrlich seien. Der Bericht spricht sich hier im Einzelnen nicht bestimmter aus; doch lässt sich sagen, dass eigentlich der ganze Eisgau, das Ländchen Ajoie, also die Stadt Porrentruy mit inbegriffen, Alles demnach, was über den Pass von Malette und den Mont Terri hinaus zwischen dem Elsass und der Franche-Comté vorragt, eine für die Schweiz nicht nothwendige Vergrösserung gewesen ist.

Den grossen Werth einer engen Verbindung mit dem die Jurapässe zwischen dem grossen Seebecken von Neuenburg und dem Doubs beherrschenden Lande Neuenburg hatten insbesondere die Berner schon seit dem 15. Jahrhundert auf das deutlichste erkannt, und es ist ein Hauptverdienst der weitsehenden bernerischen Politik, dass Neuenburg unter seinen verschiedenen Herrscherhäusern zu der Schweiz in nahen Beziehungen blieb. Ebenso waren es die bernerischen Waffen, welche im 16. Jahrhundert die reiche Landschaft Waadt gewonnen und so die Schweizergrenze bis an die reichen Gestade des Léman und bis auf und über die rauhen Höhen des den See hoch überragenden Jura vorgeschoben hatten. Aber zwischen dem Neuenburgischen und der Waadt und ebenso an einigen Grenzstrecken des letzteren Landes waren Lücken geblieben, auf welche nunmehr Finsler hinwies.

Schon im Verlaufe des grossen Krieges gegen Karl von Burgund hatte es sich zwei Male in der empfindlichsten Weise gerächt, dass die Eidgenossen einem der wichtigsten Jurapässe zu wenig Beachtung zugewendet hatten. Zwei Male nämlich in dem grossen Kriegsjahre 1476, zuerst im Februar und dann wieder nach dem siegreichen 2. März, war Karl durch den Engpass von Jougne von der Franche-Comté her nach dem nördlichen Waadtlande eingerückt: wäre nach dem Erfolge bei Grandson dieser Weg durch das Gebirge verlegt worden, so hätte der Herzog nimmermehr schon wieder in der Mitte des März im Waadtlande stehen und jenen Zug gegen Bern vorbereiten können, welchen dann die Eidgenossen in ihrer zweiten grossartigen Anstrengung vor Murten am 22. Juni vernichten mussten. Doch Jougne war auch später nicht zum schweizerischen Gebiete herangezogen worden, sondern im 17. Jahrhundert mit der gesammten Franche-Comté an Frankreich übergegangen.

Der Bericht Finsler's thut nun in sehr deutlicher Weise dar, dass Frankreich durch den Besitz des Passes von Jougne eine Einfallspforte an der Orbe und an derselben entlang nach dem Waadtlande inne habe. Jedoch ausserdem wird auch noch hervorgehoben, dass dieser Pass von Jougne sich nördlicher mit dem von Neuenburg her durch das Traversthal nach der Franche-Comté führenden Hauptverbindungswege angesichts des Fort de Joux vereinige, worauf die geraein-same Strasse am Doubs entlang nach dem nahen Pontarlier führe und da in die Hochebene hinter dem Jura hinaustrete. Finsler betont, dass in mehreren neueren geheimen militärischen Denkschriften diese Eingänge von Pontarlier her als der schwächste Punkt der Schweiz, insbesondere wegen der Nähe des grossen Waffenplatzes Besançon, geschildert worden seien. Die Wichtigkeit dieser Stelle des Jura ist uns Allen vor nunmehr sechs Jahren, als dort die Bourbaki'sche Armee verzweifelnd an unseren Marksteinen pochte, von Neuem klar geworden, und es kömmt jetzt noch hinzu, dass in der Gegenwart von Pontarlier her durch beide Pässe, durch denjenigen von Verrières nach Neuenburg und durch den von Jougne nach Vallorbe und der mittleren Waadt, Eisenbahnlinien führen. Finsler macht demnach mit vollstem Rechte darauf aufmerksam, dass eine Sicherung der Schweiz hier einzig und allein durch eine Schliessung beider Strassen erreicht werden könne, indem nämlich das Fort de Joux und die Gemeinden Französisch-Verrières, la Cluse, les Fourgs, les Hôpitaux und Jougne an die Schweiz abgetreten würden: diese Ausfüllung der Lücke an der neuen-burgisch-waadtländischen Grenze sei so wichtig, dass ganz unbedenklich noch ein Stück des Eisgaues als Tauschgegenstand angeboten werden dürfte, obschon da im hohen Jura die Schweiz anstatt eines ergiebigen Kornlandes in diesen rauhen Thälern ein unfruchtbares Land mit meist armen Einwohnern an sich brächte.

In den höchsten Theil des Jura weiterhin treffen die beiden Stellen der waadtländischen Grenze, welche Finsler als einer Verbesserung bedürftig erwähnte. Der höhere südwestliche Theil des langgestreckten Jurathaies, welches an seinem nordöstlichen Ende den Lac de Joux enthält, gehört Frankreich an; hier entsteht an der hinteren Seite des Noirmont oberhalb des Lac des Rousses der Fluss Orbe. Finsler hebt hervor, dieser Thalanfang mit den Orten Bois d' Amont und les Rousses gehöre noch in das Flussgebiet der Aare und liege innerhalb der natürlichen Grenzen der Schweiz. Aber auch das südlich von les Rousses liegende Dörfchen les Cressonnières und das daran sich anschliessende Dappenthal, über welchem sich östlich auf Schweizerboden die hohe Kuppel der Dôle erhebt, zieht hier Finsler mit hinein. Das nur Sennhütten und Alpenweiden in sich enthaltende Dappenthal, ein Stück des Gemeindebezirks des waadtländischen Dorfes St. Cergues, hatte 1802 wegen der durch dasselbe führenden Militärstrasse, von les Rousses über Gex nach Genf, an Frankreich abgetreten werden müssen, und der Bericht wünscht nun, dass dieser unfreiwillige Schritt rückgängig gemacht werde.

Aber weit wichtiger, als diese unwirthlichen Thäler des rauhen Gebirges, sind die schönen Landstriche, welche den südöstlichen Abfall des über die Dôle hinaus noch immer höher ansteigenden Juragebirges besäumen, zunächst das Ländchen Gex und hernach näher an die Rhone und an die lachenden Ufer des Genfersees hin die nächsten Umgebungen der Stadt Genf selbst.

Als die Berner 1536 in raschem keckem Siegeszuge die Landschaft Waadt eroberten, war der Aufbruch geschehen, um den Herrn der Waadt, den Herzog von Savoyen, für die über die Genfer verhängten Bedrängnisse zu züchtigen und diese Stadt selbst, die Verbündete Bern's, aus ihrer Nothlage zu befreien und ihr die Möglichkeit der Festhaltung des neuen Glaubens zu sichern. Da hatte es sich von selbst verstanden dass auch das unmittelbare Hinterland des Seegestades und des Rhoneufers, eben das Ländchen Gex, miterobert worden war. Allein nach 28 Jahren war in einer friedlichen Auseinandersetzung mit Savoyen, welche drei Jahre später vollzogen wurde, diese Landschaft zurückgegeben worden. Noch einmal im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts hatten dann die Genfer selbst im Kampfe gegen Savoyen Gex erobert. Darnach aber mussten sie dem durch den gemeinsamen Gegensatz gegen Savoyen ihnen halb als Bundesgenosse verbundenen Könige Heinrich IV. von Frankreich die Landschaft überlassen, welche 1601 zugleich mit den anstossenden Gebieten Bugey und Bresse als militärisch wichtige Bereicherung endgültig an Frankreich überging. Aber nach weiteren 197 Jahren war auch Genf selbst dem republikanischen Frankreich als Opfer gefallen.

Dass Genf nunmehr nach dem Sturze Napoleon's an die Schweiz, und zwar in einer weit engeren Verbindung als früher, als eigentlicher Kanton, zurückkommen werde, stand in der Zeit der Abfassung des Finsler'schen Berichtes schon durchaus fest. Doch zugleich setzte der Oberstquartiermeister auch voraus, dass Genf nunmehr ein in sich und mit dem Kanton Waadt zusammenhängendes Gebiet jedenfalls erlange, dass die sechs aus einander liegenden Stückchen, welche vor 1798 das genferische Gebiet gebildet hatten, durchaus, durch Abtretungen von Savoyen sowohl, als im Pays de Gex, zu einem Ganzen vereinigt würden. Insbesondere sollten 22 das französische Trutzgenf Versoix und das in ähnlicher Absicht durch Savoyen vor die genferischen Thore hingesetzte Carouge dem Kantonalgebiete einverleibt werden. Indessen begnügt sich Finsler hiermit noch nicht. Vielmehr will er, dass das Ländchen Gex selbst, das ja nur ein älterer, zufällig verlorner Bestandtheil der Schweiz sei, und welches die Natur selbst zu einem Stücke derselben geschaffen habe, dessen Lage und vielfältige Verbindungen mit der Stadt Genf und den angrenzenden waadtländischen Gemeinden eine Vereinigung mit lauter Stimme herbeirufe, zur gehörigen Beschützung, und Sicherung Genfs zur Schweiz gezogen werde.

So gedachte der in Anfrage gesetzte Sachverständige die Militärgrenze gegen Frankreich zu gestalten: « Die durch den Jura geschlossene Grenze soll längs der ganzen Berührungslinie zwischen Frankreich und der Schweiz vervollständigt und verstärkt werden, so dass dieses Gebirge von dem Rhodan an bis an den Rhein ein völlig schweizerisches Gebirge werde und dessen Pässe in den Händen der Eidgenossen seien. Von den Klüften unter dem Fort de l' Ecluse an, durch welche sich der Rhodan hindurchwindet, entstünde so eine zusammenhängende, festgeschlossene, der stärksten Vertheidigung fähige Grenze, welche sich in ununterbrochener beinahe gerader Richtung von Südwest nach Nordost dem Jura nach fortziehen und beide Länder scharf von einander sondern würde ».

Auf der südlichen Seite der Schweiz richtet Finsler sein Augenmerk erstlich auf Savoyen, hernach auf das Stück Italien zwischen den Kantonen Wallis und Tessin und auf die Lage der südlichen Spitze des zuletzt genannten Gebietes, endlich auf die früheren bündnerischen Unterthanenlande im Flussgebiete der Adda.

Der Bericht macht darauf aufmerksam, dass, wenn das Wallis der Schweiz wiedergegeben und derselben dadurch die Pflicht auferlegt werden solle, durch die Verteidigung dieses grossen Hauptalpenthaies für künftige Zeiten einem auf dem französischen Throne sitzenden Eroberer die Thüi e der Lombardei und Venetien's zu verschliessen, das Land Wallis selbst gegen Frankreich vollständig geschützt sein müsse. Das sei aber nicht der Fall, so lange Frankreich Savoyen ohne Widerstand in Besitz nehmen und die Schweiz sich erst dann in Vertheidigung setzen könne, wann die fremden Armeen bereits in den offenen Pässen von Valorcine und des Trient stünden und so jeden weiteren Versuch zur Behauptung des Khonethales, durch ihre überlegene Stellung an dem strategisch so wichtigen Thalknie bei Martigny, im Voraus vereiteln könnten. Es sei also nothwendig, wenn die südliche Vertheidigungslinie der Schweiz ein geschlossenes Ganzes ausmachen solle, dass die Eidgenossen auf ihrem eigenen Boden zweckmässige Vertheidigungsanstalten treffen könnten: es müsse die ganze südliche Hauptkette des Hochgebirges der Schweiz als Grenze angewiesen werden, wenn dieselbe mit einiger Zuversicht den europäischen Mächten eine Gewährleistung der ihr anvertrauten politischen Stellung geben solle. Allein zugleich wird betont, dass gegenüber den Königen von Sardinien von älteren Ansprüchen auf schon früher besessene Gebiete, wie das gegenüber Frankreich theilweise der Fall sei, nicht die Rede sein könne, sondern dass bloss unter dein Titel der Convenienz eine neue militärische Grenze gefordert werden könne und deren Ausdehnung einzig und allein von dem Werthe abhänge, welchen die grossen Mächte auf die vollkommene Selbständigkeit und die defensive Kraft der Schweiz legen wollten. Dabei übersieht Finsler allerdings, dass wenigstens die südliche Seite des Genfersees, die Landschaft Chablais, im 16. Jahrhundert während einiger Decennien gleichfalls schweizerisch gewesen war: 1536 hatten die Berner Thonon und alles Land westlich vom Flusse Dranse erobert, während die Walliser östlich davon in Evian und dahinter im Thale von Abondance festen Fuss gefasst hatten. Aber freilich war dann in dem schon erwähnten Friedensschlüsse von 1564 durch Bern auf dieses Gebiet Verzicht geleistet und dasselbe 1567 an Savoyen förmlich zurückgegeben worden, worauf 1569 in einem Vergleich mit den Wallisern auch Evian und Abondance zurückerstattet wurden.

Finsler nun schlug, abgesehen von jener schon erwähnten nothwendigen Ergänzung des Genfer Kantonalgebietes auf der linken Rhoneseite, als neue Grenze der Schweiz gegen Savoyen die nachfolgende Linie vor. Beim Fort de l' Ecluse an der Rhone an die vom Juragebirge heruntersteigende französische Grenze sich anschliessend, sollte die Scheide gegen die sardinischen Staaten von da unmittelbar auf den über dem Flusse sich erhebenden Mont du Vuache emporsteigen und in südöstlicher Richtung dessen Kante folgen, dann aber in nordöstlicher Umbiegung über den Mont de Sion und auf den Mont Salève hinübergehen und hierauf abermals südöstlich ziehend auf der Wasserscheide, welche das Flussgebiet der Arve auf dessen linker Seite begrenzt, das ganze Thalsystem dieses Flusses der Schweiz zuweisen. Ueber den Col du Bonhomme hin würde dergestalt die Schweizergrenze, das Chamounix-thal mit umklammernd, über die höchsten Erhebungen der Mont Blanc-Kette hin am Mont Dolent über dem Val de Ferret die Walliser Gebirge wieder erreicht haben. Nach dieser Berechnung wären also ausser dem Chablais auch die Landschaft Faucigny und ein weiteres Stück der Provinz Carouge von Savoyen abgetrennt worden.

Dass vom Mont Dolent an über die höchsten Häupter der Walliser Alpen bis zum Monte Rosa die Grenze von Wallis diejenige der Schweiz sein würde, verstand sich abermals von selbst. Erst vom Monte Rosa an östlich bis an den Langensee konnten neue Zweifel sich erheben.

Finsler hebt hervor, dass es nicht genüge, Wallis gegen Ueberfälle von der französischen Seite zu sichern: ein Schutz gegen ähnliche Unternehmungen von der lombardischen Seite sei nothwendig, und dieser werde gewonnen durch die Vereinigung des Wassergebietes der Tosa mit der Schweiz. Das Hauptthal der Tosa dränge sich — so wird aus einander gesetzt — bis an den Fuss des Hauptgebirgsknotens, des St. Gotthard, hinauf und berühre da unmittelbar den Ursprung der Thäler von Rhone, Tessin und Reuss: « Aus diesem Thale könnte ein unternehmender Heerführer in einem Tage sich des noch nicht genug erkannten Schlüssels des ganzen Hochgebirges bemächtigen und sich darin festsetzen ».

Es ist an einer früheren Stelle von mir dargethan worden, dass eidgenössische Eroberer in vollkommen richtigem Verständnisse im Anfange des 15. Jahrhunderts, sobald sie am oberen Tessin sich ausdehnten und mit dem Wallis die ersten Verbindungen abschlössen, auch auf das dazwischen liegende Land an der Tosa, auf Pommât, das Eschenthal, Domo d' Ossola, ihr Augenmerk richteten; da haben im 15. und nachher nochmals im 16. Jahrhundert kürzere Zeit von Domo d' Ossola aus eidgenössische Beamte über italienische Unterthanen geboten, bis 1515 endgültig diese Besitzungen verloren gingen* ). Allerdings folgen gegenwärtig, wie die Dinge in Wien gegen Finsler's Wünsche entschieden wurden, vom Monte Rosa bis an den Langensee unsere Grenzen im Ganzen den von der Natur angewiesenen Scheiden. Nur am Simplon reicht das Land Wallis über die Berghöhe hinüber abwärts bis in die Schlucht von Gondo, und im jetzigen Kanton Tessin gehören die oberen Theile zweier Thäler zum Königreiche Italien. Da finden sich im Thal Onsernone hinter Comologno die Bäder von Craveggia ausserhalb der Schweiz, und vollends vom Thale der Melezza gehört nur die untere schluchtartige Hälfte Centovalli zum Kanton Tessin, während der obere eine mildere Formation aufweisende Theil, das Thal Vigezzo mit seinen grossen Ortschaften, jenseits der Grenze liegt.

Um diesem Uebelstande eines einwärts springenden grossen Winkels der Schweizergrenze abzuhelfen, rathVergleiche meinen Aufsatz: „ Eine verlorene schweizerische Eroberung " im 10. Jahrgänge dieses „ Jahrbuches ".

Finaler, die Höhe der Gebirgskette zwischen dem Anzascathal ( mit Macugnaga ) nördlich und den Sesia-thälern südlich vom Monte Rosa an als Grenze zu bezeichnen und die Linie hernach in östlicher Richtung bis an den Langensee bei Baveno fortzusetzen. Freilich wird dabei eingeräumt, dass diese Forderungen Landstriche von bedeutendem Umfange und Flächeninhalte umfassen, und Finsler unterschätzt ohne alle Frage Land und Leute, wenn er von einem unfruchtbaren, zum Anbau nicht einladenden Boden spricht, von welchem ein grosser Theil mit ewigem Eis und Schnee, mit unzugänglichen Waldungen und kahlen Felsen bedeckt sei, und wenn er ferner weder eine zahlreiche, noch eine gewerbfleissige und gebildete Bevölkerung, noch einen kriegerischen Stamm hier wohnen lässt. Allein darin wird man ihm Recht geben, dass er diese Einverleibung vom militärischen Gesichtspunkte aus als eine nothwendige Consequenz des Wiederanschlusses von Wallis erklärt.

Nicht leicht konnte für den militärischen Berichterstatter die Abfassung des die Südspitze des Kantons Tessin würdigenden Abschnittes werden.

Theile des jetzigen Kantons Tessin, das Tessinthal bis Bellinzona hinunter mit Einschluss dieses festen Platzes, sowie unmittelbar gegen den Langensee sich öffnende Thäler, Val Verzasca und Val Maggia, waren schon im Anfang des 15. Jahrhunderts eidgenössisches Besitzthum geworden, dann, gleich dem Eschenthale, wieder völlig verloren gegangen, worauf wenigstens Leventina den Urnern nach kurzer Zeit wieder zu Theil wurde. Aber mit dem Jahre 1500 wurde noch Bellinzona wieder gewonnen, und zwölf Jahre später hatten die Eidgenossen auch Locarno mit all' den bei dieser Stadt gegen den Langensee sich öffnenden Thälern, ferner aber südlich vom Monte Cenere Lugano und Mendrisio bis nahe an Corno hin sich unterworfen, und sie behielten diese reichen Länder, auch die südlichsten derselben, über die grosse Niederlage von Marignano und den Friedensschluss von 1516 hinaus. Dagegen sahen sie sich veranlasst, eine weitere Beute, das an der Ostseite des Langensees liegende Gebiet Val Travaglia mit Luino damals aufzugeben. Von dritthalb und von zwölf eidgenössischen Orten beherrscht, hatten diese italienischen Gebiete, abgesehen von dem nur Uri zugehörenden Thale Leventina, das nicht beneidenswerthe Schicksal schweizerischer gemeiner Herrschaften bis zur französischen Revolution zu ertragen gehabt; die helvetische Einheitsverfassung hatte aus ihnen die beiden Kantone Bellinzona und Lugano gemacht. Seit der Einführung der Mediation bildete das ganze Land von Airolo im Norden bis nach Chiasso und Stabbio im Süden den einzigen Kanton Tessin.

Nirgends so, wie hier, bemerkt nun der Oberstquartiermeister einen störenden Gegensatz zwischen der vorhandenen politischen Grenze und der zweckmässigen militärischen Linie, welche für ein nicht eroberndes Volk in Betracht kommen könne. Ein Kriegsstaat — meint er — würde in dem am weitesten in die lombardische Ebene gegen deren Hauptstadt Mailand vorspringenden Thale von Mendrisio einen Waffenplatz errichten, von welchem aus er sich in kurzer Zeit der offenen Lom- bardei bemächtigen könnte; allein für einen auf die Defensive angewiesenen Staat, wie die Schweiz, rath er im Kriegsfall die Preisgebung dieses nicht haltbaren Gebietsvorsprunges und die Wahl einer nördlicheren Vertheidigungslinie an.

Finsler findet, dass sich, wenn man nicht die allerdings noch nördlicher liegende, stark bezeichnete Ge-birgsgrenze des Monte Cenere wählen wolle, am besten eine Linie von Gewässern als militärische Vertheidigungs-mark empfehle. Als solche schlägt er den Flusslauf der Tresa und von Ponte Tresa an aufwärts den Hauptstamm des Luganersee bis nach Porlezza im Nordosten vor, worauf die Grenze nördlich gegen den Monte Camoghè hin streichen und hernach der bisherigen Landesmark von Tessin und des bündnerischen Misocco folgen könne. Der Bericht glaubt, dass die für diese Grenze nothwendigen Gebietsergänzungen ohne zu grosse Mühe von der mailändischen Regierung erlangt werden könnten: bei Luino nördlich von der Tresa hai;dle es sich in Val Travaglia um einen grösstentheils sehr gebirgigen und auf zwei Seiten von der Schweiz schon jetzt ganz eingeschlossenen Landstrich, welcher überdiess schon einmal eidgenössisch gewesen sei, und am nördlichen Ufer des östlichen Armes des Luganersees komme zwischen der Schweizergrenze bei Lugano und Porlezza ausser diesem Orte selbst nur das kleine Val Solda mit wenigen Dörfern in Frage.

Indem sich der Berichterstatter hier im Süden schliesslich der bündnerischen Grenze zuwendet, geht er dabei von der entschiedenen Voraussetzung aus, dass die rätische Republik die 1797 ihr entrissenen italienischen Unterthanengebiete, Bormio, Veltlin und Chiavenna, wieder gewinnen werde, und stellt also als Grenze gegen Süden die das Addathal östlich und südlich auf der linken Seite vom Orties an begrenzende Gebirgslinie, bis zur Mündung der Adda in den Comersee, als bestimmt gegeben hin. Nur für zwei Stellen eröffnet er die Frage einer allfälligen Erweiterung und beantwortet dieselbe wenigstens beim zweiten Male in bestimmtester Weise.

Das Gebiet der bündnerischeh Grafschaft Chiavenna hatte nur bis an den Lago di Mezzola, nicht aber bis an die Nordspitze des Comersees selbst gereicht. Allerdings waren anfänglich im 16. Jahrhundert auch noch einige Orte am Comersee selbst, die sogenannten drei Pieven, nämlich Gera, Domaso und Gravedona, im Besitze der Bündner gewesen; aber sie hatten diese Stellung nur zwei Decennien behalten. Ein kecker kriegerischer Abenteurer hatte das etwas südlicher ge-gelegene feste Schloss Musso in seine Hand gebracht und von da aus einen frechen Angriff auf Chiavenna selbst verübt; zwei Male waren dann die Bündner, das zweite Mal mit ihnen auch schweizerische Zuzüger, durch Kriege wegen des Müssers zu erheblichen Anstrengungen gezwungen worden; endlich wurde der bedrohliche Platz geschleift, zugleich aber auch jeder Anspruch auf die drei Pieven an Mailand abgetreten. Finsler urtheilt nun, dass dieser Streifen Landes zwar als Vorposten der wichtigen Grafschaft Chiavenna ganz wünschenswerth sei, dass derselbe aber, weil durch eine steile Bergkette vom Wassergebiete des Tessin abgetrennt, zur Behauptung der südlichen militärischen Verteidigungslinie der Schweiz sich nicht als durchaus nothwendig herausstelle.

Als ganz unentbehrlich für die Sicherstellung von Chiavenna und Veltlin betrachtet dagegen Finsler die Wiedererwerbung des kleinen, aber entscheidend wichtigen Landstriches, welcher innerhalb der natürlichen Grenze des Veltlin an dem Austritte der Adda in die Thalfläche des Seegebietes zwischen dem Lago di Mezzola und dem Comersee selbst liegt: « Eine kleine Quadratmeile Landes in mailändischen Händen war hier in Folge der natürlichen Lage und Beschaffenheit dieser Gegenden hinreichend, um den Ausfluss der Adda in den Comersee und die einzige Landstrasse zu sperren, welche das Veltlin mit Cleven in Verbindung setzt ». Und allerdings war dieser sumpfige Strich bei dem Dorf S. Agata durch die im Anfange des 17. Jahrhunderts errichtete und nach ihrem Erbauer, dem mailändischen Statthalter Fuentes, genannte Festung eine furchtbare Bedrohung des rätischen Landes, ein wahres « Bündnerjoch a gewesen.

Indem eben Finsler ganz bestimmt annahm, dass die früheren bündnerischen Unterthanengebiete wieder gewonnen würden, hob er die Unterbrechungen der natürlichen Grenze zwischen Bünden einerseits und diesen italienischen Herrschaften andererseits nicht hervor, dass das Val di Lei in das Flussgebiet des Averser-Rheins und das Thal von Livigno, welches den Oberlauf des Spölflusses in sich begreift, in das Innland hineinragen; ebenso hatte er nicht zu betonen, dass die Thäler Bregaglia und Poschiavo schweizerischerseits in das italienische Gebiet hinüberhangen, wobei aller- dings bei Poschiavo der Engpass Piattainala einen eigentlichen Abschlugs des Schweizergebietes zwischen Brusio und Tirano darstellt.

In letzter Linie werden in dem Berichte noch die Grenzstrecken im Osten und Norden gegen Tirol, Vorarlberg und Deutschland einer Erörterung unterworfen.

Finsler glaubt da an der Grenzlinie vom Orties bis zum Bodensee nichts aussetzen zu dürfen: es seien « bekannte, beliebte und bequeme Grenzen zwischen zwei angrenzenden Völkern, denen beiden alte Gewohnheiten und Uebungen gleich werth und schätzbar sind,, so dass weder in den früheren Erfahrungen, noch in den künftigen Aussichten irgend ein Bedürfniss wesentlicher Aenderungen liegt ». Einzig meint er, dass bei dieser Gelegenheit einige streitige Landmarkeri gegen Tirol berichtigt werden könnten, welche aber nur für die Eigenthumsrechte der betreffenden Gemeinden wichtig seien. Allerdings sind auf dieser Grenzstrecke nur bei zwei bewohnten Bündnerthälern unregelmässige Abweichungen von der durch die Natur angewiesenen Scheide zu bemerken. Das nordöstlichste Bündnerthal Samnaun bildet den weit grüsseren südwestlichen Abschnitt eines einzig nach Tirol hinaus durch die Schlucht des Schergenbaches sich öffnenden grossen Gebirgs-kessels* ). Südlicher dehnt sich das Münsterthal völlig nach Tirol hin aus und ermangelt an seinem nordöstlichen Ausgange einer schärfer durch die Natur hervorgehobenen Grenze. Freilich durchfliesst der Thalbach Ram in der Calven zwischen Taufers und Glurns, der durch die Schlacht vom 28. Mai 1499 bekannten Stelle, eine Thalenge, welche als Grenzabschluss gänzlich sich eignen würde; aber wie schon in früheren Zeiten die Gotteshausleute von Cur in dem Gerichte Untercalven, ausserhalb des Engpasses, bei Mals und Glurns, sich Rätien entfremdet hatten und Tiroler geworden waren, so hatte sich vom 16. bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts auch die unterste Gemeinde von Obercalven, Taufers, von der Zugehörigkeit zum Münsterthale, damit auch zum romanischen Sprachgebiete, gelöst und dem österreichischen Staate völlig einverleibt.

Von der Luciensteig an bis nach Stein am Rhein ist es einzig die störende Lücke bei Constanz, welche die zusammenhängende, von der Natur angewiesene Schweizergrenze auf dem diesseitigen Boden unterbricht. Durch die thörichte Verblendung der grösseren Zahl der eidgenössischen Orte selbst war es im 15. Jahrhundert und wieder im 16., als sich die confessionellen Gegensätze hinzugesellt hatten und die reformirte Reichsstadt eine Verbündete der schweizerischen Glaubensgenossen, der Städtekantone Zürich und Bern, geworden war, verunmöglicht worden, dass Constanz ein Glied der Eidgenossenschaft wurde* ). Als dann nach derüeber Constanz habe ich im 11. Jahrgange, pp. 504 u. 505, einlässlicher gesprochen.

Eroberung durch spanische Truppen 1548 unter der lauten Zustimmung der katholischen Eidgenossen Constanz seiner Reichsfreiheit beraubt und zum katholischen Glauben zurück gezwungen worden war, begannen für das einst so blühende Gemeinwesen die dritthalb Jahrhunderte der Verarmung und Verdumpfung, welche erst ein Ende nahmen, als durch die französische Revolution alle diese vorderösterreichischen Gebiete andere Herren empfingen. Als Finsler schrieb, war Constanz noch kein volles Jahrzehnt ein Stück des badischen Staates. Er durfte also auf eine neue Veränderung hoffen und sagen: « In einem Augenblick, wo vielleicht diese bis an die Schwelle ihrer Thore ganz von schweizerischem Gebiete eingeengte Stadt bestimmt ist, ihren bisherigen Beherrscher zu verlieren, hat wohl kein Staat ein grösseres Recht der Billigkeit und der Convenienz zu deren Erwerbung aufzustellen, als die Schweiz, und Constanz, durch täglichen und stündlichen Verkehr und ansehnliche Ruralbesitzungen mit dem Thurgau verbunden, würde bei der Einverleibung gewiss in jeder Betrachtung am meisten gewinnen Diese Darlegung ist so schlagend, dass deren Beweiskraft nicht noch besonders hervorzuheben ist.

Seitdem 15. Jahrhundert liegen bekanntlich zwischen Stein am Rhein und Kaiserstuhl Theile des eidgenössischen Landes, ein gesammtes Kantonalgebiet, Schaffhausen, und ein kleiner Bestandtheil eines zweiten Kantons, das zürcherische Eglisau mit dem Rafzerfeld, theilweise ohne Verbindung unter sich, in drei Stücken, einem grösseren und zwei kleineren, jenseits der natürlichen, vom Rheinlaufe gebildeten Grenze auf dem rechten Ufer des Flusses. Finsler urtheilt, dass « diese Theile des eidgenössischen Gebietes niemals wesentlich in das allgemeine eidgenössische Vertheidigungssystem hineingezogen werden können »: « Aber wenn sie nicht ganz als verlassene und vernachlässigte Aussenposten behandelt werden sollen, so bedürfen sie einer sicheren und bequemen Verbindung unter sich selbst und mit dem eidgenössischen linken Rheinufer ».

In der Zeit des alten deutschen Reiches vor den Ereignissen der grossen Revolution waren hier die Dinge, wenn auch viel complicirter, dennoch eben desswegen für die Schweiz ungleich bequemer und ungleich günstiger gewesen. In dem Stückchen deutschen Bodens zwischen dem bis 1798 zürcherischen Stein und Ramsen und dem daran hängenden zu Schaffhausen zählenden Buch einerseits und dem Haupttheil Schaffhausergebietes, wo aber Dörflingen ebenfalls zürcherisch war, anderentheils, wie dasselbe sich dergestalt bis vor Diessenhofen an den Rhein vorstreckt, hatte der Stand Schaffhausen allerlei staatliche und kirchliche Befugnisse auszuüben. Die hier liegenden Dörfer Ober- und Untergailingen und das vollends gänzlich als Enclave gleich östlich von Schaffhausen liegende Büesingen mit der alten Mutterkirche von Schaffhausen selbst, Kirchberg, waren zwar, was die Landeshoheit betrifft, unter der dem Hause Oesterreich zugehörenden Landgrafschaft Nellenburg; allein die niederen gerichtlichen Rechte standen da überwiegend entweder dem Stande Schaffhausen oder Schaff hausen'sehen Familien zu. Doch noch viel störender greift bekanntlich nichtschweizerisches Gebiet, vom Wutachthaie her östlich über die das Rafzerfeld nörd- lieb besäumenden Berge hinüber bis an den Rhein, vom Rheinfall an abwärts zur Thurmündung, zwischen dem Schaffhauser Klettgau einerseits und dem Rafzer-felde andererseits ein. Dieser Landstrich hatte bis zur Staatsumwälzung zu der Landgrafschaft Klettgau gehört, welche sich in den Händen des fürstlichen Hauses Schwarzenberg befand, und als ein Rest dieser alten Grenznachbarschaft ist es zu betrachten, dass noch bis heute ein jeweiliger Fürst von Schwarzenberg des Ehrenbürgerrechtes von Zürich geniesst. Doch auch die gegenüber der Grlattmündung und dem Städtchen Kaiserstuhl liegenden Dörfer unterhalb Eglisau kommen hier mit in Betracht. Dieselben, nämlich Herdern, Hohenthengen, Lienheim, lagen zwar ebenfalls in dem Schwarzenberg'schen Klettgau; jedoch zählten dieselben zu der bischöflich constanzischen Obervogtei Kaiserstuhl, welche hinwieder unter der Hoheit der in der schweizerischen gemeinen Herrschaft Grafschaft Baden regierenden eidgenössischen Orte stand. Der Bischof hatte zur Verwaltung seiner niederen gerichtlichen Rechte auf dem gleich jenseits der Kaiserstuhler Rheinbrücke liegenden Schlosse Röteln seinen Obervogt, und so waren diese drei Dörfer mit Kaiserstuhl enge ver-bunden* ).

An der Stelle der dergestalt vielfach ganz mittelalterlichen Rechtsverhältnisse in den angrenzenden Territorien des Reichgebietes war nun durch die Napoleon'sche Zeit ein centralisirter und bureaukratisch geschlossener moderner Staat getreten. Jenes ganz neue Conglomérat der bisher widerspruchsvollsten kleinen politischen Existenzen, wie es am oberen Rhein durch die französischen Machtsprüche entstanden war, betitelt Gross-herzogthum Baden, hatte nur so sich lebensfähig machen können, dass es rücksichtslos mit allen Erinnerungen der Vergangenheit brach und sich in jeder Weise nach neuen Gesichtspunkten ordnete. Da musste auch die politische Grenze weit mehr, als früher, zur eigentlichen Scheidewand zwischen den beiderseitigen Staats-bevölkerungen werden. Das machte sich nun hinsichtlich dieser früher nellenburgischen und klettgauischen Ortschaften empfindlich fühlbar. Unser Bericht hebt hervor, die genannten Dörfer seien seit Jahrhunderten zum schweizerischen Militärsystem gerechnet, in den Neu-tralitätskreis eingeschlossen und von allen streitenden Armeen in allen Kriegen in Deutschland gleich dem ganzen übrigen eidgenössischen Gebiete als neutral angesehen und behandelt worden. Finsler wünscht also, dass inbesondere da, wo der Stand Schaffhausen ausgedehnte Gerichtsbarkeit und Gefälle besessen hatte, aber auch an den anderen bezeichneten Stellen, in militärischer und polizeilicher Hinsicht, wie nach den staatsrechtlichen Beziehungen, eine Berichtigung der Grenze eintrete. In erster Linie nennt er Gailingen und Büesingen, geht aber wohl etwas zu weit, wenn er ausserdem auch die etwas nördlicheren, bereits hinter dem Gailinger - Berge liegenden Dörfer Randegg und Murbach beansprucht; ferner wird der allerdings störend 23 eingreifende, nördlich von Merishausen liegende Hof Schlauch erwähnt; dann folgen Jestetten, Lotstetten und Altenburg in jener badischen Gebietszunge bei Rheinau, endlich Herdern, Hohenthengen und Lien-heim. Wenn dagegen auch noch des Dorfes Kadelburg am rechten Rheinufer unterhalb Zurzach, wo allerdings das Stift Zurzach die niederen Gerichte gehabt hatte, gedacht wird, so ist das wohl zu weit gegriffen.

Als ein letzter Rest österreichischen Gebietes auf dem schweizerischen Rheinufer war zwischen dem bernerischen Boden im Aargau und dem Stande Basel bis zur Staatsumwälzung der Landstrich übrig gewesen, welcher zwei von den vier österreichischen Waldstädten am Rhein, Laufenburg und die starke Festung Rheinfelden, nebst dem dahinter liegenden, nach dem Dorfe Frick benannten Jurathale umschloss. Dieses Stück von Vorder-Oesterreich war dann im Frieden von Lüne-ville durch Oesterreich an Frankreich überlassen und von diesem hinwieder 1802 an die Schweiz abgegeben worden. Freilich hatte man damals dieses Geschenk, welches hernach durch die Mediationsacte dem Kanton Aargau einverleibt wurde, aus der Hand des allmächtigen Vermittlers mit nur sehr geringer Befriedigung entgegengenommen, weil es doch eine keineswegs genügende Entschädigung für das soeben der Schweiz entfremdete Land Wallis darstellte.Von diesem nordwestlichen Theile des Kantons Aargau ist also bei Finsler nicht die Rede.

Von den so wenig ehrenvollen Ereignissen am Ende des Jahres 1813 -her, wo die eidgenössische Neutralität bei Basel nicht hatte behauptet werden können, musste der Oberstquartiermeister die militärisch unbefriedigende Lage Basel's, wozu noch die Schwierigkeiten des Uebergreifens baslerischen Gebietes auf das rechte Rheinufer kommen, klar erkennen. Allein er hat diese Dinge in seinem Berichte mit Stillschweigen übergangen.

Zu Wien in den Berathungen des Congresses und in den beiden Friedensschlüssen mit Frankreich wurde von den Mächten über die durch Finsler vom militärischen Gesichtspunkte des Schweizerofficiers behandelten Fragen in einer für die Schweiz wenig befriedigenden Weise entschieden.

Nicht nur ist eine Verbesserung der Schaffhausen'schen Grenze, eine Zuweisung von Constanz, eine Zurückerstattung des früheren bündnerischen Gebietes in Italien nicht eingetreten, sondern es wurde insbesondere auch der Stadt Genf jene Sicherung nicht zuertheilt, welche im Interesse der Schweiz gewünscht werden konnte. « Jenes von beiden Seiten geschlossene Thalgelände, von welchem die Stadt Genf der Mittelpunkt und die Zierde ist » — es sind Worte Finsler's, die wir hier einrücken —, wurde Genf nicht gegeben. Die Berghöhen, welche die Stadt Genf und das kleine Kantonalgebiet auf drei Seiten überragen, der höchste aller Juraberge, der Mont Reculet mit dem Crêt de la Neige, auf der linken Rhoneseite die zusammenhängende Kette des Vuache, Sion und Salève und rechts von der Arve die Voirons — dieser gesammte Bergkranz um Genf herum 35 Meyer von Knonau.

liegt ausserhalb der Schweiz und befindet sich seit der Annexion von Savoj-en gänzlich im Besitze Frankreichs. Freilich ist dann in Wien für ein noch grösseres Gebiet von Savoyen, als es Finsler in seinem Berichte angedeutet hatte, eine Neutralität in Kriegszeiten im Anschlüsse an die schweizerische Neutralität stipulirt worden: von Sardinien zuerst in Anregung gebracht, dann von den Genfer Deputirten lebhaft befürwortet, war diese Angelegenheit ohne das Wissen und den Willen der Schweiz zur Durchführung gekommen* ). Wie wenig befriedigend aber sich die Angelegenheit endlich entschied, ist hier nicht weiter auszuführen. Doch eine ähnlich peinliche Erinnerung knüpft sich für uns an die Grenzberichtigung im Dappenthal. Der Wiener Congress hatte sich hierin für die Zurückerstattung an die Schweiz ausgesprochen; allein trotzdem blieb seit 1815 das Thal thatsächlich im Besitze Frankreichs, und als endlich 1862 ein Vergleich eintrat, behielt Frankreich die Militärstrasse, das will sagen dasjenige, was in dem Thale überhaupt von Wichtigkeit ist.

Die einzige schwerer wiegende Vergrösserung für die Schweiz trat im Nordwesten in dem Anschlüsse der Gebiete des Bisthums Basel ein. Allein es war ein eigenthümliches Zusammentreffen der Umstände, dass derjenige Kanton, welchem der weit grösste Theil dieser neuen Erwerbung zukommen sollte, Bern — BaselIch verweise hierüber auf die interessante Abhandlung von Dr. W. Grisi: „ Ueber die Entstehung der Neutralität von Savoyeu ", ini Archiv für schweizerische Geschichte Bd. X. VIII.

erhielt nur ein kleines Stück im äussersten Nordosten des alten Bisthums—, nur mit unendlichem Widerstreben sich zur Annahme dieser Vergrösserung entschloss. Die bernerischen Staatsmänner hatten gehofft, den bis 1798 bernerischen Theil des Aargaues wieder zu erhalten, und mussten nun statt dessen ein überwiegend fremdsprachiges und andersgläubiges, vielfach arg vernachlässigtes und gänzlich abgelegenes Gebiet hinnehmen, dazu noch ausserdem eine alte Bundesstadt Bern's, Biel, welche nur ungerne auf eine Jahrhunderte hindurch genossene Selbständigkeit Verzicht leistete, sich unterordnen lassen.

Sollen wir es bereuen, dass Finsler's zum Theil kühn entworfenes Programm nur zum kleinsten Theil seine Erfüllung gefunden hat? Eine auf dem Boden der Republik aufgebaute, an ein geschichtlich erwachsenes Zusammenleben gewöhnte staatliche Familie, wie sie die Schweiz darstellt, kann es an sich nicht wünschen, in dieser Gemeinsamkeit nicht erzogene Bevölkerungen neu sich angliedern zu lassen. Die alte Eidgenossenschaft vor der Revolution war vielen unter ihren Angehörigen eine nichts weniger als gütige Mutter gewesen; aber es war doch bemerkenswerth, dass 1798 auch in den gemeinen Herrschaften der Wunsch einer Trennung von der Schweiz nirgends hervortrat. Sogar die italienisch sprechenden Unterthanenländer bekannten von vorn herein ihren Willen, von der Eidgenossenschaft sich nicht zu trennen, und wenn da in der äussersten Südspitze, in Mendrisio und Balerna, vorübergehend die Gefahr einer Entfremdung und eines Anschlusses an die cisalpinische Republik hervorgetreten war, so hatte das einzig und allein den unausgesetzten Agitationen, welche von Corno ausgingen, zugeschrieben werden müssen. Dagegen sind in demjenigen Stücke der Schweiz, welches 1815 ganz neu angeschlossen worden ist, auf dem früheren Reichsboden des Bisthums Basel, seit sechszig Jahren stets von Neuem unter den verschiedensten Aushängeschilden, politischen, nationalökonomischen, religiösen, gegenüber den mannigfaltigsten politischen Färbungen der von Bern aus gebietenden Regierungen, von den Aristokraten der Restaurationszeit bis auf die Radicalen der Gegenwart, mehr oder weniger versteckte, ausgedehntere oder eingeschränktere Abtrennuugsgeluste hervorgetreten. Diejenige Persönlichkeit der neueren schweizerischen Geschichte, auf welche die Bezeichnung des berühmten irischen Agitators übertragbar erschien, hat dem neuen Kantonstheil von Bern angehört: der Jura, das Geschenk des Wiener Congresses an die Schweiz, brachte in Stockmar seinen O'Connell hervor.

Die Schweiz ist kein Kriegsstaat; sie hat einen ausgesprochen defensiven Charakter, und so vermochte sie denn auch bei weniger günstigen militärischen Grenzen seit 1815 ihre Aufgabe zu erfüllen, ihre Neutralität in Momenten grösserer kriegerischer Gegensätze zwischen benachbarten Staaten zu erhalten. Es ist gewiss bemerkenswerth, dass dies insbesondere in den gefahrvollen Wochen am Anfange des Jahres 1871 gerade an solchen Stellen der schweizerischen Grenze möglich gewesen ist, welche nach den Erörterungen Finsler's als militärisch sehr mangelhaft angesehen werden müssen. Die in die äussersten Dörfer des Eisgaues, westlich von Porrentruy nach Damvant, Grand- fontaine, Fahy und Bure, vorgeschobenen Abtheilungen der Truppen der Grenzbesetzung sahen im Januar vor ihren Augen Kämpfe deutscher und französischer Heeres-abtheilungen, und hinwieder in den ersten Februartagen kamen die Achtzigtausend, welche vor der Vernichtung durch die siegreichen Verfolger sich in die Schweiz hinüberretteten, bei Verrières, bei Fourgs und bei Jougne zur Entwaffnung, also gerade an jenen Strecken der Juragrenze, welche Finsler als die schwächste Stelle der Schweiz gegenüber Frankreich erklärt hatte. Hier, wie dort, da wo ein militärisch nothwendiges Stück dem Schweizergebiet abgeht, und hinwieder, wo dieses letztere eine militärisch entbehrliche, vorspringende Ecke nach dem Nachbarstaate hinaus bildet, wurde in diesen kriegerischen Tagen die Waffenehre und die staatliche Unantastbarkeit der Schweiz gewahrt. Es war das der Entschlossenheit und dem ernsthaften Willen zu verdanken, welche in jenen Monaten vom ersten Anfang an zu dem Zwecke gezeigt worden waren, dem Auslande zu beweisen, dass man die schweizerische Neutralität durchaus aufrecht zu erhalten gedenke. Ist dieser aufrichtige Wille bei der eidgenössischen Bevölkerung und ihren höchsten Behörden, bei den militärischen Führern und der Mannschaft in nachhaltiger Kraft vorhanden, so kann auch bei einer den Wünschen der Sachverständigen nicht entsprechenden Militärgrenze die der Schweiz im europäischen Staatensysteme zugewiesene Aufgabe erfüllt werden.

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