Unspektakuläre Bergrettung?
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Unspektakuläre Bergrettung?

Eindrücke eines Geretteten Sonntag, 19. Juli 1998: Von der Talstation steige ich zur Diavolezza auf -eine Traumtour bei diesem Wetter. Für den Rückweg studiere ich Karte und Wegweiser. Der Weg gegen die Boval-Hütte kommt nicht in Frage, weil ich Vadrett-, Pers- und Morte-ratsch-Gletscher allein überqueren müsste. So wähle ich die Route diesseits des Morteratsch-Gletschers unterhalb Munt Pers. Ein letzter Blick hinab: Auch wenn Wegweiser und Karte etwas anderes sagen - unten sehe ich ja schon den zur RhB-Station Morteratsch führenden Weg.

Auf dem Moränengrat geht es problemlos talwärts bis zu einer Stelle, an der auf ca. acht Metern Länge Moräne und Weg abgerutscht sind. Das leicht verfestigte Gesteinsmaterial bietet ein paar Tritte und Griffe. Aber bald danach endet der Pfad. In der Hoffnung, den Weg wieder zu finden, gehe ich im steilen, aber m. E. ungefährlichen Gelände weiter abwärts. Tatsächlich stosse ich auf Spu-renfragmente, die mich aber in die Irre führen: Am Ende liegt unter mir der stark zerklüftete Gletscher mit einer riesigen Randspalte - in der Tiefe höre ich Geröll oder Eis hinabpras- seln. Also erneut hinauf, bis ich merke, dass ich mich total verirrt habe.

Wie weiter? Jetzt bloss keine Panik! Es vergeht einige Zeit, bis ich weiss, was zu tun ist. Ich nehme das Natel zur Hand, um Hilfe anzufordern, doch ich befinde mich im Funk-schatten. Was nun? Fragen beginnen mich zu bewegen: « Darf ich überhaupt Hilfe anfordern? Bringe ich dadurch nicht andere Menschen in Gefahr? Bin ich aber nicht in einer ausweglosen Situation - darf ich somit doch um Hilfe bitten ?» Von meinem Standpunkt aus ist die Boval-Hütte in ca. 1500 m Luftlinie zu sehen. Sechsmal pro Minute gebe ich Handzeichen - danach eine Minute Pause; das während etwa zweieinhalb Stunden. Keine Antwort.

Schritt für Schritt steige ich nun mühsam hinauf und stehe alsbald dort, wo der Weg abgerutscht ist. « Hier zurück? Ausgeschlossen !» In umgekehrter Richtung erscheint mir diese Passage wesentlich problematischer, ja unüberwindlich.

Will ich über das Natel Hilfe rufen, muss ich wesentlich höher hinauf; in meiner Situation der einzige Ausweg. Rund 100 m schräg über mir sehe ich einen Grat, von dem aus Verbindung möglich sein sollte. Endlich stehe ich auf dem vermeintlichen Grat, einer eher weiten Bodenwelle. Das Natel-Funksignal ist jetzt zwar vorhanden, aber zu schwach zum Telefonieren. Ich muss weitere 100 m zum nächsten Bergrücken in einem Gelände aufsteigen, das wesentlich abschüssiger ist. Graswuchs und griffiger Fels sind im Wechsel zu traversieren, lockere Gesteinsbrocken aller Grossen vorsichtig zu umgehen.

Erneut stehe ich « oben », diesmal auf gut 2800 m und mit Sicht weit hinaus ins Tal. Ich schaue zurück auf die letzte Strecke - mich schaudert: Hätte sich da ein Stein von oben herab gelöst oder wäre einer, auf den ich meinen Fuss gesetzt habe, ausgebrochen, es wäre meine letzte Talfahrt gewesen -400 m nach unten, gratis und ohne umzusteigen direkt in den Randspalt.

Doch nun empfange ich ein kräftiges Funksignal. Auf einer ebenen Felsfläche, von der Grösse einer halben Tischplatte, kann ich mich endlich entkräftet niederlassen. Bevor ich die Nummer der REGA wähle, kommen nochmals dieselben Gedanken: « Soll ich anrufen-soll ich nicht ?» Auf der REGA-Zentrale meldet sich eine freundliche Frauenstimme.

Nachdem ich Situation und Standort angegeben habe, wird mir rasche Hilfe zugesichert.

Es geht jetzt schon gegen 21 Uhr. Das Natel meldet sich. Wenig später höre ich Motorengeräusch. Der Heli fliegt dem Morteratsch-Gletscher entlang aufwärts. Ich gebe meinen Standort und winke im letzten Strahl der sinkenden Sonne. Der Pilot sieht mich, hält auf mich zu, die Maschine schwebt knapp über meinem Fels, eine Tür ist geöffnet. Kräftige Arme helfen mir beim Einsteigen. Kaum habe ich Platz genommen, befindet sich der Heli schon auf dem Rückflug. Der Arzt konstatiert « totale Erschöpfung ». Nach wenigen Minuten landen wir auf der Basis Samedan. Wie bin ich meinen Rettern dankbar!

Schlussfolgerungen Das Natel ( Handy, Funktelefon ) ist im Gebirge nur sehr bedingt einsatzfähig. Dagegen lässt sich mit den käuflichen Funkgeräten mit REGA-Kanal von jedem Ort in den Schweizer Alpen die Verbindung herstellen.

Handzeichen auf eine grössere Distanz sind nicht sehr gut zu erkennen und werden auch nicht unbedingt als Notsignale verstanden.

Lutz König, Schliern ( BE ) auch wenn es nur ein 10 Meter hohes Wändli ist, vorhanden sein. Plaisir heisst Vergnügen, Spass. Ist dann das noch ein Vergnügen, wenn jede Route und fast jeder Meter genau bezeichnet und beschrieben und so erschlossen sind, dass jeder Vergnü-gungskletterer ohne grosse Mühe hinauf kommt? Jeder Kletterer sollte seine Eigenverantwortung wahrnehmen und eben nur dort einsteigen, wo sein Können und seine Fähigkeiten genügen, und nur dort, wo er etwa weiss, was für Schwierigkeiten ihn erwarten. Respektieren wir doch die Berge als ein Stück Natur, die man besteigen oder erklettern, aber nicht besiegen kann.

Ernst Schräg, Wynigen ( BE )

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