Unterwasser-Eiskristallbildung im Untern Grindelwaldgletscher
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Unterwasser-Eiskristallbildung im Untern Grindelwaldgletscher

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 3 Bildern.Von Alfred Schneider.

Im Sommer 1938 besuchte ich mit meinem Bruder mehrmals den Untern Grindelwaldgletscher. In seinem mittleren, flachen Teil zwischen Kalli und Stieregg fielen uns die zahlreichen sogenannten Gletscherpfeifen oder Mittaglöcher auf. Das sind jene ovalen, wassergefüllten Spalten, die bis etwa einen Meter lang und quer ungefähr einen halben Meter breit werden. Die nach Norden liegende Seite zeigt stets die grössere Rundung als die südliche. Diese Form wird bedingt durch den Lauf der Sonne. Die im Süden stehende Sonne vermag den nördlichen Rand des Mittagloches stärker zu erwärmen und ihm daher die stärkere Rundung zu geben. So ist es also auch im Nebel möglich, ohne Kompass die Nordsüd-Richtung anhand der Mittaglöcher festzustellen.

Der grössere Durchmesser gibt die Ostwest-Richtung, und senkrecht dazu weist die stärkere Rundung nach Norden.

Die Tiefe dieser Spalten variiert im allgemeinen bis zu 5 m, ausnahmeweise können sie aber ganz bedeutend tiefer werden. Dort wo der Gletscher wenig Gefälle zeigt, entstehen diese Löcher durch Einsinken von flachen Steinen, welche durch die kräftige Sonnenbestrahlung erwärmt werden und das darunter liegende Eis zum Schmelzen bringen. Nach und nach wird das Loch immer tiefer.

Zum Feststellen der Tiefe warfen wir helle Steine in viele dieser Löcher. Bei einem machten wir die merkwürdige Beobachtung, dass nach geraumer Zeit aus der Tiefe prächtige Eiskristalle in Form von stark vergrösserten Schneeflockenteilen aufstiegen. Wir wiederholten unsern Versuch etwa 20 mal, und jedesmal tauchten aus dem eiskalten Wasser je 10—15 neue prächtige Eiskristallbildungen auf. Im Anfang erschienen hauptsächlich grosse Stücke von 20—30 cm. ( Zum Vergleiche diene die Hand am Bild- i rand. ) Die Dicke variierte von 0,5—2 cm. Die eine Oberfläche war stets platt, die andere aber reliefartig ausgebildet. Eine Anzahl war scheinbar aus zwei gleichartigen Platten aufgebaut, also oben und unten platt und mit den reliefartigen Seiten gegenseitig verwachsen ( Zwillingsbildung ).

Neben fast strukturlosen dünnen Eisplatten fanden wir die prächtigsten Kristallgebilde in den mannigfaltigsten Formen.

Die Öffnung unseres Mittaglochs war klein ( 15x45 cm ), so dass wir nur kleinere flache Steine versenken konnten. Um so mehr überraschte uns die Tiefe, die wir mit einer Schnur, an welcher ein Stein befestigt war, mit 9,80 m feststellten. Die Kristalle wachsen wandständig und sind wahrscheinlich parallel zur Wasseroberfläche angeordnet, weshalb sie mit Leichtigkeit von den herabsinkenden Steinen abgeschlagen wurden. Durch weitere Steine wurden wohl immer tiefer liegende Schichten gelöst. Bei senkrechter Anordnung zur Oberfläche hätten sie sich bedeutend schwieriger abschlagen lassen und wären wohl kaum auch nach 20 maligem Versuch immer wieder abgebrochen worden. Da es stets fast eine Minute und länger dauerte, bis die Kristalle auftauchten, mussten sie in grosser Tiefe abgeschlagen worden sein.

Da ich nie von solchen Eiskristallgebilden in dieser Form gehört hatte, bin ich der Sache nachgegangen, doch konnte ich keine ähnlichen Angaben finden. Ich wurde endlich auf eine Arbeit von Prof. V. J. Altberg in Leningrad aufmerksam gemacht. Er beschreibt die Entstehung von Unterwasser-eisbildung, die häufig in den sibirischen Flüssen beobachtet wird. In vielen Experimenten hat er diese Eisbildung auch künstlich erzeugt und festgestellt, dass die Kristallbildung in schwach unterkühltem Wasser zustande kommt, jedoch liegen die besten Bedingungen nur in einem kurzem Temperaturintervall. Seine Beobachtungen beziehen sich aber alle auf fliessendes Wasser, während ich meine Beobachtungen im stehenden Wasser gemacht habe, was also gewisse Bedingungen grundlegend ändert. Ich habe daher auch zweimal an Altberg geschrieben, aber leider keine Antwort erhalten.

Um das Problem wissenschaftlich zu erörtern, sollte man Versuche machen. Doch sind die Bedingungen, wie ich sie oben beschrieben habe, nicht so leicht herzustellen: 10 m tiefe und ca. 15x45 cm breite, mit Wasser gefüllte Spalten im Eis! Ich glaube, dass besonders auf die Tiefe zu achten ist, denn in allen andern Löchern, die wir beobachtet haben, betrug die Tiefe selten mehr als 5 m, und nirgends fanden wir diese Kristallbildung, ein Grund wohl auch, warum diese Erscheinung bisher nicht beobachtet oder beschrieben worden ist.

Durch die grosse Tiefe sind wohl auch die täglichen Temperaturschwankungen im Wasser sehr gering, was mir gerade günstig erscheint für die geringe Unterkühlung, die nötig ist zur Unterwasser-Eisbildung. Die parallele Anordnung der Kristallplatten zur Oberfläche lässt vielleicht auch ihre Entstehung durch eine Art Temperaturschichtung des Wassers in der Tiefe erklären, die, hervorgerufen durch die Temperaturbewegung der Aussenwelt bei Tag und Nacht, gerade die für die Unterwasser-Eisbildung nötige Unterkühlung bedingen würde.

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