Ursprung, Authentizität und Romantik
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Ursprung, Authentizität und Romantik Gegentrends sind häufig Sehnsuchtsfelder

David Bosshart, Präsident des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, äussert sich zu Trends und Gegentrends im Bergsport.

Der Megatrend sei ja «weiblich» und «asiatisch», heisst es. Was bedeutet das für Europa, für die Schweiz der Zukunft?

Megatrends an sich sind oft nicht so interessant, meist erhalten sie ihre Kraft erst aus dem Spannungsverhältnis mit den Gegentrends: Hier entstehen Nischen und Innovationen. Der Aufstieg des Weiblichen kann denn auch nur im Spannungsfeld mit dem Männlichen verstanden werden. Zum Beispiel passiert die Weiterentwicklung der Tupperpartys heute weniger bei Hausfrauen als an Grillpartys für aktivitätshungrige Männer. Denen werden Grillaccessoires verkauft – gesponsert von der Fleisch- und Bierindustrie. Männer suchen ihre Verstecke, ihre Höhlen, wo sie ungestört unter sich sein können.

 

Welche Trends sehen Sie heute allgemein?

Bezogen auf Spannungsfelder sticht sicherlich jenes zwischen Digitalisierung und Handwerk heraus. Die Technik wird immer dominanter und bestimmt unseren Alltag immer mehr mit: was wir tun, was wir wahrnehmen, was wir denken. Gegentrends sind häufig sogenannte Sehnsuchtsfelder: in diesem Fall der Wunsch, wieder etwas Handwerkliches zu tun, sich also dem Konkreten und Verständlichen zuzuwenden.

 

Zum Beispiel am Samstag sein Auto aufzupeppen?

Weil unsere Autos heute technisch so komplex sind, dass man die Motorhaube besser gar nicht mehr hebt, hat Herr Schweizer eines seiner liebsten Hobbys verloren: am Samstagnachmittag liebevoll das Auto zu waschen und im Motor herumzuwuseln. Diese geliebten handwerklichen Tätigkeiten, die über lange Zeit eingeübt wurden, müssen nun in neuen Sehnsuchtsfeldern bedient werden. Daher muss als Gegentrend die Romantik bedient werden mit Themen wie Ursprung, Authentizität oder selber Gemüse und Früchte ziehen. Bio profitiert von dieser Romantik. Der Erfolg der Zeitschrift «LandLiebe» (Deutsch) ist ein schöner Beleg. Schrebergärten in Städten werden international begehrt.

 

Woher, glauben Sie, kommt der Outdoorboom?

Auch der gegenwärtige Outdoorboom bedient selbstverständlich ein solches Sehnsuchtsfeld. Er kann nur im Spannungsverhältnis von immer urbanerer und alpiner Welt verstanden werden. Dahinter können rationale Gründe wie Kompensa­tions­gewinne stehen, auch emotionale Lust. Oder aber diffuse Ängste oder schlicht Abwehrreaktionen gegen nicht gewollte Veränderungen.

 

Welche Trends sehen Sie in den Outdoorsportarten?

Die Vielfalt nimmt – wie bei der Ernährung – rasch zu. So wie McDonald’s in den 1960er- und 70er-Jahren alternativlos das Fast-Food-Angebot beherrschte, dominierte im Winter der alpine Skisport die Ferienaktivitäten junger Menschen. Heute hingegen wachsen alle Altersgruppen in unzählige zusätzliche Angebote hinein: Schneeschuhwandern, Freestyle-Snowboarden und so weiter. Das fragmentiert die Massenmärkte. Der Wintersport ist sehr aufwendig geworden. Und auch teuer. Immerhin, diese Sportarten sprechen Menschen mit einem aktiven Lebensstil an, die bereit sind, für gute Qualität entsprechende Preise zu bezahlen. Auch sind es Kunden, die bezüglich Nachhaltigkeit häufig Trendsetter sind, also hohe Sensibilität gegenüber Themen wie Klimawandel, Naturwahrnehmung, Lebensqualität oder CO2-Emissionen haben. Daher vermute ich, dass die Innovationsdichte weiter hoch sein wird.

 

Wie wirkt sich der Klimawandel aus?

Insgesamt wird die Rolle des Klimawandels sicherlich dominant bleiben, denken Sie an Hochwasser, an die fast jährlich stattfindenden «Jahrhundert-ereignisse». Zentral bleibt wetter-, ja saisonunabhängige Bekleidung, die technisch auf dem neuesten Stand ist, chic, zum Tragen sehr bequem und dabei gleichzeitig für Aktivsport sowie für ein kurzes Businessmeeting durchgeht. Auch der «Abenteurer» will «Genuss ohne Verdruss» und lebt in einer Art «Cola Zero»-Kultur.

 

Welche Bedeutung werden Karten, ob auf Papier oder digital, in Zukunft haben?

Karten haben unsere Vorstellungen revolutioniert. Es genügt, sich die Entwicklung der Google Maps über die letzten Jahre zu verdeutlichen. Auch hier schafft die Technologie neue Realitäten. Augmented Reality wird normal – etwa wenn Sie auf Ihrem Handybildschirm nicht nur die Landschaft um sich herum sehen, sondern auch gleich die Namen der Berge erscheinen. Je besser die Möglichkeiten der Darstellung, desto grösser die Chance, dass neue Vorstellungsräume sich öffnen. Denn Erlebnisreichtum entsteht durch Vorstellungsreichtum. Die Bergwelt ist dafür ein wunderbares Beispiel. Die gleichen Dinge aus anderer Perspektive erkennen und erleben zu lernen, bietet noch sehr viele Potenziale. Wie attraktiv könnte es doch zum Beispiel sein, das Relief der alpinen Welt von Monaco bis Wien in immer wieder neuen Sichtweisen anzubieten?

 

Lösen neue Technologien Probleme?

Neue Technologien bieten niemals eine Lösung an – höchstens eine temporäre. Vielmehr führen sie zu immer neuen Komplexitäten. Je mehr Technologie wir haben, desto mehr Technologie brauchen wir – diese Behauptung kann man getrost unterschreiben. Zumal jede Technologie, die wir neu benutzen, bereits veraltet ist. Darum ist letztlich derjenige im Vorteil, der die Technologie besser zu nutzen weiss.

 

Wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Wo steht der Bergsport 2050? Gehen wir überhaupt noch in die Berge?

Niemand kann über 2050 mehr sagen als Banalitäten. Die einzige Gewissheit ist, dass wir immer mehr von Technologien abhängig werden, die wir heute noch gar nicht haben. Und Technologie ist, das wissen wir spätestens seit den Social Media, vor allem eine gesellschaftliche Kraft.

Das Gottlieb Duttweiler Insititut (GDI)

Das Gottlieb Duttweiler Institut ist Teil der Stiftung «Im Grüene». Als Non-Profit-Organisation ist das GDI gemäss Auftrag des Stifters ein Ort der Besinnung und der Begegnung mit dem Ziel, «wissenschaftliche Forschung auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet» durchzuführen. Die Forscher des GDI untersuchen Megatrends und Gegentrends und entwickeln Zukunftsszenarien.

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