Verstauchen, reissen, abnützen
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Verstauchen, reissen, abnützen Kletterverletzungen aus der Sicht eines Spezialisten

Mit dem Aufschwung des Kletterns treten neue Sport-

verletzungen auf. Der Handchirurg Andreas Schweizer fasst

die häufigsten Verletzungen zusammen und gibt Tipps.

Schmerzen in den Fingern, Beschwerden im Ellbogen oder Verspannungen im Nacken: Wer intensiv klettert, hat sicher schon unangenehm und schmerzhaft gespürt, wenn er seinen Körper etwas gar stark gefordert hat.

Vom einfachen Schmerz bis zu einer Verletzung, die eine Kletterpause erfordert, gibt es viele Schmerzen und Verletzungen beim Klettern, aber viele sind noch nicht allgemein bekannt. Und das hat seinen Grund: Der Sport, der an Felswänden, Boulderblöcken oder in der Halle ausgeübt wird, ist erst seit wenigen Jahren richtig populär. Ausserdem ist seit den Anfängen das Leistungsniveau beträchtlich gestiegen, und damit sind auch neue Verletzungen aufgetreten.

Andreas Schweizer (Universitätsspital Balgrist, Zürich) gehört zu den wenigen Ärzten, die sich auf Verletzungen im Zusammenhang mit Klettern spezialisiert haben, vor allem solchen an der Hand. In einem im Oktober 2012 in der Zeitschrift Swiss Medical Weekly erschienenen Artikel liefert er eine Übersicht über die verbreitetsten Kletterverletzungen und gibt Präventionstipps.

 

Ringbandriss

Andreas Schweizer nennt als erstes Beispiel eine der in der Szene am bekanntesten Verletzungen: der Ringbandriss. Er tritt hauptsächlich durch eine ruckartige Überbelastung des Fingers in aufgestelltem, gebeugtem Zustand auf. Der Schmerz ist heftig, und das Schnalzgeräusch, das beim Riss entsteht, ist so ausgeprägt, dass es für den Kletternden selber, aber oft auch für den Sichernden deutlich hörbar ist. Manchmal ist eine Operation nötig, aber in den meisten Fällen reicht eine Schonphase und das Tragen einer speziellen Fingerschiene. «Der Sportler darf während zweier bis dreier Monate nicht klettern, und der Finger darf erst nach vier bis sechs Monaten wieder normal belastet werden», erläutert Andreas Schweizer und fügt eine Warnung an: «Viele Kletterer tapen die Fingerglieder, um einem Ringbandriss vorzubeugen, aber der Schutzeffekt für das Ringband ist zweifelhaft.» Laut dem Spezialisten ist die beste Vorbeugung, die Finger nicht aufzustellen, sondern gestreckt zu halten, aber auch gutes Aufwärmen: «Ideal sind drei oder vier Routen à 40 Züge oder acht bis zwölf Boulder mit zunehmender Schwierigkeit.»

 

Verformte Fingergelenke

In seinem Artikel streicht Andreas Schweizer auch die Folgen des Kletterns für die Fingergelenke hervor und zitiert dabei Studien, die an älteren Kletterern durchgeführt wurden. Eine davon fand in der Schweiz mit Personen statt, die seit fast 20 Jahren klettern und im Durchschnitt den Grad 8b beherrschen. Die meisten dieser Athleten gaben an, keine oder nur wenig Symptome in den Gelenken zu haben. Allerdings zeigten die Testresultate, dass viele von ihnen Osteophyten aufwiesen, das heisst knöcherne Auswachsungen an den Gelenken der Fingerglieder. Um dem vorzubeugen, sieht der Mediziner nur einen Weg: Finger nicht aufstellen. «Die Fingerstellung mit dem Daumen über dem Zeigefinger sollte so rasch als möglich nicht mehr angewendet werden, ganz besonders von Jugendlichen und Kindern,» betont er eindringlich, «die Wachstumsfugen der Finger schliessen sich erst im Alter von 17 oder 19 Jahren. Sie sind die schwächsten Strukturen und deshalb am verletzungsanfälligsten. Im Laufe der Zeit sind Gelenkverformungen möglich.»

 

Vorsicht vor Einfingerlöchern

Neben der erwähnten Fingerstellung sind weitere Techniken Auslöser von Verletzungen: Ein- und Zweifingergriffe, die nötig sind, wenn nur ein kleines Loch zur Verfügung steht. Dabei kann es zu einer starken Verschiebung der tiefen Fingerbeugesehnen gegeneinander kommen. Eine Verstauchung oder ein Muskelriss kann die Folge sein. Falls das passiert: «Zur Vermeidung einer Operation ist es sehr wichtig, gleich nach der Verletzung Stretchingübungen zu machen», rät Andreas Schweizer.

 

Handgelenk und Schulter

Neben der Hand können beim Klettern auch andere Körperteile von Verletzungen betroffen sein. In vielen Fällen ist es das Handgelenk, zum Beispiel bei einem Sturz von einem Boulderblock oder dann, wenn der angeseilte Kletterer versucht, einen Aufprall am Fels mit der Hand abzufedern.

Die Schulter ihrerseits ist häufig Opfer von wiederholter Überlastung. Sie wird unter anderem besonders stark belastet, wenn der Kletterer einen weit seitlich liegenden Griff belastet und die Schulter fast allein das ganze Gewicht des Körpers tragen muss. Das zieht oft Verletzungen und Mikrotraumata (geringfügige, unterschwellige Verletzungen) nach sich.

 

Hüfte, Knie und der Nacken

Auch der untere Teil des Körpers kann betroffen sein. Sicherungsfehler und Sprünge von Boulderblöcken können Verstauchungen und Brüche an Hüfte und Knien zur Folge haben.

Zu guter Letzt sind auch Probleme im Rücken und im Nacken zu erwähnen. Einer der wesentlichen Gründe dafür ist die Haltung des Sichernden, um den Seilpartner im Auge zu behalten: Der Kopf ist dabei meist nach hinten in den Nacken gelegt. Die Stellung belastet die Wirbel und kann zu Nackenverspannungen und sogar Abnützungen der Wirbel führen. «Dieses Problem kann leicht gelöst werden, wenn der Sichernde eine sogenannte Sicherungsbrille mit Prismengläsern trägt», rät And­reas Schweizer.

Zum Schluss zeigt sich der Mediziner optimistisch: «Wer sich richtig aufwärmt und die aufgestellte Fingerposition weitgehend vermeidet, kann Kletter­sport im mittleren Schwierigkeitsgrad mit einem Minimum an Risiko für Beschädigungen am Bewegungsapparat ausüben.»

Weiterlesen

Andreas Schweizer, Peter Keller, Vertical Secrets, Turn Till Burn, 2011

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