Vierzehn Tage zwischen Nordsee und «Schwarzmeer»
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Vierzehn Tage zwischen Nordsee und «Schwarzmeer»

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Pierre Schommer, Zürich

Nicht jedermann kann es sich leisten, von seinen jährlichen Ferien vierzehn Tage abzuzweigen, um im Frühjahr planlos loszuziehen und irgendwo Skitouren zu unternehmen. Wenn man aber gerade sein Studium abgeschlossen hat und trotzdem noch etwas Sackgeld besitzt, ergibt sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, noch ein letztes Mal in den Genuss langer Studentenferien zu kommen.

So überlegten Ruedi und ich im letzten Sommer, noch vor den Abschlussprüfungen, ob, wo und wie wir vor dem ersten Stellenantritt Skitouren machen könnten. Wir einigten uns so weit, dass wir im Frühling zusammenkommen und dann das Weitere bestimmen würden.

Im Februar muss Ruedi zuerst seinen WK absolvieren, und ich warte auf seine Entlassung, indem ich per Autostop in Holland eine Rundreise mache. Ob dies zur Akklimatisation ans Gebirge geeignet ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben... Immerhin gelange ich so in den Genuss, innerhalb einer Woche von 6 Meter unter der Meereshöhe bis auf nicht ganz 4000 Meter über Meer zu steigen! Pünktlich zu Ruedis Entlassung komme ich aber aus Holland zurück, zwar mit zwei Seelen in meiner Brust, von denen die eine auf dem Tramp in Holland hätte bleiben wollen, während es die andere doch immer noch ins Gebirge zieht.

Mit Steigeisen, Pickel, Seil und noch viel anderem Ballast im Rucksack reise ich am Dienstag zu Ruedi ins Appenzellerland. Den Abend verbringen wir mit Beratungen, wohin es nun eigentlich gehen soll. Meine Reise in die Ostschweiz bedeutet schon eine deutliche Absage ans Wallis. Im Berner Oberland herrscht akuter Schneemangel. Zudem besitzt Ruedi ein altes Programm der Bergsteigerschule Pontresina. Diesem können wir entnehmen, welche Hütten im Frühjahr etwa besucht werden und welche Gipfel zum Skifahren geeignet sein könnten. Im Verlauf des Abends können wir uns aus den unendlichen Möglichkeiten auf folgendes einigen: Je nachdem, ob morgen das Wetter eher im Norden oder im Süden besser ist, werden wir entweder die Grialetsch- oder die Jürg-Jenatsch-Hütte ansteuern. Nach diesem Entschluss gilt es aber noch Ruedis besorgte Mutter zu beruhigen, es sei nicht gefährlich und wir wür- den aufpassen. Es sind dieselben Beteuerungen, die ich schon heute morgen bei mir zu Hause machen musste.

Am Mittwoch ist kein Wölklein mehr am Himmel zu sehen; der Säntis leuchtet in der Morgensonne, so dass Ruedi am liebsten nur gerade dorthin gehen möchte. Doch muss er selbst einsehen, dass wir den Schnee selbst im Rucksack mitbringen müssten. So fahren wir schon früh nach Chur, gespannt, wohin es uns in den nächsten zwei Wochen verschlagen wird. Um uns für die Grialetsch- oder die Jürg-Jenatsch-Hütte zu entschliessen, rufen wir von Chur aus nach Preda an, um uns über die dortigen Wetterverhältnisse zu erkundigen. Der Wetterbericht meldet nämlich Niederschläge im Engadin. Doch kümmert sich Petrus wenig um unsere Berichte, und der angerufene Hotelier wird sich über unsere Anfrage nicht wenig gewundert haben. Jedenfalls malen wir es uns so aus, denn auch auf dem Julierpass leuchtet die herrliche Engadiner Sonne, als wir nach St. Moritz fahren, um via Piz Nair die Jürg-Jenatsch-Hütte anzupeilen.

Wir wollen das Auto in St. Moritz lassen. Deshalb fahren wir ins Parkhaus hinein. Doch drinnen sehen wir horrende Preise angeschlagen, so dass wir schleunigst die Ausfahrt suchen. Nach etlichen Rundfahrten -jedes Stockwerk muss in seiner ganzen Länge hin und zurück durchfahren werden - erreichen wir diese auch. Etwas verschämt geben wir an der Ausgangskasse zu, es sei uns zu teuer gewesen, was lachend quittiert wird. Nach einer weiteren Suche finden wir eine Later-nengarage.Von jetzt an dient das Auto nur noch als Basislager, wo frische Wäsche und dergleichen deponiert wird. Eine letzte Galgenfrist bis zum ersten Fussmarsch wird uns noch beim stundenlangen Schlangenstehen an der Corvigliabahn und dann zum Piz Nair gewährt. Mit zwiespältigen und vor allem neidischen Gefühlen sehen wir in Corviglia, wie sich das « Volk » auf schönsten Abfahrtspisten und bestem Schnee tummelt. Die Versuchung ist gross, noch einen Nachmittag mit Pistenfahren zuzubringen. Doch wir bleiben hart. Dafür wollen wir uns im Gipfelrestaurant auf dem Piz Nair mit einer Gulaschsuppe entschädigen. Doch als wir nach einer halben Stunde immer noch keine Serviertochter von nahem sehen können, ist uns der Appetit vergangen, und ohne länger zu warten, ziehen wir nun los, zuerst über Pisten abwärts ins Val Suvretta. Dann, in glühender Nachmittagshitze, schlaff von der Reise und dazu mit « Vollpackung », geht es steil hinauf zur Fuorcla Traunter Ovas. Überdies scheint es uns ratsam, die Hänge in der Fallirne zu besteigen, da sie uns zum Teil als recht « lawinös » vorkommen ( unser Fachwort, lawinengefährdete Hänge zu bezeichnen ). So sind wir froh, nach einer Stunde oben zu sein. Jetzt gibt es eine Abfahrt in der Abendsonne. Je nach Hanglage kommen wir in den Genuss von Pulver- oder Hartschnee. Jedenfalls gelangen wir nach einigem Suchen gut ins Val Bever hinunter. Nach einem zweiten, aber kürzeren Aufstieg erreichen wir die Jürg Jenatsch-Hütte. Ganz unterwartet wird es nun für uns bequem: Dreissig Rekruten einer Seilbahnkompanie sind in der Hütte, und der Küchenchef ist schon voll mit dem Nachtessen beschäftigt. Wir brauchen nur unsere Koteletten abzugeben und uns an den Tisch zu setzen! Alles übrige wird von der Küchen- und Fassmann-schaft besorgt.

Aber auch am nächsten Morgen schmarotzen wir noch bei der Armee, die uns das Morgenessen stiftet. Im weiteren hat die Kompanie am Vortag den Piz d' Err bestiegen, so dass es uns nicht schwerfällt, diesen Gipfel für unsere erste Tour auszuwählen, da schon eine ausgezeichnete Aufstiegsspur vorhanden ist. Nach zweieinhalb Stunden kommen wir auf dem Gipfel an, der mir bis jetzt nur aus Kreuzworträtseln als « Berg in Graubünden mit drei Buchstaben » bekannt war. Etwas ausser Atem sind wir schon, denn nach dem Skidepot geht es durch leichte Felsen hinauf, wo wir, wie schon öfters, zu schnell gehen. Oder haben wir uns nur noch nicht an die Höhenluft gewöhnt? Um so mehr geniessen wir oben die herrliche Rundsicht, beginnen uns an den noch fremden Bergen zu orientieren, und bald schon zählt Ruedi auf: « Ja, dort wäre ein schöner Skihang und auch rechts davon und... » Für den nächsten Tag lesen wir daraus den Piz Calderas aus. Nach der Abfahrt bräunen wir uns an der Sonne und schlafen in den warmen Felsen in der Nähe der Hütte, mehr schlaffen Pistenfahrern als fanatischen Draufgängern gleich. Sobald die Sonne verschwindet, und das ist im Tal unten früh genug, verschwinden wir in der Hütte. Das Militär ist verreist, und wir müssen selber kochen. Zusammen mit dem Schneeschmelzen stellt dies denn auch eine zweckmässige Arbeitsbeschaffung dar, denn ein Dauerjass zu zweit ist doch nicht so anregend, und als einzige Lektüre neben dem neuen Hüttenbuch finden wir nur zwei alte, zerrissene Bändchen « Reader's Digest ». ( Gibt es eigentlich eine SAC-Hütte ohne ein einziges « Reader's Digest » ?) Zum Nachtessen werden Spaghetti serviert. In Ermangelung anderer Zutaten tun wir reichlich Butter dazu, die vom Militär zu unserer Freude zurückgelassen wurde.

Wie auf dem Piz d' Err vereinbart, besteigen wir am Freitag den Piz Calderas. Er lässt eine rassige Abfahrt im Pulverschnee erahnen. Doch bevor diese drankommt, « klopfen » wir noch zwei benachbarte Gipfel ab, den Piz Picuogl und die Tschima da Flix, die Ruedi allein schon ihres schönen Namens wegen besteigen will. Leider entpuppt sich der Anstieg zu ersterem als langweiliger und endloser Geröllgrat. Doch wir lassen uns nicht entmutigen und besteigen ihn trotzdem. Dafür gönnen wir uns oben eine Siesta. Hier ist ein Nickerchen viel angenehmer als heute morgen beim « Znüni », als ein Schulflugzeug fünfmal aufsetzte und durchstartete und uns wegen der Ruhestörung bald wieder aufbrechen liess. Dank der Rundsicht haben wir hier die Gelegenheit — ganz entgegen einem seriösen SAC-Geist -, uns über einen fremden Fahrer zu amüsieren, dei- an einem gegenüberliegenden Hang trotz Pulverschnee im Zickzack und mit Kaiser-Franz-Josef-Umsteigeschwüngen hinunterfährt.

Am vierten Tag, es ist Samstag, wollen wir Hanspeter treffen, der die nächste Woche mit uns sein wird. Besammlungsort ist der Bahnhof Madulain, zwischen 12 und 14 Uhr, denn wir hatten ursprünglich im Sinn, von dort gerade den Kesch zu besteigen. Doch das Wetter ist so schön, dass wir schon beim Morgenessen beschliessen, heute noch auf die Diavolezza zu fahren und morgen den Palü in Angriff zu nehmen. Vorerst müssen wir aber von der Jürg-Jenatsch-Hütte nach Madulain kommen. Wir wollen über die Fuorcla d' Agnels zum Julierpass hinunterfahren. Die Pize Surgonda und Traunter Ovas, die dabei am Weg liegen, nehmen wir auch noch ins Programm auf. Und so machen wir es auch. Nach der Fuorcla d' Agnels treffen wir auf herrliche Sulzschneehänge, so dass wir, nicht gerade tourengemäss, zum Rasen animiert werden. Viele Leute sind unterwegs, und wir stellen uns vor, wie sie im Schweisse ihres Angesichtes beim Aufstieg in praller Morgensonne uns wohl beneiden! Auf dem Julierpass angelangt, stellen wir fest, dass das nächste Postauto noch eine Stunde auf sich warten lässt. Wir beschliessen, es in dieser Zeit mit Autostop zu versuchen. Trotz zweier Paar Ski und der Rucksäcke werden wir zur eigenen Verblüffung bald mitgenommen. In St. Moritz holen wir unser Auto und kommen gerade in Madulain an, als ein Zug einfährt. Zum zweiten Mal heute sind wir verblüfft, als nun Hanspeter leibhaftig diesem Zug entsteigt!

In Pontresina kaufen wir Proviant ein, zwar nach der Formel Handgelenk mal Pi, denn einen Menüplan führen wir nicht. Dann wird ein Lagebericht nach Hause telephoniert, um besorgte Eltern zu beruhigen. Nach zwei Wartestunden in der Talstation der Diavolezza kommen wir doch noch dran und bald oben an, wo wir zu unserem Leidwesen vernehmen, dass der Gipfelgrat des Palü vereist sei. Da wir die Steigeisen schön im Trockenen — im Autokofferraum - liessen, beginnt nun eine ellenlange Diskussion, ob wir auf den Gipfel verzichten oder ob wir unsern Portemonnaies eine zweite Bergfahrt mit der Diavolezzabahn zumuten wollen, um die Eisen zu holen. Niemand will sich recht äussern. Deshalb bleiben schliesslich die Eisen, wo sie sind. Vielleicht ist das mit dem Blankeis auch leicht übertrieben...

Am Sonntag ziehen wir im Morgengrauen los. Der Andrang zum Gipfel ist nicht sehr gross, im ganzen etwa fünfzehn Personen. Die Abfahrt auf den Gletscher hinunter über gefrorene Pisten und mit erst halbwachem Kopf ist eher mühsam als lustbetont. Der ganze Aufstieg liegt noch im Schatten. Nach den Eisabbrüchen müssen wir einen aussergewöhnlichen Schrund traversieren, wo wir die Ski losschnallen, vier Meter hinuntersteigen, dann über eine Schneebrücke und schliesslich wieder hinauf müssen. Wie wird man da im Sommer durchkommen? Kaum sind wir drüben, kommen drei Unangeseilte nach, die etwas unschuldig fragen, ob sie wohl anseilen sollten? Wir beantworten dies mit « Geschmackssache » und gehen weiter. Beim Skidepot bestätigt sich das Gerücht vom Blankeis, so dass ohne Steigeisen die Gipfelbesteigung für uns nicht in Frage kommt. So machen wir es uns beim Skidepot gemütlich; es gibt Tee, Brot, auf Wunsch mit Butter und Konfitüre! Dann, zu Hanspeters Ärgernis, rasiere ich mich. Immerhin kann ich ja nicht jeden Morgen auf 3750 Meter rasieren! Unterdessen nimmt ein Führer mit fünf unerfahrenen Bergsteigern den Gipfelgrat in Angriff. Wie wir sehen, dass er einzelne von ihnen auf dem Bauch über das Eis hinaufzieht und für die ersten fünfzig Meter deshalb schon eine Stunde benötigt, erscheint uns das ganze Unternehmen ungemütlich.

Bald ziehen wir ins Tal hinunter. Das nun bald obligatorische « Stündlein an der Sonne » verbringen wir auf der Isla Persa, und nach einer weiteren Stunde sind wir in der Bovalhütte. Leider steht dort nur ein kalter, nicht sauber zurückgelassener Winterraum zur Verfügung. Wir kochen eine Suppe und damit basta. Satt wären wir. Ein chaotisches Spaghettidurcheinander im Rucksack hat jedoch zur Folge, dass jeder noch einen riesigen Teller Spaghetti vertilgen muss. Als Zutat gibt 's diesmal Butter und dazu... höchstens noch einmal Butter!

Am andern Morgen — immer noch bei strah-lendblauem Himmel - ist der Piz Misaun unser nächstes Ziel; ein abwechslungsreicher Aufstieg durch Tälchen, über kurze, aber harte Steilhänge und auf flacheren Rücken führt uns zum Gipfel. Aber gerade deswegen gibt es manche « Sitzung » mit Kartenstudium, um überhaupt den Gipfel zu finden. Droben lassen wir den « Trueber Bueb » erschallen. Eine rassige Abfahrt durch Pulver-und Sulzschnee nebeneinander führt uns nach Morteratsch.

In Pontresina kaufen wir wieder Proviant ein für etwa vier Tage. Dann soll es ernst werden mit dem Kesch. Da wir als weiteres Ziel eventuell die Silvrettagruppe ins Auge fassen, suchen wir einen Skiführer von jenem Gebiet. Deshalb fahren wir noch nach St. Moritz, wo aber die Buchhandlung über Mittag geschlossen ist. So gibt es zuerst ein Entrecote Café de Paris und einen Kaffee im « Stefani », in meiner « Stammbeiz », wie ich behaupte, denn ich war letzten Sommer schon einmal hier. Nach dem Kauf des Führers geht 's dann endlich los: Auf dem Bahnhofplatz von Madulain wird neuerdings, aber nun definitiv das Auto parkiert, es werden Rucksäcke gepackt, Felle angeschnallt, und schliesslich entbrennt eine Diskussion darüber, ob der Pickel mitgenommen werden soll oder nicht...

Der Anstieg zur Es-Cha-Hütte ist sehr anstrengend, denn der Schnee - er reicht gerade noch bis ins Tal hinunter - ist faul, öfters sinkt man unverhofft durch die ganze Schneeschicht, wobei die schweren Rucksäcke das Herauskommen zu verhindern suchen. Aus demselben Grunde darf man sich kaum auf die Stöcke stützen, was das Gehen auch nicht gerade erleichtert. Erst eine Viertelstunde unter der Hütte wird der Schnee hart. Bei Sonnenuntergang - nur noch Palü, Bellavista, Bernina und Roseg glühen in der Abendsonne -erreichen wir die Hütte, die äusserst schön gelegen und auch erfreulich sauber ist. Müde von den zwei Aufstiegen von heute, liegen wir schon früh in den Federn. Am Morgen geht dann alles wie- der von selbst: Ich stehe um 5 Uhr auf und mache noch im Halbschlaf Feuer im Ofen. Ohne ein Wort zu verlieren, legen Ruedi und Hanspeter die Wolldecken zusammen. Dann packt jeder seinen Rucksack, schnallt die Felle an. Sobald das Wasser kocht, wird gegessen, und nach einer Stunde sind wir bereit und marschieren los. So hat sich das « Teamwork » eingespielt ohne jegliche Organisation, denn zum Sprechen ist es noch zu früh, obwohl wir am Abend um 8 Uhr meistens schon im Bett sind.

Obwohl die Es-Cha-Hütte zum Verweilen lockt, ziehen wir am nächsten Morgen weiter bei beständiger Wetterlage und klarblauem Himmel. Zuerst geht es aufwärts über die Porta d' Es-Cha zum Piz Kesch. Nach der Abfahrt zur Alp Funtauna gibt es noch zwei Aufstiege bis zur Grialetschhütte, unserem Tagesziel. Der erste Anstieg führt zum Scalettapass, der zweite vom Dürrboden im Dischmatal zur Fuorcla Grialetsch. Dieser macht uns zu schaffen, denn die Sonne brennt heiss, kein Lüftchen weht, und der Durst plagt. Um so glücklicher kommen wir in der Hütte an, die zu unserer Freude bewirtet ist, so dass es nicht lange dauert, bis wir die erste Bier-büchse geleert haben. Gusti ist ein ausgezeichneter, lieber und hilfsbereiter Hüttenwart und Koch. Wir können ihm unsere Lebensmittel - wie üblich Suppe und Spaghetti - zum Kochen abgeben. Er macht uns daraus eine herrliche Mahlzeit, und unserem Saucenbeutel fügt er eigenen Wein, Gewürz und Zwiebeln hinzu! Am Abend werweissen wir lange, ob wir einen Tag hierbleiben sollen oder nicht. Mich zieht es bereits in die Tuoihütte, Ruedi und Hanspeter würden gerne noch einen Tag diese gemütliche Unterkunft geniessen. Schliesslich überlassen wir den Entscheid dem Morgen.

Am nächsten Tag ziehen wir zum Piz Grialetsch und Piz Sarsura, verweilen also noch einen Tag im Gebiet der Grialetschhütte. Eigentlich wollten wir heute morgen auf den Piz Vadret, doch erscheint er uns als etwas zu schwierig, insbesondere da man über den normalen Winterauf- Am Piz Pala Photo Hans Rostetter, Ilanz 2Aufstieg zum Piz Palü. Ost- und Westgipfel 3Blick von der Fuorcla Traunter Ovas nach Westen: P. Picuogl, P. Calderas, P.d'Err Photos Pierre Schommer, Zurich stieg bis zum Bauch einsinken soll. Am Nachmittag schaufeln wir zu Gustis Freude Schnee, und mit unseren Eispickeln - zum Glück haben wir sie dabei — entfernen wir das Eis vor dem Hauseingang.

Doch am nächsten Tag - es ist Donnerstag, unser neunter Tourentag - ziehen wir weiter, obwohl es nun mir leid tut, diese gastfreundliche, heimelige und bequeme Hütte zu verlassen. Am Morgen früh geht es aufwärts zur Fuorcla Sarsura. Im Vorbeigehen besteigen wir noch den Piz Sarsura Pitschen. Dann gibt es eine phantastische Abfahrt hinab ins Val Sarsura. Im oberen Teil treffen wir breite Schneefelder an, wobei die sonnigen Hänge sulzig sind, doch sobald man in weniger sonnenexponierte Lagen gerät, kann man ohne Übergang noch herrlichen Pulverschnee finden. Im unteren, engeren Teil des Tales fahren wir über grosse Lawinenkegel, zirkeln im lichten Wald um Tannen herum. Indem wir zuunterst den Schnee suchen, können wir bis zur Hauptstrasse nach Susch fahren, wo wir uns neuerdings verproviantieren. Eine Metzgerei gibt es nicht, und einmal mehr müssen wir uns mit Schüblig, Wienerli und andern Würsten zufrieden geben. Wir vertrösten uns mit der Idee, uns in Guarda, dem Ausgangspunkt zur Tuoihütte, ein gutes Essen mit Pommes frites zu leisten. Doch da kommt die grosse Enttäuschung: Beide Hotels sind heute geschlossen, und im einzigen Restaurant gibt es nur kalte Küche. Ruedi bestellt einen Salsiz und drückt ihn mit Todesverachtung hinunter. Enttäuscht über die entgangene lukullische Mahlzeit steigen wir am Nachmittag zur Tuoihütte hinauf. Im unteren Teil des Hüttenweges gibt es keinen Schnee mehr, und der obere ist eher langweilig, ein langgezogenes Tal. Zudem macht mir mein Magen zu schaffen, so dass ich mir im stillen sage, ich hätte das Geld für das magere Mittagessen von heute in Guarda mit Vorteil einer gemeinnützigen Organisation gespendet. Trotzdem kommen wir nach drei Stunden in der Hütte an. Zwei Deutsche sind bereits seit einer Stunde da, so dass es in der Küche schon schön warm ist. Wir gestehen ihnen, dass wir dieses Gebiet überhaupt nicht kennen und nur deshalb in diese Hütte kamen, weil wir im Clubhüttenverzeichnis lasen, dass sie über Ostern bewirtet, und daraus schlössen, dass sie zum Skifahren geeignet sei. Die zwei Deutschen geben uns aber den Tip, vom Piz Buin, dem wir morgen einen Besuch abstatten wollen, nach der Wiesbadener Hütte abzufahren. Da dort auch die Bequemlichkeit der österreichischen Berghütten lockt, sind wir uns bald einig, diesen Rat zu befolgen.

Am nächsten Morgen verschlafen wir uns, das heisst, statt um 5 gibt es erst um 6 Uhr Tagwache. Dann geht es los zum Buin, zuerst über einen sehr steilen Hang. Einmal mehr beneidet mich Ruedi um meine Harsteisen. Doch oben wird der Hang so steil, dass auch ich die Ski tragen muss. Dann gelangen wir zur Fuorcla dal Cunfin, wo sich plötzlich das österreichische Skiparadies eröffnet, mit entsprechenden Völkerkarawanen auf allen Gletschern - ganz im Gegensatz zum Schweizer Gebiet, in dem wir unterwegs kaum einer Seele begegnet sind. Auch wenn die Werbung für « Piz Buin » sich nicht nur auf das Sonnenschutzmittel beziehen würde, wäre sie immer noch berechtigt, denn wir geniessen vom Gipfel aus eine grossartige Rundsicht. Das Wetter ist ausserordentlich klar, wie man es sonst nur im Herbst antreffen kann. Wir sehen vom Finsteraarhorn, Lauteraarhorn, Dammastock über Oberalpstock, Tödi und Ringelspitz bis zu den österreichischen Ötztaler Alpen mit Weisskogel und Wildspitze, dem höchsten Berg Österreichs. In mir tauchen herrliche Erinnerungen auf von der letztjährigen Rundtour im Ötztal — but that 's another story! Natürlich sehen wir auch alte Bekannte, wie Palü, Bernina, Kesch und den prächtigen Sarsura. Auf dem Gipfel gibt es allerdings auch weniger « berühmte » Bergkenner, die uns fragen, ob man denn die Schweizer Alpen nicht sehe? Dabei zeigen sie eben in Richtung Glarner Alpen und behaupten, das sei alles Vorarlberg! Die Abfahrt zur Wiesbadener Hütte ist schön; es besteht sogar 1 Blick von der Porta d' Es-Cha zum P. Kesch — auch eine Wasserscheide zwischen Nordsee und Schwarzmeer Blick von der Vorderen Jansspitze: Dreiländerspitze, Silvrettahorn, Schneeglocke, Schattenspitze Im Val Tuoi. P. Buin und Dreiländerspitze Photos Pierre Schommer, Zürich eine richtige Piste. In der Hütte holen wir nun nach, was wir in Guarda nicht haben konnten: Wienerschnitzel, Salzkartoffeln - und dazu gibt es Kartoffelsalat.

Am Samstag, dem elften Tag, müssen wir zur Tuoihütte zurück und damit diese zweitägige Minirundtour schliessen, denn Hanspeters Urlaub ist zu Ende. Wir kombinieren, dass er unser Auto von Madulain nach Chur bringen soll; dann können Ruedi und ich via Silvrettahütte nach Klosters fahren, denn wir wollen noch einige Tage bleiben. Am Morgen besteigen wir die Dreiländerspitze. Auf dem Gipfel muss ich feststellen, dass die zwei andern Länder gar nicht Österreich und Italien sind, sondern Vorarlberg und Tirol! Trotzdem erfreuen wir uns der Aussicht! Dann gehen wir über die Ochsenscharte zum Jamjoch. Nach der Vorderen Jamspitze möchte ich auch noch die Hintere Jamspitze besteigen; vom Joch aus ist es ein Katzensprung. Da ich auf kein Verständnis für diesen Wunsch stosse, drohe ich, ich würde notfalls auch allein losziehen! Bald daraufstehen wir alle drei auf diesem « Idiotenhügel »! Wir geniessen beinahe dieselbe Aussicht wie vom Buin, von der Dreiländerspitze und der Vorderen Jamspitze aus, und doch ist es jedesmal ein neues Erlebnis, dieses herrliche Panorama in sich aufzunehmen. Die Sicht ist noch klarer als gestern vom Buin aus. Die Abfahrt vom Joch nach der Tuoihütte zeigt sich rassig steil, und wir treffen einmal mehr herrlichen Sulzschnee an. Am Nachmittag verlässt uns nun Hanspeter, und Ruedi und ich legen uns an die Sonne, lesen alte SAC-Bände und wieder einmal die Einleitung zu unserem Skiführer in Ermangelung spannenderer Lektüre. Schon um 15 Uhr verschwindet die Sonne hinter hohen Gipfeln, und deshalb wird schon um 16 Uhr das Nachtessen aufgetischt, natürlich: Suppe mit Würsten! Früh geht 's zu Bett. Nach 20 Uhr kommen noch einige Deutsche an ( wie viele es waren, haben wir im Halbschlaf nicht herausbringen können ), die gar nicht drauskommen, was hier los ist, dass schon so früh alle Lichter gelöscht sind. Jedenfalls schlafen wir bald weiter, nachdem sie sich noch erkundigt haben, ob denn die Hütte voll sei -dabei sind wir insgesamt vier Personen!

Am Sonntag nehmen wir die Fliana in Angriff. Es geht denselben Hang hinauf wie zum Buin, dann müssen wir uns aber links halten. Vom Skidepot aus führen ein leichter Geröllgrat und ein Schneefeld zum Gipfel. Später, wieder auf den Ski, schlagen wir die Richtung zum Verstanklator ein und gelangen so zur Silvrettahütte. Wie schon in der Tuoihütte, so sind wir auch hier erstaunt, ausser einem Ehepaar und zwei Grenz-gängern niemanden anzutreffen. Mitten in diesem Skiparadies hätten wir gutbesetzte Hütten erwartet, wie dies in den Österreichischen Hütten der Fall ist. Lockt dort die Bequemlichkeit? Zum Nachtessen gibt es: Teigwaren und Würste! In den zwei letzten Wochen sind wir aber mit letzteren so überfüttert worden, dass Ruedi meint, eigentlich könnte man sie zum Fenster hinauswerfen...

Am Montag, dem dreizehnten Tag, wollen wir noch über die Schneeglocke zur Saarbrückner Hütte; doch zum erstenmal nach vierzehn Tagen streikt die Sonne. Als um 4 Uhr der Hüttenwart die Grenzgänger weckt, meldet er Neuschnee und Nebel. Wir glauben an einen Scherz, der aber zur bitteren Wahrheit wird, wovon wir uns bald selbst überzeugen können. Deshalb schliessen wir uns dem ebenso enttäuschten Ehepaar an und stechen nach dem Morgenessen definitiv ins Tal hinunter, unsere vierzehntägige Übung abbrechend. Wir haben wegen des dichten Nebels und Schneefalls einige Mühe, den Abstieg ins Galtürtäli zu finden, so dass wir sogar die schönsten Skihänge nur sehr langsam und vorsichtig hinunterfahren, bereuend, nicht hinunterschwingen zu dürfen; doch Vorsicht ist die Mutter der Tapferkeit! So benötigen wir volle zwei Stunden bis zur Alp Sardasca. Von da aus können wir dank dem Neuschnee noch weit im Langlaufstil das Tal hinausgleiten. Den Abschluss aber bildet ein mühsamer Marsch auf der Asphaltstrasse nach Klosters. Immerhin stellen wir getrost fest, dass sich das Wetter kaum bessern wird.

Glücklich und dankbar, dass in den vergangenen zwei Wochen alles so reibungslos und ohne einen einzigen Zwischenfall verlaufen ist und sich das Wetter bis heute so tadellos gehalten hat, leisten wir uns zum Abschluss in Klosters noch ein herrschaftliches Essen - und dann freuen wir uns auf ein dampfendes Vollbad zu Hause...

Wer diese Tourenwoche auf der Karte verfolgt, wird feststellen können, dass wir tatsächlich vierzehnmal die Wasserscheide zwischen dem Schwarzen Meer ( Inn ) und der Nordsee ( Rhein ) überschritten haben ( Piz d' Err und Piz Grialetsch miteingerechnet ), so dass mir der Titel dieses Berichtes gerechtfertigt erscheint.

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